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Lange bevor es eine Charta der Menschenrechte und humanitäre Organisationen gab, definierten die Römer den Piraten als Feind aller, da ihm nicht mit dem üblichen Recht beizukommen war: Er ist kein Bürger eines Staates, er bewegt sich auf offener See, die niemandem gehört und wo keine Gesetze gelten, man kann nicht mit ihm verhandeln und er ist nicht mit einem Krieg zu besiegen. Bis heute stellt er eine immense Herausforderung an das Recht und die Politik dar. In seiner brillanten Studie zeichnet Daniel Heller-Roazen die Genealogie dieser Herausforderung von der Antike bis heute nach. Mit…mehr

Produktbeschreibung
Lange bevor es eine Charta der Menschenrechte und humanitäre Organisationen gab, definierten die Römer den Piraten als Feind aller, da ihm nicht mit dem üblichen Recht beizukommen war: Er ist kein Bürger eines Staates, er bewegt sich auf offener See, die niemandem gehört und wo keine Gesetze gelten, man kann nicht mit ihm verhandeln und er ist nicht mit einem Krieg zu besiegen. Bis heute stellt er eine immense Herausforderung an das Recht und die Politik dar.
In seiner brillanten Studie zeichnet Daniel Heller-Roazen die Genealogie dieser Herausforderung von der Antike bis heute nach. Mit leichter, eleganter Hand beschreibt er, wie und warum der Pirat aus allen territorialen, politischen, kriegerischen und rechtlichen Kategorien herausfällt und wie er zu der zentralen zeitgenössischen Figur hat werden können, als die wir ihn heute erleben.
Autorenporträt
Daniel Heller-Roazen, geb. 1974, ist Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Princeton University. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Toronto, Baltimore, Venedig und Paris und hat zahlreiche Stipendien für seine Arbeit erhalten. Im Jahr 2010 wurde ihm die Medaille des Collège de France verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2010

Rechtlose auf den Weltmeeren

Von wegen Auslaufen und Einbuchten: Die Piraten sind als Bedrohung der Schifffahrt zurück. Daniel Heller-Roazen beschreibt ihre Rolle in der Rechtsgeschichte und gerät bei der Gegenwart ins Ungefähre.

Die Piraten sind zurück, und die Wissenschaft gedenkt ihrer mit angenehmem Grauen. Mythische Erzählungen steigen auf, und sie verbinden sich mit der ambivalenten Fortschrittsgeschichte des Völkerrechts: Wo Räuber waren, sorgt nun das Seerecht für Ordnung. So jedenfalls hieß es einige befriedete Jahrzehnte lang, bis die Seefahrt wieder durch den Fluch der Meere eingeholt wurde. Daniel Heller-Roazen, Literaturprofessor in Princeton und vielgelobter Autor, hat eine Rechtsgeschichte der Piraten vorgelegt, in der sich tradierte Fakten mit naheliegenden Aktualisierungen verbinden.

Heller-Roazen erzählt diese Geschichte in lesbarer Chronologie. Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit werden auf Vorfälle und normative Konzepte hin abgeklopft. Er berichtet von Freibeutern, Korsaren und Seekamelen, vom Ende der Kaperei durch die Pariser Deklaration von 1856. Sein Fokus liegt perspektivisch auf der Frage, wer wen als "Pirat" etikettiert und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Die politische Pointe dieser Untersuchung liegt, mancher ahnt es vielleicht schon, in der Frage der Exklusion: Welche dunklen Seiten haben politisch-juristische Definitionen und Integrationsprozesse, welche Ausgrenzungen sprechen sie aus?

Denn dass der Pirat ein vielfach Geächteter unter den Geschöpfen dieser Erde ist, daran lassen Heller-Roazens Belegstücke keinen Zweifel. Bei Cicero erscheint er in einer legendären Stelle als "communis hostis omnium", als gemeinsamer Feind aller, oder - so eine frühneuzeitliche Formel - gar als Feind des Menschengeschlechts, "hostis generis humani". Gegen ihn gilt es sich zu verbünden, ihn musste man von den Küsten und Seestraßen fernhalten, verfolgen und zur Strecke bringen. Bis zu einer Seepolizei freilich ist der Weg noch lang, Auslaufen und Einbuchten ein frommer Wunsch, zumal auch die Piraten ausgeschlafene Bürschchen sind, die sich technisch zu helfen wissen.

Heller-Roazens Geschichte gewinnt ihre Aktualität also aus der Wiederkehr einer Kriminalitätsform auf den Weltmeeren, die man noch vor einigen Jahrzehnten für erledigt hielt. Das Buch wäre insofern das Musterbeispiel für die Neuerzählung der Geschichte unter dem Vorzeichen einer unerwarteten Auferstehung. Als solche freilich überzeugt sie nur in Maßen, denn wirklich Neues fördert Heller-Roazen weder in Recht noch in Geschichte zutage. Seine Kompilation bedient sich vielmehr solide der bekannten Forschungen und fügte diese, manchmal sogar etwas hölzern, ins Genre eines Sachbuchs mit essayistischen Zügen.

Interessanter dürfte Heller-Roazens theoretischer Punkt sein. Es ist das Philosophieren anhand des historischen Materials über die Figur des Anderen, des aus der Gemeinschaft Ausgeschlossenen: Der Pirat wird zum Paradigma. Hier entwickelt das Buch einen anderen, untergründigen Erzählstrang, für den der Agamben-Übersetzer Heller-Roazen die Piraten Vattels und Wolffs nicht nur mit Melville und Poe, sondern mit den Vordenkern des Ausnahmezustands und der juristisch organisierten Rechtlosigkeit zusammenbringt. Der Kunstgriff der Ausschließung beinhaltet die Selbstermächtigung zur Treulosigkeit, zum Wortbruch, kurz: zu weiteren piratengleichen Grenzüberschreitungen.

Unverzichtbar Beleg hierfür ist die Steilvorlage der unrühmlichen Verteidiger der US-amerikanischen "verschärften Verhörtechniken". Sie beriefen sich in ihrer Rechtfertigung der rechtswidrigen Misshandlungen auf die Figur des Piraten als des Ausgeschlossenen aus jeder Rechtsgemeinschaft. So sprach es der Rechtsberater der amerikanischen Regierung, John Choon Yoo, bald nach dem 11. September aus und erinnerte an die "ungesetzlichen feindlichen Kombattanten", deren Verhalten durch keine Kategorie des Rechtssystems abgedeckt sei. Diese zweite Wiederkehr macht den politischen Reiz des Buches aus, denn sie lässt manche Geschichte der Verfolgung in einem zivilisatorischen Zwielicht erscheinen: Der Staat und seine Vordenker bemächtigen sich der Definitionshoheit übers Meer und erklären kurzerhand den Gegner für vogelfrei.

Vier wiederkehrende Elemente der Definition hat Heller-Roazen in seiner Genealogie des Piraten ausgemacht: ein Gebiet, in dem rechtliche Ausnahmeregeln gelten; der Akteur wird als universeller Feind definiert; in seiner Verfolgung verwischen die Grenzen von Strafrecht und Politik; der Begriff des Krieges wandelt sich. So weit, so schlüssig. Das sei, so meint Heller-Roazen aber, "heute ein Gegenstand von erheblicher, sogar äußerster Bedeutung".

Doch was bedeutet diese Gleichsetzung der Ausgeschlossenen einst und jetzt? Ist der Pirat wirklich eine Schlüsselfigur unseres Denkens? Die Exklusion aus der Rechtsgemeinschaft zeitigt, das ist so weit klar, erbarmungslose Konsequenzen. Die Parallelführung trägt, wo andere einem rechtlichen Ausnahmestatus unterworfen werden. Heller-Roazen behauptet eine grassierende Verbreitung und huldigt damit einem politischen Alarmismus. Wo genau die Figuren "universeller Feindschaft" juristisch praktiziert werden, möchte er nicht sagen, erst recht läge eine Analyse und Typologie jenseits der Ziele und Aufgaben des Buches. Diese Formel, oft eine kluge Selbstbeschränkung, überzeugt hier gerade nicht.

MILOS VEC

Daniel Heller-Roazen: "Der Feind aller". Der Pirat und das Recht. Aus dem Englischen von Horst Brühmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 348 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit großer Faszination und intellektuellem Vergnügen hat Herfried Münkler dieses Buch gelesen, dass sich seinen Informationen zufolge mit der Frage befasst, inwieweit ein Feind eines Staates überhaupt strafrechtlich fassbar ist, ob es nicht Feindesformen gibt, die weder als (kriegerische) Feinde anerkannt noch als Verbrecher juristisch verfolgt werden konnen und damit außerhalb des binären "Feindsystems" stehen, in dem das Staatsrecht strukturiert ist. Als Exempel lege der vergleichende Literaturwissenschaftler aus Princeton die Figur des Piraten zu Grunde, und gehe ihr mit stupender Gelehrsamkeit über zwei Jahrtausende nach. Daniel Heller-Roazen beginne seine Überlegungen bei Ciceros Diktum, dass der Pirat "der Feind aller", also außerhalb des Rechtssystems stehe. Dann folge Heller-Roazen durch die Jahrhunderte den Versuchen, zu einer völkerrechtlich befriedigenden Definition zu gelangen und schließe auch Personal wie die in Nürnberg angeklagte Naziführung, Saddam Hussein oder Bin Laden in seine Überlegungen mit ein, die am Ende für Münkler eine intellektuelle Sprengladung bereithielten.

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