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Fatima liebt ihren Vater abgöttisch. Er befolgt streng die arabischen Bräuche und hat Sorge, dass die Röcke seiner Tochter zu kurz geraten. Die Mutter ist eine selbstbewusste Frau von europäischer Eleganz. Zwei Welten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Dazwischen bahnt sich das kleine Mädchen seinen eigenen Weg zur jungen Frau, der manchmal schmerzhaft ist und dann wieder voller Glück. »Nirgendwo im Haus meines Vaters« ist Assia Djebars persönlichstes Buch. Mal mit kühler Prägnanz, mal in poetischen Bildern erzählt sie ihre eigene Geschichte, die zugleich die Algeriens ist.

Produktbeschreibung
Fatima liebt ihren Vater abgöttisch. Er befolgt streng die arabischen Bräuche und hat Sorge, dass die Röcke seiner Tochter zu kurz geraten. Die Mutter ist eine selbstbewusste Frau von europäischer Eleganz. Zwei Welten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Dazwischen bahnt sich das kleine Mädchen seinen eigenen Weg zur jungen Frau, der manchmal schmerzhaft ist und dann wieder voller Glück. »Nirgendwo im Haus meines Vaters« ist Assia Djebars persönlichstes Buch. Mal mit kühler Prägnanz, mal in poetischen Bildern erzählt sie ihre eigene Geschichte, die zugleich die Algeriens ist.
Autorenporträt
Assia Djebar wurde 1936 unter dem Namen Fatima-Zohra Imalayène in Cherchell bei Algier geboren. Sie schrieb auf Französisch und war eine der renommiertesten Autoren aus Algerien. Ihre Themen waren der algerische Freiheitskampf sowie die gesellschaftliche Stellung der arabischen Frau. Assia Djebar wurde neben vielen anderen Preisen 2000 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels und 2006 Premio Grinzane Cavour für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie war die erste Autorin aus dem Maghreb, die 2005 in die Académie francaise gewählt wurde. Assia Djebar lebte und lehrte in New York. Sie verstarb im Februar 2015.

Marlene Frucht, geboren 1980, übersetzt seit 2008 Bücher. Sie hat Literaturübersetzen studiert und am Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm teilgenommen. 2009 erhielt sie das Bode-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds. Sie hat Autoren wie Assia Djebar, Leila Marouane und Éric-Emmanuel Schmitt übersetzt und lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2010

Mit Baudelaire gegen die eigenen Väter

Spaltung oder zweite Chance: Assia Djebars Roman "Nirgendwo im Haus meines Vaters" erzählt von einer Jugend in zwei Kulturen.

Es ist ein unerhörter Klang, der sich entfaltet, weich und dabei bestimmt. Ein sanftes Raunen, das sich durch den Klassenraum zieht, Großes verkündet, vor allem aber durch sich selbst wirkt, durch die in Rhythmus gebrachten Konsonanten und natürlich den Reim, mit dem die beiden Verse schließen. Acht Worte nur, aber unendlich verheißungsvoll: "Mon enfant, ma soeur, Songe à la douceur". Charles Baudelaire, "Einladung zur Reise", das 53. Gedicht der "Blumen des Bösen". Als reiner Klang schwebt es durch den Klassenraum im kolonialen Algerien, irgendwann in den späten vierziger Jahren, frühen fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als es noch ruhig ist in dem nordafrikanischen Land. Ungeduld und Zorn der von Paris aus regierten Araber sind zwar unterschwellig zu spüren, haben sich aber noch nicht offen Bahn gebrochen.

Die Zeichen weisen in Richtung Aufstand. Aber noch schweben die Zeilen durch den Raum, und sie sind geeignet, die junge Schülerin auf immer zu verzaubern, ihr klarzumachen, dass die Franzosen zwar auch Schöpfer einer effizienten Kriegstechnik sind, mit deren Hilfe sie das Land bereits hundertzwanzig Jahre im Griff halten; aber ebenso Schöpfer großer Dichtkunst sind, einer Poesie, die geeignet ist, den algerischen Untertanen die andere, hellere Seite der Kolonialmacht zu zeigen; eine Seite, die sich mit dem Zynismus der Militärs und Verwaltungsbeamten nur schwer in Zusammenhang bringen lässt.

Baudelaires Einladung hat die junge Assia Djebar, deren bürgerlicher Name Fatima-Zohra Imalayène lautet, auf immer an das französische Mutterland gebunden und ihr den Weg zu jener zunächst unbekannten Sprache eröffnet, in der sie später ihre Romane schreiben würde. Motive dafür, dass maghrebinische Schriftsteller auf Französisch schreiben, mag es viele geben, etwa die des leichteren Marktzugangs oder dass die Maghrebiner Romane ohnehin auf Französisch lesen. Aber auch die ästhetischen Gründe wiegen schwer, allen voran hat das Französische einen wunderbaren Klang. Nicht schöner als das Arabische, aber eben anders. Wie aufregend die Sprache der ehemaligen Kolonisten ist, dafür bietet Djebars jüngstes Buch "Nulle part dans la maison de mon père", unter dem Titel "Nirgendwo im Haus meines Vaters" von Marlene Frucht adäquat übertragen, selbst den besten Beweis.

Und doch sind Baudelaires Verse nur ein erster Hinweis auf all das, was die junge Assia Djebar der französischen Kolonialmacht sonst noch verdankt. Im Haus des Vaters, der Titel deutet es an, wird irgendwann kein Platz mehr für sie sein. Räumlich vielleicht, weltanschaulich aber nicht mehr. Ein umso willkommeneres Rückzugsgebiet ist das französische Internat, und das gegen alle Wahrscheinlichkeit. Denn was bewirkt sie eigentlich, die Herrschaft der Franzosen? "Die Kolonie", notiert die 1936 geborene Djebar zu Anfang ihres Buches, "bringt die Spaltung in die Welt. Die Spaltung ist ihren Körpern eingeschrieben, die Geschlechter sind gespalten, jeder aus der Nachwelt wird zerrissen, jede ihrer Leichen wird zerrissen, oder jeder ihrer Vorfahren wird verleugnet!" Die Kolonie ist Entwurzelung, aber nicht nur: Ebenso erscheint sie "als eine zweite Chance, als eine Zukunft, als ein Land der Abenteuer" - und dieses Abenteuer beginnt, wo so viele Abenteuer ihren Anfang nehmen: in der Schule. Denn die bietet jene Sicherheit, die am Anfang aller Abenteuer stehen muss. Sie bietet Sicherheit vor den eigenen Vätern vor allem, die von Ehre und Anstand eigene, sehr strikt gefasste Vorstellungen haben. Und die sehr darauf bedacht sind, dass ihre Töchter sich ihnen fügen. Unter diesen Vorstellungen verwandelt sich alles, werden sogar die ersten Versuche der Fünfjährigen auf dem Fahrrad zur Sünde. Denn wenn die Kleine über den Rahmen steigt, blitzt das Bein unangemessen weit unter dem Kleid hervor. Die Verkommenheit der Welt ist allgegenwärtig, man muss sie nur sehen wollen. Umso befreiender darum das Internat, das für viele junge Algerierinnen nicht zuletzt eine Umkleidekabine ist: Die Pforte durchqueren sie noch mit Kopftuch und Überhang, aber hinter den blickdichten Mauern legen sie diese dann umgehend ab. Das nähert sie den Französinnen an, die schon allein aufgrund des politischen Machtgefälles auch die ästhetischen Standards setzen. Dass diese teils auch sachlich begründet sind, nehmen die jungen Algerierinnen hin. Auch Djebars Mutter zeigt sich vom fremden Kleidungsstil unverkennbar angetan: Kaum ist die Familie vom Land in die große Stadt, nach Algier, gezogen, kleidet sie sich nach Art der Europäerinnen.

Djebars Buch - dass die Bezeichnung "Roman" angemessen ist, daran kann man mit guten Gründen zweifeln - schildert sehr anschaulich eine Kindheit und Jugend in zwei Sprachen und Kulturen, oder anders gesagt: Es beschreibt das Geschenk, das es bedeutet, unter solchen Umständen groß zu werden. Natürlich: Die Franzosen betrieben in Algerien eine oft zynische und brutale Politik. Aber sie boten auch Gelegenheiten, die man nur zu ergreifen brauchte. Wunderbar die Passagen, in denen Djebar ihre Lektüreabenteuer beschreibt, die Erregung, die sie in den Werken der großen Autoren ergreift: Claudel, Rimbaud, Rivière, Péguy, Gide und andere. Ihnen zur Seite stehen die großen Werke der arabischen Literatur, die Mu'allakat, die großen Oden aus vorislamischer Zeit, oder das "Kitab al Aghani", "Das Buch der Lieder".

Doch Djebars jüngstes Buch ist alles andere als eine jubelnde Programmschrift des Multikulturalismus. Es erzählt von den jungen Jahren dieser nun nicht mehr jungen Schriftstellerin, von einem Leben, das sehr früh hätte enden können, aus Gründen, die mit jenem im Titel angedeuteten Raummangel im väterlichen Haus zu tun haben. Doch Djebar hatte Glück: Ihr Leben durfte weitergehen. So dass sie Jahrzehnte später ein Buch schrieb, das nicht zuletzt auch eines will: "Sich selbst Lebewohl sagen".

KERSTEN KNIPP

Assia Djebar: "Nirgendwo im Haus meines Vaters". Roman. Aus dem Französischen von Marlene Frucht. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 442 S., geb., 21,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2010

Kindheit und Kolonialmacht
Assia Djebars Roman „Nirgendwo im Haus meines Vaters”
  Wenn manche ihrer Bücher schon wieder vergessen sein werden, wird Assia Djebars Kunst der erzählerischen Personalpronomenverflechtung von der ersten bis zur dritten Person in Erinnerung bleiben. Da stürzt ein kleines Mädchen weinend die Gasse eines algerischen Dorfs hinab, „laut den Tod der Großmutter beklagend, es, du, ich – ich, die schreibt, die hinsieht und die von neuem weint”. Diese unverwechselbare Überlagerung der Perspektiven und Zeitachsen prägt auch diesen Roman, den man ebenso gut eine Autobiographie nennen könnte.
   Wie sah die Kindheit aus weiblicher Sicht während des Zweiten Weltkriegs im noch zu Frankreich gehörenden Algerien aus? Über die koloniale Wirklichkeit hinaus, die in der Schule zwischen „Europäern” und „Einheimischen” unterschied und den Vater des Mädchens, den einzigen arabische Lehrer an der französischen Schule, als Außenseiter behandelte, sind fast alle uns heute geläufigen Vorstellungen des nordafrikanisch-arabischen Lebensalltags schon vorhanden.
Da ist der allgegenwärtige Blick der Männer auf der Straße, sobald eine Frau ohne die gebührliche Körperbedeckung das Haus verlässt. Da ist die fröhliche Geselligkeit zwischen Küche und Wohnraum, der Wechsel zwischen Sinnenfreude und gesellschaftlich-religiöser Strenge, die wehmütige Kadenz des traditionellen Gesangs, der spontane Gefühlsausbruch im Juju-Geschrei der Frauen aus Glück oder Trauer. Doch ist die Mischung all dieser Eindrücke komplex und differenziert. Das macht das Buch interessant.
Schon dem kleinen Mädchen an der Hand der verschleierten Mutter, der es beim Ausgang als Blickableiter zum Schutz vor Voyeuren dient, scheint dumpf zu dämmern, dass man dieser Zumutung die Stirn bieten kann. Doch vollzieht sich die Auflehnung auf gewundenen Wegen, zwischen Revolte und Anhänglichkeit. Den Vater liebt und verehrt die Tochter bis zuletzt, obwohl er sie schon im Kindesalter bei ihren ersten Radfahrversuchen mit der schroffen Bemerkung verletzte, er wolle nicht, dass sie so ihre Beine zeige. Etwas weder vollkommen Menschliches, noch wirklich Tierisches, so schien ihr, komme da plötzlich beim Vater zum Vorschein, etwas „Rohes aus unbekanntem Boden”, mit dem ein Teil ihres Körpers abgetrennt wurde: „Das war doch ich! Meine Beine . . . jedes Kind hat Beine”.
Dennoch bleibt das Haus ihres Vaters das ihre. Die Mutter aus einfachen Verhältnissen, die zunächst kein Wort Französisch versteht, bringt es mit diesem Mann zu einer „wirklichen Gleichberechtigung”, vor allem nach der Übersiedlung aus dem Dorf nach Algier, wo sie unverschleiert ausgeht. Und selbst das Kolonialsystem, das am Strand Schilder mit „Für Araber verboten” aufstellte, machte die Sprösslinge in der Schule immerhin auch mit Baudelaire, Jacques Rivière, Alain Fournier vertraut. Bei einem Essstreik der muslimischen Mädchen in der Internatskantine wirkt die junge Romanheldin vermittelnd: Es gehe doch nur um ein Ersatzmenu für Schweinefleisch, man brauche die Sache nicht aufzubauschen.
Mühe, zum Ende zu kommen
   Die vom Kolonialismus geförderte Zerrissenheit der Welt hat das Mädchen früh mit seinem Körper, seiner Sprache, seiner Selbstwerdung auf sich genommen. Für die Vermittlung zwischen Tradition und Erneuerung, Universalwerten und Eigenkultur steht die heute vorwiegend in New York lebende Assia Djebar mit ihrem ganzen Werk ein. Kompromisslos bleibt sie nur in der Frage der weiblichen Gleichberechtigung. Das brachte ihr verdiente Ehrungen ein, vom Friedenspreis des deutschen Buchhandels bis zur Aufnahme in die Académie Française.
Ihre Bücher wirken aber manchmal gekünstelt, umständlich zusammengeschnürt, aufdringlich sinnträchtig. In früheren Romanen vertieften die Figuren an jeweils passenden Stellen sich plötzlich in hintergründig bedeutsame Lektüre, das „Lob der Torheit” zum Beispiel von Erasmus, oder spielten fern von Algerien gerade Koltès’ Stück „Rückkehr in die Wüste”. In diesem Buch geht es kulturell nicht ganz so hochfliegend her. Die Operettenproben für „Die Glocken von Corneville”, bei denen die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten der algerischen Provinzstadt unverhofft mit dem anderen Geschlecht zusammenkommen im Freiraum einer Theaterbühne, könnten eine reizvolle Sittenskizze ergeben über das Algerien kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg. Der erste Spaziergang des Mädchens mit dem fremden Jungen aus dem Saharagebiet, der erste geraubte Kuss und die plötzliche Scham darüber werden aber ausgewalzt wie in einem Teenagerroman.
Diese mangelnde Prägnanz sowie Unachtsamkeiten im Detail – eine Figur wird im Abstand von fünfzig Seiten fast identisch zweimal vorgestellt – schaden dem Buch. Die gut dreißig szenisch zugespitzten Kapitel hätte man lieber auf halb so viel Raum gelesen. Dass die Autorin Mühe hat, zum Ende zu kommen, bestätigt der Ausklang des Buchs mit drei Epilogen, einem Nachwort und einem allerletzten P.S. Marlene Frucht hat den Text sorgfältig übersetzt, konnte aber nicht verhindern, dass die stilverliebt schaumige Rhetorik der Selbstbetrachtung des Originals auf Deutsch mitunter etwas spröde klingt.     JOSEPH HANIMANN
ASSIA DJEBAR: Nirgendwo im Haus meines Vaters. Roman. Aus dem Französischen von Marlene Frucht. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 444 Seiten, 21,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Renate Wiggershaus zeigt sich beeindruckt und auch ein bisschen erschüttert von dem ersten Band der auf drei Bände angelegten Autobiografie der algerischen Schriftstellerin und Filmemacherin Assia Djebar. Zentrales Thema sind, wenn man der Rezensentin folgt, die Beschränkungen, die das Mädchen in der algerischen Gesellschaft erlebt und die schmerzvoll mit ihrem Freiheitsdrang und ihrer Neugier auf das Leben kollidieren. Der Zorn ihres Vaters angesichts ihrer Versuche, das Fahrradfahren zu lernen, was dieser als unzüchtig geißelt, wirkt prägend auf ihr weiteres Leben und wird zum "Angstmotiv", erklärt die Rezensentin. Die Erzählweise erinnert sie an filmische Verfahren, die die Schlüsselszenen plastisch vor Augen führen, wie Wiggershaus lobt. Sie demonstrieren der Rezensentin eindrücklich, dass es sich beim Schreiben Djebars um eine "riesige Fluchtbewegung" und eine davon nicht zu trennende "Suche" darstellt und damit, findet sie, vermittelt die Autorin eine "faszinierende und altehrwürdige Lehre".

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