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Die Schilderung des intellektuellen ´Nomadenlebens´ einer international anerkannten und mit vielen Preisen ausgezeichneten australischen Autorin steht im Mittelpunkt von J.M Coetzees kompromisslosem neuen Roman.

Produktbeschreibung
Die Schilderung des intellektuellen ´Nomadenlebens´ einer international anerkannten und mit vielen Preisen ausgezeichneten australischen Autorin steht im Mittelpunkt von J.M Coetzees kompromisslosem neuen Roman.
Autorenporträt
J. M. Coetzee, geb. 1940 in Kapstadt, lehrte von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt und gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Booker Prize. 22003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien.

Reinhild Böhnke, geb. 1944 in Bautzen, ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1988 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, weiter hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Rebecca Miller, Nuruddin Farah, D. H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2003

Prophetin wider Willen
Lektionen in Menschlichkeit: Das neue Buch von J. M. Coetzee

"Wir begeben uns in Gefahr durch das, was wir schreiben. Denn wenn das, was wir schreiben, uns zu besseren Menschen machen kann, dann kann es uns umgekehrt gewiß auch zu schlechteren machen." Schriftsteller sind keine gefestigteren Menschen als ihre Leser. Und auch Schriftsteller suchen nach Bestätigung. Zur Not erfinden sie sich selbst Verbündete, wie der Nobelpreisträger J. M. Coetzee in seinem neusten, bisher nur auf englisch erschienenen Werk "Elizabeth Costello", dessen deutsche Übersetzung bei S. Fischer für den Sommer nächsten Jahres angekündigt ist.

Der schmale Band bündelt acht Stationen, acht "Lektionen" oder "Vorlesungen", wie Coetzee es nennt, der fiktiven Schriftstellerin Elizabeth Costello, die ihr Erfinder schon früher, etwa in "Das geheime Leben der Tiere" (2000), vorgestellt hatte. Diese Auseinandersetzung ist ebenso in den neuen Band eingegangen wie andere bereits veröffentlichte Stücke, etwa Coetzees Antwort auf Hugo von Hofmannsthals Chandos-Brief, die er als Elizabeth Lady Chandos schrieb.

Es wäre zu einfach, Elizabeth Costello nur für ein Alter ego Coetzees zu halten. Der südafrikanische Schriftsteller ist für seine Verschlossenheit in persönlichen Dingen so bekannt wie für die kühl diagnostizierende Intellektualität seiner Romane und literaturwissenschaftlichen Schriften. Dennoch kommt Elizabeth Costello im Universum des J. M. Coetzee ein besonderer Platz zu. Denn der Schriftsteller benutzt die Figur, um Fragen zu stellen, Gedanken, Ideen und Standpunkte auszuprobieren und zu formulieren. Sie ist eher sein Alibi als seine Doppelgängerin. Ein wenig ist sie auch der Geist in der Flasche: "Wenn der Geschichtenerzähler die Flasche öffnet, wird der Geist in die Welt entlassen, und es ist verdammt schwierig, ihn dann wieder hineinzubekommen." Aber all das, was Elizabeth Costello, von Coetzee losgelassen, zu sagen hat, wird sich zum Glück weder verflüchtigen noch zurücknehmen lassen.

Bei den acht Lektionen, die Coetzee uns mit ihrer Hilfe erteilt, handelt es sich um erzählende Essays, aus denen ein Charakter entsteht, der sich schnell vom Verfasser emanzipiert. Die einzelnen Kapitel wirken als Schulstunden in Menschlichkeit, die taghelles Licht auf das Leben und die Haltungen Elizabeth Costellos werfen - und die sich gerade jetzt, angesichts des Nobelpreises für ihren Schöpfer, auf dessen eigene Überlegungen und womöglich sogar innere Verfaßtheit beziehen lassen. Denn Coetzees Buch handelt nicht allein von den literaturwissenschaftlichen, ethischen und moralischen Ansichten und Bedenken Elizabeth Costellos, sondern ebensosehr von den Chancen und Verpflichtungen des Schriftstellers in der Gesellschaft.

Elizabeth Costello vertritt ihre Überzeugungen mit grimmigem Scharfsinn. Das ist keineswegs das einzige, was sich an Gemeinsamkeiten zwischen ihr und Coetzee entdecken läßt. Die in die Jahre gekommene Autorin, 1928 in Melbourne geboren, wo sie nach einem langen Aufenthalt in Europa wieder lebt, ist bei unserer ersten Bekanntschaft mit ihr sechsundsechzig. Zu diesem Zeitpunkt hat sie neun Romane und zwei Gedichtbände geschrieben, ein Buch über Vögel und zahlreiche Artikel veröffentlicht. Sie hat zwei Kinder, eines aus jeder Ehe. Sie ist mäßig berühmt, was sich vor allem einem frühen Roman verdankt, den sie jedoch, im Gegensatz zu allen anderen, nicht für ihr bestes Werk hält. Ihre produktivste Zeit scheint dennoch hinter ihr zu liegen. Mit dem Alter ist die Ära der Ehrungen angebrochen - und mit ihr jene der Dankesreden, Ansprachen, Interviews.

Coetzee - der Dreiundsechzigjährige hat im vergangenen Jahr seine südafrikanische Heimat verlassen und lebt seither in Australien - folgt Elizabeth Costello auf ihren Reisen durch den universitären Vorlesungszirkus, den er selbst nur allzugut kennt und ebenso verachtet wie sie. In Amerika soll sie einen bedeutenden Literaturpreis in Empfang nehmen. Coetzee schildert die Episode, "Realismus" überschrieben, aus der zärtlich-distanzierten Perspektive des Sohns, der seine Mutter begleitet: "Sie erschüttert ihn; das ist es, was sie mutmaßlich auch mit ihren anderen Lesern anstellt. Das ist vermutlich der Grund dafür, daß sie existiert. Was für eine seltsame Belohnung für ein Leben, das der Erschütterung anderer Menschen gewidmet ist: nach Pennsylvania geschafft zu werden und Geld überreicht zu bekommen!"

Auf die Frage einer Journalistin, was ihr Hauptanliegen als Schriftstellerin sei, antwortet Elizabeth Costello mit der Gegenfrage, ob sie verpflichtet sei, ein Anliegen zu haben. Ihr Sohn derweil glaubt, es herausgefunden zu haben: Sie messe sich in allem, was sie schreibe, an den großen Toten und entrichte so ihren Tribut an jene höheren Mächte, die sie beleben, anspornen. Sie selbst ist sich dessen weniger gewiß: "Es gab einmal eine Zeit, da wir glaubten, sagen zu können, wer wir sind. Inzwischen sind wir nur mehr Darsteller, die ihren Part aufsagen . . . Wenn wir realistisch sind, wissen wir, daß die Bücher, die wir ehren und mit deren Genese ich etwas zu tun hatte, bald schon nicht mehr gelesen werden und daß sich schließlich niemand mehr an sie erinnern wird. Und das ist gut so."

Wovon geschwiegen werden muß

Der Ruhm des großen Allegorikers Coetzee beruht nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit, Vorstellungen und Ideen mit Leben zu füllen, spürbar, letztlich anwendbar zu machen. In "Elizabeth Costello" reflektiert er diesen Prozeß, der seine Arbeit beseelt: Figuren zu erfinden, die Gedanken verkörpern können - eine geradezu göttliche Aufgabe. Darum muß nicht nur er, sondern auch sein Geschöpf immer wieder an Grenzen stoßen. Elizabeth Costello begegnet uns als scharfe, zupackende Denkerin, aber eben auch als alternde, gelegentlich gar peinlich anmutende Frau, die sich ihrer fettigen Haare und ihrer "Daisy-Duck"-Schuhe nicht bewußt ist. Bevor die Versuchung, sie mit Coetzee in eins zu setzen, zu stark wird, läßt er sie über die Verbindung von Autobiographischem und Fiktion sagen: "Natürlich stützen wir uns immer auf unsere eigenen Leben - sie sind unsere wichtigste, gewissermaßen unsere einzige Quelle." Gerade darum liegt die Kunst in der Erfindung, in der Fiktion. "Wenn es leicht wäre, wäre es nicht lohnend. Die Herausforderung ist das Andersartige. Jemanden zu erfinden, der nicht man selbst ist. Eine Welt zu erfinden, in der er sich bewegen kann."

Elizabeth Costello ist die großartigste, beeindruckendste, verstörendste Figur, die Coetzee bisher geschaffen hat - weil man sich auf jeder Ebene mit ihr auseinandersetzen kann, auseinandersetzen muß. Daß sie nicht unangreifbar ist, haben bereits ihre radikalen Ansichten über "das Leben der Tiere" gezeigt (F.A.Z. vom 12. Dezember 2000). Diesmal hadert sie - in Lektion sechs - mit dem "Problem des Bösen", über das sie bei einer Konferenz in Amsterdam sprechen soll. Die Lektüre des - realen - Romans von Paul West, "The Very Rich Hours of Count von Stauffenberg" über die Folgen des Aufstands vom 20. Juli, bringt sie zu der Überzeugung, daß Schriftsteller sich bei der Beschreibung des Bösen Zügel anlegen sollten, zur Not gar anlegen lassen sollten - selbst das Wort "Zensur" scheut sie nicht. Denn Wests detaillierte Schilderung der Folter und der Hinrichtung der Verschwörer, vor allem des Genusses, den die NS-Schergen dabei empfanden, hat sie erschaudern lassen: "Obszön! wollte sie ausrufen, tat es aber nicht, weil sie nicht wußte, wem sie das Wort entgegenschleudern sollte . . . Obszön, weil solche Dinge nicht stattfinden dürfen, und dann wiederum obszön, weil sie, nachdem sie doch stattgefunden haben, nicht ans Licht geholt werden sollen, sondern für immer in den Eingeweiden der Erde versteckt werden müssen." Als sie erfährt, daß West ihrer Vorlesung beiwohnen wird, ist sie zunächst verunsichert. Sie versucht, den Text zu überarbeiten, um West die Schmach zu ersparen, entschließt sich dann jedoch, die Vorlesung so zu halten wie geplant - sucht West jedoch vorher auf und erzählt es ihm.

Die Lektüre erinnert sie an ihre eigene erste Begegnung mit dem Bösen: ein Mann, der sie, als sie sich weigerte, mit ihm zu schlafen, brutal zusammenschlug. Coetzee geht es weniger um die eigentliche Erinnerung als um ihren Umgang damit. Elizabeth Costello ist froh, niemals darüber gesprochen oder geschrieben zu haben, "eine Stille, die sie hofft bis ans Grab bewahren zu können". Sie kommt zu dem Schluß, daß es oft besser sei, wenn der Geist in der Flasche eingesperrt bleibt. Und nun sind wir es, die sich fragen müssen, ob es obszön ist, solche Erfahrungen mitzuteilen, die Motivation hinter geistigen Einstellungen offenzulegen.

Das Buch ist reich an solchen Wendungen. Elizabeth Costello ist, wie Coetzee, keine tröstliche Schriftstellerin. Aber eine barmherzige. Darin und in ihrer skeptisch und unversöhnlich auftretenden, doch im Innersten zutiefst wohlwollenden, anteilnehmenden Haltung ähnelt sie nicht nur ihrem Erfinder (und erinnert, in vielen Regungen, an Susan Sontag), sondern sie verweist auch auf den Schriftsteller W. G. Sebald, über dessen Figuren Coetzee einmal geschrieben hat, sie seien Melancholiker, "geprägt von einem schwer auszudrückenden Gefühl, daß sie auf der Welt nicht zu Hause sind". Und er fuhr fort: "Innerlich werden sie zerrüttet vom Konflikt zwischen dem Drang, aus Selbstschutz eine schmerzhafte Vergangenheit abzuriegeln, und einer blinden Suche nach etwas, sie wissen selbst nicht was, das verlorenging." Dasselbe läßt sich von seiner beeindruckenden Prophetin wider Willen sagen, von Elizabeth Costello.

FELICITAS VON LOVENBERG

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.11.2004

Der Kluge
Coetzees „Elizabeth Costello” in deutscher Übersetzung
J. M. Coetzees Buch „Elizabeth Costello. Eight Lessons” erschien im Oktober 2003, ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, da die Schwedische Akademie Coetzee als Literaturnobelpreisträger 2003 ausrief. Dementsprechend groß war die Medienresonanz für „Elizabeth Costello”, auch in Deutschland, obwohl der Roman damals nur im englischen Original zu haben war: Die Zeit berichtete von einem „raffinierten und überaus irritierenden Buch” und fand: „Selten ist der Nobelpreis in letzter Zeit einem Autor zuerkannt worden, dessen Werk zur Zeit der Auszeichnung so sehr unterwegs zu etwas ganz Neuem war.” Nicht das Neue, sondern eine „Wiederkehr” beobachtete dagegen diese Zeitung, eine „glanzvolle Rehabilitierung der literarischen Form des philosophischen Dialogs”. Nun liegt das Buch unter dem Titel „Elizabeth Costello. Acht Lehrstücke” in deutscher Übersetzung vor.
Bekannt ist die Figur Elizabeth Costello seit den neunziger Jahren, in denen sie Coetzee in Vorträgen auftauchen ließ, die er an amerikanischen Unis hielt. Dabei ist Costello, Jahrgang 1928, selbst eine Schriftstellerin, die von Vortrag zu Vortrag reist. Mit dem Schreiben hat sie aufgehört und gibt sich nun beste Mühe, ihre neue Rolle als moralische Instanz auszufüllen: Sie spricht in Appleton über Tierschutz und in Amsterdam über das Problem des Bösen, auf einer Kreuzfahrt debattiert sie über den afrikanischen Roman und trifft in Zululand ihre tiefgläubige Schwester zum Diskurs über die humanistischen Wissenschaften. Konsens gibt es bei diesen Begegnungen nie, im Gegenteil: In Appleton beispielsweise vergleicht Costello die Schlachthöfe der Massentierhaltung mit dem Holocaust und nimmt damit einen Skandal in Kauf, ohne es darauf abgesehen zu haben. Sehr gründlich und sehr unaufgeregt umkreist sie ihr Thema, entfaltet These um These, unbeirrt auch von argumentatorischen Bruchstellen. „Ich bin eine alte Frau” sagt Costello. „Ich habe keine Zeit mehr zu sagen, was ich nicht meine.”
Coetzee hat mit Elizabeth Costello eine Figur geschaffen, die wesentlich mehr ist als ein Sprachrohr streitbarer Thesen: Ihre Vorträge sind eingebettet in Szenen, die sowohl ihre Angreifbarkeit als auch die Milieus ihres Wirkens ins Licht rücken. Das Buch steht damit dem Fiktionalen näher als dem Essay - „Coetzee”, hieß es in der Begründung des Nobel-Komitees, „ist vor allem an Situationen interessiert, in denen sich die Unterscheidung von richtig und falsch als unbrauchbar erweist, obwohl sie kristallklar ist.” Ja, so ist das.
KLAUS IRLER
J.M. COETZEE: Elizabeth Costello. Acht Lehrstücke. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 2004. 288 S., 19,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dieses aus Essays, Vorträgen und öffentlich ausgetragenen Diskussionen bestehende Buch wirkt in der deutschen Übersetzung noch "didaktischer" als im englischen Original, das die acht "Lehrstücke" des Untertitels etwas schlichter als "lessons" bezeichnet, meint Angela Schader. Hauptperson ist die fiktive australische Schriftstellerin Elizabeth Costello, die sich auf einer erschöpfenden Lesereise befindet und auf verschiedenen Veranstaltungen ihre Ansichten über "Das Leben der Tiere" oder die afrikanische Literatur" vorträgt, erklärt die Rezensentin. Sie betont, dass hier nicht etwa der südafrikanische Autor J. M. Coetzee argumentiert, sondern seine Protagonistin ihre zum Teil widersprüchlichen und angreifbaren Thesen vertritt. Insbesondere der Vergleich, den die Schriftstellerin zwischen dem Holocaust und Schlachthöfen anstellt, stellt einen "massiven Affront" dar, dessen Sinn die Rezensentin, wie sie zugibt, auch nicht ganz entschlüsseln kann. Costellos Ansichten sind im "steten Halblicht der Kritik und des Zweifels" gehalten und das Buch, obwohl es sich als "Thesenroman" ausgibt, erhält dadurch eine "deutlich literarische Prägung", so Schader.

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