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Theodor W. Adorno - eine herausragende Figur des kurzen 20. Jahrhunderts, einer der letzten Bürger, ein letztes Genie: Von der Kindheit noch im ausgehenden bürgerlichen Jahrhundert über die Schulzeit während des ersten Weltkriegs, die intellektuelle Sozialisation in der Frankfurter, Wiener, Berliner und Londoner Zwischenkriegszeit, die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, das Exil in den USA des New Deal bis hin zur Rückkehr ins Deutschland der Adenauer-Ära und zum Studentenprotest - Adorno ist der individuelle Punkt, in dem das "Jahrhundert der Extreme" sich…mehr

Produktbeschreibung
Theodor W. Adorno - eine herausragende Figur des kurzen 20. Jahrhunderts, einer der letzten Bürger, ein letztes Genie:
Von der Kindheit noch im ausgehenden bürgerlichen Jahrhundert über die Schulzeit während des ersten Weltkriegs, die intellektuelle Sozialisation in der Frankfurter, Wiener, Berliner und Londoner Zwischenkriegszeit, die Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, das Exil in den USA des New Deal bis hin zur Rückkehr ins Deutschland der Adenauer-Ära und zum Studentenprotest - Adorno ist der individuelle Punkt, in dem das "Jahrhundert der Extreme" sich exemplarisch verdichtet.
Detlef Claussen begreift Adorno als Künstler, dessen weitgefächerte - philosophische, soziologische, musikalische - Interessen als Einheit zu verstehen sind.
Autorenporträt
Detlev Claussen, geboren 1948 in Hamburg, Studium der Philosophie, Soziologie, Literatur und Politik in Frankfurt (u.a. bei Theodor W. Adorno); Promotion 1975, Habilitation 1985, Publizist und Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover. Der Autor lebt in Frankfurt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2003

Klassische Theorie
Detlev Claussen über ein „letztes Genie”
Am 11. September 1903, morgens mit dem Glockenschlage halb sechs, kam er in Frankfurt am Main auf die Welt. Detlef Claussen hätte seine Biographie über Adorno mit diesem Satz beginnen können, auch wenn die Sternenkonstellation in der Stunde der Geburt, die Goethe in den Anfangssätzen von „Dichtung und Wahrheit” erwähnt, für diesen Freitag 154 Jahre später nicht überliefert ist. Doch Claussen, das deutet schon der Titel seines Buches an, will die Verwandtschaft und Ranggleichheit der beiden berühmtesten Schriftsteller Frankfurts in den Blick rücken. Mit Nachdruck wird die Kategorie des „Genies” als eine Art Leitmotiv etabliert, wie nicht zuletzt der Hinweis auf die Goethe-Biographie von Kurt E. Eissler von 1963 belegt: „Goethe wird in Eisslers einzigartiger Analyse als Inbegriff eines Genies gezeichnet – einer Kategorie von ,Menschen mit der Fähigkeit, den menschlichen Kosmos oder einen Teil davon, in einer Weise wiederzuerschaffen, die bedeutsam war und die sich nicht mit irgendeiner frühen Wieder-Erschaffung vergleichen läßt.’ Das trifft wirklich auf Adorno zu.”
Ein bestimmter hagiographischer Tonfall lässt sich also nicht überhören. Andererseits bemüht sich Detlev Claussen aber darum, sich als Autor möglichst zurückzunehmen und das zu liefern, was man eine „intellektuelle Biographie” nennt. Es geht weniger um die Präsentation und Deutung unbekannter Lebensspuren jenseits des Werks als um dessen kommentierte Neuordnung. Claussen will Adornos Texte „zum Sprechen bringen”, unlesbar gebliebene Schichten durch Einbeziehung neuer Hilfsmittel (Korrespondenzen und Notizbücher) freilegen. Und vermutlich ist eine solche Annäherung auch die einzig adäquate angesichts einer Existenz, deren Verlauf vollständig aufging im unablässigen Prozess des Lesens und Schreibens. Die Arbeit in den Archiven jedenfalls stattet Claussen mit einem Wissen aus, das es ihm ermöglicht, manche Unwägbarkeiten in Adornos Werk zu präzisieren und manche Gewissheiten in Frage zu stellen.
Fly TWA
Als Beispiel für ersteres kann etwa die Rekonstruktion jener Namensverschiebung gelten, die Ende der dreißiger Jahre aus „Theodor Wiesengrund” „Theodor W. Adorno” machte: eine Maßnahme, die im amerikanischen Exil nicht nur einen jüdisch konnotierten in einen gewissermaßen exterritorialen Namen verwandelte, sondern auch veröffentlichungspolitische Vorteile zeitigte: In Autorenverzeichnissen und Gemeinschaftspublikationen wie der „Authoritarian Personality” rutschte der eigene Name von ganz hinten nach ganz vorne. Zweiteres veranschaulicht sich vor allem in den Passagen über Adornos Verhältnis zu den USA und der berüchtigten „Kulturindustrie”. Claussen macht im Abschnitt über die Freundschaft zu Fritz Lang deutlich, dass Adorno im Exil keineswegs jener kulturkonservative Amerikafeind war, zu dem er rückblickend gemacht wurde. Der Anregung, die vermeintlich verbissensten Äußerungen in der „Dialektik der Aufklärung” auf ihr ironisches Potenzial hin zu lesen, sollte man Folge leisten.
Sosehr also diese Studie zu einem erweiterten Verständnis Adornos beiträgt: Das Verhängnisvolle ist, dass sie sich immer wieder um die Gunst ihrer Leser bringt – und zwar durch einen erstaunlichen Mangel an stilistischer Sorgfalt. Im Laufe der Lektüre fallen zahllose Wiederholungen und Überschneidungen ins Auge, so als hätte die Zeit gefehlt, die umfangreichen Einzelkapitel noch einmal aufeinander abzustimmen. So wird etwa in dem Abschnitt „Der Identische”, der die chronologische Ordnung unterbricht und einen Exkurs über die Beziehung zu Horkheimer einschiebt, zu großen Teilen noch einmal dasselbe erzählt wie in einem früheren Kapitel. Mehr als alles andere befremdet jedoch die Wiederkehr bestimmter versatzstückartiger Formulierungen, so etwa die vom „älteren Mentor” Kracauer, die nicht weniger als 25 Mal auftaucht. Auch dass sich Horkheimer in den fünfziger Jahren „nach Montagnola zurückzog”, erfährt der Leser in einem knappen Dutzend Nebensätzen. Mit welch erstaunlicher Nachlässigkeit dieses so ambitionierte Buch letztendlich veröffentlicht wurde, zeigt schließlich auch, dass mehr als einmal exakt dieselbe Aussage auf zwei aufeinander folgenden Seiten zu finden ist. (Seite 328 etwa: Den von Bloch „angeforderten wieder aufgelegten ,Kierkegaard’ relativiert Adorno als eine höchstens traumhafte Antezipation”; Seite 330: „Adorno schickte Bloch den wieder aufgelegten ,Kierkegaard’, dessen Bedeutung er herunterspielt und höchstens im Sinne einer traumhaften Antezipation gelten lassen will.”) Das Gedächtnis dieser Biographie ist auffallend kurz, sie vergisst ihre Sätze zuweilen von Seite zu Seite. Das ist um so problematischer, als Claussen von seinem Lehrer einmal mit fast beängstigender Bewunderung sagt: „Das Verschlingen einer Unmenge von Literatur bei einer die menschlichen Dimensionen übersteigenden Erinnerungsfähigkeit charakterisiert zweifellos Adorno”. Auch darin hätte der Biograph seinem Gegenstand ein wenig gerechter werden müssen.
ANDREAS BERNARD
DETLEV CLAUSSEN, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie. Fischer Verlag. Frankfurt am Main, 2003. 479 Seiten. 22.90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2003

Wer das Leben hat, hat den Schaden
Kann man nach Adorno noch Biographien über Adorno schreiben? Neue Versuche im Adorno-Jahr

Adornos Vorbehalte gegen die (Genie-)Biographik sind bekannt, aber was die Darstellung seines eigenen Lebens angeht, mag die Aversion gegen das Genre noch gesteigert gewesen sein. Denn der Umstand, ungefragt auf der Welt zu sein, ist ja gerade das Urskandalon seiner kritischen Theorie. Einmal im falschen Leben angekommen, ist der Widerstand gegen seine Obszönitäten das, was übrigbleibt, wenn man ein lebenswertes Leben führen und das heißt: dem Leben entgehen möchte.

Denn obszön ist das Ganze. Wo Adorno geht und steht und fliegt, überall erhascht er die Fratze dieses Ganzen. "Im Fluge erhascht" heißt die kleine Betrachtung, die er nach seiner ersten Flugreise überhaupt, der von San Francisco nach New York, zu Papier bringt. Was hat Adorno dort droben erhascht? Das Wolkenschauspiel, den Geschmack des Bordfrühstücks, die Schweißperlen seiner Flugangst, das Wunder der überlisteten Schwerkraft? Nicht Lebensfacetten solcher Art bannen seinen Blick, sondern der Himmel und Erde verbindende Verblendungszusammenhang, hier: die Abhängigkeit des Passagiers von der Apparatur: "Man tut nichts dazu, ist ganz Gegenstand, sei es eines vom eigenen Willen schlechterdings unabhängigen Vollzugs, sei es der verwaltenden Betreuung." Was Adorno über wie unter den Wolken bemerkt, ist immer nur das eine: daß das Leben ganz Gegenstand ist, vollzogen, verwaltet und betreut. Wer das Leben hat, hat den Schaden. Wer könnte da post natum noch Biographien leben oder schreiben? Wer wollte es nicht bei Reflexionen belassen?

Und samstags guck' ich "Daktari"

Natürlich kann man sagen: Da sind wir heute weiter. Das mit der Negativität geht taomäßig schon in Ordnung. Der negative Pol braucht nicht dialektisch aus den Angeln gehoben zu werden, er darf ruhig verschleiert bleiben, gehört er doch dazu wie Yang zu Yin. Jeder Schleier, den man wegzieht, läßt sowieso nur wieder einen anderen Schleier zum Vorschein kommen. Ja selbst der Entschleierer Freud hat Wert darauf gelegt, die Wunden, in welche Adorno später den Zeigefinger legte, auch einmal unter der positiv gemeinten Vokabel des "Krankheitsgewinns" zu erörtern: Es könne nicht darum gehen, sich dem Leben partout als Hygieniker zu nähern. Man möchte ergänzen: Wer den Schaden hat, weiß wenigstens, wo er dran ist. In diesem Sinne sind Biographien, selber gelebte genauso wie über andere geschriebene, für uns inzwischen das Salz in der Suppe des Lebens. Man hat sich nun einmal entschieden, zu leben (einkaufen zu gehen, zu telefonieren, Kinder zu kriegen, "Vom Winde verweht" zu lesen und so weiter). Deshalb hat man vor lauter Leben keine Zeit mehr für das Ganze.

Auch Adorno hat sich wegen des Ganzen nicht erschossen, sondern schritt wacker die Fluchtwege aus: Er guckte "Daktari" am Samstag, ließ kaum eine Gelegenheit zu einer Affäre aus - seine Frau Gretel wußte Bescheid - und entschied sich im übrigen, dem Ganzen mit Arbeiten über das Ganze zu entkommen. Dabei erfuhr er, wie sein Biograph Detlev Claussen eine Notiz Adornos von 1960 überliefert, in der Praxis durchaus die Erlösung, die er theoretisch für unmöglich hielt: Er fühlte, "wie sehr die Arbeit bei mir ein Rauschmittel ist, das mir über eine sonst fast unerträgliche Schwermut und Einsamkeit hinweghilft".

Viele Wege führen also aus dem Ganzen heraus. Claussen zitiert, das Problem des Biographie-Genres im Auge, einen Brief Adornos an Leo Löwenthal von 1942, eine entschiedene Kritik an der biographischen Massenproduktion. Das Leben selber werde in der Biographie zur Ideologie, insofern "an irgendwelchen Modellen den Menschen demonstriert wird, daß es noch so etwas wie ein Leben gebe". In Wirklichkeit (genauer: in der von Adorno als das Ganze beschriebenen Wirklichkeit) gibt es aber gar kein Leben mehr. Biographieproduktionen sind, so gesehen, Verrat an einem der ältesten Motive der kritischen Theorie: an der Erfahrung des Erfahrungsverlustes.

Wenn man sich fragt, "ob nach Auschwitz noch sich leben lasse" (Adorno), dann, so Claussen, "scheint die Frage nach der Geschichte eines individuellen Lebens, nach einer Biographie geradezu obsolet". Bei Claussen bleiben denn auch in der Tat die Lebensberichte, wie er sie etwa anhand neu erschlossener Korrespondenzen erzählt, stets auf Adornos Texte bezogen. Die Texte sind es, die Claussen "hinter der ins Unendliche angewachsenen Sekundärliteratur wieder im Original hervortreten lassen" will. Daß "im Original" dabei natürlich immer heißt: in Claussens Original, das empfindet man nicht als Schwäche, sondern als Stärke des Buches. Übrigens auch dort, wo man der Deutung nicht folgen mag, beispielsweise wenn die Wucht gewisser Anprangerungen in der "Dialektik der Aufklärung" dem Leser als eine bloß ironische Verve verkauft werden soll. Mit Ironie hatte Adorno nun gerade nicht viel am Hut, sonst hätte er im Fluge anderes erhascht.

Aber es gibt auch Anstößiges bei Claussen. Neben stilistischen Schludrigkeiten und ausufernden Exkursen wie dem über das lange bürgerliche Jahrhundert sind das vor allem die inhaltlichen Überschneidungen zwischen einzelnen Kapiteln seines Buches. Diese Überschneidungen scheinen gewollt, sie sind einer zweifachen Absicht zuzuschreiben. Zum einen soll jedes Kapitel auch für sich gelesen werden können (das ist so löblich wie das Lesebändchen, das aus dem Buch herausbaumelt). Zum anderen will Claussen Adornos Werk, wie er eingangs schreibt, als ein "Palimpsest" interpretieren, als "ein Werk voller Überschneidungen". Um aber Adornos Werk, wie es sich gewiß gehört, als Palimpsest zu interpretieren, dafür allein wäre es nun wirklich nicht nötig gewesen, auch die Biographie als Palimpsest anzulegen.

Als eine echte Dröhnung zum Adorno-Jahr kommt die Biographie von Stefan Müller-Doohm daher, der mit einer task force von DFG-finanzierten Helfern jahrelang alte und neue Schriftquellen sichtete, Interviews führte, Datenbanken fütterte. Bei diesem Buch stechen drei Dinge ins Auge. Erstens: Es ist sehr dick. Zweitens: Es ist sehr artig, hat einen Zug ins Beflissene (man bekommt Adornos Nichtidentisches erklärt wie eine Feuerwehrleiter, ein bißchen nach dem Motto: Also das mit dem Nichtidentischen geht so . . .; die Frage nach den genuin philosophischen und soziologischen Gehalten seiner Essays und Aphorismen bleibt dagegen merkwürdig unscharf). Drittens: Das Buch ist die definitive Quelle für alle, die Dinge der Art wissen wollen, wer die französische Erstübersetzerin des 1961 gehaltenen Vortrags über "Das ontologische Bedürfnis" gewesen ist. Eine unentbehrliche Eckermann-Arbeit also, der man denn auch Pretiosen wie die zitierte Flugzeug-Anekdote entnimmt.

Um so störender fällt auf, wenn bei solcher Materialfülle etwas fehlt. Der Brief vom 27. September 1958, mit dem Horkheimer seitenlang Adorno auseinandersetzt, warum er auf die weitere Mitarbeit von Habermas im Institut für Sozialforschung keinen Wert legt - bei Claussen vollständig dokumentiert -, wird bei Müller-Doohm nur in einer Fußnote kurz erwähnt. So bleibt hier die politische Hypochondrie Horkheimers ebenso unterbelichtet wie eine Willfährigkeit Adornos, der den Brief am Rande zwar mit allerlei "?" versah, dann aber im wesentlichen doch nur sein bekanntes "Genau, Max!" wiederholte.

Der kommt mir nicht ins Haus

In eine Fußnote verpackt Müller-Doohm auch Frau Horkheimers Diktum, die über Adorno sagte, "er sei der ungeheuerlichste Narziß, den die Alte und Neue Welt aufzuweisen hat". Warum bei einer so ausgreifenden Biographie nicht auch ein eigenes Kapitel zum Thema "Aversionen gegen Adorno"? Schließlich ist doch bekannt, daß sich am Charakter Adornos die Geister schieden: Schönberg mochte ihn ebensowenig wie Hannah Arendt, die befand: "Der Mann kommt mir nicht ins Haus, einer der widerlichsten Menschen, die ich kenne". Kracauer schrieb 1958 an Löwenthal, "Teddie" Adornos Dinge seien oft "auf einer hohen Ebene falsch, ausgeleierter Tiefsinn und eine Radikalität, die es sich gutgehen läßt". Der Begriff der Utopie, fügte er zwei Jahre später hinzu, werde "als reiner Grenzbegriff benutzt, der nicht den geringsten Inhalt hat". Er, Kracauer, "kenne kein anderes Beispiel von scheinbar eingreifender Kritik, die so wenig Greifkraft hat". Im selben Sinne äußert sich 1965 auch Horkheimer: "Adorno sagt zu jeder seiner Analysen auch das Gegenteil. Aber trotz dieser auf die Spitze getriebenen Dialektik bleibt das, was er sagt, unwahr. Denn die Wahrheit läßt sich nicht sagen. Und persönlich bleibt er unbeteiligt. Es kommt aber darauf an, das, was man an Wahrheit hat, irgendwie zu realisieren." Was hinter solchen Einwänden oder Ressentiments im einzelnen steckt, in einer Materialgrube von 1032 Seiten möchte man es - biographietheoretisch und philosophisch - frontal erörtert und nicht ornamental neutralisiert finden.

Es gibt ein Interview mit Adorno im "Organ der Deutschen Postgewerkschaft". Da sagte er 1962, daß das, "was man im Leben realisiert, wenig anderes ist als der Versuch, die Kindheit verwandelnd einzuholen". Reinhard Pabst hat diese Flaschenpost empfangen und ein zartes biographisches Bildchen gemalt, das Adorno im Ferienparadies seiner Kindheit, im Odenwaldörtchen Amorbach, zeigt. Die ertragreiche Spurensuche reflektiert das Kind im Werk und macht etliche bislang unbekannte Fotos zugänglich. Wir nehmen an, es ist die Biographie, die Adorno autorisiert hätte.

CHRISTIAN GEYER

Detlev Claussen: "Theodor W. Adorno". Ein letztes Genie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 350 S., geb., 22,90 [Euro].

Stefan Müller-Doohm: "Adorno". Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 1032 S., geb., 29,90 [Euro].

Theodor W. Adorno: "Kindheit in Amorbach". Bilder und Erinnerungen. Herausgegeben von Reinhard Pabst. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003. 250 S., br., 9,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der Anspruch des Autors ist hoch, und den Preis dafür zahlt die Leserin, stellt Hilal Sezgin enttäuscht fest. Detlev Claussen orientiere seine Biografie nämlich nicht an den äußeren Fakten, sondern an den Worten Adornos selbst, erläutert sie Claussens Vorgehensweise. Das habe chronologische wie thematische "Mäanderbewegungen" zur Folge beziehungsweise ständige Exkurse - zum Frankfurter Judentum, Lukacs, Benjamin, Bloch, Thomas Mann et cetera -, die den eigentlichen Gegenstand des Buches schnell in den Hintergrund geraten lassen, kritisiert die Rezensentin. Interessanten Beobachtungen ginge der Autor nicht erschöpfend nach, klagt Sezgin, so bleibe die Frage, inwiefern Adornos Verstummen als Komponist nach 1945 mit den politischen Ereignissen zusammenhing, unbeantwortet. Alles in allem ein konfuses Verfahren, das sich zur Biografie nicht eignet, fasst Sezgin zusammen. Als unsympathisch stößt ihr auch auf, dass der Autor beim dauernden Jonglieren mit den Zitaten die Leser den Eindruck gewinnen lasse, dass er der einzige sei, der den "missverstandenen" Adorno und die Frankfurter Schule zu interpretieren wüsste.

© Perlentaucher Medien GmbH