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Angriffe auf die Avantgarden und Abgrenzung gegenüber den Populärkünsten gehören zum Erscheinungsbild aller europäischen Bildungsschichten. Doch in Deutschland fielen die Kontroversen um die künstlerische und kulturelle Moderne besonders heftig und vor allem politisch folgenreich aus. Georg Bollenbeck führt diesen deutschen Sonderweg im Umgang mit den Künsten eindrucksvoll vor Augen. Er verfolgt den Bedeutungswandel bildungsbürgerlicher Argumentationsfiguren, in deren Zentrum die Ausrichtung an einer nationalen Tradition, die Betonung der bildenden Funktion und die Beschwörung des schönen…mehr

Produktbeschreibung
Angriffe auf die Avantgarden und Abgrenzung gegenüber den Populärkünsten gehören zum Erscheinungsbild aller europäischen Bildungsschichten. Doch in Deutschland fielen die Kontroversen um die künstlerische und kulturelle Moderne besonders heftig und vor allem politisch folgenreich aus. Georg Bollenbeck führt diesen deutschen Sonderweg im Umgang mit den Künsten eindrucksvoll vor Augen. Er verfolgt den Bedeutungswandel bildungsbürgerlicher Argumentationsfiguren, in deren Zentrum die Ausrichtung an einer nationalen Tradition, die Betonung der bildenden Funktion und die Beschwörung des schönen Kunst-scheins stehen: Profilierungen eines Bürgertums, das politisch nur langsam reüssierte, sich dafür aber über Kunst und Kultur - als Wahrer der "idealen Habe" - definierte. Die Berufung auf die "deutsche Kunst" wurde dabei vorerst noch nicht aggressiv-ausschließend verwendet. Doch mit der zunehmenden Verunsicherung des Bildungsbürgertums, das seine kulturelle Definitionsmacht angesichts der moder nen Kunst und der aufstrebenden Massenkünste schwinden sieht, verschärfen sich die Töne. Ein radikaler Kunstnationalismus erodiert die liberalen Leitvorstellungen von der Autonomie der Künste. Daran können die Nationalsozialisten letztlich mühelos anschließen, um sich als Retter und Bewahrer der "deutschen Kunst" zu profilieren und gleichzeitig die Massenkünste in eine durchaus moderne und politisch effiziente Verwaltung zu nehmen. Das Buch erschließt eine Fülle von Quellen und gibt zum ersten Mal eine geschlossene Darstellung der Auseinandersetzungen um die modernen Künste und der mit ihnen einhergehenden politischen Polarisierungen in Deutschland. So erhalten auch heutige kulturkritische Positionen und Debatten ihren historischen Hintergrund.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Der Mensch war noch nicht einmal Akademiker
Georg Bollenbeck erklärt Hitler trotzdem zum Vollstrecker der Ideologie der deutschen Bildungsbürger / Von Patrick Bahners

Was man von den Gedanken eines Gelehrten zu erwarten hat, zeigt sich daran, welche Hypothesen er der Widerlegung für würdig erachtet. "So verführerisch die Kontinuitätslinie auch sein mag: Es gibt keinen direkten Weg von Herder zu Hitler." Man sollte meinen, ein Literaturwissenschaftler wie Georg Bollenbeck verwende auch verblasste Bilder mit Bedacht. Was soll aber an der furchtbar simplen geometrischen Figur einer Herder und Hitler verbindenden geraden Linie verführerisch sein, also reizvoll, verlockend, erotisch anziehend? Selbst wenn es unvermeidlich wäre, diesen Strich zu ziehen, würde jedermann, dem am Denken gelegen ist, sich doch nur mit äußerstem Widerstreben und nicht mit freudiger Hingabe in eine solche Notwendigkeit fügen. Denn das hieße doch, dass eines der abenteuerlichsten Experimente der modernen Geistesgeschichte von Anfang an zu nichts anderem hätte führen können als zu dem Schrecklichsten, das auf Erden geschehen ist. Wie wollte man eine solche Aussicht anders denn mit intellektueller und moralischer Verzweiflung betrachten?

Dass für Bollenbeck in der Begradigung des Geschichtswegs eine Verführung liegt, hat mit der Natur seines Projekts zu tun. Er möchte das Selbstverständnis der deutschen Bildungsschicht auf ein Grundmuster reduzieren und die Katastrophe der Kulturnation im Nationalsozialismus zurückbinden an die Konstitutionsphase jenes Bürgertums, das die Kultur dieser Nation tragen wollte. Bollenbecks "Argumentationsgeschichte" versteht sich als Erweiterung der Begriffsgeschichte Reinhart Kosellecks. Es liegt auf der Hand, warum ein solches Unternehmen sich zur Geradlinigkeit hingezogen fühlt. Wenn die Geschichte des deutschen Bürgertums als Überbaugeschichte geschrieben werden soll, ja als Geschichte des Unterbaus des Überbaus, der Einstellungen, Denkfiguren und Vorurteile, dann muss die große Übersicht rechtfertigen, dass vom Kleinen abgesehen wird. Argumentationsmuster zum Subjekt einer Geschichte zu machen, die politisches Handeln und Unterlassen erklären soll, ist nur sinnvoll, wenn dem Gedanken wirklich die Tat folgt wie der Blitz dem Donner, mögen auch hundertfünfzig Jahre vergehen wie zwischen Herder und Hitler.

Aber Bollenbeck hat Nipperdey gelesen und stellt fest: "1933 kann nicht als Tiefpunkt einer teleologischen Degenerationsgeschichte verstanden werden." So hätte Nipperdey es allerdings nicht formuliert. Natürlich kann die Machtübertragung an Hitler als Zielpunkt einer Verfallsgeschichte deutscher Politik und Kultur verstanden werden, es ist nur nicht sinnvoll, die gesamte deutsche Geschichte auf diesen direkten Weg zu reduzieren. Es verblüfft, dass einem Kulturwissenschaftler, der durch eine hochabstrakte, Neologismen produzierende Sprache seinen avantgardistischen Anspruch markiert, der erkenntnistheoretische Status seiner eigenen Sätze offenbar undeutlich ist. Bollenbeck sagt, 1933 könne nicht als Tiefpunkt verstanden werden, und meint: nicht einfach als Tiefpunkt. Er sagt, es gebe keinen direkten Weg von Herder zu Hitler, und kann doch nur meinen, es sei zwecklos, diese Linie zu zeichnen. Denn Wege durch die Zeit gibt es immer nur im historischen Verständnis, nie in der Geschichte selbst. Vielleicht hätte Bollenbeck Koselleck etwas genauer lesen sollen. Es ist schon ein komisches Spektakel: Ein Wissenschaftler, der umständlich die Selbstverständlichkeit auseinanderlegt, dass in kulturkritischen Begriffen "ästhetische, soziale und politische Relevanzstrukturen folgenreich versprachlicht" werden, hat keinen Gedanken an die Implikationen seines eigenen Sprachgebrauchs verschwendet.

Hinter der bombastischen Fassade der Argumentationsgeschichte mit ihren vielfach gegliederten Dimensionen haust ein Realismus, den man nicht naiv, sondern borniert nennen möchte. Bollenbeck hält es für den Fluch des Idealismus, dass er die Individuen anwies, die Welt als Material der Persönlichkeitsbildung zu betrachten. Von Anfang an hätten die deutschen Gebildeten die Distanz zu Politik und Ökonomie gepflegt, für gesellschaftliche Probleme hätten sie geistige Lösungen vorgeschlagen, die an der Wirklichkeit scheitern mussten. Aber diese geistlose Realität ist nur das Negativ der weltlosen Idee; der gesellschaftliche Prozess duldet keine Widerrede. So soll denn die bildungsbürgerliche Kunstreligion an der Konkurrenz des Films zugrunde gegangen sein, der sich nicht mehr vergeistigen ließ, sondern seiner "Eigenlogik" folgte, sprich: dem Marktgesetz.

Dieser seltsame Materialismus, der im Nachhinein der bürgerlichen Furcht Recht gibt, die Begierden der Masse seien irgendwann nicht mehr zu bändigen, vermeidet jede Berührung mit der sozialhistorischen Forschung. Bei Bollenbeck scheinen Bildungsbürgertum und Bourgeoisie geschieden wie indische Kasten, so dass man sich fragt, wer das Geld für die Museen und anderen Kunsttempel gestiftet hat.

Die kryptoreligiösen Züge des bürgerlichen Kunstverständnisses werden in einer pointenlosen Ausführlichkeit dargelegt, die sich nur aus einem anderen protestantischen Erbteil des deutschen Geistes erklären lässt, aus einer gelehrten Versenkung in die Sache, die jede Rücksicht auf die Mitwelt vergisst. Wenn die Sache doch gelegentlich einmal unbekannt oder wenigstens entlegen wäre! Stattdessen erhalten wir über weite Strecken ein Handbuch der deutschen Kulturgeschichte nicht erst seit 1880. Die Zusammenhanglosigkeit steigert sich bisweilen zur reinen Nutzlosigkeit. Jeder gebildete Europäer soll um 1900 denselben Kanon klassischer Kunstwerke anerkannt haben. "Für den Bereich der Plastik verkörpern ca. 100 Skulpturen die höchsten Errungenschaften der Kunst: darunter die Laokoon-Gruppe, der Apollo von Belvedere, der sterbende Fechter oder der Wagenlenker von Delphi." Eine verblüffend präzise und dann doch wieder bedenklich unpräzise Zahl. Schlägt man die Fußnote auf, um die Fundstelle für die übrigen ca. 96 Meisterwerke zu erfahren, wird man nicht etwa auf die Umfrage einer Kulturzeitschrift oder ein kunsthistorisches Curriculum verwiesen, sondern auf Eric Hobsbawms Geschichte des Imperialismus. Vielleicht hat Hobsbawm ja bei Bouvard und Pécuchet abgeschrieben, die möglicherweise die natürliche Überlegenheit des Dezimalsystems beweisen wollten.

Nicht, dass Bollenbeck keine ehrgeizigen Beweisziele hätte: "Ja, man könnte die These wagen, dass die großen deutschsprachigen Romane des zwanzigsten Jahrhunderts, Der Zauberberg, Der Mann ohne Eigenschaften, Die Schlafwandler, mit ihrer gemeinsamen Thematik des Wert- und Wirklichkeitszerfalls aus dem kollektiven Bewusstsein der Auflösung der bildungsbürgerlichen Kultur entstanden sind." Wer auf seinem eigenen Fachgebiet Wagemut aufbringen muss, um Schulbuchweisheiten vorzutragen, die er dann doch lieber im Konditionalis formuliert, hat kaum das Recht, den Bildungsbürgern des Jahres 1933 mangelnde Zivilcourage vorzuwerfen.

Aber welche Linie verbindet denn nun Herder und Hitler, wenn es den direkten Weg nicht gibt? Der Umweg führt über Schiller, der in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung eine neue Kunstperiode als Höhepunkt einer teleologischen Regenerationsgeschichte voraussagte: "Der Nationalsozialismus kann nach der Machtübernahme eine Aufbruchsstimmung entfachen, weil er ins Dreistadienmodell von der vergangenen Größe, vom gegenwärtigen Zerfall und von der nahen Rettung passt." Nun ist's also geknackt, das Rätsel von Hitlers charismatischer Wirkung, und jeder Bundesligaabsteiger, dessen Fans den sofortigen Wiederaufstieg fordern, steht fortan unter Faschismusverdacht.

Mit Georg Bollenbeck erreicht der Niedergang der deutschen Mandarine einen Tiefpunkt. Schon der Erfolg von "Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters" (1994) ließ darauf schließen, dass der Autor Recht hat und es kein deutsches Bildungsbürgertum mehr gibt. Bollenbecks Büchern fehlt alles Gebildete, die Nuance, die Andeutung, die implizite Bezugnahme auf geteiltes Wissen. Man kann sie im kulturkritischen Sinne barbarisch nennen wegen ihrer Unempfindlichkeit für Anschauung, Erfahrung und Moral, für alles an der Mentalität, was nicht leeres Denkmuster ist. Nur wenn er Hitler beschreibt, spricht Georg Bollenbeck selbst wie ein deutscher Bildungsbürger: "Er soll kein größeres theoretisches Werk konzentriert zu Ende gelesen zu haben." Übermenschliche Askese muss aufbringen, wer Bollenbecks Werk zu Ende lesen will.

Georg Bollenbeck: "Tradition, Avantgarde, Reaktion". Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880-1945. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 463 S., geb., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Wahrlich, Patrick Bahners hat da einen bitterbösen Verriss geschrieben. Bollenberg nennt die Idee einer "direkten Linie" von Herder zu Hitler "verführerisch", und Bahners hebt an zum ersten Schlag in die Magengrube: "Das hieße doch, dass eines der abenteuerlichsten Experimente der modernen Geistesgeschichte von Anfang an zu nichts anderem hätte führen können als zu dem Schrecklichsten, das auf Erden geschah." Wie könne man so etwas verführerisch nennen? So geht es weiter: Bei Bollenbecke finde sich "ein Realismus, den man nicht naiv, sondern borniert nennen möchte". Außerdem "vermeidet er jede Berührung mit der sozialhistorischen Forschung". Bollerbeck liefere mit seinen Büchern den unfreiwilligen Beweis für den Niedergang des Bildungsbürgertums, den er gerade zu konstatieren vorgibt. Bahners lässt kein gutes Haar an dem Buch, versäumt aber in seiner Attacke, klar darzustellen, was Bollerbeck eigentlich will und inwiefern er daran scheitert.

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