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Zwölf Stories der jungen nigerianischen Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie.
Nigeria - Nordamerika: Zwei Welten, getrennt durch eine scheinbar unüberwindbare Kluft. Die nigerianische Heimat schwebt zwischen Tradition und Moderne, wird bedroht von Gewalt und Korruption. In Amerika hingegen hält das Leben nicht, was es verspricht.
An den Rändern beider Kulturen werden die prekären Bande zwischen Kindern und Eltern, die verborgenen Vibrationen zwischen Männern und Frauen aufgespürt: Die Liebe wird in der Distanz auf die Probe gestellt und das Sich-Wiederfinden ist schwieriger als
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Produktbeschreibung
Zwölf Stories der jungen nigerianischen Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie.

Nigeria - Nordamerika: Zwei Welten, getrennt durch eine scheinbar unüberwindbare Kluft. Die nigerianische Heimat schwebt zwischen Tradition und Moderne, wird bedroht von Gewalt und Korruption. In Amerika hingegen hält das Leben nicht, was es verspricht.

An den Rändern beider Kulturen werden die prekären Bande zwischen Kindern und Eltern, die verborgenen Vibrationen zwischen Männern und Frauen aufgespürt: Die Liebe wird in der Distanz auf die Probe gestellt und das Sich-Wiederfinden ist schwieriger als erwartet. In der Familie schleichen sich Spannungen ein, wenn der Strudel des Lebens ihre Mitglieder mitreißt.

Diese sinnlichen und gleichsam klaren Einblicke in die Wirren des nigerianischen, in erster Linie aber des menschlichen Lebens überhaupt, machen diese Geschichten nicht nur zu Erzählungen einer außergewöhnlichen jungen afrikanischen Stimme, sondern zu ganz großer Literatur.

»Chimamanda Adichie ist eine neue Autorin, die mit der Gabe der alten Geschichtenerzähler gesegnet ist.« Chinua Achebe
Autorenporträt
Adichie, Chimamanda NgoziChimamanda Ngozi Adichie ist eine der großen Stimmen der Weltliteratur. Ihr Werk wird in 37 Sprachen übertragen. Für »Americanah« erhielt sie 2013 den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Ihr Roman »Blauer Hibiskus« war für den Booker Prize nominiert, »Die Hälfte der Sonne« erhielt den Orange Prize for Fiction 2007. Mit ihrem TED-Talk »We should all be Feminists« verankerte die Nigerianerin den Feminismus fest in der Popkultur. Auf Deutsch liegt der Text im FISCHER Taschenbuch vor: »Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories«. Zuletzt erschien 2017 im FISCHER Taschenbuch »Liebe Ijeawele. Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden«. 2018 wurde Chimamanda Ngozi Adichie mit dem PEN Pinter Prize und dem Everett M. Rogers Award ausgezeichnet. 2019 wurde ihr der Kasseler Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft« verliehen. 2020 erhielt sie den Internationalen Hermann-Hesse-Preis für »Blauer Hibiskus«. Chimamanda Ngozi Adich

ie wurde 1977 in Nigeria geboren und lebt heute in Lagos und in den USA.

Böhnke, ReinhildReinhild Böhnke wurde 1944 in Bautzen geboren und ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1998 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, außerdem hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Nuruddin Farah, D.H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In ihrem neuen Erzählband "Heimsuchungen" schreibt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie erstmalig über ihre zweite Heimat Amerika, berichtet Rezensent Hubert Spiegel. Der Kritiker liest in den zwölf, von Reinhild Böhnke gelungen ins Deutsche übersetzten Texten von Menschen, die einst mit einer "Fülle übertriebener Hoffnungen" nach Amerika kamen und sich nun als Kindermädchen oder Kellner in Bars durchschlagen und aus Geldnot ihr Studium aufgeben müssen. Wie in den beiden gelobten Vorgängerromanen suche Adichie auch in ihren neuen Erzählungen immer Momente, in denen soziale, kulturelle und ethnische Gegensätze zusammenstoßen, so der Rezensent, dem hier etwa die in Nigeria aufgewachsen Nkem begegnet, die nun das durchschnittliche Leben einer amerikanischen Frau aus dem Mittelstand mit Pilateskursen und Hausangestellten führt, und sich immer mehr von ihrem nigerianischen Ehemann entfremdet. Auch wenn den Kritiker Adichies Erzählstil bisweilen ein wenig an die Muster aus Creative-Writing-Kursen erinnert, haben ihm diese Texte eine völlig fremde Welt erschlossen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2012

Fast ein Gefühl
wie Geborgenheit
Chimamanda Ngozi Adichie könnte sich über vieles
aufregen, aber sie erzählt lieber – und das großartig
Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie könnte sich über einiges aufregen. Darüber etwa, dass viele Familien in Nigeria ihre Töchter auch im 21. Jahrhundert an geld- und hormongesteurte „big men“ verheiraten. Darüber, dass Nigerianer, die in die USA auswandern, sich für ihre Herkunft schämen, obwohl sich Amerikaner für keinerlei Herkünfte interessieren (und sich dafür nicht schämen). Oder Adichie könnte sich darüber aufregen, dass die nigerianische Gesellschaft zwar einige Autoren von Weltruhm hervorgebracht hat wie Chinua Achebe und Wole Soyinka, aber immer noch sehr wenig liest und deswegen ihre eigene Vergangenheit vergisst, etwa den Biafra-Krieg.
Adichie wurde 1977 in Enugu geboren, der einstigen Hauptstadt des abtrünnigen Staates Biafra, sieben Jahre nach dem Krieg, in dem ihre beiden Großväter ums Leben kamen. Sie wuchs in der Universitätsstadt Nsukka auf, in einem Haus, in dem auch ihr literarisches Vorbild Chinua Achebe gewohnt hatte, ein Chronist des Verfalls. Mit 19 ging sie zum Studium in die USA und pendelt seitdem zwischen beiden Ländern. Sie kennt beide Welten sehr gut und könnte sich interkulturell kompetent aufregen, was eine wachsende Nische in der Migrantenliteratur bereichern würde. Da Adichie auch eine gnostische Ader besitzt, könnte sie sich zudem über Gott aufregen, über die Ungerechtigkeit von Flugzeugabstürzen und über fromme Menschen, die in diesen Abstürzen oder deren Ausbleiben ein Zeichen Gottes erkennen.
All das: Big Men, entwurzelte Diasporafrauen und Ausbrüche des Irrationalen, im Krieg wie im Alltag, beschreibt Adichie in ihrem frisch ins Deutsche übersetzten Erzählungsband „Heimsuchungen“, der auf Englisch bereits 2009 unter dem Titel „The Thing Around Your Neck“ erschien. Allerdings regt sich Adichie kaum über etwas auf. Bis auf seltene ungelenke Ausfälle – mal feministisch, mal postkolonial – prangert sie niemanden an. Sie tut in diesem Band, was sie bereits in ihren Romanen „Blauer Hibiskus“ (2003) und „Die Hälfte der Sonne“ (2006) vorzüglich getan hat. Sie beschreibt die Wirklichkeit.
Adichies Wirklichkeit ist ungemütlich, weil tragisch und unberechenbar, und man möchte sie nicht sein Eigen nennen – obwohl Adichie in bester humanistischer Tradition (als Kind verschlang sie Dickens) aus fremden Kulturhülsen wie Küche, Sprache oder Kleidung das Menschliche herausschält. Sie tut das mit einer lakonischen, beinahe Tschechow’schen Milde, die beim Leser bisweilen ein Gefühl der Geborgenheit hervorrufen kann.
Aber Adichies Welt ist sehr komplex, trotz der Prägnanz ihrer Sätze, und hinter jedem Schicksal lauert eine persönliche und kollektive Vergangenheit, die das Handeln des Menschen bedingt, aber nie rechtfertigt. In ihrem Debütroman „Blauer Hibiskus“ erzählte sie von einem Familienpatriarchen, der sich tapfer für die Opfer des Juntaregimes einsetzt, aber zu Hause Frau und Kind mit militantem Katholizismus terrorisiert, psychisch und physisch. Auch in „Heimsuchungen“ gibt es keine bösen und keine guten Menschen, sondern nur Menschen, die glauben, nach einer inneren Wahrheit zu leben, und solche, die das verraten haben, was irgendwann ihr Wesen ausmachte.
„Ist es ein gutes Leben, Papa?“, fragt Nkiru am Telefon, die Tochter eines 71-jährigen Mathematikprofessors in der Erzählung „Geister“. Nkiru ruft aus den USA an, wo sie mit ihrem Sohn lebt und als Ärztin arbeitet. Sie spricht „mit diesem schwachen, ein wenig störenden amerikanischen Akzent“. Der Professor lebt in Nsukka, der Universitätsstadt, die im Sezessionskrieg als Erste von den Regierungstruppen geplündert wurde, am 6. Juli 1967. Damals floh er mit seiner Frau nach Berkeley und dort wurde Nkiru geboren. 1976 kehrten sie zurück. Seine Frau ist nun tot, seine Pension wird nicht ausgezahlt, aber die Tochter schickt ihm Dollars. Ob das ein gutes Leben sei, fragt sie also. „Es ist nicht gut oder schlecht, sage ich ihr, es ist einfach meins. Und darauf kommt es an.“
„Geister“ ist die beste Geschichte in diesem Band mit zwölf Erzählungen. Viele der Geschichten werden aus der Ich-Perspektive von jungen Frauen erzählt, die aufgrund ihres Alters und ihrer Erfahrungen zum Teil autobiografische Züge tragen. Die Protagonistin von „Jumping Monkey Hill“ ist gar eine junge nigerianische Schriftstellerin. In „Geister“ ist der Ich-Erzähler zwar ein alter Professor, aber seine Erzählung verwebt beinahe alle Themen, die Chimamanda Ngozi Adichie derzeit beschäftigen, zu einem vielschichtigen Meisterwerk.
Der Professor steht in der Schlange vor der Universitätskasse, die wieder mal leer ist. Der Bildungsminister habe das Pensionsgeld gestohlen, fluchen nichtakademische Angestellte, Fahrer, Gärtner. Nein, der Rektor sei’s gewesen, sein Penis solle schrumpfen. Der Professor kauft den Männern Bananen und denkt sich, sie bräuchten eigentlich Feuchtigkeitscreme. Die Harmattan-Zeit ist noch nicht zu Ende, wegen der trockenen Winde sehen ihre Gesichter und Arme aschig aus. Der Professor selbst hat sich eingecremt. Früher hat das immer seine Frau getan.
Er begegnet Ikenna, einem Kollegen aus alten Tagen, den er für tot gehalten hat. Sie unterhalten sich, und aus den knappen Alltagssätzen entsteht ein Panorama des Krieges, des Exils, der Erinnerung, der Hoffnung. Als der Professor den Tod seiner Frau erwähnt – in Igbo, denn in „Englisch vom Tod zu reden hat für mich immer eine verstörende Gleichgültigkeit gehabt“ – bemerkt er Tränen in Ikennas Augen, obwohl sein Kollege sich nicht mal an ihren Namen erinnern kann. „Vielleicht trauerte er um eine Zeit voller Möglichkeiten. Ikenna, wurde mir bewusst, ist ein Mann, der die Last dessen, was hätte sein können, mit sich herumschleppt.“
Ebere, die Frau des Professors, ist an gefälschten Medikamenten gestorben. Aber sie besucht ihn regelmäßig, cremt ihn ein. „Wir sind gebildete Leute, man hat uns beigebracht, unsere Grenzen im Hinblick darauf, was wir als real ansehen, sehr starr zu ziehen.“ Aber Ebere besucht ihn trotzdem, und „manchmal kitzelt sie meine Hoden, fährt mit den Fingern darüber. Sie weiß sehr wohl, dass meine Prostatamedikamente dort unten alles gefühllos gemacht haben, und sie tut das nur, um mich zu necken, um ihr freundlich-spöttisches Lachen hören zu lassen.“ Im Fernsehen zeigen sie einen Mann, der gefälschte Medikamente importiert haben soll. Der Mann sagt, die Medikamente würden niemanden töten, sie würden bloß keine Krankheiten heilen. Der Professor schaltet den Fernseher aus. „Doch ich war nicht gekränkt, nicht so schlimm, wie ich es gewesen wäre, wenn Ebere mich nicht besuchen würde.“
TIM NESHITOV
CHIMAMANDA NGOZI ADICHIE: Heimsuchungen. Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 301 Seiten, 19,99 Euro.
Die nigerianische Autorin
ist eine Grenzgängerin
zwischen den Welten
Große Erzählerin: Chimamanda Ngozi Adichie. Foto: Interfoto
Die Telefonate zwischen Vater und Tochter symbolisieren in der Erzählung „Geister“ die fremde Nähe. F1online
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2012

Nachrichten aus dem Land der übertriebenen Hoffnungen

Der Stil ist international, die Schauplätze sind es auch: neue Erzählungen der jungen Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie.

Der Vater war Mathematikprofessor, aber in seinem Heimatort trug er einen Ehrentitel, um den ihn selbst mancher Literaturnobelpreisträger beneiden dürfte: "Odeluora", das ist Igbo und bedeutet "Der für die Gemeinschaft schreibt". Denn in seinem Heimatort kamen die meisten Altersgenossen zu dem Universitätsabsolventen, um sich helfen zu lassen, wenn sie Post von einer Behörde erhalten hatten. Die Tochter ist Schriftstellerin, hat aber keine Gemeinschaft, für die sie schreiben könnte. Das ist ihr Thema, zumindest auf gewisse Weise. Die beiden ersten Romane der jungen nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie spielten in Nigeria, jetzt wendet sie sich mit ihrem neuen Erzählungsband "Heimsuchungen" erstmals auch ihrer zweiten Heimat zu.

Als Wole Soyinka 1986 als erster schwarzafrikanischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis erhielt, war Chimamanda Ngozi Adichie neun Jahre alt. Ihr Großvater, den sie nie kennengelernt hat, weil er im Biafra-Krieg getötet wurde, hätte eine Figur aus einem der Romane Soyinkas sein können, denn wie Akinyode Soditan, der Dorfschullehrer aus Soyinkas "Ìsara", gehörte er zu jener Generation von Nigerianern, für die Amerika der Name einer im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbaren Märchenwelt war. Für Akinyode bedeutet die spärliche Post, die er von einem amerikanischen Brieffreund erhält, den er nie zu Gesicht bekommen wird, unendlich viel: eine fremde Welt voller Verheißungen. Heute schicken die Enkelkinder der Generation von Akinyode selbst Briefe aus Amerika in die Heimat. Chimamanda Ngozi Adichie, geboren 1977 in Nkussa, ist eines dieser Enkelkinder.

Aber ihre Briefe aus der Neuen Welt, als die man einige der zwölf Erzählungen des Bandes bezeichnen könnte, enthalten wenig Verheißungsvolles. Adichies Figuren schlagen sich als Kindermädchen durch, sie müssen aus Geldnot das Studium aufgeben und jobben in Bars und Restaurants. Amerika ist gekennzeichnet von einer "Fülle übertriebener Hoffnungen". Es ist das "Land des Gebens und Nehmens". In der Regel heißt das: Man muss eine Menge aufgeben, wenn man dort etwas bekommen will.

Nkem hat eine Menge bekommen: ein großes Haus, ein eigenes Auto, eine Hausangestellte und regelmäßige Pilates-Kurse. Aber sie ist nicht mehr, wer sie war. Sie war ein Mädchen aus dem Busch, das unvermutet in die Oberschicht der Hauptstadt eingeheiratet hatte und nach Amerika verpflanzt wurde. Jetzt ist ihr Leben die perfekte Imitation der Durchschnittsexistenz der amerikanischen Ehefrau aus dem gehobenen Mittelstandsmilieu: bar aller materiellen Sorgen, aber nicht mehr ganz faltenfrei und deshalb permanent in Alarmbereitschaft. Und tatsächlich hat ihr Mann, der das Jahr über weiterhin seinen einträglichen Geschäften in Nigeria nachgeht, seine Geliebte in Lagos zu sich ins Haus genommen.

Bevor ihr Mann für den Sommer nach Amerika kommt, schneidet sich Nkem die nach amerikanischem Vorbild sorgfältig entkrausten Haare kurz, um es mit den Kräusellöckchen ihrer jungen Konkurrentin aufnehmen zu können. Nach den ersten Tagen mit einem Mann, der ihr fremd geworden ist, beschließt sie die Rückkehr nach Lagos. Ob die "Imitation" eines fremden Lebensstils, auf den der Titel der Erzählung anspielt, damit beendet ist, muss allerdings offenbleiben. Wenn man so lange in Amerika gewesen ist, hatte ihr zuvor eine Freundin gesagt, könne man nicht mehr zurück, man sei nicht mehr dieselbe: "Man ist nicht wie die Menschen dort."

Chimamanda Ngozi Adichie lebt in den Vereinigten Staaten und in Nigeria. Sie gehört zu jener Generation junger afrikanischer Autoren, die an amerikanischen Universitäten studiert haben und im Stil dortiger Creative-Writing-Kurse für ein Publikum schreiben, das überwiegend in Amerika und Europa zu Hause ist und Afrika meist nur vom Hörensagen kennt. Obwohl in den achtziger Jahren in einer kleinen Universitätsstadt aufgewachsen, machte sie erst spät die Erfahrung, dass es Bücher gibt, die nicht in England oder Amerika spielen, in denen die Figuren nicht ausschließlich weiß sind, die davon berichten, dass Nigeria auch eine vorkoloniale Geschichte besitzt und die Erinnerungen des Landes weiter zurückreichen als bis zum Biafra-Krieg. So wurde Chinuah Achebes Epos "Alles zerfällt", einer der Urtexte der modernen Literatur Afrikas, für sie zu einer auf "großartige Weise schockierenden Entdeckung".

Ihr Debütroman "Blauer Hibiskus", auf Deutsch im Jahr 2005 erschienen, behandelt den Konflikt der Kulturen am Beispiel eines Familientyranns, der sich aus ärmsten Verhältnissen hochgearbeitet hat und als fanatischer Christ die alten Naturreligionen in der Familie nicht duldet. "Die Hälfte der Sonne" erzählt 2007 vom Ende der Kolonialzeit Nigerias und dem schrecklichen Bürgerkrieg, der ausbrach, nachdem sich Biafra 1967 vom Zentralstaat losgesagt hatte.

Das Elend des Krieges mit seinen Flüchtlingen und Hungertoten, das vor vierzig Jahren die westliche Welt schockierte, kehrt als Echo auch in den neuen Erzählband zurück. "Geister", eine der stärksten der zwölf Erzählungen, die Reinhild Böhnke routiniert ins Deutsche übertragen hat, handelt von einem alten Universitätsprofessor, der seit Jahren auf die Auszahlung seiner Pension wartet und vom Ersparten lebt. Seine Frau, die sterben musste, weil die Medikamente aus dem Westen, die man ihr gab, alt und verdorben waren, kehrt regelmäßig aus dem Reich der Toten zu ihm zurück, und nun steht auch noch ein totgeglaubter Weggefährte aus der Vergangenheit vor ihm. Ikenna war damals ein unbeugsamer Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbewegung Biafras. Als er verschwand, hielten ihn alle für tot. Aber der aufrechte Ikenna hatte sich rechtzeitig vom Roten Kreuz nach Schweden ausfliegen lassen. Nun ist er noch einmal nach Nigeria zurückgekehrt, ein alter Mann, der "die Last dessen, was hätte sein können, mit sich herumschleppt".

Es sind oft plötzliche, unerwartete Ereignisse, die im Zentrum der Erzählungen stehen. Gewaltausbrüche auf den Straßen, schwerste Übergriffe von Polizeikräften und Geheimdiensten bis hin zum Mord: Die Frau eines Journalisten, der wegen seiner regierungskritischen Artikel gesucht wird, muss mitansehen, wie ihr vierjähriges Kind erschossen wird. Ein verwöhnter Mittelstandsbengel, der aus Langeweile klaut und sich mit üblen College-Gangs einlässt, landet im Gefängnis, wo sein Leben keinen Pfifferling mehr wert ist. Hier lernt er die Hierarchie unter den Gefangenen schätzen und die Willkür der Wärter hassen. Adichie sucht stets die Momente, in denen Gegensätze aufeinanderprallen, soziale, kulturelle, ethnische. Sie spielt Konstellationen und Konflikte durch, mit Geschick und jener Neigung zu vorhersehbaren Mustern und bewährten erzählerischen Mitteln, die Schreibschulen offenbar mit sich bringen. Vorerst dürfte ihr internationaler Erfolg aber vor allem darauf beruhen, dass hier eine Schriftstellerin ihren Lesern eine fremde Welt näherzubringen versteht, die ihr selbst immer fremder zu werden beginnt.

HUBERT SPIEGEL.

Chimamanda Ngozi Adichie: "Heimsuchungen". Zwölf Erzählungen.

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 304 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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