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Die Edition präsentiert den Elitetheoretiker Robert Michels von einer bislang völlig unbekannten Seite. Der Klassiker der Soziologie hat sich vor und nach seiner Entdeckung der elitären Struktur demokratischer Organisationen derart intensiv mit den neuen sozialen Bewegungen seiner Zeit beschäftigt, dass man ihn als einen 'Pionier der Bewegungsforschung' bezeichnen kann.
Der Schwerpunkt der Edition liegt auf Michels' frühen Schriften zur Arbeiter- und Frauenbewegung sowie zu nationalen Bewegungen. Sein dreidimensionaler Begriff der "sozialen Frage" beinhaltet gleichermaßen das Streben nach
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Produktbeschreibung
Die Edition präsentiert den Elitetheoretiker Robert Michels von einer bislang völlig unbekannten Seite. Der Klassiker der Soziologie hat sich vor und nach seiner Entdeckung der elitären Struktur demokratischer Organisationen derart intensiv mit den neuen sozialen Bewegungen seiner Zeit beschäftigt, dass man ihn als einen 'Pionier der Bewegungsforschung' bezeichnen kann.

Der Schwerpunkt der Edition liegt auf Michels' frühen Schriften zur Arbeiter- und Frauenbewegung sowie zu nationalen Bewegungen. Sein dreidimensionaler Begriff der "sozialen Frage" beinhaltet gleichermaßen das Streben nach ökonomischer, sexueller und nationaler Emanzipation als den drei wesentlichen und prinzipiell gleichrangigen Herausforderungen der Moderne.

Michels' Studien analysieren aber nicht nur die dynamischen Entstehungsmuster sozialer Bewegungen, sondern auch die Mechanismen ihrer Erstarrung und ihres Wandels, bei dem sich das ursprüngliche Programm in sein Gegenteil verkehren kann. Werkgeschichtlich wie systematisch ist Michels' Einstieg in die Organisationssoziologie die Fortsetzung der Bewegungsstudien mit anderen Mitteln, da die Organisation mit ihren autoritären und strukturkonservativen Tendenzen das Schicksal jeder sozialen Bewegung ist. Diese Edition ist daher eine unverzichtbare Ergänzung zu Robert Michels' berühmter "Soziologie des Parteiwesens" (1911).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2008

Die Soziologie der Verlobungsanzeige
Ein politischer Denker ist neu zu entdecken: Der Deutsch-Italiener Robert Michels

VON JÜRGEN KAUBE

Vor dem Soziologen liegt eine Verlobungsanzeige. Links steht: "Die Verlobung ihrer Tochter Eva mit Herrn Rittergutsbesitzer A. B. auf Groß-J. b. R. beehren sich anzuzeigen, M. N. und Frau Marie, geb. T." und rechts: "Meine Verlobung mit Fräulein Eva N., einzigen Tochter des Herrn M. N. und seiner Frau Gemahlin Marie, geb. T., beehre ich mich anzuzeigen. Rittergut Groß-J. bei R., A. B."

Was lässt sich an einer so unscheinbaren Mitteilung schon soziologisch ablesen? Wer will, kann die Probe darauf machen und erst einmal nicht weiterlesen, sondern den Text selber zu deuten versuchen. Wir sind im Jahr 1903, der Soziologe heißt Robert Michels, und seine "Analyse einer Verlobungkarte" findet sich jetzt erstmals wieder abgedruckt in einem Band mit Schriften dieses ebenso interessanten wie weitgehend vergessenen Forschers.

Robert Michels war ein Sozialdemokrat, was ihn im wilhelminischen Deutschland seine Habilitation kostete, ein lange Zeit staatenloser, in der Schweiz lehrender, in Italien lebender Parteien- und Nationalismusforscher - er hat 1926 den Begriff "Verfassungspatriotismus" geprägt -, ein Feminist und später ein Anhänger der italienischen Faschisten. 1876 in Köln geboren und 1936 in Rom gestorben, sind seine bekanntesten Arbeiten die "Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie" von 1911 und "Der Patriotismus" von 1929. Jetzt liegt, aufgrund jahrelanger Arbeiten des Berliner Politikwissenschaftlers Timm Genett, erstmals eine Auswahlausgabe der Schriften von Michels vor. Und darin ebenjene Deutung des scheinbar ja gar kein Material für Deutungen hergebenden Textes.

Michels beginnt so: "Der Bräutigam ist also Rittergutsbesitzer." Ob das ein Beruf sei? Landwirt, was der zu einer aktiven Bewirtschaftung des Ritterguts gehörige Titel wäre, fehlt auf der Anzeige. Andererseits scheint doch mehr als Besitz gemeint. "Kanarienvogelbesitzer" stünde wohl kaum in einer Familienanzeige, auch nicht "Besitzer von zweihundert silbernen Löffeln", was der Sache nach eine Analogie zur Größenangabe "Rittergut" wäre. Ausdrücke wie "Großlandwirt" oder "Länderbesitzer" kennt das Deutsche erst gar nicht, aber den Rittergutsbesitzer schon.

Es wird also nicht nur eine Steuerklasse mitgeteilt. Beim Vater der Verlobten hingegen wird gar nichts mitgeteilt. Wer den Herrn M. N. kenne, so fährt Michels fort, der wisse allerdings, dass der Herr M. N. gar nicht berufslos und auch kein bloßer untätiger Besitzer sei, sondern Inhaber eines großen Tuchgeschäftes. Sein Schwiegersohn ist ein Rittergutsbesitzer, er selbst verschweigt seinen Beruf. Für Michels ein Ausdruck von Scham. Kaufleute betitelten sich damals ungern als solche. Das Deutschland hing noch immer der Agrarverfassung und dem feudalen Zierat nach, die es doch längst schon überwunden hatte. Industrielle und Händler seien, so Michels, nur etwas, wenn sie feudale Kreise kopierten.

Und die Verlobte? Sie ist, unterstreicht der Soziologe, "die einzige Tochter" ihrer Eltern. Nicht sie selbst zeigt ihre Verlobung an, die Eltern tun es: "Kettung der Braut an den Willen der Eltern", notiert Michels, "Besitzwechsel aus der Hand des Vaters in die Hand des Bräutigams". Der Anzeige nach zu schließen, verlobe sich der Bräutigam eigentlich mehr mit den Eltern als mit seiner Braut. Dieselbe Inbesitznahme zeige sich auch in damals üblichen Titeln wie "Frau Leutnant", "Frau Geheimrat" oder "Frau Professor", wenn der Ehemann solche Titel führe.

Von den Eltern des Verlobten hingegen erfährt man nichts und vom Verlobten auch nicht, ob er ihr einziges Kind ist. Als Michels seinen Aufsatz veröffentlichte, erhielt die "Frankfurter Zeitung" eine Zuschrift zu jenem "einzig". Darin heißt es, die Angehörigen der Oberschicht seien sich selbst wie den Angehörigen ihrer Kaste eine Erklärung schuldig, wenn sie "nach unten" heirateten. Jenes Wort gebe diese Erklärung: Nur eine einzige Tochter kann die Tatsache ausgleichen, dass ihr Vater kein Rittergutsbesitzer ist. Wer in Frankreich seine Verlobung mit einer "fille unique" ankündige, würde sich hingegen lächerlich machen.

Was es allerdings auch in Frankreich und überall in Europa noch gebe, so Michels, sei die sprachliche Unterscheidung von Frau und Fräulein einerseits (madame/mademoiselle, madame/miss, mefrouw/mejuffrouw) und Herr andererseits, ohne weitere Qualifikation seines Familienstandes. Auch alte Schürzenjäger ohne Trauschein seien Herren, und selbst junge Junggesellen seien keine Herrchen.

"Tempi passati", mag man sagen und die Bewunderung für Michels ' soziologisches Kabinettstückchen von 1903 mit dem Gefühl verbinden, dass diese Ungleichheiten weitgehend beseitigt sind. Doch wer mag, kann ja Verlobungs- und Heiratsannoncen unserer Tage mit demselben Blick ansehen. Es werden sich nicht dieselben, aber andere Merkwürdigkeiten zeigen.

Robert Michels: Soziale Bewegungen zwischen Dynamik und Erstarrung. Essays zur Arbeiter-, Frauen- und nationalen Bewegung. Hrsg. von Timm Genett, Berlin 2008.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2008

Gesetzesduselig
Robert Michels geht mit der SPD ins Gericht – mit der von 1907
Der Internationalismus war ein programmatisches Kennzeichen der deutschen Arbeiterbewegung und gehörte fest in ihr Geschichtsbild. Bereits für die Zeitgenossen war das internationalistische Credo der deutschen Arbeiterbewegung aber mehr Fassade als politische Substanz. Robert Michels, ein soziologischer Weltenbummler auf dem Weg von links nach rechts, selbst enttäuschter Sozialdemokrat mit weitergehenden Karrierewünschen, später dann Anhänger des Duce, formulierte 1907 eine dezidiert internationalistische Kritik an der deutschen SPD. Sie ist jetzt neben anderen kaum bekannten Texten von Timm Genett kommentiert und in der Reihe „Schriften zur europäischen Ideengeschichte” neu ediert worden (Robert Michels: Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande (1907), in: Timm Genett (Hrsg.): Robert Michels. Soziale Bewegungen zwischen Dynamik und Erstarrung. Essays zur Arbeiter-, Frauen- und nationalen Bewegung, (Schriften zur europäischen Ideengeschichte Bd. 2), Akademie Verlag 2008, Berlin 2008, 59,80 Euro). Wir kennen jetzt unter anderem ein erhellendes Detail, nämlich dass Michels der Partei Mussolinis nicht – wie zumeist behauptet - 1921 oder 1923, sondern erst am 6. Juni 1928 beitrat.
Die SPD galt zwar als beeindruckende Organisations- und Mobilisierungsmaschine für „Stimmzettelsiege”. Ihre Schwesterparteien wollten die Deutungshoheit der Genossen aus dem Lande von Marx und Engels jedoch nicht akzeptieren. Vor allem italienische und französische Sozialisten vermissten die politische Aktion – wie etwa nach der Wahlrechtsverschlechterung in Sachsen 1896. Statt dessen hüteten die deutschen Genossen das weitverzweigte Vereinsnetz von den sozialistischen Kinderfreunden bis zum Feuerbestattungsbund wie ihren Augapfel. Ein politischer Massenstreik konnte da nur schaden. Italienische Genossen machten sehr viel ausgiebiger vom Generalstreik Gebrauch. Die deutschen Genossen hielten sie für „gesetzesduselig”. Sie kannten noch nicht einmal den Text der Internationale, auch wenn sie fabelhafte Kongresse ausrichten konnten. So entstand das Bild einer SPD, die dem Gasmann gleicht. Wer sich mit Bienenfleiß „in die Spezialfragen der Fabrikinspektion und der Gewerbegerichte, des Rollmarkensystems in den Konsumvereinsläden und der Gasverbrauchskontrolle bei der kommunalen Gasbeleuchtung eingearbeitet hat”, verlor das große Ganze aus dem Blick. Die Genossen Gasableser, die nicht zündelten, waren für die Revolution unbrauchbar.
SIEGFRIED WEICHLEIN
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Stefan Breuer begrüßt diesen von Timm Genett herausgegebenen Band, der 22 Essays von Robert Michels versammelt, die den Soziologen und Politikwissenschafter als "Pionier der Erforschung sozialer Bewegungen" zeigen. Im Mittelpunkt sieht er dabei das Verhältnis der Geschlechter, der Klassen und der Nationen. Deutlich wird für ihn, dass Michels ein "wacher und vielfältig interessierter Beobachter seiner Epoche" war. Besonders hebt er die Texte zum Arbeiterinnen- und Kinderschutz, zur Fabrikhygiene, zur Unfallversicherung, zur Bildungspolitik und zum Assoziationswesen hervor und betont das Engagement des Autors für feministische und sozialistische Ziele. Der Band zielt seines Erachtens auch darauf ab, Michels aus einer starren und absoluten Festlegung auf sein Eintreten für den italienischen Faschismus zu lösen.

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[Zentrale Texte des Soziologen Robert Michels und auch] seine 'Analyse einer Verlobungskarte' findet sich jetzt erstmals wieder abgedruckt in einem Band mit Schriften dieses ebenso interessanten wie weitgehend vergessenen Forschers." Jürgen Kaube in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. März 2008 "[...] Timm Genetts [Arbeit ist] mehr als eine Biographie, eher eine Art Michels-Handbuch. Genett hat in seiner achthundert Seiten umfassenden Untersuchung auf denkbar breiter Quellenbasis nicht nur den Lebensweg von Michels nachgezeichnet, sondern auch dessen theoretische Entwicklung ausführlich dargestellt und interpretiert. [...] Genett weist darauf hin, dass in vielen Texten Michels' aus den zwanziger und dreißiger Jahren Informationen und Analysen enthalten sind, die man an anderer Stelle vergeblich sucht. Es ist deshalb besonders zu begrüßen, dass ihm der Akademie-Verlag die Möglichkeit geboten hat, neben seiner ausgezeichneten Darstellung noch einen Band mit Aufzählungen von Michels zu veröffentlichen [...]." Karlheinz Weißmann in: Sezession, Heft 24, Juni 2007