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Von Natur aus ist der Mensch so frei wie wölfisch. Um sich selbst zu bändigen, muß er folglich einen künstlichen Riesen schaffen, den Staat, der als übergeordnete Instanz den permanenten Bürgerkrieg zu unterdrücken und Frieden zu schaffen vermag. Diese Essenz von Thomas Hobbes' "Leviathan" ist bis heute ebenso vehement verworfen wie bekräftigt worden. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem die historischen Bedingungen erschlossen, unter denen Hobbes sein epochales Werk verfaßte, aber seine bestürzende Grundthese, daß es das Schreckens bedarf, um inneren Frieden zu erzeugen, ist eine…mehr

Produktbeschreibung
Von Natur aus ist der Mensch so frei wie wölfisch. Um sich selbst zu bändigen, muß er folglich einen künstlichen Riesen schaffen, den Staat, der als übergeordnete Instanz den permanenten Bürgerkrieg zu unterdrücken und Frieden zu schaffen vermag. Diese Essenz von Thomas Hobbes' "Leviathan" ist bis heute ebenso vehement verworfen wie bekräftigt worden. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem die historischen Bedingungen erschlossen, unter denen Hobbes sein epochales Werk verfaßte, aber seine bestürzende Grundthese, daß es das Schreckens bedarf, um inneren Frieden zu erzeugen, ist eine Herausforderung für jedwede Staats- und Gesellschaftstheorie geblieben.

Zu den Mitteln, mit denen der Leviathan die Menschen vom Unfrieden abhält, gehören Bilder, und aus diesem Grund steht dem Leviathan ein Frontispiz voran. Obwohl seit Jahrhunderten selbst entfernteste Aspekte von Hobbes' Werk ausgeleuchtet wurden, ist dieses grundlegende Element seiner Lehre bislang nicht erörtert worden. Eine systematische Untersuchung seiner Wertschätzung des Augensinnes fehlt ebenso wie eine umfassende Analyse seiner Bildmittel.

Das Buch erschließt mit Abraham Bosse den Künstler des Frontispizes, es stellt sämtliche Varianten dieses Urbildes des modernen Staates zusammen, und versucht die Vorgeschichte seiner politischen Ikonographie zu klären. Im Zentrum stehen die königlichen Kunstleiber von Westminster Abbey sowie optische Geräte, mit deren Hilfe Hobbes neben dem Körper und dem Raum auch eine künstliche Zeit als Wirkmittel des Leviathan zu etablieren suchte. Schließlich werden in einem für die 2. Auflage verfaßten neuen Kapitel die Wiederkehr der Hobbesschen Staatsikone im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert sowie die Zukunft des Staates als Bild erörtert.
Autorenporträt
Horst Bredekamp, Jahrgang 1947, ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, seit 1993 an der Berliner Humboldt-Universität und seit 2003 Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Er war Fellow des Institute of Advanced Study in Princeton, des Wissenschaftskollegs in Berlin, des Getty Center in Los Angeles und des Collegiums Budapest. Er wurde 2000 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Hinter unserem Deich sind wir sicher
Es lebe die Seeschlange: Horst Bredekamp unterwirft das Titelbild des "Leviathan" von Thomas Hobbes einer Totalanalyse / Von Andreas Platthaus

Thomas Hobbes ist mit der Furcht auf die Welt gekommen. Als John Aubrey seinem Freund nach dessen Tod das längste seiner "Brief Lives", der biographischen Abrisse prominenter Engländer des siebzehnten Jahrhunderts, widmete, begann er den Nachruf, ganz untypisch für sein Buch, mit der Nennung des exakten Geburtstags, des 5. April 1588: "ein Freitagmorgen, welcher in jenem Jahre Karfreitag war. Aus Furcht vor der Invasion der Spanier kam seine Mutter mit ihm in die Wehen."

Hobbes selbst hat in seiner postum erschienenen Autobiographie ganz ähnlich berichtet: "My Mother did bring forth Twins at once, both Me, and Fear." Es war gleichsam ein siamesischer Zwilling, der da geboren worden war; die Furcht blieb der treue Begleiter des Philosophen. Als angeblich erster, so berichtet er selbst, hat er 1640, gleich am Beginn des Bürgerkriegs, seine Heimat verlassen. Er ging ins Exil nach Frankreich, wo in den Folgejahren sein Hauptwerk entstand, der "Leviathan", das Antidot zur Furcht. Den mächtigen Giganten als Personifikation des staatlichen Souveräns entnahm Hobbes dem Buch Hiob, in dem Gott seine Allgewalt durch unbesiegbare Wesen beweist, darunter das Seeungeheuer Leviathan. Das Titelkupfer von Hobbes' Buch zitiert als Motto einen Satz aus dieser Schilderung (Hiob XLI, 24): "Auf Erden ist ihm niemand zu gleichen." Doch im Original fährt der Satz noch fort: "Es ist gemacht, um ohne Furcht zu sein."

Als Seeungeheuer nimmt der Leviathan eine Motivkette auf, die sich in Hobbes' Werk immer wieder finden läßt: Die Angst vor der Naturgewalt läßt den Menschen zu seinen zivilisatorischen Leistungen gelangen. Die wichtigste davon ist der Staat, doch schon in "De Cive" von 1641, dem dritten Teil der "Elementa", in denen Hobbes erstmals die Bedingungen menschlicher Existenz untersucht, findet sich das Lob des Deichbaus als Schutzmittel gegen die zerstörerische Wasserkraft. In der Umwidmung des Leviathan von tödlicher Meeresbedrohung zum Souverän eines gegen den Tod gerichteten Gemeinwesens hat Hobbes eine Metapher gefunden, die ihm erlaubt, die Naturgewalten als Deich gegen die zerstörerischen Ambitionen menschlicher Vernunft dienstbar zu machen.

Denn nicht länger geht die größte Gefahr für die Inselnation England vom Meer aus. Die Angst der Mutter war 1588 unbegründet gewesen. Den Sieg gegen die katholischen Angreifer empfanden die englischen Protestanten als Gottesurteil, und Königin Elisabeth I. erhielt seit 1588 in der zeitgenössischen Bildpanegyrik den Status einer Siegesgöttin. Noch im selben Jahr setzte John Case seiner "Sphaera Civitatis" ein Frontispiz voran, das Elisabeth als Königin des Kosmos darstellte. In dessen Mittelpunkt steht die Erde, der Ort der "unverrückbaren Gerechtigkeit"; um sie herum schalen sich die Bahnen der sieben Planeten, deren jede eine andere Herrschertugend preist; schließlich erhebt sich über dem äußeren Kreis der Fixsterne die Königin selbst. Ihre Arme umfassen den Kosmos, als lege sie einen Schutzmantel um dessen Wohlgeordnetheit. Diese graphische Siegesfeier identifiziert Horst Bredekamp als direktes Vorbild für das Frontispiz des "Leviathan".

Wenn ein Autor, der durch mehrere Aufsätze zum Frontispiz des "Leviathan" bereits als einer seiner besten Kenner ausgewiesen ist, dieses Bild zum Ausgangspunkt einer Monographie über Thomas Hobbes' visuelle Strategien nimmt, müssen die Erwartungen hochgeschraubt sein. Was gibt es noch zu sagen, das nicht längst bekannt wäre? Dämmert ein neuer Morgen hinter der Küstenlinie der Ideallandschaft des Titelkupfers herauf? Es ist eine neue Welt, deren Konturen sich hier zeigen.

Das Karfreitagskind Hobbes, im Schatten des Todes geboren, stellte seine politische Theorie ganz auf dessen Verhinderung ab. Leo Strauss hat eine Spannung im Hobbesschen Menschenbild identifziert, aus der die politischen Handlungen ihre Energie ziehen: "Daß die Erhaltung des Lebens das erste Gut ist, sagt die Vernunft, nur die Vernunft, hingegen daß der Tod das erste Übel ist, sagt ein Affekt, der Affekt der Todesfurcht." Vor aller Vernunft steht das Wissen um den Tod, und bevor überhaupt positive Ziele gesetzt werden können, gilt es, das schlechthin Negative zu vermeiden. Der Tod droht für Hobbes von allen Seiten, denn je mehr die Vernunft zu ihrem Recht kommt, desto größer wird die Gefahr. Das vorausschauende Denken evoziert den Kampf aller gegen alle: Je früher die eigene Attacke auf den anderen erfolgt, um so kleiner ist die Gefahr, selbst überrascht zu werden. Das ist der Naturzustand, der Normalfall allen menschlichen Lebens.

Aufgabe der Staatstheorie des "Leviathan" ist es, diesen Zustand zu beenden. Als Modell für das Chaos des Kampfes aller gegen alle diente Hobbes der Bürgerkrieg. Was war die Bedrohung durch die spanische Armada gegen die herrschaftslose Zeit, als es keine Instanz in England gab, deren Macht dem Kampf hätte Einhalt gebieten können? Jetzt erst hatte die Furcht ihren wahren Gegenstand gefunden. Was durch die tradierte englische Staatstheorie verhindert werden sollte: der Zerfall von Autorität, war in dem Moment eingetreten, als sich das Parlament gegen Karl I. wandte. Wenn dem König das Recht zu herrschen abgesprochen wurde, war der body politic enthauptet, dessen Glieder nun die Leitung des Staatskörpers beanspruchten.

Hobbes' Buch erschien 1651, zwei Jahre nach der Hinrichtung Karls, als dessen Sohn Karl II. mit seinem Feldzug nach Schottland gescheitert war. Die monarchische Sukzession schien abgerissen, Cromwell war noch nicht Lordprotektor. Bredekamp liest nun die Schaffung des Leviathan, des absolutistischen Staates, nicht als Bemühung, das Interregnum zu überwinden, sondern als dessen Festschreibung. Diese These nimmt Hobbes ernst, der den Naturzustand als Normalfall der Existenz definiert, die Zeit des Friedens dagegen als Ausnahme. Das englische monarchische Modell beruhte auf der traditionellen Zweikörperlehre des Königs: Nach dessen Tod wurden Würde und Macht des Herrschers im unsterblichen Körper des Königtums aufbewahrt. Als Verkörperung dieser Macht wurden Effigies angefertigt, naturgetreue Nachbildungen der toten Herrscher, die bis zur Krönung des Nachfolgers die Stelle des Königs vertraten.

In den Effigies, die des größeren Naturalismus wegen bald wie Automaten mit beweglichen Gliedern gefertigt wurden, erkennt Bredekamp die Anregung für den "künstlichen Menschen", wie Hobbes den Leviathan bezeichnet. Durch den Verzicht aller Menschen auf ihr natürliches Recht an sämtlichen Hervorbringungen der Erde - inklusive des Rechts auf das eigene Leben und das aller anderen -, das den Naturzustand und seinen immerwährenden Krieg hervorruft, und die Übertragung dieser Rechte auf einen Souverän entsteht der Staat. Der Souverän aber hat für Hobbes die Form eines Automaten. Er ist das Gegenstück zum Menschen, der von Gott durch ein "Fiat" geschaffen wurde - nach seinem Bilde. Um diesem göttlichen Anspruch zu genügen, muß auch der Mensch einen Menschen nach seinem Bilde schaffen; erst wenn er seinerseits das "Fiat" nachspricht, ist der Mensch ganz er selbst. Da er aber sterblich ist, muß es auch seine Kreatur sein: "Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken", heißt der zentrale Satz des Buches.

Die biblische Schöpfungsgeschichte verschafft dem Agnostiker Hobbes die Legitimation für sein Vorhaben, das aus der Geschichte nicht herzuleiten ist, weil die Staatsgründung aus dem Naturzustand heraus nie erfolgen könnte. Er ist ein Denkmodell wie der Leviathan, und es gibt nur die Wahl zwischen beiden, nie den Übergang. Denn der Hobbessche Souverän ist zwar sterblich, doch seine Souveränität ist es nicht. Diese Orientierung an der Dauer ist von Hobbes in der später entstandenen lateinischen Ausgabe des "Leviathan" dadurch betont worden, daß er einen Halbsatz der Einleitung austauschte: Nicht länger sollte sein Buch zeigen, "was den Leviathan erhält und auflöst", sondern nur noch "wem die höchste Gewalt zukommt". Diese Gewalt kennt kein Ende mehr.

Dadurch entsteht das, was Bredekamp "das Interregnum als Dauerzeit" nennt: "Im Einklang damit, daß die Effigies die Abwesenheit des Herrschers kompensierten, ist der Leviathan das Produkt der Reflexion über den Moment, in dem der Staat eine künstliche Herrscherfigur nötig hat." Der künstliche Mensch ist der Platzhalter Gottes, und sobald er entstanden ist, ist für Frieden gesorgt. Gott selbst hat somit nur noch eine Funktion als Auslöser eines Prozesses, der im prometheischen Menschen kulminiert, der sich wiederum Menschen nach seinem Bilde formt. Die Doppeldeutigkeit der mythischen Gestalt als von Gott geschaffene und dann von Gott abgewandte ist auch das Movens für Hobbes' Bild vom Leviathan. Wie Elisabeth als weltliche Herrscherin trotzdem die gesamte Schöpfung schützt, so tut es auch der Souverän im "Leviathan".

Im Frontispiz ist diese Konzeption zum Ausdruck gebracht. Aus dem Meer erhebt sich eine gewaltige Königsfigur, die in der Rechten das Schwert, in der Linken den Bischofsstab hält. Weltliche und geistliche Attribute weisen diese Verkörperung des Leviathan als Allherrscher aus. Berühmt wurde die Abbildung durch die Komposition dieses Leviathan. Sein Leib ist aus Hunderten kleiner Menschen gebildet, die zu seinem Kopf heraufblicken. Deshalb sieht man sie nur in Rücken- oder Seitenansicht. Es ist der Moment des "Fiat", der hier festgehalten ist. "Das Ziel der Verbildlichung", schreibt Bredekamp, "lag darin, ihn als dauerhaft auszuweisen, um damit nicht nur, wie es bei den Königseffigies der Fall war, die Zeit des Interregnums zu füllen, sondern der Permanenz der Rechtslosigkeit zu begegnen."

Dem Manuskript des "Leviathan", das Hobbes Karl II. zum Geschenk machte, ist eine Zeichnung vorangestellt, die das Motiv des Titelbildes aufnimmt, es aber in entscheidenden Punkten variiert. Vor allem sind die den Körper bildenden Menschen ersetzt durch Köpfe, die den Betrachter der Zeichnung direkt ansehen. Wurde in der Buchausgabe der Blick der Untertanen erst vom Haupt des Leviathan, der den Leser frontal anblickt, auf diesen umgeleitet, so ist er nun wie der Leviathan selbst den Erwartungen derjenigen ausgesetzt, die sich ihrer Rechte zugunsten des Souveräns begeben haben. Bredekamp sieht hier im Gegensatz zum Frontispiz nicht den Augenblick des "Fiat" festgehalten, sondern einen beliebigen Moment des Regierens. Das ist eine der wenigen Behauptungen, denen man widersprechen muß, weil sie vom Adressaten abstrahiert. Karl II. blickte bei dieser Zeichnung in einen veritablen Fürstenspiegel, und die Gesichter, die sich ihm zuwendeten, gaben ihm die Legitimation als Souverän. Bevor er noch eine Zeile gelesen hatte, war er bereits als Leviathan installiert.

Diese Legitimation durch den Rechteverzicht aller Untertanen hat nichts mehr mit der Gottesgnade gemein. Deshalb war dem "Leviathan" am Hofe des exilierten Karls II. in Paris auch kein Erfolg beschieden. So sehr Hobbes sich auch als Monarchist verstand, so sehr lag sein Bestreben darin, den Bürgerkrieg und damit den Naturzustand zu verhindern. Sein Herrscherbild beruhte auf Übereinstimmung und mußte für Cromwell genauso gelten wie für den entthronten König. Hobbes war bewußt, daß er ein ideologisches Doppelspiel betrieb. Die Übergabe des Manuskripts an den Thronprätendenten zog die Verbannung vom Hofe nach sich. Doch die royalistische Ablehnung öffnete ihm die Türen zur Rückkehr nach England.

An seine Ankunft dort erinnert sich Hobbes in seiner Autobiographie: "Es gab keine sichtbaren Anzeichen des Glaubens, . . . so daß ich in den ersten drei Montane niemanden finden konnte, mit mit dem ich über religiöse Angelegenheiten hätte reden können." Es gehört zu den besonderen Stärken von Bredekamps Buch, daß er solche Stellen für seine Theorie nutzbar machen kann. In der Abwesenheit sichtbarer Symbole des Glaubens im säkularisierten England, die Hobbes jedes Gespräch über Religion unmöglich machten, entdeckt Bredekamp einen entscheidenden Hinweis darauf, daß Hobbes der Bildkraft gegenüber der Macht der Sprache einen höheren Wert einräumte. Was man nicht sehen konnte, darüber mußte man schweigen. Das Frontispiz des "Leviathan" hat deshalb weit mehr als illustrative Funktion, es ermöglicht erst den nachfolgenden Text. Hobbes bemühte sich Zeit seines Lebens, das politische Denken auf die Gesetze der Geometrie zurückzuführen, wie er auch die Ethik nach eigener Formulierung als exakt vermessene Philosophie begründen wollte. Die vermessene Idee trug reiche Früchte: Da die Geometrie auf Beobachtung fußt, erhalten die Abbildungen in Hobbes' Büchern eine eigene Dignität.

Bredekamp geht deshalb weit über das berühmteste Beispiel heraus. Seine Studie besteht aus zwei Teilen, der Interpretation des "Leviathan" und einem Katalogteil, der sämtliche den Texten Hobbes' beigegebenen Illustrationen und auch alle erhaltenen Porträts des Philosophen wiedergibt und analysiert. Die Sorgfalt, mit der Hobbes für seine Thukydides-Übersetzung das Kartenmaterial selbst anfertigte, und die Zurückhaltung, mit der er auf jede Absicht reagierte, Bilder seiner selbst anzufertigen oder gar zu publizieren, zeigen ihn als Theoretiker, der um die Macht der Anschaulichkeit genau wußte. Bredekamps These, daß jede Abbildung in Hobbes' Werk in enger Kooperation zwischen Zeichner, Stecher und Autor entstanden sein muß, hat somit trotz mangelnder Quellenbelege große Plausibilität.

Über die künstlerische Urheberschaft der "Leviathan"-Radierung ist immer noch kein endgültiges Urteil gesprochen, doch Bredekamp schließt sich denjenigen Kunsthistorikern an, die den Franzosen Abraham Bosse favorisieren. In der bemerkenswerten Ausstellung mit Drucken der Stuart-Zeit, die das Britische Museum im letzten Jahr veranstaltete (F.A.Z. vom 12. August 1998), wurde Bosse ohne weitere Erörterung als Urheber des Titelkupfers und der Zeichnung des Manuskripts genannt. Bredekamp liefert nun die minutiöse Indizienkette nach. Seine Ausführungen bauen einen geschickten Spannungsbogen, weil er zunächst für Wenzel Hollar Partei zu nehmen scheint, dann aber dessen schon oft bemerkte Einflüsse auf einzelne Bildelemente des Frontispizes durch die Wirkung von Publikationen mit Hollars Arbeiten auf Bosse erklären kann.

Fremdsprachige Ausgaben von Hobbes' Büchern wurden meist mit vollständig neu gezeichneten Illustrationen bestückt. Für die französische Übertragung der "Elements of Law", die 1652, ein Jahr nach dem "Leviathan", veröffentlicht wurde, ließ der Verleger ein Frontispiz anfertigen, das die Idee des Leviathan aufnahm, aber entscheidende Elemente veränderte. Dem Thema der Abhandlung entsprechend wurde der Bischofsstab der Herrscherfigur durch eine Waage ersetzt, und im Leib des Riesen tummeln sich nicht länger nur in Verehrung versunkene Menschen, sondern ein quicklebendiger Querschnitt durch die Gesellschaft: Händler, Soldaten, Richter, Bischöfe, Mütter unterwerfen sich in dieser Illustration der Macht der Gesetze, die ihre alltäglichen Verrichtungen regeln. Bredekamp vermutet, daß auch diese Zeichnung von Abraham Bosses Hand stammt, doch dafür gibt es wenig Anhaltspunkte. Der Stil ist vielmehr mit Ausnahme der den Körper bildenden Menschen stark vergröbert, die meisten Attribute, aufgrund derer Bredekamp seine "Leviathan"-Zuschreibung vornahm, fehlen dem Bild von 1652. Die so durchdachte Komposition des Originals, die links alle weltlichen Symbole, rechts die geistlichen versammelte, ist in der Nachschöpfung aufgegeben. Die Einfügung der Waage hat das Gleichgewicht des Bildes aus der Balance gebracht.

Jedenfalls aber belegt die Übernahme des Motivs die immense Wirkung, die die Zeichnung von Anfang an auf die Leser gehabt haben muß. Die niederländische Übersetzung von 1667 etwa enthält eine neugezeichnete Kopie des Ursprungsmotivs, die sich in vielen Nuancen vom Original unterscheidet. Unter anderem entsteigt der gewaltige Leviathan nicht mehr dem Meer, wie es sein biblisches Vorbild tut, sondern entwächst dem Land. Bredekamp interpretiert diese Variation als Ausdruck des niederländischen Selbstverständnisses als Kontinentalnation gegenüber der reinen Seemacht England, die im Leviathan eine kongeniale Verkörperung ihrer Unantastbarkeit erkannte. Der niederländische Gigant aber nimmt das bestimmende Motiv des Schutzes bei Hobbes auf und entfaltet sein segensreiches Wirken auf dem festen Grund der zivilisatorischen Vorleistung: Hinter unserem Deich sind wir sicher, auch gegen englische Ambitionen. Daß dadurch ein wichtiger Gedanke von Hobbes verlorengeht: daß Zivilität erst mit der Schaffung des Leviathan beginnen kann, ist nur ein weiterer Beleg für Bredekamps Beobachtung, daß viele Bearbeitungen der Hobbesschen Illustrationen die Aussagen der Texte geradezu in ihr Gegenteil verkehren.

So entsteht aus der endlosen Kette von Leviathan- und Hobbes-Darstellungen wieder ein einziges Bild. Dessen Herkunft ist bei Bredekamp so deutlich gemacht wie nie zuvor. Leider fehlt der Blick aufs zwanzigste Jahrhundert, etwa auf die vielfältige Rezeption des Entwurfs bei Frans Masereel, der die Menschen aus dem Leib den Kopf erobern ließ. Der Deich aus Individuen, der den Körper des Leviathan bildet, diese Schutzwand gegen die eigenen Ambitionen, zerbricht wieder, allerdings im Interesse der Befreiung von totalitärer Herrschaft.

Mittlerweile wird Hobbes gar als Gründervater des Liberalismus gehandelt, und wenn man diejenigen Theoretiker wie Locke oder Kant betrachtet, die sich an ihm abgearbeitet haben, hat diese Behauptung einen wahren Kern. Wie der Leviathan vom Seeungeheuer zum Beschützer mutierte, so wandelte sich Hobbes in der Rezeption vom Lobredner des Absolutismus zu einem Propheten des Individualismus. Canetti nannte ihn kurz nach dem Zweiten Weltkrieg "meinen wichtigsten Denker . . . Er weiß, was Angst ist." Hobbes hat die Gesellschaft zu ihrem Besten eingedeicht, und Horst Bredekamp wiederum widmet seine fulminante Arbeit den Erbauern des Rehmstackerdeichs in der Marsch von Eiderstadt, wo er sein Buch geschrieben hat.

Horst Bredekamp: "Thomas Hobbes". Visuelle Strategien. Akademie Verlag, Berlin 1999. 265 S., 100 Abb., geb., 84,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Es ist das wohl berühmteste Frontispiz der Buchgeschichte, die Darstellung des "Leviathan" als Körper aus Körpern, in der Thomas Hobbes' Theorie des Staates zum Bild findet, dessen Macht die Rezeption des Buches beeinflusst hat. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp bietet nun eine "übersichtliche" Zusammenfassung der Quellen und Einflüsse des viel interpretierten Werks, etwa "Kosmosleiber, arcimboldeske Kompositkörper, polyoptrische Anamorphosen, bewegungsfähige Effigies des Königszeremoniells" - und vieles mehr. Die Notwendigkeit des Denk-Bildes, so Bredekamps These, ergab sich aus dem Misstrauen des Philosophen gegenüber der unzuverlässigen Sprache, die der Unterstützung durch die "visible power" der bildlichen Darstellung bedarf. Das Frontispiz wird so lesbar nicht als "Zusatz" zum Text, sondern als dessen "Protektor". Plausibel findet der Rezensent Uwe Justus Wenzel angesichts dieser Interpretationen auch die aktualisierende Wendung des Autors: in den Aufnahmen des brennenden World Trade Centers habe auch uns die unmittelbare Macht der Bilder eingeholt.

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