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Die vermeintlich "entzauberte Welt" ist voller Zauber: Ausgerechnet um 1900 erlebt der Versuch, die verschiedensten Phänomene unter dem Schlüsselwort "Magie" zu bündeln, eine Hochkonjunktur. Das Wort faßt nicht nur die Praktiken des allerorts wuchernden Okkultismus und der schriftlosen Gesellschaften, denen vielbeachtete enthnologische Forschungen gelten. Als "magisch" erscheinen vielmehr auch die neuen technischen Übertragungs- und Speichermedien, die Radioaktivität und die Hypnose. Die Rekonfiguration der "Magie" macht Karriere, weil sie die Versöhnung der gegenstrebigen Tendenzen von…mehr

Produktbeschreibung
Die vermeintlich "entzauberte Welt" ist voller Zauber: Ausgerechnet um 1900 erlebt der Versuch, die verschiedensten Phänomene unter dem Schlüsselwort "Magie" zu bündeln, eine Hochkonjunktur. Das Wort faßt nicht nur die Praktiken des allerorts wuchernden Okkultismus und der schriftlosen Gesellschaften, denen vielbeachtete enthnologische Forschungen gelten. Als "magisch" erscheinen vielmehr auch die neuen technischen Übertragungs- und Speichermedien, die Radioaktivität und die Hypnose. Die Rekonfiguration der "Magie" macht Karriere, weil sie die Versöhnung der gegenstrebigen Tendenzen von technischer Zweckrationalität und mystischer Irrationalität verspricht. Um 1800 vor allem in Frankreich und England entwickelt, erreicht sie in Deutschland ihren Höhepunkt in der Zeit der Weimarer Republik, um im Nationalsozialismus entscheidend transformiert zu werden. Die Literatur partizipiert an dieser Konstellation in doppelter Weise: zum einen, indem sie in magischen Romanen (z.B. von Huysmans, Stoker, Meyrink und Thomas Mann) davon erzählt, zum anderen, indem sie ihr (z.B. bei Mallarmé, Yeats, Hofmannsthal und Roussel) eine spezifische Form der poetischen Sprachmagie zu entwinden versucht.
Autorenporträt
Privatdozent Dr. Robert Stockhammer lehrt am Fachbereich Germanistik der FU Berlin und ist Komparatist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2001

Stühlerücken im Ameisenbau
Zur Not eben magisch: Robert Stockhammer zeigt sich verzaubert

Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Ganz recht, aber auch Gespenster, Geister, Vampire, Botschaften aus dem All, Zauberer? Das ist die besorgte Frage, die der Leser in entzauberten Zeiten sich stellt, wenn von magischen Dingen die Rede ist. Man könnte antworten: in der Literatur durchaus, da es sowohl eine phantastische Literatur als auch die wissenschaftliche Erforschung dieses merkwürdigen Phänomens seit langem gibt. Selbst die These, der zufolge es um 1900 eine Konjunktur der "Phantastischen Literatur" gegeben habe, ist nicht neu.

Robert Stockhammers Ansatz ist insofern ein anderer, als er erstens eine terminologische Umorientierung von der "phantastischen" zur "magischen" Literatur einleiten möchte, zweitens überhaupt nicht nur von Literatur die Rede ist. Tatsächlich ist die Berliner Habilitationsschrift zu großen Teilen mit dem magischen, okkultistischen und parapsychologischen Schrifttum der Zeit zwischen 1880 und 1945 befaßt - ich nenne nur "Die Philosophie der Mystik" von du Prel (1885), den "Traité méthodique de science occulte" von Papus (1891) oder die Materialisationsphänomene von Schrenck-Notzing (1923) -, wobei nicht immer deutlich wird, ob die Schriften von Okkultisten oder Okkultismushistorikern stammen.

Eine weitere Quelle für die Präsenz magischer Praktiken ist für Stockhammer die Ethnologie, meist mit Rücksicht auf Malinowski oder Hubert/Mauss. Hinzu kommt die aus anderen Gründen problematische Nachbarschaft der seriösen Wissenschaften, die sich gelegentlich mit magischen Dingen zu beschäftigen scheinen (Charcot, Freud, Max Weber). Dem Zusammenhang dieses heterogenen Schrifttums wird nun jene Literatur der Zeit hinzugesellt, in der okkulte Praktiken thematisch werden, etwa bei Stoker, Huysmann, Perutz oder Kubin, oder die sich selbst "magisch" hervorbringt (Mallarmé, Yeats, Roussel). Sie alle bezeichnet Stockhammer als "Zaubertexte" oder - noch emphatischer - als "Zaubertextverbund". Die Nachteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand.

Zunächst einmal wird nicht klar, ob die Ausbreitung okkulter Theorien - wenn hier von "Theorien" die Rede sein kann - als Voraussetzung gelingender Literaturinterpretationen angesehen werden soll. Jedenfalls wird das nicht vorgeführt, da das Buch keine konsistenten Interpretationen literarischer Texte enthält. Vielmehr kommt die Literatur immer nur fall- und auszugsweise in Betracht, wenn von künstlichen Menschen, Vampiren oder schwarzen Messen die Rede ist. So treten einzelne Romangestalten (van Helsing, Doctor Moreau) immer wieder auf, ohne daß die Texte als ganze in den Blick kommen. Es entsteht eine aperçuhafte Betrachtungsweise, die auf wenigen Seiten die verschiedensten Kontexte versammelt: von Charcot und Freud über Stoker und Wells zu Hanns Heinz Ewers und Breton.

Nun gibt es auf dem Gebiet der Okkultismusgeschichte zur Zeit kaum einen einschlägigeren Fachmann als Stockhammer. Es ist deshalb zu akzeptieren, daß es sich nicht, entgegen der Versicherung des Vorworts, um eine "literaturwissenschaftliche" Arbeit im strengen Sinne handelt, vielmehr um eine kulturtheoretische Studie. Was die Verabschiedung des Terminus "phantastische Literatur" zugunsten der Einführung "magischer Bücher" angeht, so erscheint dies weder nötig noch triftig. Umgekehrt erscheint die Umdeutung einer gelegentlich zu beobachtenden "Sprachmagie" zum Textklassenmerkmal als eine Übertreibung, da hier von Magie - selbst wenn die Autoren gern einmal davon sprechen - offenbar nur in einem metaphorischen Sinne die Rede ist. Walter Benjamins Vorsichtsmaßnahme, solche Texte nur "zur Not" magisch zu nennen, erscheint deshalb angebracht.

Stockhammer bemerkt einmal zu Recht: "Der vom inflationären Gebrauch des Wortes geplagte Leser mag kopfschüttelnd fragen, was nun gar an einem Ameisenbau ,magisch' sein soll." Zwar wird die Frage im folgenden plausibel beantwortet, insgesamt scheint allerdings die Ausdehnung des Magischen als eine Hypothek, insbesondere weil dabei mit Suggestionen - "Die Diagnose, ,daß wir am Beginn eines neuen magischen Zeitalters stehen', gehört inzwischen zum Gemeingut" - verfahren wird. Als ein Höhepunkt solcher Bemühungen erscheint es, wenn Prousts "Recherche" mit ihrer Bezeichnung des Schlafs als einem hypnotischen Phänomen dem Korpus der "magischen Bücher" angenähert werden soll.

Ein anderes Mittel der Aufwertung besteht in der Kombination kontextferner Zitate, die von weniger übel beleumundeten Autoren, die gleichwohl auch einmal von "okkulter Praxis" sprechen, bezogen werden. Offenbar bringt der Gegenstand es mit sich, daß ein defensiver oder auch werbender Ton in die Darstellung eindringt. Wer einmal die Traktate von Carl du Prel oder Albert Freiherr von Schrenck-Notzing gelesen hat, wird Stockhammers Motiv verstehen. Das am Ende mitgeteilte "Teilergebnis einer Suche nach ,Magic Software' im Internet (31.05.1999)" scheint auch nurmehr recht lose mit dem Ganzen verbunden zu sein.

UWE JAPP

Robert Stockhammer: "Zaubertexte". Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880-1945. Akademie Verlag, Berlin 2000. 304 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So ganz mag Uwe Japp dem Projekt des Autors nicht folgen: Stockhammer, so referiert er, möchte vom Begriff der "phantastischen" Literatur wegkommen und lieber den der "magischen" Literatur einführen. Dass Japp nicht klar macht, worin dieser Unterschied nun eigentlich bestehen soll, scheint sich auch aus terminologischen Unklarheiten des Buchs selbst zu begründen. Japp beklagt mehrfach, dass Stockhammer sehr viele verschiedene Textsorten benutzt: von okkultistischen Theorien, über einschlägige Passagen bei Freud oder Max Weber, bis hin zu Dichtern, die angeblich eine "magische" Hervorbringung ihrer Texte betrieben, wie etwa Mallarmé, oder gar Proust mit seiner "Recherche". Japp betont dabei, dass es sich bei Stockhammers Buch trotz seiner Selbsteinschätzung kaum um eine literaturwissenschaftliche, sondern eher um eine kulturtheoretische Studie handelt. Trotz aller Unklarheit, die auch Japp in seiner Kritik nicht meistert, legt der Rezensent aber Wert auf die Feststellung, dass es "zur Zeit kaum einen einschlägigeren Fachmann als Stockhammer" auf dem Gebiet der Okkultismusgeschichte gebe.

© Perlentaucher Medien GmbH