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In der winzigen Pariser Mansarde klingelt wie jeden Morgen der Wecker. Heute gälte es, das Examen anzutreten - doch der junge Mann steht nicht auf. Er beschließt, an diesem Leben, das ihm nichts mehr zu geben hat, keinen Anteil mehr zu nehmen. Während über den Dächern von Paris die Sommerhitze brütet, überlässt er sich einem gefährlichen Selbstexperiment.
Georges Perecs drittes Buch ist die Geschichte einer radikalen Verweigerung. Noch vor der Oulipo-Zeit entstanden, ist dieser ganz in der Du-Perspektive geschriebene Roman eine Meditation über den Stillstand, eine Etüde über die Leere. Die
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Produktbeschreibung
In der winzigen Pariser Mansarde klingelt wie jeden Morgen der Wecker. Heute gälte es, das Examen anzutreten - doch der junge Mann steht nicht auf. Er beschließt, an diesem Leben, das ihm nichts mehr zu geben hat, keinen Anteil mehr zu nehmen. Während über den Dächern von Paris die Sommerhitze brütet, überlässt er sich einem gefährlichen Selbstexperiment.

Georges Perecs drittes Buch ist die Geschichte einer radikalen Verweigerung. Noch vor der Oulipo-Zeit entstanden, ist dieser ganz in der Du-Perspektive geschriebene Roman eine Meditation über den Stillstand, eine Etüde über die Leere. Die brüchige Schönheit, die Perec der Selbstisolation verleiht, und die außergewöhnliche literarische Qualität machen »Ein Mann der schläft« (1967) zu einem modernen Urtext der Melancholie, der eine ganze Schriftstellergeneration inspirierte. Perec adaptierte »Ein Mann der schläft« 1974 zusammen mit Bernard Queysanne für das Kino und erhielt dafür den Jean-Vigo-Preis.
Autorenporträt
Perec, GeorgesGeorges Perec war einer der wichtigsten Vertreter der französischen Nachkriegsliteratur und Filmemacher. Als Sohn polnischer Juden musste Perec als Kind die deutsche Besetzung Frankreichs miterleben. Sein Vater fiel 1940 als Freiwilliger in der französischen Armee, seine Mutter wurde 1943 nach Auschwitz verschleppt. Kurz vor ihrer Verhaftung konnte sie ihren Sohn mit einem Zug des Roten Kreuzes aufs Land schicken und ihm so das Leben retten. 1967 trat Perec der literarischen Bewegung Oulipo bei, die Raymond Queneau ins Leben gerufen hatte. Das Kürzel Oulipo steht für »L' Ouvroir de Littérature Potentielle«, d.h. »Werkstatt für Potentielle Literatur«. Die Schriftsteller von Oulipo, die aus dem »Collège de Pataphysique«, surrealistischen Gruppierungen oder dem Kollektiv »Nicolas Bourbaki« stammten, erlegten ihren Werken bestimmte literarische oder mathematische Zwänge auf, etwa den Verzicht auf bestimmte Buchstaben. Perecs Werk »Anton Voyls Fortgang« kommt so ganz und

gar ohne den Buchstaben E aus. In den 70er Jahren begann Perec ebenfalls mit Erfolg Filme zu drehen. Kurz vor seinem 46. Geburtstag starb Georges Perec an Lungenkrebs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2012

Reisen eines Weltflüchtigen
Zwei Werke von Georges Perec sind neu zu entdecken

Der Schlaf, so scheint es dem Träumer Perec, ist eine glückliche Nekrose, ein langsamer Tod, dem es mit dem Gleichmut eines Rindviehs und der Verschlossenheit einer Auster entgegenzuschlummern gilt. "Frei wie eine Kuh, wie eine Auster, wie eine Ratte!", lässt er seinen studentischen Helden das Selbstexperiment bejubeln. Es muss sich um eine höhere Erkenntnisform handeln, nach und nach jede Sozialität aufzugeben, ja selbst die Stadt Paris auf einer rein organischen Ebene zu erleben - einen Benjaminschen Flaneur als irrlichterndes Zitat der Gattung nicht auf die Boulevards zu schicken, um die Beobachtung zu schärfen, sondern ganz im Gegenteil, um sie zu zerstreuen.

"Sobald du die Augen schließt, beginnt das Abenteuer des Schlafs." Zunächst im Halbdunkel eines Dienstmädchenzimmers an der heute sündhaft teuren Pariser Rue Saint Honoré, später beim Schlafwandeln mit offenen Augen, die wie schwarze Löcher verschlingen, ohne zu verdauen, was in ihren Bannkreis gerät. Man würde Georges Perecs Lotterstudenten heute die Gefahren seiner Weltverweigerung vor Augen führen. Perec erspart seinen Lesern diesen realistischen Twist. Sein Traumwandler, der nichts sein Eigen nennt als eine Schale Nescafé, eine rosa Plastikschüssel, in der die schmutzigen Sockenpaare in der eigenen Brühe schwimmen, und sein schmales Bett: Er ist kein Kranker, sondern ein Künstler, der sich die Welt durch "Abwandern" erschließt.

"Ein Mann der schläft" ist ein früher Roman des bereits 1982 verstorbenen Perec. Er erschien 1967, in dem Jahr, in dem Perec der Literatengruppe Oulipo beitrat. Das "ouvroir de la littérature potentielle" - die "Werkstatt für potentielle Literatur" - war einige Jahre zuvor von dem abtrünnigen Surrealisten Raymond Queneau und dem Mathematiker François le Lionnais gegründet worden. Es folgte weder einer Ideologie noch einer Ästhetik. Stattdessen stellte es unermüdlich Regeln auf, denen sich die Autoren zu unterwerfen verpflichteten: Die Methode S+n legte fest, dass in einem gegebenen Text jedes Substantiv durch das in einem beliebigen Wörterbuch an n-ter Stelle folgende ersetzt werden müsse. Man verbot die Benutzung einzelner Buchstaben; Raymond Queneau entwarf mit den "Hunderttausend Milliarden Gedichten" einen Algorithmus, mit dem eine Sonettreihe so lange variiert werden konnte, dass man zu ihrer Lektüre 190 Millionen Jahre benötigt hätte. Perecs lange vergriffener Roman über die Erkenntnisreise eines Weltflüchtigen war rückblickend eine Fingerübung für das, was er in späteren Romanen wie "Anton Voyls Fortgang" (ein Roman, in dem der Buchstabe "e" nicht vorkommt) oder "Das Leben Gebrauchsanweisung" (das biographische Puzzle über die Bewohner eines Mietshauses) perfektionieren sollte: Das Schreiben mit einer formellen Zwangsjacke diente dem Zweck, schärfer zu formulieren, worauf es der Erkenntnis ankam.

"Ein Mann der schläft" ist eine experimentelle Figur in der Tradition Xavier de Maistres. Während der Revolutionswirren schrieb der zum Hausarrest verdonnerte französische Adlige eine "Reise um mein Zimmer" und kam dabei erstaunlich weit herum. Ein Jahr vor der Studentenrevolte von Achtundsechzig bietet die Phantasie Perecs dem lethargischen Studenten keine dauerhaften Zufluchtsorte mehr. "Die Welt hat sich nicht gerührt, und du hast dich nicht geändert. Die Gleichgültigkeit hat dich nicht anders gemacht", heißt es und weiter: "Du bist nicht tot. Du bist nicht verrückt geworden." Wer in der Form gesundgeschrieben wird, kann nur als Handelnder in die Welt zurückkehren - oder als Schriftsteller.

1975 erschien Perecs autofiktionale Erzählung "W oder die Kindheitserinnerung". Der Sohn polnischer Juden hatte im Alter von vier Jahren seinen Vater im Krieg verloren und wurde mit sechs von seiner Mutter getrennt, die man erst nach Drancy verschleppte und wahrscheinlich in Auschwitz ermordete. Er selbst überlebte in französischen Internaten als katholischer Bretone und wurde später von der Familie seiner Tante adoptiert. Die brüchigen Zeugnisse der eigenen Herkunft, Erinnerungssplitter, Verdrängtes, Phantasmagorien: Georges Perec rekonstruiert die Vergangenheit, um den Zustand seiner "Geschichtslosigkeit" zu beenden, und stößt dabei auf eine Gesellschaft, die er sich im Alter von dreizehn Jahren ausgedacht hat.

Es ist die Geschichte von W, einem Ort auf Feuerland, dessen soziales und politisches Leben vollständig dem Sport unterworfen ist, "eine Nation von Athleten, in der Sport und Leben zu einer einzigen großartigen Anstrengung verschmelzen". Mit ethnographischer Präzision schildert Perec im Wechsel mit vermeintlich realen Kindheitserinnerungen das Leben auf W. Bald zeigt sich, dass es sich um ein Straflager handelt. Wer dem Ethos des Sieges nicht gewachsen ist, muss ein Leben im Konzentrationslager fristen und sich von Dreck ernähren: "Das Gesetz ist unerbittlich, doch das Gesetz ist nicht vorhersehbar. Jeder muss es kennen, aber niemand kann es kennen." Es ist nicht verwunderlich, dass Perec diese Parabel auf die nationalsozialistische Zeit später konsequent verdrängt hat. Doch bei dem Versuch, über seine Eltern zu schreiben, kehrt der Gedanke an W zurück. "Wieder einmal wurden die Fallen des Schreibens aufgestellt", schreibt er. "Wieder einmal war ich wie ein Kind, das Versteck spielt und nicht weiß, was es am meisten fürchtet oder wünscht: versteckt bleiben, entdeckt werden."

Man wird Georges Perec nicht ganz aus seinem Versteck herauslocken können, aber man kann ihn als Autor neu entdecken. Die "Kindheitserinnerungen" sind das verklausulierte Dokument einer jüdischen Biographie im zwanzigsten Jahrhundert und berühren den Leser gerade aufgrund ihrer strukturellen Prekarität. "Ich weiß, dass das, was ich sage, leer ist, farblos ist, ein für alle Mal das Zeichen einer Vernichtung, die ein für alle Mal ist", schreibt Perec. Und dennoch ist es alternativlos, denn "das Schreiben ist die Erinnerung an ihren Tod und die Bejahung meines Lebens."

KATHARINA TEUTSCH

Georges Perec: "W oder die Kindheitserinnerung".

Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes Verlag, Zürich 2012. 174 S., br., 12,- [Euro].

Georges Perec: "Ein Mann der schläft". Roman.

Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes Verlag, Zürich 2012. 110 S., br., 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Held darf Traumwandler sein, freut sich Katharina Teutsch. Realismus ist Georges Perec eher fremd. In dem 1967 erschienenen Roman, der laut Teutsch lange vergriffen war, schickt der Autor einen Weltflüchtigen auf Erkenntnistour. Teutsch bezeichnet das Buch als Fingerübung für Späteres. Eine Frühform des Schreibens unter formalen Vorgaben, wie es die von Perec geschätzte Gruppe um Raymond Queneau propagierte. Für Teutsch bietet sich dem Autor so die Möglichkeit, schärfer zu formulieren. Den schlafwandelnden Helden des Buches sieht Teutsch als experimentelle Figur eines Autors, der an den Möglichkeiten seiner Fantasie zweifelt.

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»Das schönste Buch, das ich in den letzten Jahren gelesen habe, und das tröstlichste.« Peter Stamm
" ... das ewig alte Dilemma des Menschen, der ständig nach dem Sinn seines Lebens fragt und nie eine befriedigende Antwort erhält. Wie sollte er auch? Und von wem?" 'Hamburger Abendblatt' "Aus der Mansarde des Wahnsinns." Peter Henning in 'Die Welt'