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Bernard Stiegler zählt zu den zentralen philosophischen Akteuren und Diagnostikern der Gegenwart. Der vorliegende Band versammelt die mittlerweile fast schon legendären Gespräche, die Elie During auf France Culture mit ihm führte. Stiegler gibt darin Einblick in seine erstaunliche Durcharbeitung und Reformulierung der Technikfrage, die seit den 1990er Jahren mit einer unerhörten Intensität und bis heute ungebrochen in Gang ist. Das Denken einer ursprünglichen Prothetizität und einer originären Exteriorität oder Entäußerung des Menschen wird ebenso zum Thema wie die Frage nach der primären…mehr

Produktbeschreibung
Bernard Stiegler zählt zu den zentralen philosophischen Akteuren und Diagnostikern der Gegenwart. Der vorliegende Band versammelt die mittlerweile fast schon legendären Gespräche, die Elie During auf France Culture mit ihm führte. Stiegler gibt darin Einblick in seine erstaunliche Durcharbeitung und Reformulierung der Technikfrage, die seit den 1990er Jahren mit einer unerhörten Intensität und bis heute ungebrochen in Gang ist. Das Denken einer ursprünglichen Prothetizität und einer originären Exteriorität oder Entäußerung des Menschen wird ebenso zum Thema wie die Frage nach der primären Technizität des Gedächtnisses und der technischen Kondition von Erinnerung, die Untersuchung der neuen industriellen Zeitobjekte und die sich daran anschließende Theorie der Hyperindustrialisierung, die Stieglers gesamte Analytik der Gegenwart bis hin zu seiner neuen Kritik der Programmindustrien und Technowissenschaften trägt.

Nach Abschluss seines dreibändigen Grundlagenwerks »Technik und Zeit« markieren Stieglers Gespräche mit During einen Moment des Innehaltens. Hier lässt sich die Gewordenheit dieses Denkens resümieren, hier erscheinen auch bereits die Projekte, die seither in Angriff genommen wurden und die Stiegler zu einem vielbeachteten philosophischen Zeitdiagnostiker machen. Der Band ist somit auch als Einführung in das Denken Stieglers anzusehen.
Autorenporträt
Stiegler, BernardBernard Stiegler (1952-2020) war Philosoph und Medientheoretiker. Nach seiner Promotion an der EHESS war er Programmdirektor am »Collège International de Philosophie« und leitete das IRCAM in Paris. Ab 2006 war er Direktor der Abteilung »Kulturelle Entwicklung« am Centre Georges-Pompidou. Zwischen 1978 und 1983 saß er wegen bewaffneten Raubüberfalls in Haft, eine Erfahrung, die er in dem Buch »Passer à l'acte« (2003) als wesentlich für seine Hinwendung zur Philosophie beschreibt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2010

Eine Überdosis
Schwarzwald
Bernard Stiegler ringt mit der
Technikvergessenheit
Wenn wir etwas von iPhones, Facebook und Lifestyle-Drogen gelernt haben, dann ist das vor allem eines: Technik ist sexy und sie beißt nicht. Doch das war nicht immer so. 1994 etwa, als Bernard Stiegler den ersten Band seines Opus „Technik und Zeit“ veröffentlichte, war das World Wide Web eine eher esoterische Einrichtung, waren Mobiltelefone ebenso klobig wie selten. Es ist trotzdem ein Fortschritt, dass das Buch des französischen Philosophen und Ex-Häftlings nun endlich auf Deutsch erschienen ist. Denn Stiegler entwirft darin eine Ursprungserzählung der Technik, die gerade unsere Gegenwart der „permanenten Innovation“ erklären möchte. Am Anfang, so Stiegler, steht nicht der Mensch, sondern die Technik. Wenn etwas erfunden werde, sei dies nicht auf den „Genius einer besonderen Kultur“ oder auf einen Einzelnen zurückzuführen, sondern der Eigendynamik der Technik geschuldet.
„Das technische Ökosystem“ organisiere sich selbst als „organisiertes Unorganisches“ und strebe nach permanenter Innovation. Die Eigendynamik habe sich kontinuierlich gesteigert. Heute bringe jeder Tag „technische Neuigkeit und einen Haufen von Überholtheiten, der sie begleitet: Menschen, Regionen, Berufe, Kenntnisse aller Art, die sich anpassen oder verschwinden müssen.“
Den Anfang dieser mitunter fatalen Dynamik verortet Stiegler in der Begegnung des Kortex mit dem Silex (Feuerstein). Die Evolution des Gehirns sei nicht der erste Schritt auf dem Weg der Entwicklung des Homo Sapiens, sondern die Handhabung der Technik. Der Gebrauch von Werkzeugen sei der „Öffnung des Kortikalfächers“ vorausgegangen. Gegenüber der „Exteriorisierung“ des menschlichen Gedächtnisses im materiellen Zusammenhang der Technik spiele das Gehirn „nur eine sekundäre und in keinem Fall eine überragende Rolle“.
Der philosophischen Tradition des Abendlandes wirft Stiegler eine „Verdrängung“ des Themas der Technik vor. Gemeinhin werde der Mensch als das Subjekt der Geschichte aufgefasst. Der Technik werde dagegen zumeist eine untergeordnete Bedeutung zugestanden. Laut Stiegler handelt es sich bei der „Verdrängung“ der Frage nach der Technik sogar um einen Grundzug der abendländischen Philosophie.
Als Anknüpfungspunkt an die philosophische Tradition dient Stiegler die Figur des Epimetheus. Epimetheus, so die griechische Sage, habe jedem Tier eine spezifische Fähigkeit gegeben: dem Vogel die Flügel, dem Bären die Klauen, dem Pferd seine vier Beine. Einzig den Menschen habe Epimetheus dabei vergessen. Ohne Fell und ohne Klauen stehe er nun da. Erst der „Fehler des Epimetheus“ ruft Prometheus auf den Plan. Um die mangelnde Ausstattung des Menschen zu korrigieren, gibt Prometheus dem Menschen die Technik. Gerade im Künstlichen der Technik sei also das spezifisch Menschliche zu suchen, liest Stiegler den Mythos. Das spezifisch Menschliche müsse nicht als eine Fähigkeit des Menschen, sondern als das Wesen der Technik begriffen werden. Der Mensch sei ein „essentiell technisches Lebewesen“.
Das Problem dieser hübschen Erzählung besteht darin, nicht ganz so „ungedacht“ zu sein, wie Stiegler dies vorgibt. Schon Lukrez, Pico della Mirandola und sogar Thomas von Aquin führten Abwandlungen des Mythos von Epimetheus an. Die Idee, dass die Stärke des Menschen gerade in seiner Unbestimmtheit zu finden sei, ist also nicht neu. Neu ist auch nicht die Vorstellung, dass die Technik die Funktion einer Kompensation dieser Unbestimmtheit übernimmt.
Das Unterschlagen der langen Rezeptionsgeschichte des epimetheischen Mythos ist leider mehr als eine philologische Unvollständigkeit. Obwohl Stieglers „Technik und Zeit“ wesentlich gegen Heideggers Technikphilosophie gerichtet ist, spricht Heideggers Frühphilosophie unübersehbar aus Stieglers Leitthema der „Vergessenheit“ eines ursprünglichen Mythos. Und wie Heideggers vermeintliche Behebung der „Seinsvergessenheit“ in „Sein und Zeit“ scheitert auch Stieglers Behebung der Technikvergessenheit an ihren Voraussetzungen: In der von Stiegler geforderten Eindeutigkeit sind diese einfach nicht gegeben. Getrübt wird die Freude an dem anregenden Buch auch durch mangelnde Emanzipation von Heideggers Sprache. Deren schwurbelige Begrifflichkeiten wie „Ge-stell“ und „Ek-sistenz“ verhindern ein grundlegendes Nachdenken über Heidegger in dem Maße, wie der Autor selbst zu heideggern beginnt.
Wer Stieglers relevante Thesen ohne eine Überdosis Schwarzwald genießen möchte, dem sei der Gesprächsband „Denken bis an die Grenze der Maschine“ empfohlen. In den dort dokumentierten Fernsehinterviews wirkt der in Frankreich allgegenwärtige Autor eigenständiger und prägnanter als im ersten Band von „Technik und Zeit“. JOHANNES THUMFART
BERNARD STIEGLER: Technik und Zeit. Der Fehler des Epimetheus. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Diaphanes, Berlin 2009, 360 Seiten, 29,90 Euro.
BERNARD STIEGLER: Denken bis an die Grenzen der Maschine. Aus dem Französischen von Ksymena Wojtyczka. Hrsg. und mit einem Vorwort von Erich Hörl. Diaphanes Verlag, Berlin 2009. 153 Seiten, 19,90 Euro.
Um die mangelnde Ausstattung
der Menschen zu korrigieren, gibt
Prometheus ihnen die Technik
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