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Lange Zeit hat die Philosophie die Frage nach der Technik zu stellen versäumt, als sei sie es nicht wert, gedacht zu werden. Die Technik als Horizont jeder künftigen Möglichkeit und jeder Möglichkeit des zukünftigen Werdens ist Gegenstand von Stieglers auf drei Bände angelegtem Magnum opus, dessen erster Band nun vorliegt.
Zentral für Stieglers Überlegungen ist die vergessene Figur des Epimetheus, des Zwillingsbruders von Prometheus: Prometheus hat den Göttern das Feuer gestohlen und sie beim Opfer betrogen. Dieses war notwendig, weil zuvor Epimetheus den Fehler begangen hatte, die Menschen
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Produktbeschreibung
Lange Zeit hat die Philosophie die Frage nach der Technik zu stellen versäumt, als sei sie es nicht wert, gedacht zu werden. Die Technik als Horizont jeder künftigen Möglichkeit und jeder Möglichkeit des zukünftigen Werdens ist Gegenstand von Stieglers auf drei Bände angelegtem Magnum opus, dessen erster Band nun vorliegt.

Zentral für Stieglers Überlegungen ist die vergessene Figur des Epimetheus, des Zwillingsbruders von Prometheus: Prometheus hat den Göttern das Feuer gestohlen und sie beim Opfer betrogen. Dieses war notwendig, weil zuvor Epimetheus den Fehler begangen hatte, die Menschen nicht mit den Gaben auszustatten, die sie zum Überleben brauchen. Der Mensch lebt seitdem im Zwiespalt von epimetheia, dem im Nachhinein nachdenken, und prometheia, der Vorausschau. Mit Rousseau entwickelt Stiegler die These eines »zweiten Ursprungs« der menschlichen Gattung, der im technischen Denken wurzelt. Damit stellt sich bereits für die früheste Menschheitsgeschichte die Frage der Zeitlichkeit und der Antizipation. Technik und Technologie werden immer mehr zu den beherrschenden dynamischen Faktoren der menschlichen Entwicklung, wobei im gleichen Maße die Unvorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen wächst. Entlang der Thesen von Leroi- Gourhan und Simondon, mit Heidegger, Derrida und Rousseau entwirft Bernard Stiegler eine neue Sichtweise des Verhältnisses von Mensch und Technik.

»Die Fortsetzung der Evolution des Lebenden kann durch andere Mittel als das Leben gedacht werden.«
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2009

Worauf Prometheus nie gekommen wäre

Was zeigte deutlicher als die Technik, dass menschliche Hervorbringungen ihre eigene Dynamik entwickeln? Bernard Stiegler sucht ihr mit einer Philosophie der Maschinen auf die Spur zu kommen.

Sein philosophischer Rang ist in Deutschland noch nicht ganz abschätzbar. Nachdem dieser Denker in den letzten Jahren hierzulande als Medienkritiker, Analytiker der technischen Vernunft und als ehemaliger Gefängnishäftling publizistisch eher disparat in Erscheinung trat, liegt hier erstmals ein systematisches Werk vor: der erste Band von Stieglers dreiteiliger Skizze zu einer Philosophie der Technik. Im Original ist dieser Band 1994 erschienen, als der Autor zweiundvierzig Jahre alt war und noch wenig veröffentlicht hatte. Entsprechend liest sich das Buch heute, als Anlauf zu einem Werk, das sich langwierig anbahnte, seither aber umso üppiger, vielfältiger, manchmal auch wirrer sprudelt.

Es gehört zur Eigenheit der jüngeren Geistesgeschichte, dass die vorab von Heidegger angestoßene philosophische Auseinandersetzung mit der Technik vor allem in Frankreich aufgegriffen wurde. In dieser Linie steht Bernard Stiegler, der heute Programmdirektor am Pariser Centre Pompidou ist und von dem bei Diaphanes gerade auch der Gesprächsband "Denken bis an die Grenze der Maschine" mit dem Wissenschaftsphilosophen Elie During erschienen ist.

Heideggerisch klingt im vorliegenden Buch schon der Einstieg, wonach die Philosophie durch die Entgegensetzung von "episteme" und "tekhne" - Letztere wurde gern den Sophisten überlassen - seit der Antike sich selbst um die Möglichkeit einer tieferen Einsicht ins Wesen der Technik gebracht habe. Auf Grund dieser Technik-Vergessenheit, die über den Schatten einer bloß instrumentalen Vernunft nie wirklich hinauskam, habe die moderne Technik sich unbemerkt verselbständigen und nach dem Dienst am Menschen diesen selbst in Dienst nehmen können, wie nach Heidegger auf ganz andere Weise auch Habermas feststellte. Gegen deren Sicht sucht Stiegler eine andere Position zu entwickeln, die den technischen Fortschritt nicht mehr zwischen Anfang und Ende spannt, sondern diesen Horizont durchstößt.

Die wachsende Kluft zwischen unserer technologisch bestimmten Alltagsrealität und unserem Kulturbewusstsein wird oft damit erklärt, dass dieses die industriellen Objekte nur noch zögernd integriert. Zwei unterschiedliche Systeme reiben sich aneinander. Stiegler verspricht sich Entspannung, indem den Objekten der Technik über ihren bloßen Werkzeugcharakter hinaus eine eigene Entwicklungsdynamik zugestanden wird, die sich nicht in den jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnissen erschöpft.

Technologie sei zu betreiben, wie man Soziologie oder Psychologie betreibe: mit dem Blick auf die technischen Objekte und deren Eigendynamik, die weder Produkt der menschlichen Seele noch der menschlichen Gesellschaft seien. "Diese Dynamik der Objekte als industrielle Technologie ist eine Wissenschaft der Maschinen", schreibt der Autor: Maschinen zwar als menschliche, in konkreten Funktionsstrukturen verdinglichte Gesten, jedoch mit einer eigenen "genetischen Logik", die man vielleicht dem Adornoschen Begriff einer Tendenz des Materials annähern könnte. Der Autor nennt jene Wissenschaft von den Maschinen, die über das Detailwissen des Arbeiters wie über das Systemwissen des Ingenieurs hinausgeht, die "Mechanologie".

Fragt sich jedoch, wie eine so vom zweckgerichteten Willen des Menschen abgekoppelte Realität der Maschinen mit der Menschengeschichte zusammenhängt. Stiegler greift zur Beantwortung dieser Frage besonders auf die Arbeiten des Anthropologen Leroi-Gourhan und dessen "Technomorphologie" zurück. Nicht alle herangezogenen Autoren - neben Heidegger vor allem Rousseau, Freud, Husserl, Derrida, Gilbert Simondon - sind für den Argumentationsverlauf ergiebig, manchmal führen sie auch in die Irre. Der nach dem Muster von Leroi-Gourhans Paläoanthropologie unternommene Entwurf einer Paläotechnologie "als Wissenschaft vom Ursprung und von der Evolution technischer Objekte" ist vor allem dort interessant, wo er in die Sackgasse gerät. Nicht ganz überzeugend sucht Stiegler ihr durch die These eines "zweiten Ursprungs" der Menschheit im Sinne Rousseaus zu entkommen: eines Ursprungs aus der technischen Vernunft, die mit dem primitivsten Handwerkszeug schon im Horizont der Vorausschau steht.

"Prometheia" nannten die Griechen jene vorausblickende Welteinstellung, nach dem Namen des göttlichen Feuerräubers Prometheus. Wie kommt es aber, so wundert sich Stiegler, dass dessen Zwillingsbruder Epimetheus vergessen wurde, jener immer zu spät schaltende Idiot, der bei der Gabenverteilung an die Sterblichen bei all den Tieren den Menschen übersah und Prometheus erst zu seinem Raub veranlasste?

Nur im Zwiespalt von "prometheia" und "epimetheia", dem zupackenden Vorweg und dem leichtsinnigen oder nachdenklichen Hinterher, sei die Technik verstehbar: eine Welteinstellung, die immer schon beim Nächsten ist und im Nachhinein sich wundert, wie sie dazu kam. Das klingt nicht sehr zuversichtlich für eine Sache, die als Bio- und Nanotechnologie schon unseren Alltag bestimmt und laut Stiegler für uns "den Horizont jeder künftigen Möglichkeit und jeder Möglichkeit der Zukunft" ausmacht.

Hätte er seine Analyse im Aufbau etwas straffer angelegt, könnten wir sein Buch mit geordnetem Geist und vielleicht etwas gelöster aus der Hand legen. Am überzeugendsten ist es aber im Durcheinander der Einzelanalysen. Lob verdient die in Wortpräzision und Sinnzusammenhang vorbildliche Arbeit der Übersetzer.

JOSEPH HANIMANN

Bernard Stiegler: "Technik und Zeit". Der Fehler des Epimetheus. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Diaphanes Verlag, Berlin, Zürich 2009. 358 S., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2010

Eine Überdosis
Schwarzwald
Bernard Stiegler ringt mit der
Technikvergessenheit
Wenn wir etwas von iPhones, Facebook und Lifestyle-Drogen gelernt haben, dann ist das vor allem eines: Technik ist sexy und sie beißt nicht. Doch das war nicht immer so. 1994 etwa, als Bernard Stiegler den ersten Band seines Opus „Technik und Zeit“ veröffentlichte, war das World Wide Web eine eher esoterische Einrichtung, waren Mobiltelefone ebenso klobig wie selten. Es ist trotzdem ein Fortschritt, dass das Buch des französischen Philosophen und Ex-Häftlings nun endlich auf Deutsch erschienen ist. Denn Stiegler entwirft darin eine Ursprungserzählung der Technik, die gerade unsere Gegenwart der „permanenten Innovation“ erklären möchte. Am Anfang, so Stiegler, steht nicht der Mensch, sondern die Technik. Wenn etwas erfunden werde, sei dies nicht auf den „Genius einer besonderen Kultur“ oder auf einen Einzelnen zurückzuführen, sondern der Eigendynamik der Technik geschuldet.
„Das technische Ökosystem“ organisiere sich selbst als „organisiertes Unorganisches“ und strebe nach permanenter Innovation. Die Eigendynamik habe sich kontinuierlich gesteigert. Heute bringe jeder Tag „technische Neuigkeit und einen Haufen von Überholtheiten, der sie begleitet: Menschen, Regionen, Berufe, Kenntnisse aller Art, die sich anpassen oder verschwinden müssen.“
Den Anfang dieser mitunter fatalen Dynamik verortet Stiegler in der Begegnung des Kortex mit dem Silex (Feuerstein). Die Evolution des Gehirns sei nicht der erste Schritt auf dem Weg der Entwicklung des Homo Sapiens, sondern die Handhabung der Technik. Der Gebrauch von Werkzeugen sei der „Öffnung des Kortikalfächers“ vorausgegangen. Gegenüber der „Exteriorisierung“ des menschlichen Gedächtnisses im materiellen Zusammenhang der Technik spiele das Gehirn „nur eine sekundäre und in keinem Fall eine überragende Rolle“.
Der philosophischen Tradition des Abendlandes wirft Stiegler eine „Verdrängung“ des Themas der Technik vor. Gemeinhin werde der Mensch als das Subjekt der Geschichte aufgefasst. Der Technik werde dagegen zumeist eine untergeordnete Bedeutung zugestanden. Laut Stiegler handelt es sich bei der „Verdrängung“ der Frage nach der Technik sogar um einen Grundzug der abendländischen Philosophie.
Als Anknüpfungspunkt an die philosophische Tradition dient Stiegler die Figur des Epimetheus. Epimetheus, so die griechische Sage, habe jedem Tier eine spezifische Fähigkeit gegeben: dem Vogel die Flügel, dem Bären die Klauen, dem Pferd seine vier Beine. Einzig den Menschen habe Epimetheus dabei vergessen. Ohne Fell und ohne Klauen stehe er nun da. Erst der „Fehler des Epimetheus“ ruft Prometheus auf den Plan. Um die mangelnde Ausstattung des Menschen zu korrigieren, gibt Prometheus dem Menschen die Technik. Gerade im Künstlichen der Technik sei also das spezifisch Menschliche zu suchen, liest Stiegler den Mythos. Das spezifisch Menschliche müsse nicht als eine Fähigkeit des Menschen, sondern als das Wesen der Technik begriffen werden. Der Mensch sei ein „essentiell technisches Lebewesen“.
Das Problem dieser hübschen Erzählung besteht darin, nicht ganz so „ungedacht“ zu sein, wie Stiegler dies vorgibt. Schon Lukrez, Pico della Mirandola und sogar Thomas von Aquin führten Abwandlungen des Mythos von Epimetheus an. Die Idee, dass die Stärke des Menschen gerade in seiner Unbestimmtheit zu finden sei, ist also nicht neu. Neu ist auch nicht die Vorstellung, dass die Technik die Funktion einer Kompensation dieser Unbestimmtheit übernimmt.
Das Unterschlagen der langen Rezeptionsgeschichte des epimetheischen Mythos ist leider mehr als eine philologische Unvollständigkeit. Obwohl Stieglers „Technik und Zeit“ wesentlich gegen Heideggers Technikphilosophie gerichtet ist, spricht Heideggers Frühphilosophie unübersehbar aus Stieglers Leitthema der „Vergessenheit“ eines ursprünglichen Mythos. Und wie Heideggers vermeintliche Behebung der „Seinsvergessenheit“ in „Sein und Zeit“ scheitert auch Stieglers Behebung der Technikvergessenheit an ihren Voraussetzungen: In der von Stiegler geforderten Eindeutigkeit sind diese einfach nicht gegeben. Getrübt wird die Freude an dem anregenden Buch auch durch mangelnde Emanzipation von Heideggers Sprache. Deren schwurbelige Begrifflichkeiten wie „Ge-stell“ und „Ek-sistenz“ verhindern ein grundlegendes Nachdenken über Heidegger in dem Maße, wie der Autor selbst zu heideggern beginnt.
Wer Stieglers relevante Thesen ohne eine Überdosis Schwarzwald genießen möchte, dem sei der Gesprächsband „Denken bis an die Grenze der Maschine“ empfohlen. In den dort dokumentierten Fernsehinterviews wirkt der in Frankreich allgegenwärtige Autor eigenständiger und prägnanter als im ersten Band von „Technik und Zeit“. JOHANNES THUMFART
BERNARD STIEGLER: Technik und Zeit. Der Fehler des Epimetheus. Aus dem Französischen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié. Diaphanes, Berlin 2009, 360 Seiten, 29,90 Euro.
BERNARD STIEGLER: Denken bis an die Grenzen der Maschine. Aus dem Französischen von Ksymena Wojtyczka. Hrsg. und mit einem Vorwort von Erich Hörl. Diaphanes Verlag, Berlin 2009. 153 Seiten, 19,90 Euro.
Um die mangelnde Ausstattung
der Menschen zu korrigieren, gibt
Prometheus ihnen die Technik
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rezensenten heideggert es entschieden zuviel in diesem im Original bereits 1994 erschienenen Band des Philosophen Bernard Stiegler. Heideggers gewöhnungsbedürftige Begrifflichkeit ist aber nicht das einzige, was Johannes Thumfart an diesem Buch missfällt. So anregend ihm Stieglers "Ursprungserzählung" der Technik als Abwandlung des Mythos von Epimetheus, in der Stiegler der Technik eine unwiderstehliche Eigendynamik zuspricht, zunächst auch erscheint, so enttäuschend stellt sie sich ihm dar, als er dahinter kommt, wie lang die Rezeptionsgeschichte des epimetheischen Mythos tatsächlich ist, an die der Autor stillschweigend anknüpft. Schon bei Lukrez und Thomas von Aquin entdeckt der Rezensent das von Stiegler verwendete Motiv der menschlichen Unbestimmtheit, in die die Technik gleichsam wie der Blitz fährt und sich den Menschen Untertan macht, nicht umgekehrt. Und wie Heidegger an der Behebung der Seinsvergessenheit scheitert, meint Thumfart, scheitert Stiegler an der Behebung der Technikvergessenheit.

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»Am überzeugendesten ist 'Technik und Zeit' im Durcheinander der Einzelanalysen.« Joseph Hanimann, FAZ