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Des "Nebelfürsten" eigene Geschichte... In Martin Mosebachs Roman wird die "Bäreninsel-Episode" aus dem Leben des deutschen Journalisten und Polarforschers Theodor Lerner (1866 - 1931) aufgegriffen und in dichterischer Freiheit verfremdet. Nun erscheinen die Memoiren des vom Leben oft Gebeutelten. Und siehe da, Lerners Original steht der "Kopie" des Romanciers in keiner Weise nach. Seine spannenden, erfrischend direkt und humorvoll geschilderten Erlebnisse sind unmittelbar aus dem Zeitgeschehen heraus geschrieben, oft von Nationalismus geprägt und gälten heute als "politisch unkorrekt". Für…mehr

Produktbeschreibung
Des "Nebelfürsten" eigene Geschichte... In Martin Mosebachs Roman wird die "Bäreninsel-Episode" aus dem Leben des deutschen Journalisten und Polarforschers Theodor Lerner (1866 - 1931) aufgegriffen und in dichterischer Freiheit verfremdet. Nun erscheinen die Memoiren des vom Leben oft Gebeutelten. Und siehe da, Lerners Original steht der "Kopie" des Romanciers in keiner Weise nach. Seine spannenden, erfrischend direkt und humorvoll geschilderten Erlebnisse sind unmittelbar aus dem Zeitgeschehen heraus geschrieben, oft von Nationalismus geprägt und gälten heute als "politisch unkorrekt". Für die Geschichte der Zeit und der Polarforschung sind sie von grosser Bedeutung, ebenso wie Lerners Fotografien von hohem dokumentarischen Wert sind. Was Lerner widerfährt, ist oft unglaublich (aber wahr!); die Gefahr, in der er häufig schwebt, bekümmert ihn kaum. Mehr beschäftigt ihn der stete Kampf um Geld, Ruhm und Ehre, den er immer wieder aufs neue zu führen hat.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2005

Stockfisch auf Eis
Ehrgeiz und Erzählfreude: Mit Theodor Lerner auf Polarfahrt
Das wichtigste bei einer arktischen Überwinterung ist wohl die Proviantfrage. Zum Frühstück gibt es bisweilen kaum mehr als Kaffee und ein Stück Brot, zwischendurch vielleicht eine Portion Haferflocken. Wie gut, wenn in einer solch tristen Situation wenigstens die Phantasie sich aufschwingt und ihre Kraft für die Zubereitung eines guten Abendessens bereitstellt. Für den „Pudding à la Kap Boheman” zum Beispiel: Man braucht gekochten Stockfisch, ein paar übrig gebliebene Kartoffeln, 3 Esslöffel Zucker, fein gehackte Mixed Pickles und viel Margarine. Das Ganze wird ordentlich zerstampft und mit geriebenem Hartbrot in der Pfanne braun gebraten. Der Erzähler verspricht „durchschlagenden Erfolg”.
Als Theodor Lerner 1896 zu seiner ersten eigenen Polarreise aufbrach, hatte er schon einige Streifzüge auf diversen Fischdampfern hinter sich. Nun war er als Journalist für eine Berliner Wochenzeitung unterwegs, um über den Polflug eines schwedischen Ballonfahrers zu berichten. Es ist gar nicht leicht, diesen rheinischen Weltenbummler auf den Begriff zu bringen. „Polarfahrer” heißt es auf seinem Grabstein in Frankfurt schlicht. Die Biographie liest sich ein wenig wie der typische Waschzetteltext eines Schriftstellers: Tellerwäscher, Student, Seefahrer, zuletzt sogar Brauerei-Vertreter in den USA. Vielleicht kann man Lerners Talent am ehesten als Melange aus wissenschaftlicher Neugier und journalistischem Ehrgeiz beschreiben. Jedenfalls hat er zu all seinen sieben Polarreisen Tagebuchnotizen und Artikel angefertigt. Kurz vor seinem Tod 1931 hat er diese Schriften in eine Sammlung gut lesbarer Texte verwandelt, die nun erstmals in Buchform vorliegt.
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war die Zeit der großen Entdeckungsreisen längst vorbei. Doch gerade die arktischen Regionen wiesen unkartierte Gebiete auf, an denen sich kolonialer Forscherdrang erproben konnte. Spitzbergen mit seinen Fjorden und Gletschern war immer wieder das Ziel von Theodor Lerners Expeditionen. Hier erkundete er Inselgruppen und nahm exakte Landvermessungen vor. Auch brachte er seltene Steine und präparierte Tiere mit. Eisbären gehörten ebenso zu seinen Sammlungen wie Plankton und Austern, die sich später in Standardwerken wie der „Fauna Arctica” wiederfinden sollten.
Eine große Forscherlust auf die fremde Welt der polaren Eislandschaft spricht aus Lerners Berichten. Für seine „Lebensaufgabe” nahm er immer wieder Entbehrungen in Kauf. 1907 wollte er das nordöstlich von Spitzbergen gelegene Gillisland erreichen. Sein Begleiter war kein Geringerer als der Norweger Hjalmar Johansen, der zwölf Jahre zuvor mit Fridtjof Nansen auf der „Fram” einen Vorstoß zum Nordpol versucht hatte. Lerner und Johansen beschlossen, in einem Bretterhäuschen bei Kap Boheman zu überwintern. Während sie ihre meteorologischen Untersuchungen „pflichtgetreu” fortführten, reparierten sie mit Bohlen und Dachpappe die baufällige Hütte. Es spricht für Lerners Phantasie, dass sich in seiner eisüberzogenen Koje nicht nur Ideen für ausgefallene Kochrezepte ihren Weg bahnten, sondern auch eine schier unerschöpfliche Erzählfreude.
Kochtopf und Tierliebe
Wissenschaftliche Themen und die Unwägbarkeiten der Expedition bricht er ein ums andere Mal an den einfachen „Magenfragen”. „Gut Essen, kräftig Essen, billig Essen!” - so bringt es Johansen auf den Punkt. Überhaupt leben Lerners Schilderungen von einem eigentümlichen Blick für sinnliche Details und Szenen. Wenn er erzählt, wie ein Wal seziert wird, meint man tatsächlich für einen Moment die Nase rümpfen zu müssen, so genau halten die Sätze den aufsteigenden Trangeruch fest. In seinen Bildern von kargen Polarfeldern zeichnet er immer wieder liebevolle Tierportraits, auch wenn viele der Robben und Eisvögel kurze Zeit später in den Kochtopf wandern.
Bei aller Neugier auf die arktische Welt kann Lerner gleichwohl einen gewissen Geltungsdrang nicht verleugnen. Darf man Johansens Tagebucheinträgen trauen, so muss das deutsche „Polar-Rauhbein” seine Ziele zuweilen rücksichtslos und egoistisch vorangetrieben haben. Auch zeigen Lerners Texte oft deutlich, welche politischen und wirtschaftlichen Interessen hinter dem scheinbar reinen Forschergeist stecken können. Sein „nationaler Ehrgeiz”, wie Lerner es einmal nennt, rechnete die Ergiebigkeit von Walfangstationen oder Kohlevorkommen sofort in Projekte um, „ebensolche dem deutschen Unternehmungsgeist zugänglich zu machen”.
Seinen entdeckerischen Auftrag verlor Theodor Lerner trotzdem nie aus den Augen. Von Beginn an rüstete er sich mit der Technik, die ihm seine Zeit zur Verfügung stellte, vor allem mit einer Kamera. Doch die Photos, die dem Buch beigefügt sind, wirken seltsam fremd. Sie zeigen Menschen, Tiere oder Schiffe - kalt und starr wie die Landschaft in ihrem Rücken. Welch ein Glück, dass man als Leser den Blick gleich wieder auf Lerners Beschreibungen richten kann. Dort werden all die Kleinigkeiten einer fernen Welt noch einmal für Momente lebendig. Die Robben und Eisbären ebenso wie die Kartoffeln, die in der Pfanne brutzeln.
NICO BLEUTGE
THEODOR LERNER: Polarfahrer. Im Banne der Arktis. Herausgegeben von Frank Berger. Oesch Verlag, Zürich 2005. 317 Seiten, 19,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2005

Den Nordpol mit dem Opernglas suchen
Nach 75 Jahren veröffentlicht: Die Erinnerungen des Polarforschers Theodor Lerner / Heute abend Lesung im Historischen Museum

An einem Abend unter Männern beim Apfelwein in Sachsenhausen wurde besiegelt, was hoch oben im Norden, am 80. Breitengrad nämlich, begonnen hatte. Die Verbindung zwischen Lydia Stoltze und Theodor Lerner erhielt den väterlichen Segen. Einer Heirat der beiden, die sich unter dem sommerlichen Polarhimmel gefunden hatten, stand nichts mehr im Weg, nachdem Adolf Stoltze in dem rheinländischen Nordlandfahrer beim, wie berichtet wird, achten Schoppen schließlich doch einen würdigen künftigen Schwiegersohn erkannte. Lydias Angehörige waren zunächst entsetzt gewesen, als ihre Tochter ihnen unterbreitete, "den und keinen anneren" ehelichen zu wollen. Schließlich trieb es den 1866 in Antweiler an der Ahr geborenen und im rheinischen Linz aufgewachsenen, als Rauhbein beschriebenen Tatmenschen immer wieder in die Eiseskälte. Die junge Frau aus dem Frankfurter Dichterhaushalt hatte sich als Kreuzfahrttouristin auf der "Thalia" in den aus dem Kajak gestiegenen Forscher Hals über Kopf verliebt. Obwohl der von seinen ökonomischen Ideen zur Erschließung des Nordlands überzeugte und vom wissenschaftlichen Ehrgeiz bei der Erkundung der frostigen Ferne durchdrungene Mann vom langen Aufenthalt in der Kälte gezeichnet war.

Lerner erzählt die Episode ihrer Begegnung in einem Buch, dessen Manuskript 1930 vollendet wurde, aber erst jetzt einen Verleger fand. Heute abend um 19 Uhr wird das Werk im Frankfurter Historischen Museum vorgestellt. Heide Bodensohn, die Enkelin des Polarforschers, liest daraus, und Frank Berger, Kustos am Historischen Museum und Herausgeber des Bands, skizziert die Biographie des Autors. "Polarfahrer. Im Banne der Arktis" ist im Züricher Oesch-Verlag erschienen und enthält 82 Fotografien Lerners, der 1897 erstmals als Journalist nach Spitzbergen gekommen war, um zwei Ballonflüge über den Nordpol zu dokumentieren. Sie scheiterten. Lerner aber begeisterte sich für die Region des ewigen Eises. Auch ein paar Gegenstände aus dem Nachlaß des in Frankfurt heimisch gewordenen Reisenden werden aus Anlaß der Buchvorstellung gezeigt. Etwa die goldene Uhr, die Lerner von den dankbaren Passagieren des französischen Dampfers "Isle de France" erhielt. Lerner hatte eine Expedition zur Rettung der Touristen, darunter eine Reihe von Prominenten, geleitet.

Zwischen 1896 und 1914 brach Lerner zu sieben Erkundungsfahrten nach Spitzbergen auf. Daß er in jenem Sommer 1908 ausgerechnet im Glanz der Mitternachtssonne Frankfurter Wesen und Witz kennenlernte, gehört zu den bislang weniger beachteten Kapiteln der hiesigen Kulturgeschichte. So ließ es sich Lydia, Enkelin von Friedrich und Tochter von Adolf Stoltze, nicht nehmen, beim Sektgelage auf der "Thalia" Lerner ein Gedicht entgegenzuschleudern, der nach eigenem Bekunden "ob so vielseitigen Talentes in eine gewisse seelische Unordnung geriet". "Der Nordpol, der lag vor unserer Nas, / Merr hawwen gesucht mit dem Opernglas / Un hätten gefunne auch sicherlich bald, / Wär's in der Gegend net gar so kalt. / Auch is es zu glatt uff dem ewige Eis / Dazu mecht der Schnee eim, der viele, was weis!" So begann die Dichterin, die unverkennbar den satirischen Ton von Vater und Großvater verinnerlicht hatte.

Sie ließ in allen Lebenslagen einen unbeugsamen Willen erkennen. Als erste Frau der Welt wollte sie mit dem frisch angetrauten Gatten in Spitzbergen überwintern. Dazu kam es dann doch nicht, weil der Ehemann zu neuen Abenteuern strebte. Dieses Mal zusammen mit dem Grafen Zeppelin. Große Pläne wurden geschmiedet, doch die Herren überwarfen sich. Zeit seines Lebens hatte Lerner mit Intrigen zu kämpfen. Doch unbeirrbar verfolgte er seine Pläne. Auf der Bäreninsel betrieb er Kohlebergbau, er überquerte Spitzbergen, er war ein Pionier der Nordpolforschung, er widmete sich unter anderem der arktischen Tierwelt. Frankfurt und der Nordpol: eine innige Beziehung, an der neben Lerner noch viele andere beteiligt waren, von der jedoch nicht allzuviel bekannt ist. Das soll sich ändern. Die Veröffentlichung von Lerners Buch ist erst der Anfang.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Rezensent Nico Bleutge ist angetan von der Lebendigkeit und der Liebe zum Detail, mit dem der Polarfahrer Theodor Lerner von seinen insgesamt sieben Expeditionen erzählt. Diese Qualität kommt nach Bleutgens Meinung besonders im Vergleich zu den starr und statisch wirkenden Fotos heraus, mit denen das Buch illustriert ist. Als der Forscher Ende des 19. Jahrhunderts aufbrach, war die Zeit der großen kolonialen Entdeckungsreisen schon vorbei. Nur die Polarregionen waren noch relativ unberührtes Gebiet, das die Forscherlust weckte. Ein in den Augen des Rezensenten interessanter Subtext sind die "politischen und wirtschaftlichen Interessen hinter dem scheinbar reinen Forschergeist", auf die man bei der Lektüre immer wieder stößt.

© Perlentaucher Medien GmbH