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Im Herbst 1938 wandte sich das Mussolini-Regime mit einer Serie von Gesetzesdekreten gegen die Juden, die in der Folge systematisch aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Ein im faschistischen Italien seit Jahren latenter Antisemitismus wurde auf ein ebenfalls schon virulentes Rassenkonzept aufgepfropft.
Wie es dazu kam und welche Folgen dies konkret für die Betroffenen hatte, dokumentiert der Autor anhand von umfangreichem Archivmaterial. Er verfolgt zwei Perspektiven: jene des Staats- und Parteiapparats, der sich anschickte, seine Verfolgungsabsichten mit Hilfe eines
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Produktbeschreibung
Im Herbst 1938 wandte sich das Mussolini-Regime mit einer Serie von Gesetzesdekreten gegen die Juden, die in der Folge systematisch aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Ein im faschistischen Italien seit Jahren latenter Antisemitismus wurde auf ein ebenfalls schon virulentes Rassenkonzept aufgepfropft.

Wie es dazu kam und welche Folgen dies konkret für die Betroffenen hatte, dokumentiert der Autor anhand von umfangreichem Archivmaterial. Er verfolgt zwei Perspektiven: jene des Staats- und Parteiapparats, der sich anschickte, seine Verfolgungsabsichten mit Hilfe eines immer ausgefeilteren Regelwerks umzusetzen, sowie jene der jüdischen Opfer, die sich mit den Massnahmen des Regimes zu arrangieren oder sich ihnen zu entziehen versuchten. Insbesondere nach der Besetzung des Landes im Herbst 1943 wurde dies immer schwieriger, weil das spätfaschistische Regime mit den nationalsozialistischen Besatzern kooperierte und jetzt auch die Juden in Italien von der deutschen Vernichtungsmaschinerie erfasst wurden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2006

Veralltäglichung der Gewalt
Das faschistische Italien trug zum Massenmord an den Juden bei

Wer sich nur mit dem nationalsozialistischen Rassenantisemitismus beschäftigt, verkennt häufig, daß ein durchaus biologisch motivierter Rassismus zum ideologischen Kernbestand aller faschistischen Bewegungen gehörte. Nicht der Rassenantisemitismus als solcher war eine nationalsozialistische Besonderheit, sondern dessen Umsetzung in den gigantischen Völkermord an den europäischen Juden. Ohne Rassismus gab es jedoch keinen Faschismus. Das gilt in ganz besonderem Maße für den Ursprungsfaschismus in Italien. Schon längst wissen wir, daß sich der Italofaschismus über einen rassenideologischen Antislawismus einerseits und einen ebensolchen Antiafrikanismus andererseits konstituiert hat. Erst neuerdings setzt sich in der historischen Forschung aber die Erkenntnis durch, daß auch der Antisemitismus viel tiefer in der faschistischen Ideologie verankert war, als man das lange Zeit wahrhaben wollte.

Der Züricher Historiker Carlo Moos legt die erste deutschsprachige Untersuchung vor, in der diese Erkenntnis pointiert vorgetragen wird. In scharfer Abgrenzung gegen die verharmlosende Interpretation des Mussolini-Biographen Renzo de Felice arbeitet er die faschistische Ausgrenzungspolitik gegenüber den Juden heraus. Schon früher wandte er sich gegen den historischen Allgemeinplatz, daß die Italiener selbst unter dem Faschismus brava gente (gute Leute) geblieben seien. Jetzt liefert er den Beweis. Moos geht es dabei nicht um ideologische Spurensuche, sondern um die Praxis der antisemitischen Politik des faschistischen Regimes seit der "rassenpolitischen Wende" von 1938 bis zum Ende des Faschismus im April 1945. Einleuchtend unterscheidet er drei Phasen dieser Politik.

Die erste Phase begann mit der Serie von Rassengesetzen im Jahre 1938, die sich gegen die Juden, aber auch gegen die Afrikaner in den faschistischen Kolonien richteten. Sie war geprägt durch die Einrichtung der "Generaldirektion für Demographie und Rasse" im Innenministerium, welche mit Hilfe einer "ganzen Kaskade" von rassistischen Erlassen schließlich den "gesamten Staatsapparat" in die Kampagne gegen die Juden einspannte. Das zentrale Anliegen dieser hektischen Aktivitäten war - ähnlich wie im Ersten Weltkrieg in Deutschland - eine "Judenzählung", welche die bis dahin in Italien unauffällige jüdische Bevölkerung marginalisierte. Mit einem "akribischen Eifer, der seinesgleichen suchte", wurde damit der Grundstock für eine gewaltsame Ausgrenzung der Juden in Italien geschaffen. Es ist das große Verdienst von Moos, daß er die Veralltäglichung der Gewalt gegenüber den Juden erstmals sowohl aus der Sicht von Bürokratie und Polizei als auch der jüdischen Opfer darstellt. Wie sich dabei herausstellt, wurde schon die erste Phase der Rassendiskriminierung von beiden Seiten als "außergewöhnlich einschneidend" wahrgenommen.

In der zweiten Phase zwischen dem italienischen Kriegseintritt im Juni 1940 und dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 ging das faschistische Regime für italienische Juden zu Zwangsarbeitsmaßnahmen und für ausländische Juden zur zwangsweisen Internierung in Konzentrationslagern über. Das inzwischen bekannteste dieser Lager befand sich in dem abgelegenen kalabrischen Ort Ferramonti di Tarsia. Vor allem slowenische und kroatische Juden gelangten aber auch in die faschistischen Konzentrationslager in den besetzten Gebieten auf der Insel Rab und in Gonars bei Udine sowie in das Lager in Renicci bei Arezzo. Es ist richtig, daß das faschistische Regime in diesen Lagern "mit beispielloser Härte" agierte. Moos beachtet jedoch nicht, daß jüdische Häftlinge in diesen Konzentrationslagern immer noch besser behandelt wurden als slawische. Auch wenn das faschistische Aggressionspotential gegenüber den Juden sich bis 1943 deutlich verschärfte, blieb der Antislawismus in dieser Zeit immer noch als Primärrassismus dominant.

Das änderte sich erst in der dritten Phase der italienischen Judenpolitik in der Zeit der radikalfaschistischen Republik von Salò 1943/45. Noch schärfer als bisher schon Michele Sarfatti und Liliana Picciotto Fargion vom jüdischen Dokumentationszentrum in Mailand arbeitet Moos für diese Phase der Deportation und Vernichtung die "geteilte Verantwortung in der deutsch-italienischen Rassenpolitik" heraus. Etwa ein Viertel der jüdischen Bevölkerung wurde - wenn man die ausländischen Juden mitrechnet - in der Endphase des Faschismus über die Auffanglager in Folloli di Carpi bei Modena und die Risiera von San Sabba bei Triest in die Vernichtungslager des Ostens deportiert.

Die Zusammenarbeit faschistischer und nationalsozialistischer Behörden ging nach Auffassung von Moos über eine bloße Kollaboration weit hinaus. Er spricht von einer "bürokratischen Symbiose" deutscher und italienischer Schergen, die in einem feinmaschigen Erfassungssystem sich gegenseitig zuarbeiteten. Die seit 1938 im Innenministerium geführten Listen über die jüdische Bevölkerung spielten dabei eine zentrale Rolle. Moos behauptet selbstverständlich nicht, daß die italienischen Faschisten damit auch für den Massenmord an den europäischen Juden mitverantwortlich gemacht werden können. Dieser entsprang allein dem vernichtungsrassistischen Denken, das für den Nationalsozialismus charakteristisch war. Aber das faschistische Regime hat aktiver zu dem Massenmord beigetragen als andere Staaten im Einflußbereich des Nationalsozialismus, mehr selbst als das Vichy-Regime. In jedem Fall waren es "mehr als Handlangerdienste". Dies schonungslos dargelegt zu haben ist das große Verdienst des wichtigen Buches von Carlo Moos.

WOLFGANG SCHIEDER.

Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation. Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938-1945). Chronos Verlag, Zürich 2005. 268 S., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als verdienstvoll würdigt Wolfgang Schieder diese Untersuchung zur antisemitischen Gewalt in Italien zwischen 1938 und 1945, die Carlo Moos vorgelegt hat. Er attestiert dem Zürcher Historiker, die antisemitische Ausgrenzungspolitik des italienischen Faschismus gegenüber Juden prägnant herauszuarbeiten. Der historische Allgemeinplatz, die Italiener seien selbst im Faschismus "gute Leute" ("brava gente") geblieben, hält nach Schieders Ansicht einem genaueren Blick nicht stand. Eine Stärke der Studie sieht der Rezensent in der Darstellung der zunehmend alltäglich werdenden Gewalt gegenüber den Juden, sowohl aus der Sicht von Bürokratie und Polizei als auch der jüdischen Opfer. Außerdem lobt er die instruktive Schilderung der unterschiedlichen Phasen der italienischen Judenpolitik, die 1943 in der engen Zusammenarbeit mit deutschen Behörden ihren Höhepunkt erreichte. Insgesamt wird für ihn deutlich, dass das faschistische Regime Italiens "aktiver" zum Massenmord beigetragen hat als andere Staaten im Einflussbereich des Nationalsozialismus.

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