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Wir sind nur dann ganz wir selbst, wenn wir außer uns sind. Sage keiner, dass aus dieser Tatsache nicht immer wieder schönste Literatur entstanden ist. Eine fulminante Geschichte der Entgrenzung erzählt auch Saskia Hennig von Langes ganz und gar erstaunliches Debüt 'Alles, was draußen ist'.Ein anatomisches Museum mit seinen Präparaten, Modellen und Totenmasken, eine schöne Unbekannte aus der Seine und ein Robespierre, und mittendrin ein Mann, der sich im Laufe der Jahre selbst zum Objekt geworden ist. In sprachlich genauen Notaten führt er Buch über sein Leben und seine Gänge durchs Haus, über…mehr

Produktbeschreibung
Wir sind nur dann ganz wir selbst, wenn wir außer uns sind. Sage keiner, dass aus dieser Tatsache nicht immer wieder schönste Literatur entstanden ist. Eine fulminante Geschichte der Entgrenzung erzählt auch Saskia Hennig von Langes ganz und gar erstaunliches Debüt 'Alles, was draußen ist'.Ein anatomisches Museum mit seinen Präparaten, Modellen und Totenmasken, eine schöne Unbekannte aus der Seine und ein Robespierre, und mittendrin ein Mann, der sich im Laufe der Jahre selbst zum Objekt geworden ist. In sprachlich genauen Notaten führt er Buch über sein Leben und seine Gänge durchs Haus, über das seltsame Inventar und über eine immer wieder hörbare, aber unsichtbare 'Untendrunterwohnerin'. Diese Novelle ist ein literarisches Kunststück, in dem das Unbewusste offenbar wird und in dem die menschlichen Oberflächen eine unergründbare Tiefe zeigen. Vom Körper, von der Haut und den Sinnen führt der Weg der Erzählung in Abgründe, in denen ferne Verhängnisse ebenso nachhallen wie die großen Stoffe der Literatur.
Autorenporträt
Saskia Hennig von Lange, geboren 1976 lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Frankfurt. Sie studierte Angewandte Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Sie forscht und arbeitet an der Justus-Liebig-Universität Gießen an ihrer Dissertation zum Verhältnis von Bild, Rahmen und Körper in der spätmittelalterlichen Kunst.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Debüt der Frankfurter Kunsthistorikerin Saskia Hennig von Lange ist denkbar gelungen, findet Friedmar Apel, der seine Rezension allerdings derart intellektuell verspielt formuliert, dass es stellenweise schwierig ist, ihm zu folgen. In "Alles, was draußen ist" erfährt ein Mann, dass er bald unter fürchterlichen Schmerzen sterben wird, berichtet der Rezensent. Fortan versucht er, seiner eigenen Präsenz irgendwie habhaft zu werden, sie greifbar zu machen, etwa indem er einen Gipsabdruck seines Körpers anfertigt. Er sammelt "zahlreiche Innenohren", um in ihnen jene Spuren ausfindig zu machen, die er im eigenen Gehörgang vermutet, in den sich die Stimme seiner toten Mutter eingebrannt hat, fasst Apel zusammen. Auch eine Frau gibt es, erklärt er: im "irritierenden Kompositum zeigt ihre räumliche Situierung" als "Untendrunterwohnerin" den Wunsch des Ich-Erzählers, seinen Blick zu teilen, verkündet der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2013

Was bleibt, wenn wir gehen müssen?
Saskia Hennig von Langes kunstvolle Debütnovelle betreibt Seelenerforschung im Anatomiemuseum
Dies ist kein Buch der Antworten, sondern eines der Fragen – der langsam bohrenden, im Kopf und um ein Leben kreisenden Fragen. Denn der Kopf ist krank, die Schmerzen werden schlimmer. „Das hier scheint Ihr letzter Winter zu sein“, hat der Arzt gesagt. Und: „Sie werden fürchterliche, unvorstellbare Schmerzen haben.“ Bis dahin gilt es zu erkunden, was noch zu erkunden ist; zu denken, was noch zu denken ist, in jenen wenigen, abgeschlossenen Räumen, durch die das Ich, das hier spricht und reflektiert, sich bewegt wie ein Gespenst seiner selbst.
  Rund 100 Seiten umfasst das Debüt der 1976 geborenen Saskia Hennig von Lange (sie ist die Schwägerin der Popautorin Alexa Hennig von Lange), und schon nach kurzer Zeit geht man auf in der Sprache, in einer hochkonzentriert fließenden Prosa, in der kein Wort falsch und auch kein Wort zu viel gesetzt zu sein scheint. Es ist eine Prosa, die eine geradezu chirurgisch präzise Erforschung der Seele vornimmt, ohne dabei explizit zu werden. Ein Kunststück. Der Ich-Erzähler hat sich zurückgezogen in die Räume eines Anatomiemuseums, das er einige Jahre zuvor gekauft hat. Geld ist genug vorhanden, doch die Zeit läuft ihm davon.
  Er geht durch die Säle, betrachtet die Exponate, eine Kopie von Robespierres Totenmaske, Schädel, sogar Abgüsse weiblicher Geschlechtsorgane. Und Wachsabdrücke des eigenen Körpers, die der Mann anfertigt, von Tag zu Tag – und so einerseits an der eigenen Musealisierung arbeitet, andererseits aber vordringt zu den existenziellen Fragen, die hier verhandelt werden: Was bleibt übrig von uns, wenn wir gehen müssen? Welche Konsequenzen, welche Bedeutung haben die Spuren, die wir hinterlassen, für die Nachwelt? Inwieweit ist das Denken ein moralischer Akt? Wie greifen Gedanken in Raum und Zeit ein? Und nicht zuletzt: Wie kommt das, was in einem Kopf ist an Tönen, Bildern, Erinnerungen, dort hinein?
  Der Ich-Erzähler ist als Präparator ein Autodidakt. Objektiv betrachtet, würde man ihn möglicherweise für einen Verrückten oder einen Fanatiker halten, aber was heißt in einem solchen Fall schon objektiv? Der Mann sammelt in einem hohen Glasschrank Innenohren, die er mit eigenen Händen plastiniert hat; 300 Präparate des Gehörgangs von Menschen und Wirbeltieren. Die menschlichen Untersuchungsobjekte werden ihm von Medizinstudenten geliefert; die Tiere besorgt er sich aus Tierheimen.
  Sämtlichen Geschöpfen hat er kurz vor deren Tötung eine Losung ins Ohr gehaucht: „Nein, du bleibst hier bei mir, du gehst nicht nach draußen.“ Dann macht er sich auf die Suche nach den Spuren seiner eigenen Stimme. Das klingt in der Rekapitulation weitaus drastischer, als es sich in der literarischen Darstellung ausmacht.
  Saskia Hennig von Lange geht es nicht um die Drastik der Darstellung oder um die Ästhetik des Ekels. Zurzeit arbeitet sie an der Universität Gießen an ihrer Dissertation über das Verhältnis von Bild, Rahmen und Körper in der mittelalterlichen Kunst. Das ist eine Spur, die auch direkt in diese fabelhafte Novelle hineinführt. Bilder und Selbstbilder ergeben darin einen unendlichen Echoraum, aus dem es nur andeutungsweise einen Ausweg gibt: die Figur der „Untendrunterwohnerin“ als lebendiger Kontrast zur erstarrten Totenwelt des Museums. Doch ob die Untendrunterwohnerin wiederum selbst nur eine Imagination ist? Auch das hält der Text, wie so vieles, in eleganter Schwebe.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Saskia Hennig von Lange: Alles, was draußen ist. Eine Novelle. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2013. 116 Seiten, 16,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2013

Stimme und Phänomen
Saskia Hennig von Lange lässt Innenohren sprechen

Ein Mann erhält die Nachricht, dass er bald und unter fürchterlichen Schmerzen sterben wird. Er nimmt das ruhig hin und ändert äußerlich nichts an seinem Leben. Er bleibt drinnen wie zuvor, als hätten ihn die Worte seiner Mutter lebenslang gebannt. "Nein, du bleibst hier, bei mir, du gehst nicht nach draußen." Oben ist das Zimmer des Mannes, darunter befindet sich ein anatomisches Museum, das an die "Körperwelten" des Gunther von Hagens erinnert, ganz unten aber lebt die "Untendrunterwohnerin" mit den wippenden Löckchen.

Auch in diesem Drinnen ändert sich dinglich nichts, in der Spannung auf den Tod aber wird es nun zum Ort einer grundsätzlichen Erörterung der Sinnlichkeit. Der namenlose Ich-Erzähler in Saskia Hennig von Langes gedankenreicher Erzählung nimmt Abdrücke von seinen Körperteilen, um den Raum zu ermessen, der von ihm eingenommen wird, um sich zu vergewissern, "dass ich noch hier bin und nicht im Verschwinden begriffen". Im Gestalt gewordenen Blick fallen die Zeitmomente des Vorstellens, Erinnerung und Ahnung gegenwärtig in eins, Novalis zufolge das Wesen der Poesie. "Und ich dachte daran, was ich schon getan hatte mit meiner Hand und was ich noch tun würde, wozu sie mir noch dienen könnte, und was ich anrichten würde mit ihr, in der Welt."

Entsprechend fällt die nun vom Präteritum ins Präsens wechselnde Erzählung mit der selbstbezüglichen Gegenwärtigkeit des Schreibakts als Selbstvergewisserung zusammen. "Ich habe es hingeschrieben, wie ich es gesehen habe. Und jetzt habe ich sogar das hier aufgeschrieben." Gleichzeitig erwachen die Präparate seines Museums zur Präsenz. Neben einer längs aufgeschnittenen Schwangeren mit ihrem Embryo, die der Mann seine "Schöne Beischläferin" nennt, gehört ein Gipsabguss der Totenmaske Robespierres zu den Prunkstücken der Sammlung. "Hinter den geschlossenen Augen seiner Totenmaske kann ich Robespierre schauen sehen."

An der Totenmaske der "Unbekannten aus der Seine", die 1900 einer Selbstmörderin abgenommen wurde, faszinierte die Künstler seinerzeit das Fortbestehen der dem Tod entzogenen Schönheit des Augenblicks. Der Mann denkt sich, dass der Herausgeber eines Buches über Totenmasken empört gewesen sein muss "über die Dreistigkeit, mit der sie ihre Schönheit einfach genommen und verschwendet hatte, sie hinter sich warf und sie nicht mehr haben wollte, und es doch zuließ, dass ein anderer sie finden konnte und an sich nehmen und nach Hause tragen, sie dort zu betrachten". Das bedeutet, dass ein jedes Verlorenhaben ein Haben ist, und der Mann kann angesichts des Anhängers mit dem roten Stein, den die schöne Unbekannte trug, wie unwillkürlich ihre Hand sehen, "wie sie sich um ihn schloss und ihn herunterriss", ja sogar hören, "wie die Kette zersprang".

Der Erzähler interessiert sich erst angesichts seines bevorstehenden Todes wie ein passionierter Sammler für das Fortleben dessen, was vergangen und unrettbar verloren ist. So spricht der Mann mit seinen Präparaten, und es sind die nachklingenden Worte der Mutter, mit denen er sie sich innerlich aneignet. Er hat zahlreiche Innenohren gesammelt, die er wie der umstrittene Impresario der "Körperwelten" plastiniert hat, als ob er darin die Spuren konservieren wollte, die das sinnliche Erleben in das Gedächtnis des Körpers einschreibt, "die Löcher und Gruben, die die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf hinterlassen hatte und die ich noch heute spüre". Diese Spuren sind nicht zu sehen, und doch findet er in den erstarrten Dingen sich selbst und in den Erinnerungen sein Leben.

In seinem Kopf aber sitzt auch die Untendrunterwohnerin "und raschelt und tönt und geht nicht wieder hinaus". Im irritierenden Kompositum zeigt ihre räumliche Situierung den tiefsitzenden Wunsch an, seinen Blick mit jemandem zu teilen. Mit ihr würde er zuerst die Schöne Beischläferin betrachten. "Sehen Sie sich das an, sehen Sie genau hin." Die Vorstellung erregt die Erinnerung an die Berührung seines Körpers, die er einst, kurz wohl nur, erfahren durfte, und an ein Kind, in dem er hätte weiterleben können, wäre es nicht abgetrieben worden, weil die Frau "ein solches Ding in ihrem Bauch" nicht haben wollte, schon gar nicht von ihm. Seine Hoffnung, die Untendrunterwohnerin würde eines Tages leibhaftig vor seiner Tür stehen, beschränkt er schließlich auf die Vorstellung, dass sie wenigstens seine Leiche finden und seine Aufzeichnungen lesen würde, seinen "genauen Bericht über selbst beobachtete Phänomene".

Mit ihrem Debüt ist der 1976 geborenen, in Frankfurt lebenden Kunsthistorikerin Saskia Hennig von Lange ein Kabinettstück gelungen. In raffinierter, gleichsam doppelt gespiegelter Vermittlung von Form und Gehalt wird die menschliche Fähigkeit, sich zu entäußern, um sich zu erkennen, im ruhigen Fluss der Sprache sinnlich fassbar. Mit leichtem Beiklang des Altmodischen zeigt die Erzählung eindringlich, dass die Literatur nach wie vor das vorzügliche Medium der Selbstreflexion des gebrechlichen Menschen ist.

FRIEDMAR APEL

Saskia Hennig von Lange: "Alles, was draußen ist". Novelle.

Verlag Jung und Jung, Salzburg, Wien 2013. 116 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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