29,99 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Nachdruck / -produktion noch nicht erschienen
Melden Sie sich für den Produktalarm an, um über die Verfügbarkeit des Produkts informiert zu werden.

oder sofort lesen als eBook
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

'ES GIBT ZEITEN IN DER GESCHICHTE DER MENSCHHEIT, IN DENEN OPTIMISMUS EINFACH NUR FEIGHEIT UND UNVERANTWORTLICHE VERBLENDUNG BEDEUTET.' DAVID ENGELSSteht die Europäische Union vor einem ähnlich spektakulären Systemwechsel wie einst die späte Römische Republik? Ja, sagt der deutsch-belgische Historiker David Engels in seinem in Frankreich viel diskutierten Bestseller: Anhand von zwölf Indikatoren vergleicht er verschiedene Aspekte der Identitätskonstruktion der EU mit Krisensymptomen der ausgehenden Römischen Republik - und zieht dabei beunruhigende Parallelen: Der Wandel von einer von…mehr

Produktbeschreibung
'ES GIBT ZEITEN IN DER GESCHICHTE DER MENSCHHEIT, IN DENEN OPTIMISMUS EINFACH NUR FEIGHEIT UND UNVERANTWORTLICHE VERBLENDUNG BEDEUTET.' DAVID ENGELSSteht die Europäische Union vor einem ähnlich spektakulären Systemwechsel wie einst die späte Römische Republik? Ja, sagt der deutsch-belgische Historiker David Engels in seinem in Frankreich viel diskutierten Bestseller: Anhand von zwölf Indikatoren vergleicht er verschiedene Aspekte der Identitätskonstruktion der EU mit Krisensymptomen der ausgehenden Römischen Republik - und zieht dabei beunruhigende Parallelen: Der Wandel von einer von Werteverlust, Dauerkrise, Reformstau und politischem Immobilismus gekennzeichneten Republik zu einem autoritären und konservativen Imperium zeichnet sich heute auch in der EU ab.Quo vadis, Europa? Für den Historiker David Engels steht fest: Die europäische Demokratie steht unwiderruflich am Abgrund. Der Professor für römische Geschichte vergleicht die Lage der Europäischen Union mit der Situation der dem Untergang geweihten späten Römischen Republik, indem er Zitate antiker Philosophen und Schriftsteller den aktuellsten Statistiken zur Lage Europas gegenüberstellt. Und entdeckt dabei verblüffende Parallelen: Immigrationsproblematik und Bevölkerungsrückgang, Materialismus und Globalisierung, Werteverlust und Fundamentalismus, Technokratie und Politikverdrossenheit, der Verlust von Freiheit und Demokratie - all diese scheinbar so modernen Probleme brachten bereits vor 2000 Jahren die Römische Republik ins Wanken und ermöglichten die Machtergreifung von Augustus. Engels' umfassende Forschungsergebnisse bestätigen Oswald Spenglers Studie Der Untergang des Abendlandes und ermöglichen ein neues Verständnis für die komplexen Probleme unserer Zeit. Sie zeigen aber auch, welche Weichen es zu stellen gilt, wenn das Schlimmste verhindert werden soll. Entscheidend für das politische Überleben der Europäischen Union, so seine Analyse, ist die Rückbesinnung auf die ureigene europäische Identität mit ihrer kulturellen Tradition, jenseits abstrakter Gleichmacherei.
Autorenporträt
Prof. Dr. David Engels, Jahrgang 1979, studierte Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft an der RWTH Aachen. 2008 wurde er an die Freie Universität Brüssel (ULB) berufen, wo er den Lehrstuhl für Römische Geschichte innehat. Darüber hinaus ist er Chefredakteur und Herausgeber der altertumswissenschaftlichen Zeitschrift Latomus. Engels' Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der römischen Religionsgeschichte, des seleukidischen Staates und der antiken wie modernen Geschichtsphilosophie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2014

Warum wir uns mit dem Brüsseler Reich arrangieren werden

Historische Parallelen führen nicht weiter: David Engels vergleicht das römische Imperium mit einem kommenden Superstaat Europa - und bietet mehr als nur den üblichen Untergang des Abendlandes.

Solange der Niedergang und Fall des Römischen Reiches als die kardinale Frage der Weltgeschichte galt, konnte die Frage aufgeworfen werden, ob auch "wir" untergehen werden wie einst die Römer.

Oswald Spengler erweiterte die Analogie zu einer universalhistorischen Zyklenvorstellung; ihr Mehrwert schien in der Evidenz zu liegen, mit der sich aus dem immer wieder Geschehenen eine Prognose der künftigen Entwicklung ableiten ließ. Davon ist wenig mehr als das Schlagwort vom "Untergang des Abendlandes" geblieben.

Das eherne Gesetz der Wiederholung in der Geschichte ersetzte dann Thilo Sarrazin durch die nicht minder zwingend daherkommende Fortschreibung von scheinbar unwiderleglichen statistischen Zahlen und Trends, doch der kliometrisch geschulte Ökonom und Sozialwissenschaftler griff bisweilen ebenfalls weit in die Geschichte zurück und wertete kulturelle Faktoren als entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft. Auch der erneuerten Kritik am globalen Kapitalismus von Graeber bis Piketty eignen nach dem Vorbild des Urvaters Marx Prozessvorstellungen von biblischer Spannweite.

Ein historisch argumentierendes, zeitdiagnostisches Buch mit dem Anspruch, einem Akteur vom Kaliber der Europäischen Union einen grundlegenden Kurswechsel nahezulegen, kann leicht abtun, wer die Stellen herauspickt, wo dem Autor David Engels die Pferde durchgegangen sind. Klassische Kultur- und Modernekritik blitzt auf, wenn von sittlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entartungen die Rede ist, von der seelischen Perversität der modernen Gesellschaft, von Individualismus, Mobilität, Verstädterung und einer "Zunahme oberflächlicher Kontakte im Rahmen der digitalen Welt".

Wer traut sich noch, vom "Wesen des Menschen" zu sprechen und seiner notwendigen Einordnung in eine zu allen Zeiten durch Ungleichheit ausgezeichnete Gesellschaft? Neben Gehlen und Freyer läuft auch Eduard Spranger im Hintergrund mit, wenn "jede Kultur gänzlich unterschiedliche Menschentypen hervorgebracht hat", so Europa nach dem Wort Paul Valérys den faustischen. Zeitgemäß angeprangert werden ferner das "Joch einer ultrakapitalistischen Weltordnung", die "Hochfinanz", die amerikanischen Ratingagenturen und eine durch die Troika erzwungene "Selbstgleichschaltung" unter dem Diktat einer "ultraliberalen Spardoktrin". Daneben findet sich das aus der Zeit gefallene Wort vom "geschichtlichen Wesen der Volksgemeinschaft".

Doch eine solche Lektüre würde dem Manifest des in Brüssel Römische Geschichte lehrenden Historikers nicht ganz gerecht. Unterfüttert mit demoskopischen Befunden zu der Frage, welche Werte die Bürger mit der Europäischen Union assoziieren, bescheinigt er zunächst dem Patienten eine tiefgreifende Identitätskrise, weil das Eigene, das genuin Europäische für die Regierenden und geistigen Eliten keine Rolle mehr spiele, vielmehr ersetzt werden solle durch eine am Reißbrett entworfene, politisch korrekte, rationalistische und universalistische Identität. Nicht die Ökonomie, sondern eine kulturelle Sinnkrise bedrohe aber unsere Zivilisation und hindere die Europäer, Identitätsfragen "auf dem doch naheliegenden Weg einer beherzten patriotischen Identifizierung mit der eigenen Vergangenheit zu lösen". Die abgefragten Werte erscheinen dabei als Instrumente einer tiefen Verwirrung: Absolut gesetzte Toleranz bewirke eine von oben geförderte Atomisierung der Gesellschaft und lasse die Integration der Einwanderer scheitern; der Individualismus verdränge vermittelnde Instanzen wie Familie, Volk und Kultur und führe auf breiter Front zum Verkümmern des Kinderwunsches; die Auflösung der traditionellen Familie als Ordnungsmuster befördere die radikale Ablehnung wie auch die ebenso radikale Befürwortung autoritärer Strukturen. Und so weiter.

Dabei verblüfft das idealisierende Bild des neunzehnten Jahrhunderts, das David Engels durch allgegenwärtige gesellschaftliche Solidarität, gelebtes Christentum, Familiensinn und unternehmerischen Paternalismus ausgezeichnet sieht. Heute dagegen: systematische Ausbeutung der Schwachen durch die Starken, Flucht in die massenmedial gelenkte Konsum- und Vergnügungsgesellschaft, und das alles ist dem Sieg der rationalistischen, universalistischen und relativistischen Weltanschauung geschuldet, die nach innen alle Bindungen zerstöre, aber zugleich die ganze Welt nach ihrem Bild zu gestalten trachte.

Und auch wenn es modisch sei: Bloß von Wandel oder Transformation der Religion kann nicht gesprochen werden, wenn tatsächlich der Untergang ursprünglicher Brauchtümer und Glaubensüberzeugungen zu beklagen sei. In diesen Kapiteln bietet der 1979 geborene Historiker jedenfalls ein zupackend formuliertes Inventar der Kritik an der Moderne, mit treffenden Bemerkungen etwa zu Politikerdynastien - auch wenn der Vater von Roland Koch nicht Ministerpräsident von Hessen war.

Wofür aber wird die Geschichte des Untergangs der römischen Republik benötigt? Engels bringt Nachdenkenswertes zugunsten der "kulturkritischen Grundannahme einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit zweier historischer Momente" bei, aber die Krise seit den Gracchen als Identitätskrise auszuflaggen gelingt ihm nur mit einiger Mühe und der Hilfe längst aufgegebener Deutungsmittel, etwa des Sittenverfalls durch die Hellenisierung der Oberschicht und die Korrumpierung der Massen. Durchgängig muss er Niedergangsjeremiaden von Angehörigen der römischen Elite zu Beschreibungen der historischen Wirklichkeit erheben. Im Detail gibt es viele kluge Beobachtungen, aber auch viel Schiefes, wenn etwa Cicero Pazifismus unterstellt wird, weil er in einem Brief einmal den Frieden einem noch so gerechten Krieg vorzog - an der besagten Stelle ist aber vom Bürgerkrieg die Rede. Zur Diagnose der Krise des heutigen Europa trägt die historische Analogie insgesamt wenig bei, weil der historische Prozess in Rom nach dem für die Gegenwart gezeichneten gemodelt ist. Aber Engels braucht die Analogie, weil er - wie Spengler - aus dem bekannten Fortgang der Historie die unbekannte Zukunft unseres Schicksals erschließt. Auf die römische Republik folgten Augustus und die von ihm begründete Monarchie.

Das kulturell entleerte, seiner Identität beraubte Europa werde sich, von seinen Bürgern innerlich aufgegeben, zum fürsorglich-autoritären Superstaat und Imperium mit plebiszitärer Legitimation entwickeln - wie es sich in demokratisch nicht mehr kontrollierten Stabilitätsmechanismen, humanitären Interventionen und universalistisch begründeten Strafdrohungen gegen gewählte, aber missliebige Regierungen wie anno 2000 die in Österreich oder zuletzt in Ungarn schon jetzt abzeichne.

Die wahl- und politikmüden Bürger schätzten längst Gleichheit und Sicherheit höher ein als die Freiheit und würden sich mit dem neuen Reich arrangieren, zumal dieses ökonomisch eine staatsinterventionistische Politik betreiben, zugleich die Werteordnung an Pflicht und Opfer ausrichten und privaten Reichtum nur dann dulden würde, wenn er sich als wertvoll für das Gemeinwohl erweist. Das ist für Engels nicht die beste, wohl aber die am wenigsten schlechte Zukunftsperspektive, da die Rückkehr zum Nationalstaat keine realistische Alternative darstelle.

Die Europäer hätten dann zwar die politische Partizipation verloren, aber immerhin die Möglichkeit behalten, ihre Zukunft gemäß den kulturellen Grundwerten ihrer Vergangenheit zu gestalten, ohne zu Klientelstaaten der Vereinigten Staaten oder Chinas zu werden.

Die monumentale Doktorarbeit des Verfassers handelte vom römischen Vorzeichenwesen. Die Römer konnten sich den Pragmatismus im Umgang mit dem Kontingenten leisten, weil sie sich der Ordnung insgesamt gewiss wähnten. Dagegen liest Engels die Menetekel an der Wand nunmehr mit dem tiefen Gefühl der Verunsicherung, die eine nie versiegende Quelle der Geschichtsphilosophie bildet. Zustimmend zitiert er Machiavelli: Nur weil die Rede vom Niedergang alt und topisch ist, muss nicht jede Diagnose eines solchen fehlgehen.

Mag sein. Muss man aber unglücklich sein, weil David Engels Professor, Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und nicht umgekehrt? Vermutlich nicht. Sein Buch und ihr Pragmatismus begegnen einander jedenfalls nicht. Kaum zu erwarten, dass sie es bald - gelesen oder ungelesen - als "nicht hilfreich" bezeichnen lässt.

UWE WALTER

David Engels: "Auf dem Weg ins Imperium". Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen. Europa Verlag, Berlin 2014. 541 S., zahlr. Grafiken und Tabellen, geb., 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2014

Vor dem
Untergang
David Engels zieht einleuchtende Parallelen zwischen
dem Römischen Reich und der Europäischen Union
VON OLAF RADER
Auch wenn viele, die gelegentlich die Geschichte durchforsten, es nicht wahrnehmen wollen: Es gibt sie, die historischen Parallelen. Und das Tollste daran ist, man kann sogar etwas aus ihnen lernen: Russlandfeldzüge waren zu allen Zeiten keine gute Idee. Geiz ist nicht geil, denn er ruiniert Infrastrukturen, Gesundheitssysteme oder ganze Armeen. Märkte regeln eben doch nicht alles selbst, was ökonomisch zu regeln wäre. Treten bei der Verteilung der Erträge von Volkswirtschaften zu große Ungleichheiten und damit Ungerechtigkeiten auf, ist schnell der innere Frieden einer Gesellschaft hinüber und die Spannungen entladen sich in mitunter enorm destruktiven Sozialkämpfen. Der Beispiele gäbe es Dutzende.
  Etwas differenzierter sind die historischen Parallelen in einem neuen Buch des in Brüssel lehrenden Althistorikers David Engels. Er vergleicht das spätrepublikanische Rom mit der Europäischen Union und fahndet nach gemeinsamen Krisensymptomen. Im Zentrum seiner Überlegungen steht das zweifellos zutreffende und schon häufig in der Geschichte beobachtete Phänomen: Geht einer Gemeinschaft ihre spezifische kulturelle Identität verloren, dann ist ihr Zusammenhalt in Gefahr.
  Interessiert sich diese Gemeinschaft dann nicht einmal mehr für die Werte, die sie von anderen Gemeinwesen abgrenzen, ist sie dem Untergang geweiht. Späteren Historikergenerationen dient sie dann nur noch als Rätselstück: Wie konnte solch eine große Kultur so einfach untergehen?
  Die historischen Beispiele für eine derartige Konstellation sind leicht zu finden. Das klassische Athen etwa konnte sich des Ansturms aus dem Perserreich nur erwehren, weil es sich selbst um Götter, Herkunft und Werte scharte und später diesen kraftvollen inneren Zusammenhalt sogar für die Bildung eines eigenen Reiches zu nutzen verstand. Dass sich im Gallien des 5. Jahrhunderts und auch anderswo im Imperium Romanum niemand mehr so richtig für die Belange des Gemeinwesens im weiteren Sinne interessieren wollte, führte ganz zwangsläufig zum Zusammenbruch der Westhälfte des Reiches.
  In seiner berühmten Auflistung der vielfältigen Ursachen des Untergangs des Römischen Imperiums hatte Alexander Demandt vor Zeiten schon mehr als zweihundert Gründe genannt, von denen Badewesen, Feinschmeckerei oder Rentnergesinnung eher marginale Wirkungen entfaltet haben dürften. Kulturelle Nivellierung und Individualisierung sowie Kulturneurose, Gräzisierung oder Willenslähmung sind hingegen Schlagworte, die der Idee vom Verlust der kulturellen Identität schon deutlich näherkommen.
  Wie nun Engels für seine Parallelbetrachtung der Geschichte herausstellt, liegen der „Zusammenhalt und Wert eines politischen Gemeinwesens in der Kraft seiner Identität begründet“. Unser jetziges Europa habe genau deshalb ein existenzielles Problem, so der Autor weiter, weil es „letztlich nicht die Wirtschaftskrise“ sei, „welche die Existenz der Europäischen Union“ gefährde, sondern die seit Jahren latent schwelenden und nun angesichts der verbissenen Verteilungskämpfe stärker denn je hervorbrechenden Identitäts- und Sinnkrisen unserer Zivilisation“. Zu dieser Beobachtung gesellt Engels die These, dass „die gegenwärtige Identitätskrise der EU kein einmaliges geschichtliches Ereignis“ sei.
  Identitätsfragen haben schon Autoren der Antike wie Polybios, Livius, Cicero oder Tacitus beschäftigt. Engels Ziel: „Analogien zwischen der gegenwärtigen Lage der Europäischen Union und dem Fall der Römischen Republik zu skizzieren und die sich daraus möglicherweise ergebenden Folgen für unsere Zukunft zu diskutieren.“
  Dieses Vorhaben gelingt ihm ausgesprochen gut. Engels argumentiert überlegt und abgewogen, gelegentlich unter Hinweis auf die komparatistischen Methoden von Vico, Spengler oder Toynbee. Er berichtet von Vulgärlatein und Vulgärenglisch; er beschreibt technokratische Verwerfungen als Gefahren erster Ordnung für die demokratischen Strukturen in Vergangenheit und Gegenwart. Den Verweis der Europäischen Union auf die Geografie als einigendes Band betrachtet er als eine „intellektuelle Kapitulation“. Manches wirkt etwas bemüht, etwa wenn er auf Ehe und Familienbeziehungen in Rom und der EU zu sprechen kommt. Die heutigen hohen Scheidungsraten sind ja nicht Ausdruck moralischen Verfalls, sondern belegen eher die gewandelten Vorstellungen bei der Gestaltung von Partnerschaft.
  In der Hauptsache jedoch trifft sein Buch völlig einleuchtende Aussagen. Ein Beispiel: Im Juni 2004 haben 23 der damals 25 europäischen Außenminister entschieden, ein Zitat aus einer bei Thukydides überlieferten Rede des Perikles, das bis dahin wie ein Motto Bestandteil des europäischen Verfassungsentwurfs gewesen war, zu streichen. Es lautet: „Unsere Verfassung heißt Demokratie, weil die Macht in den Händen nicht einer Minderheit, sondern einer größtmöglichen Menge liegt.“
  Nun ist es eine Binsenweisheit, dass die Athener Frauen, Fremden und Sklaven das Bürgerrecht vorenthielten, diese somit auch nicht mit abstimmen durften. Historische Gesellschaften waren eben nicht so gut, wie wir es heute gerne hätten. Doch ohne Zweifel liegt in den attischen Verhältnissen der perikleischen Zeit eine der Wurzeln moderner politischer Verfasstheit. Der antike Ursprung der Demokratie, wie wir sie heute verstehen, wurde jedoch mit dieser Streichung als politisch unkorrekt deklariert und führte im Grunde zu einer identitätsspezifischen Selbstkastration. Doch was haben die EU-Parlamentarier mit dem Streben nach absoluter kultureller und geschichtlicher Neutralität eigentlich gewonnen? Nichts! Außer vielleicht der Folge, dass es nun noch weniger an europaeigenem Zusammenhalt gibt.
  Diese moderne europäische Zutat ist etwas, das den alten Römern noch fehlte und vielleicht überhaupt ohne historische Parallele ist: Wenn schon in den Untergang, dann bitte schön politisch korrekt.
  Die Prognose, die durch die Lektüre des Buches klar hervortritt, ist im Grunde ganz einfach zu formulieren: Nur wenn es der EU und ihren Bürgern gelingt, ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Kultur und Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen abzulegen, und nur wenn das ohne ein ständiges Innehalten um vermeintlicher politischer Korrektheit willen geschieht, wird sie überleben. Gelingt das nicht, dann wird sie als Gemeinschaft untergehen.
  Um gemeinschaftsstiftende Ideen zu erkennen, müsste man aber gar nicht bis in das alte Rom zurückschauen, denn eine Lösung bietet eine Parallele direkt im europäischen Haus selbst. Als die Eidgenossen aus einem Gebiet, in dem die Menschen vier Sprachen benutzten und im Grund fast jedes Tal ein kulturelles Eigenleben führte, ein Gemeinwesen schmieden wollten, da hatten sie einen genialen Einfall: den Rütli-Schwur. Dieser Mythos wurde zum Identitätsgenerator einer ganzen Nation, und dabei spielte es gar keine Rolle, ob der Eid tatsächlich jemals geschworen worden ist.
  Schiller legt der Schwurgemeinschaft Worte in den Mund, die auch Europa gut anstehen würden: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.“ Ob sich allerdings alle Parallelen zwischen der EU und der späten Römischen Republik, die Engels Werk bietet, genauso zum Vergleich eignen, mag dahingestellt bleiben. Aber dass dieses intelligente und pfiffige Buch Anstöße zum Nachdenken über unsere eigene Zukunft gibt, steht völlig außer Zweifel.
David Engels: Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der Römischen Republik. Europa Verlag, 2014. 544 S., 29,99 Euro.
Olaf B. Rader lehrt Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica.
Die alten Griechen waren nicht
politisch korrekt – also darf
Perikles nicht zitiert werden
Um zu verstehen, wie man
Identität stiftet, genügt ein
Blick auf die Schweiz
2014 war kein gutes Jahr, nicht für die Welt, nicht für die Europäische Union. David Engels’ Vergleiche zwischen der EU und der späten Römischen Republik sind ebenso plausibel wie pfiffig.
Zeichnung: Haderer
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

David Engels' Versuch einer historischen Parallelisierung der Europäischen Union und des spätrepublikanischen Rom gelingt laut Rezensent Olaf Rader erstaunlich gut. Auch die Schlüsse, die der Althistoriker zieht, scheinen dem Rezensenten einzuleuchten: Ohne kulturelle Identität kein Zusammenhalt. Für Rader liegt das an Engels' kluger Argumentation und seiner Rückbindung an die Komparatistik bei Spengler und Toynbee. Auch wenn Rader die von Engels veranschlagten Scheidungsraten im alten Rom und bei uns nicht für ausschlaggebend hält - im Wesentlichen scheinen ihm die Aussagen des Autors und seine Prognosen Sinn zu ergeben.

© Perlentaucher Medien GmbH