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  • Buch mit Leinen-Einband

Miron Bialoszewski, so sein weltweit bekannter Landsmann Czeslaw Milosz, war möglicherweise der "heraus ragendste polnische Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg". In Polen dürfte dieses Urteil breite Zustimmung finden, für das deutsche Publikum ist es nicht nachvollziehbar. Bialoszewski ist hier weitgehend unbekannt. Dabei war er eine schillernde Figur. Poet, Theatermann, ein Bohemien in Zeiten der Volksrepublik, Gastgeber literarischer Salons im Plattenbau, ein Freigeist der besonderen Art. In seinem Tagebuch, hier auf Deutsch mit einem erhellenden Vorwort seines polnischen Herausgebers, legt der Dichter sein Leben dar.…mehr

Produktbeschreibung
Miron Bialoszewski, so sein weltweit bekannter Landsmann Czeslaw Milosz, war möglicherweise der "heraus ragendste polnische Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg". In Polen dürfte dieses Urteil breite Zustimmung finden, für das deutsche Publikum ist es nicht nachvollziehbar. Bialoszewski ist hier weitgehend unbekannt. Dabei war er eine schillernde Figur. Poet, Theatermann, ein Bohemien in Zeiten der Volksrepublik, Gastgeber literarischer Salons im Plattenbau, ein Freigeist der besonderen Art. In seinem Tagebuch, hier auf Deutsch mit einem erhellenden Vorwort seines polnischen Herausgebers, legt der Dichter sein Leben dar.
Autorenporträt
Miron Bialoszewski, geboren 1922 in Warschau, gestorben dort 1983, in Polen sehr bekannter und einflussreicher Dichter und Theatermann. Der erste Lyrikband erschien 1956, vieleseiner Gedichte wurden vertont. Führte lange Zeit ein Untergrundtheater; sein"Geheimes Tagebuch" erschien in Polen erst 2012. Auf Deutsch bisher eine Auswahlseiner Gedichte in der Übersetzung von Dagmara Kraus: "Wir Seesterne"(2012) und die Erinnerungen an den Warschauer Aufstand, übersetzt von Esther Kinsky:"Nur das was war" (1994)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der polnische Dichter Miron Białoszewski ist auch durch seine eigenwillige Sprache und seine Experimentierfreude bekannt geworden, weiß Marta Kijowska, die Lektüre seines "geheimen Tagebuchs" wird dadurch allerdings nicht erleichtert, warnt die Rezensentin. Wer sich aber darauf einlässt, wird von erstaunlich politischen Betrachtungen über Polen überrascht werden, derer sich Białoszewski eigentlich immer enthalten hatte, weil er sich in der Rolle des "ewigen Flaneurs" und des abseitigen Skeptikers gefiel, erklärt Kijowska.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2014

Als Mensch, der ein Pole ist
Tagebuchenthüllungen: Zwei große Literaten ihres Landes berichten vom Leben im und mit dem Sozialismus

Seit einem Jahr ist er tot, seine Theaterstücke werden in Polen nur noch selten gespielt, und seine Autobiographie mit dem rätselhaften Titel "Balthasar" war ein Buch, mit dem er sich 2007 auch von den deutschen Lesern unmissverständlich verabschiedete. Nun aber legt der Diogenes Verlag gleich zwei neue Titel des polnischen Dramatikers Slawomir Mrozek auf: sein letztes Stück "Karneval oder Adams erste Frau" und vor allem den ersten, die Jahre 1962 bis 1969 umfassenden Band seines opulenten Tagebuchs.

Der Zeitpunkt, zu dem diese Aufzeichnungen einsetzen, markiert einen Wendepunkt in Mrozeks Biographie: Trotz wachsender Bekanntheit beschloss er damals, Polen zu verlassen - was er auch ein Jahr später tat. Er ging nach Italien und ließ sich an der Riviera in dem kleinen Ort Chiavari nieder. Auch hier nahm sein Tagebuch schnell an Umfang zu. Gedanken zum Leben und Schreiben vermischten sich mit Entwürfen zu neuen Stücken und vor allem mit Reflexionen zu seiner neuen, nicht gerade einfachen Lebenssituation, in der er dennoch eine Chance sah: "Meine menschliche Beziehung zur Welt, mein Zusammenprall mit der ganzen Welt, als Mensch, der ein Pole ist ... Das könnte für die Leute von hier interessant sein", notierte er nach seiner Ankunft.

Doch diese Zuversicht währte nicht lange: Schon ein Jahr später geriet Mrozek in eine schwere Identitätskrise. Zu dem, was er hinter sich gelassen hatte, wollte er nicht zurück; das, was vor ihm lag, war ungewiss oder unerreichbar. Seine Selbstzweifel und Depressionen versuchte er abwechselnd mit Alkohol zu betäuben und in seinem Tagebuch zu artikulieren: "Ich habe erst jetzt begriffen, wie schrecklich mich die Literatur langweilt, wie schrecklich gern ich es hätte, dass man mich von ihr befreit oder dass sich ihr Prinzip ändert." Trotzdem schrieb er weiter, in demselben unverwechselbaren Stil, dessen Grundprinzip in der Anhäufung absurder Situationen bestand, die dann mit eiserner Logik gelöst wurden. Erst die politischen Ereignisse von 1968 halfen Mrozek aus dieser Krise der ersten Exiljahre heraus. Damals ging er nach Paris, wo er schon wenige Monate später gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings protestierte und politisches Asyl in Frankreich beantragte. Wie sich seine von jetzt an steile Karriere auf den Stil des Tagebuchs auswirkte, wird man erst aus den nächsten Bänden erfahren. Eines aber sieht man jetzt schon: Die Aufzeichnungen zeigen ihn von einer völlig neuen Seite - nicht als den alles ad absurdum führenden Satiriker, sondern als ernsten, nachdenklichen (um nicht zu sagen: grüblerischen) und sehr kritischen Menschen, dem ein Hauch von Tragik anhaftet.

Sein damaliger Zustand, den Mrozek als "mein Streben nach Identität" oder "das Verschwimmen im Nichts" beschreibt, macht das Tagebuch allerdings über lange Strecken zur mühsamen Lektüre. Denn welche Themen er auch streift - Literatur, Theater, Film, Politik, Philosophie, Religion -, das eigentliche Objekt seiner Betrachtung ist meist er selbst. Zudem mangelt es dem Stil dieser Autoanalysen oft an Klarheit und Präzision, und es ist das Verdienst der kurz nach Fertigstellung des Manuskripts verstorbenen Übersetzerin Doreen Daume, dass die deutsche Fassung eine gewisse Flüssigkeit besitzt.

Viel Ausdauer und Wohlwollen erfordert auch "Das geheime Tagebuch" des Dichters Miron Bialoszewski, dem sein ungewöhnliches Sprachempfinden und sein Hang zu Sprachexperimenten das Prädikat des wichtigsten Vertreters der "linguistischen Poesie" bescherte. In Deutschland kennt man nur den Gedichtauswahlband "Wir Seesterne" und vor allem "Nur das was war", die Erinnerungen des 1922 geborenen Lyrikers an den Warschauer Aufstand, einen sprachlich fulminanten Bericht, der nicht den Widerstand selbst, sondern minutiös genau den Alltag der Zivilisten schildert. Bialoszewskis Tagebuch ist ein Selbstporträt und zugleich eine einzigartige, aus Situationsbeschreibungen und Dialogszenen bestehende Chronik des polnischen Nachkriegsalltags, mit dem der Dichter abermals zeigt, dass für ihn nur das zählte, was "ausgesehen ist, ausgerochen, was sich ausgetreten hat".

Dem Titel gemäß blieb das die Jahre 1975 bis 1983 umfassende Tagebuch lange unbekannt - von seiner Existenz wusste nur eine mit Bialoszewski befreundete blinde Dichterin. Er bewies aber auch anderweitig, dass er ein exzellenter Beobachter war: mit seiner Lyrik, seinem berühmten "Wohnungstheater", das von der gesamten kulturellen Elite Warschaus und einmal auch von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir frequentiert wurde, und durch seinen Lebensstil, mit dem er die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem aufhob. Freunde, die ihn jederzeit, auch nachts, besuchen durften und die er meist im Bett liegend empfing (nicht einmal für Allen Ginsberg machte er eine Ausnahme), waren seine wichtigste Nachrichtenquelle. Er hielt nichts von Telefon, Radio und Fernsehen, las keine Zeitungen, und zu einem politischen Akt wie der Unterzeichnung eines Protestbriefes entschloss er sich nur dann, wenn er jemandem einen Gefallen tun wollte.

Und doch ist die Politik sehr stark in diesen Aufzeichnungen präsent - vor allem vom Jahr 1978 an, in dem Ereignisse wie die Wahl Karol Wojtylas zum Papst, die Entstehung der "Solidarnosc" und die Ausrufung des Kriegsrechts aufeinanderfolgten und das Regime zu bröckeln begann. Bialoszewski wollte auch dann noch der "vereinzelte Dichter" bleiben, der "abseits als Skeptiker" lebt, doch sein Tagebuch beweist das Gegenteil: "Es stehen Schlangen nach Bonbons zum Nikolaustag", notiert er im Winter 1980. "Ich hörte, wie ein Weib dem anderen das Kind lieh, und man das Kind in diesem Gemenge zerquetschte."

Warschau und die umliegenden Orte sind die wichtigsten Schauplätze des Tagebuchs, der karge realsozialistische Alltag und das meist inoffizielle, in privaten Wohnungen und Ateliers stattfindende Kulturleben seine tragenden Momente. Hinzu kommt das Motiv der Träume, an die Bialoszewski sich mit größter Intensität erinnert und in denen er auch seine Homosexualität thematisiert.

Erst in New York, wohin er im Jahr 1982 fuhr, um einen Preis entgegenzunehmen, konnte er seine erotischen Phantasien ungezwungen ausleben. Auch sonst fühlte er sich dort wie zu Hause, ohne die übliche Perspektive der wohlwollenden Distanz aufzugeben. Manhattans Energie und Reichtum nahm er so gelassen hin wie dessen dunkle Seiten, ohne Anstoß daran zu nehmen. Dafür mit der Neugier des ewigen Flaneurs und jener Gelassenheit, die ihm, dem Herzkranken, das Bewusstsein der Todesnähe gab: "Jetzt habe ich nur noch einen dritten Infarkt vor mir, der gewiss der letzte sein wird", notierte er im Frühjahr 1983. Wenige Monate später hat sich seine Vorahnung erfüllt.

MARTA KIJOWSKA.

Slawomir Mrozek: "Tagebuch 1962-1969".

Aus dem Polnischen von Doreen Daume. Diogenes Verlag, Zürich 2014. 522 S., geb., 29,90 [Euro].

Miron Bialoszewski: "Das geheime Tagebuch".

Aus dem Polnischen von Dagmara Kraus. Ausgewählt und mit einem Vorwort von Tadeusz Sobolewski. Edition Fototapeta, Berlin 2014. 430 S., geb., 24,80 [Euro].

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