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Besessen von einer utopischen Vision rief Mordecai Noah, ein New Yorker Politiker und Amateurdramatiker, im Jahre 1825 alle verlorenen Stämme Israels auf, sich zu einer Insel in der Nähe von Buffalo zu begeben, in der Hoffnung, dort einen jüdischen Staat zu errichten. Sein fehl geschlagener Plan, eine bloße Fußnote der jüdisch-amerikanischen Geschichte, ist der Ausgangspunkt für Ben Katchors brillant imaginiertes Epos, das sich einige Jahre später auf den Straßen New Yorks entfaltet.Ein in Ungnade gefallener koscherer Schlachter, ein Importeur religiöser Artikel und Strumpfwaren für Damen, ein…mehr

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Produktbeschreibung
Besessen von einer utopischen Vision rief Mordecai Noah, ein New Yorker Politiker und Amateurdramatiker, im Jahre 1825 alle verlorenen Stämme Israels auf, sich zu einer Insel in der Nähe von Buffalo zu begeben, in der Hoffnung, dort einen jüdischen Staat zu errichten. Sein fehl geschlagener Plan, eine bloße Fußnote der jüdisch-amerikanischen Geschichte, ist der Ausgangspunkt für Ben Katchors brillant imaginiertes Epos, das sich einige Jahre später auf den Straßen New Yorks entfaltet.Ein in Ungnade gefallener koscherer Schlachter, ein Importeur religiöser Artikel und Strumpfwaren für Damen, ein Pilger der mit Erde aus dem gelobten Land hausieren geht, ein moderner Kabbalist, ein Mann mit dem Plan, den Erie-See mit Kohlensäure zu versetzen - dies sind nur einige der unglaublichen Charaktere, die sich durch Katchors Universum bewegen. Ihre Lebenswege verknüpfen sich in ihrem gemeinsamen Bemühen, einen Platz in der Neuen Welt zu finden, eben als diese einem wirtschaftlichen Rausch verfällt, der sie in die Zukunft tragen - oder bankrott zurücklassen kann.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2009

Lieber Biber
Höhepunkt in der Geschichte des Comics: Ben Katchors Hauptwerk „Der Jude von New York”
Mit überwältigendem Erfolg zeigte vor einiger Zeit eine Ausstellung in Frankfurt die Geschichte einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen, in Wirklichkeit aber logischen und sehr folgenreichen Verbindung: die des Comics und des Judentums. Ungewöhnlich vor allem angesichts der zentralen Stellung, die das Bildverbot im Judentum einnimmt. Zugleich logisch, weil im New York des ausgehenden 19. Jahrhunderts, während der Anfangphase des Comics, im Sprachgewirr der jüdischen Einwanderer Bilder die Kommunikation erleichterten. Ein knappes halbes Jahrhundert später sind es junge Amerikaner mit jüdischen Wurzeln, die die beiden bekanntesten Figuren des Comics erfinden: Bei Jerry Siegel und Joe Shuster nimmt es 1938 Superman locker mit jedem Nazi auf, ebenso wie ein Jahr später Bob Kanes „Batman”. Aus der Legende des Golems, dem Retter des jüdischen Volkes, wird der Trivialmythos des Superhelden.
Nachdem der Comic in den fünfziger und sechziger Jahren eine schwere Krise überstanden hat, sind es vor allem jüdische Zeichner, die mit spezifisch jüdischen Themen dem Medium entscheidende neue Impulse geben. Will Eisner veröffentlicht 1978 mit seinem autobiografischen Buch „Ein Vertrag mit Gott” eine der ersten Graphic Novels überhaupt, eine Form, die Art Spiegelman mit seinem Holocaust-Comic „Maus” perfektioniert. „Sich Erinnern ist das Geheimnis der Erlösung”, lautet eine jüdische Weisheit. Es ist gerade diese Erinnerungskultur, die durch jüdische Zeichner Eingang in den Comic gefunden hat, und mit ihr Stoffe, die zeigen, dass das Medium sich genauso wie jedes andere zur Aufarbeitung von Geschichte eignet.
Bei der Ausstellung in Frankfurt über Comic und Judentum war auch einer der bedeutendsten Comicautoren der Gegenwart vertreten, von dem leider bis vor kurzem nahezu nichts auf Deutsch vorlag: Ben Katchor, der wie Chris Ware und Charles Burns in Spiegelmans legendärem „Raw”-Magazin mitarbeitete und zusammen mit ihnen stilbildend für eine ganze Generation von jüngeren Zeichnern wurde. In den USA sind mittlerweile drei Bände mit Katchors unzusammenhängenden Kurz-Comics über die Erlebnisse des Immobilienfotografen Julius Knipl erschienen. Als typisch moderner Flaneur wandert der durch eine namenlose Großstadt, die unschwer als New York erkennbar ist. Knipls Blick gilt den schrägen Vögeln; etwa einem Sammler von Zigarettenstumpen, an denen Lippenstift abgefärbt hat. Und was bei Comics nur selten glückt, gelingt Katchor in diesen Strips: Man hat das Gefühl, es wirklich mit einer Kunst sowohl des Wortes als auch des Bildes zu tun zu haben.
Der Graphic-Novel-Boom bringt es nun glücklicherweise mit sich, dass zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung in den USA und einer Reihe von Übersetzungen endlich der kleine Berliner Avant-Verlag Katchors Hauptwerk herausbringt, den hundertseitigen Comic-Roman „Der Jude von New York”. Wie schon in „Julius Knipl” kommt auch hier Katchors Vorliebe für das Abwegige zur Geltung. Es geht um eine Fußnote in der jüdisch-amerikanischen Geschichte: 1825 will der Zionist Mordecai Manuel Noah auf einer Insel im Niagara River eine jüdische Kolonie namens Ararat gründen, ein Projekt, das schon bald im Sande verläuft. Diese Episode ist fünf Jahre später der Gegenstand einer antisemitischen Komödie des stets verschleierten Professor Solidus, die das New Yorker „New World Theater” aufführen will. Von einer Handlung im eigentlichen Sinne zu sprechen, wäre allerdings bei „Der Jude von New York” verfehlt. Denn das Theaterstück um das gescheiterte Unternehmen Noahs bildet nur einen Faden im großen Geschichtennetz des Comics. Wie um Professor Solidus und seine Karikatur von dem Juden zu widerlegen, lässt Katchor die unterschiedlichsten Charaktere der damaligen jüdischen Gemeinde der Stadt auftreten. In einer Mischung aus kapitalistischem Fieber und Angst um den Verlust ihrer Kultur gehen die meisten von ihnen die absurdesten Unternehmungen ein.
Der findige Francis Oriole zum Beispiel wittert angesichts der steigenden Beliebtheit von Sodawasser in der Karbonisierung des gesamten Lake Eerie das große Geschäft. Der Kabbalist Yosl Feinbroyt verfolgt das verdienstvolle Projekt eines Wörterbuchs, das sämtliche Ess- und Verdauungsgeräusche des Menschen verzeichnet. Der längste und kaum überbietbar groteske Handlungsstrang ist jener um den Trapper Moishe Ketzelbourd. Neben der Jagd besteht dessen Hauptbeschäftigung in der beinahe religiösen Verehrung der einbeinigen Schauspielerin Patella. Eines Tages erkennt Ketzelbourd, dass die Tiere, denen er da zu Tausenden das Fell abzieht, in ein paar Jahren ausgestorben sein werden; ihn überfällt lähmende Melancholie, während der sich sein Verhalten nach und nach dem eines Bibers angleicht.
Man könnte Katchors „Der Jude von New York” mit einem kabbalistischen Lebensbaum vergleichen, in dem alles mit allem verbunden ist. Oder mit einem polyphonen Kanon, in dem auf jeder Seite eine weitere Stimme hinzutritt, bis sich ein dicht komponiertes Geflecht von Figuren und Motiven ergibt. Tatsächlich ist Katchor ein Meister des Kontrapunkts: Inhaltlich, wenn scheinbar nebensächliche Details plötzlich eine ungeahnte Bedeutung erhalten; und formal im Zusammenklang des nüchternen pseudowissenschaftlichen Tons der Texte mit den unaufdringlichen Wasserfarbezeichnungen. Katchor gehört nicht zu der Legion von Zeichnern, die den oberflächenbetonten Stil der Klaren Linie vertreten. Seine schwarzweißen Stadtansichten besitzen eine Tiefe, die sie oft als Kulissen erscheinen lässt. Es sind die Kulissen einer Welt voller hochtrabender ökonomischer Projekte, die sich im nächsten Moment allerdings schon als bloße Spinnerei herausstellen können.
Katchor mag hin und wieder seine Leser mit seiner unbändigen Fabulierlust überfordern. Die Bilder sind kaum groß genug, um die riesigen Sprechblasen zu fassen. Mit seinem Buch hat er aber mehr als nur eine witzige und genaue Studie des jüdischen Milieus in den USA am Anfang des 19. Jahrhunderts vorgelegt. Ohne die Menschen, die hinter den gescheiterten Projekten stehen, vorzuführen, zeigt Katchor den Wahnwitz des frühen Kapitalismus, ein Thema, das gerade heute ungebrochen aktuell erscheint. Die Art und Weise, wie virtuos und intelligent Katchor darüber hinaus Text und Bild kombiniert, macht „Der Jude von New York” zu einem Höhepunkt in der Geschichte des Comics.
THOMAS VON STEINAECKER
BEN KATCHOR: Der Jude von New York. Avant-Verlag,Berlin 2009. 97 Seiten, 19,95 Euro.
Ben Katchor gilt mit Chris Ware und Charles Burns als stilbildender Zeichner der Gegenwart
Wahnwitz des frühen Kapitalismus: Sequenz aus „Der Jude von New York” Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Christian Gasser hat seine Freude an diesem leicht surrealen Comic-Roman von Ben Katchor - auch wenn er den potenziellen Leser warnt, dass die Lektüre ein ganzes Stück Mühe abverlangt, und dass es etwas Zeit braucht, bis sich die komplexen Charaktere voll entfalten. Schauplatz ist das jüdische New York um 1830, Thema sind die vielfältigen Formen von Identitätssuche der Neueinwanderer. Katchor nähert sich seinem Thema allerdings nicht wie in einem "Geschichtsbuch", sondern spekuliert auf eine halb surreal, halb realistische Weise über die Möglichkeiten, die sich damals boten. Das Ergebnis ist eine "fantastische Freske", ein "irrwitziges Kaleidoskop" und einer der "außergewöhnlichsten und hervorragendsten Comics der letzten Jahre".

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