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Marcel Proust ist der Größte: Über Mann und Nabokov hat Michael Maar Bücher geschrieben, in denen er in unnachahmlicher Weise anhand neuer Sichtweisen auf unbeachtet gebliebene biographische Details Neuinterpretationen von großer Tragweite gewagt hat. Keiner der beiden aber vermag wie Proust, den Spürsinn des Interpretationsjägers zu wecken und gleichzeitig sein Herz zu erwärmen. Der große Marcel war kein Hohepriester seiner selbst, sondern ein ebenso liebenswürdiger wie boshafter Plauderer. Wie kaum ein anderer hat er seine Freunde, seine Liebhaber, seine Welt, die eigene Biographie in…mehr

Produktbeschreibung
Marcel Proust ist der Größte: Über Mann und Nabokov hat Michael Maar Bücher geschrieben, in denen er in unnachahmlicher Weise anhand neuer Sichtweisen auf unbeachtet gebliebene biographische Details Neuinterpretationen von großer Tragweite gewagt hat. Keiner der beiden aber vermag wie Proust, den Spürsinn des Interpretationsjägers zu wecken und gleichzeitig sein Herz zu erwärmen. Der große Marcel war kein Hohepriester seiner selbst, sondern ein ebenso liebenswürdiger wie boshafter Plauderer. Wie kaum ein anderer hat er seine Freunde, seine Liebhaber, seine Welt, die eigene Biographie in Literatur verwandelt und die Geheimnisse des eigenen Lebens in den unergründlichen Weiten, den verborgenen Ecken und Nebenräumen jenes prächtigen Gebäudes untergebracht, das die "Recherche du temps perdu"Leoparden im Tempel". Seine Nabokov-Studie "Solus Rex" für alle Zeiten darstellt. In sieben Kapiteln führt Michael Maar den Leser durch diesen Palast. Eine Ortsführung vorzugsweise auch für jene, die bisher noch nicht dem Zauber des großen Franzosen erlegen sind.
Autorenporträt
Michael Maar, geboren 1960 in Stuttgart, lebt in Berlin. 1995 erhielt er für seine Arbeit über Thomas Mann den Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der er seit 2002 angehört. 2000 erhielt er den Lessing-Förderpreis für Kritik und 2002 war er Gastprofessor in Stanford. 2007 erschien im Berenberg Verlag " stand 2008 auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2009

13. Narziss, Proust und Kammerzofe

Proust-Leser sind neugierig. Proust-Leser wollen alles wissen. Alles, was das große Werk, seine Entstehung, seine Figuren, seinen Erzähler und natürlich was seinen Autor angeht. Und dabei ahnen sie doch, dass sich bei Proust und seiner "Recherche" hinter jeder geöffneten Tür ein Vorhang, hinter diesem wieder eine Tür verbirgt, ein Vorzimmer, ein Salon, ein Gang, eine Treppe, eine Kammer mit einem Fensterchen, und dass all diese Räume mal im hellen Sonnenschein liegen, mal in Dämmerlicht gehüllt sind, immer anders erscheinen, nie zu ergründen sind.

Michael Maar ist so ein schlüsselsuchender, vorhängebewegender Leser; wieder und wieder öffnet er die verschiedenen Türen, betritt die proustsche Zimmerflucht mal durch den Vorder-, mal durch den Dienstboteneingang, wissend, dass das ein unendliches Gehen, Verweilen, Beobachten, Betrachten ist. Bei diesen Gängen machte er über die Jahre hinweg wundervolle, andere Proust-Leser beglückende Entdeckungen, von denen er nun in einem schmalen, bibliophilen Band erzählt. Da ist der berühmte Brief, den der sechzehnjährige Proust an seinen Großvater schrieb, um Geld für einen zweiten Bordellbesuch zu erbitten, der erste habe in einem Desaster geendet (angeblich zerbrach er in der Aufregung einen Nachttopf und war dann nicht mehr in der Lage, den Akt zu vollziehen). Ihn liest Maar als ein Beispiel für die früh von Proust entwickelte Begabung der das eigentliche Geheimnis deckenden Offenbarung. Lebenslang sah sich Proust zum Versteckspiel gezwungen, das ihn zwar eine einzigartige Fähigkeit im Beobachten der anderen entwickeln ließ, eine beängstigende Begabung für die liebenswürdige Schmeichelei, die einwickelnde Freundschaft; die ihm aber vor allem dazu diente, seinen grenzenlosen Egoismus und seine infantile Verletzlichkeit, seinen Narzissmus und seine Gleichgültigkeit zu verbergen, besonders aber sein großes Geheimnis: dass seine Liebe Männern galt. Das bis zur Naivität Offenherzige ergäbe dann, so Maar, gerade das Versteck, in dem das Geheimnis seinen Platz findet.

Wie groß die Angst vor Enthüllung war, zeigt die Korrespondenz mit den Freunden, etwa mit Lucien Daudet (hier wird das Versteckspiel mit Abkürzungen betrieben, wie "m. g." für "mauvais genre", einer Anspielung auf Männerliebe), werden verräterische Worte durch minutiöse Schilderungen zugedeckt, ist Proust um betonte Nachlässigkeit und Kühle des Tons bemüht. Und als Edgar Aubert, der wohl die erste große Liebe Prousts und Vorbild für Albertine, die Geliebte des Erzählers im Roman, war, an einer Blinddarmentzündung stirbt, fällt das Kondolenzschreiben geradezu stoisch aus - etwas, was bei dem sonst so gefühlsüberschwänglichen Proust aufhorchen lässt.

Prousts Roman ist zu großen Teilen nicht Erfindung, sondern Verwandlung; wie nahe Held und Erzählung dem Autor stehen, zeigen die Briefe, in denen Proust in der ersten Person von seinem Erzähler spricht (der ja Marcel heißt wie er selbst). Und da er einerseits so sehr aus dem Autobiographischen schöpft, andererseits seine sexuelle Neigung verschleiern will, verwandelt er die geliebten Männer eben in Frauen, wobei er manches Mal vergisst, Charakterzüge, Eigenschaften, Tätigkeiten und Interessen geschlechtsspezifisch anzupassen.

Berühmt geworden sind die hübschen jungen Fischerinnen; Maar nun folgt, mit großem Sinn fürs Komische, den Spuren der Kammerjungfer der Baronin Putbus - in der "Recherche" das sich ewig entziehende erotische Ziel des Erzählers -, und er entdeckt in den Vorstufen des Romans lang ausgeführte Passagen, in denen Held und Kammerzofe nicht nur zusammentreffen, sondern sogar intim werden. Im Anschluss dann schlägt der Erzähler einen Ausflug im Automobil vor, und die Zofe erwidert begeistert: ",Am liebsten mag ich Autos, Baccara, guten Wein und Pferderennen' - die typischen Interessen eines jungen Mädchens um 1900 eben", schließt Maar lapidar.

Da er nicht erfinden konnte, musste sich Proust dem Unbekannten, von dem er erzählen wollte, aussetzen, durchstreifte er das verdunkelte, von deutschen Fliegern bombardierte Paris, dessen Nachthimmel die Scheinwerfer absuchten, besuchte er die Schwulenbordelle, um sadomasochistische Sexualpraktiken zu studieren. Und als er vom Tod und vom Sterben erzählen wollte, nicht nur aus der Perspektive eines Angehörigen, eines Trauernden, sondern aus der des Sterbenden selbst, ging er auch diesen Weg. Zwei Tage wartet Céleste Albaret, die Haushälterin, Sekretärin, Pflegerin, Gesprächspartnerin, Vertraute, die im Herbst 1913 in Prousts Haus kam und neun Jahre, bis zu seinem Tod, an seiner Seite lebte, ihn liebte und verehrte, in der Küche auf sein Klingeln. Zwei Tage hört sie nichts. Sie schleicht zu seiner Tür, lauscht. Nichts. Dann, endlich, am Abend des zweiten Tages, klingelt es. Bleich und erschöpft liegt Proust da, sagt: "Auch ich habe geglaubt, daß wir uns vielleicht nicht wiedersehen würden." Er hatte Schlafmittel genommen, viel mehr als sonst, um "den schwarzen Grund mit den Fingerspitzen" zu berühren. Sie sprachen nie mehr darüber.

Bettina Hartz.

Michael Maar: "Proust Pharao". Berenberg-Verlag, 79 Seiten, 19 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2009

Spargel für die Schwangere
Michael Maars wunderbare Petitessen zu Marcel Proust
   Proust-Kommentare bewegen sich zwangsläufig zwischen Monumentalität und Pedanterie. Wer sich darauf einlässt, muss die geeignete Form finden: den biographischen Wälzer, die akribische Weitwinkelperspektive auf einen Dreitausendseitenroman, die Vertiefung in Marcels Manschettenknöpfe. Verwegene können es auch mit einer auf wenige Seiten hingestrichelten Gesamtschau zu Autor und Werk aus dem Zettelkasten versuchen wie im vorliegenden Fall.
   Dafür braucht man einen langen Atem und ein gutes Kurzzeitgedächtnis. Vor dreizehn Jahren wurden bei Christie’s hundert Briefe Prousts an Lucien Daudet, Alphonse Daudets jüngsten Sohn und Prousts neuen Schwarm des Winters 1895/96, versteigert. Michael Maar hat den Auktionskatalog genau studiert. Zwei Briefe fielen ihm auf. Einer schildert den Tod Alfred Agostinellis, der Prousts sehr persönlicher Sekretär war und literarisch in die „Recherche” einging. Der Briefschreiber erwähnt dabei aber auch den „schon länger zurückliegenden Tod” einer Person, von der im Romanteil „Im Schatten junger Mädchenblüte” kurz die Rede gewesen sei. „Was soll das heißen?” – fährt Maar dazwischen: ein unbekanntes Albertine-Modell?
Über verwinkelte Assoziationen kommt er auf Edgar Aubert, den jung an Blinddarmentzündung verstorbenen Genfer Geliebten, den manche Biographen wie Jean-Yves Tadié auch schon offen als ein Vorbild von Saint-Loup, „vielleicht auch von Albertine” ausmachten. Marcels angebetete Albertine mag in Wahrheit ein Albert gewesen sein – letztlich wohl gar ein Aubert, meint Maar: Man habe uns „lange genug ein l für ein u vorgemacht”. Die „Recherche” deutet der Autor entsprechend aus wechselnden Blickwinkeln immer neu als ein magistrales Konstrukt der Weltliteratur, mit dem dieser Detailschwindel zugleich gefeiert und vertuscht wird.
   Was in der unüberschaubaren Proust-Literatur sonst umständlich oder zügig zu Spekulationsachsen über Vorbilder zurechtgerückt wird, dröseln die sieben Kurz-Essays dieses Bändchens mit waghalsig verspielter Spitzfindigkeit auseinander und neu zusammen. Sie schaffen dabei das seltene Kunststück, mit lauter Nebensächlichkeiten stets die Hauptsache zu sagen. Fast jeder Satz ist hier ein Merksatz und kommt doch immer so leichtfüßig daher, als wäre er gerade einem spontanen Konversationseinfall entlaufen. Den Zettelkasten so gut vergessen zu machen setzt seitens des Autors eine enorme Proust-Kenntnis und Proust-Liebe voraus. Man gäbe für dieses Bändchen, selbst wo man der Deutung nicht folgt, gern ganze Regale der Proust-Forschung dran.
Nichts banaler als dies, dass bei Proust wie bei vielen anderen Autoren die Menschen stets vielfältiger sind, als sie scheinen. Maar versteht es aber, dies ganz anders zu sagen. Im Großen Haus des Romanzyklus, das wie der Leuchtturm von Pharos aus ägyptischen Königszeiten uns durchs Jahrhundert orientiert, gebe es keine royalen Ichs in den Figuren, keine Herren im subjektiven Gehäuse, sondern immer nur „konkurrierende Anwärter”, schreibt Maar.
Statt auf die dominierenden Züge in Prousts Personen schaut er auf den bis zuletzt offenen Konkurrenzkampf in ihnen, der selbst die engelhaft ergebene und einfühlsame Françoise dem verwöhnten Marcel insgeheim auch den Strick wünschen oder boshaft das schwangere Dienstmädchen Unmengen von Spargel schälen lässt, nur weil es davon Asthma-Anfälle bekommt.
   Mag ja sein, dass zwischen Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit” und Thomas Manns „Zauberberg” Parallelen bestehen: Maar sucht dies mit zehn Hauptgründen und doppelt so vielen Nebengründen darzulegen. Ob dem so sei, ist uns letztlich egal, doch welche Freude, sich in diesen Begründungen zu verlieren. Das Humorvolle, Komische, Witzige springt bei beiden ohnehin ins Auge. Maar betrachtet es bei Proust neben den bombastischen Übertreibungen auch in den winzigen Unschärfen der Schilderung, die das Erzählen manchmal plötzlich ins unfreiwillig Absurde abrutschen lässt wie in einer Szene von „Combray”. Der junge Marcel ist dort beim Spazieren auf einer Anhöhe vor dem Haus der Vinteuils eingeschlafen. Beim Erwachen wird er Zeuge eines kleinen lesbischen Rituals, bei dem er nicht nur den Blusenstoff von Vinteuils Tochter mit allen Einzelheiten erkennen kann, sondern auch deutlich sieht, wie die junge Frau ein Foto ihres Vaters bespuckt. Er sieht das so genau, weil ihn – so lesen wir – nur „wenige Zentimeter” vom Fenster trennen. War der Abhang tatsächlich so nah? – wundert sich Maar: Frau Vinteuil hätte kein Fenster aufmachen können. Doch, so fügt er hinzu, sei diese Kuriosität fast unvermeidlich, denn die „Recherche” verfügt über keinen allwissenden Erzähler. Selbst Intimes erfahren wir nur über Marcels Beobachtung.
   Aus solchen Schärfen und Unschärfen sammelt der subtile Proust-Kenner anekdotisch, biographisch, detektivisch, textkritisch die Züge zu einem pointillierten Gesamtbild von Prousts Leben und Werk. Disparates überlagert sich da plötzlich zur immer neuen Überraschung, wie auf jenem Venedig-Foto, auf dem Proust laut Maar es schafft, im Profil zugleich wie Charlie Chaplin und Nietzsche auszusehen. Das mag man anders sehen, wie man auch das Motiv des Spargels bei Proust in Maars Darstellung für etwas überbelichtet halten mag. Das reizvolle Buch liest man dennoch mit angehaltenem Atem bis zur letzten Zeile. JOSEPH HANIMANN
MICHAEL MAAR: Proust Pharao. Berenberg Verlag, Berlin 2009. 79 Seiten, 19 Euro.
Und dann bespuckt die junge Frau das Foto ihres Vaters
Der Kritiker und Autor Michael Maar, 1960 in Stuttgart geboren Foto: Jürgen Bauer
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Merklich angeregt berichtet Henning Ritter von den neuen Proust-Streifzügen Michael Maars, den er als einen literarischen Kriminalisten beschreibt. Besonders interessiert ihn an Maars Buch das Wechselspiel von Ver- und Entzauberung und Ver- und Entschleierung. Ohne den Hintergrund von Prousts Homosexualität, so Ritter und so auch Maar, lässt sich diese eigentümliche Ambiguität der "Recherche" wohl nicht erklären: Sein Roman ist einer der Entzauberung, der den Zauber aufbewahrt, aber wohl keiner der Entschleierung, denn die Homosexualität des Autors - das ist der Epoche geschuldet - muss ewig unterdrückt bleiben. Man verspricht sich nach Lektüre der Ritter-Kritik eine anregende Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH