Produktdetails
  • arte Edition
  • Verlag: PARTHAS
  • Seitenzahl: 494
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 1020g
  • ISBN-13: 9783932529450
  • ISBN-10: 3932529456
  • Artikelnr.: 10722704
Rezensionen
Stimme aus dem Verlag
Der weltbekannte Dirigent Wilhelm Furtwängler ist ein Mythos. Die Musikwelt reibt sich bis heute an dem Genie: Die einen nennen ihn einen politischen Opportunisten, ja gar Parteigänger der Nationalsozialisten, die anderen loben ihn als Retter der Verfolgten des Gewaltregimes, dem er Widerstand leistete.
Der Kulturpublizist Herbert Haffner hat sich von all dem nicht beirren lassen und in seiner Biografie akribisch die Quellen gesichtet und Fakten zusammengetragen.
Entstanden ist ein glänzend geschriebenes Portrait des bedeutenden Künstlers und zwiespältigen Menschen. Packend zu lesen, weil ohne Klischees und Vorurteile.
(Gisela Mohr, Parthas Verlag, Presse)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2003

Geheimnis des Fernhörens
War er vor allem eine historische Figur? Herbert Haffners Biographie von Wilhelm Furtwängler
Es ist schwer, mit Worten der Musik nahe zu kommen. Oder auch nur: die Kunst und die Wirkung eines Dirigenten genauer zu beschreiben. Der Komponist Paul Hindemith hat vielleicht mit einem einzigen Satz über Wilhelm Furtwängler, den er seit 1919 kannte, das Wesentliche getroffen: „Er besaß das große Geheimnis der Proportion”. Hindemith hat den umfassenden Gedanken in einem Text zum Tod Furtwänglers 1954 geschrieben, dem er den Titel gab: „Ein Maß, das uns heute fehlt”.
Ob Furtwängler auch fünfzig Jahre nach seinem Tod noch „Maß” sein soll oder kann, werden nächstes Jahr in aller Welt Bücher, Essays, Artikel, Ton- und Bildträger herauszufinden versuchen, indem sie unterschiedlich Maß an ihm anlegen. Der Berliner Parthas Verlag jedenfalls, im Umgang mit musikalischen Schriften erfahren, ist der erste, der mit einer dicken Monografie den Ton angeben will. Vom Autor Herbert Haffner stammt ein populärer Orchesterführer des Verlags mit dem Titel „Orchester der Welt”.
Ist es ein Omen, dass Haffner das Hindemith-Zitat nicht vollständig wiedergibt? Er unterschlägt nämlich, Unachtsamkeit oder Absicht, das Wörtchen „groß” bei dem „Geheimnis der Proportion”. Die Unterlassung mag dafür stehen, dass da nicht nur die Dimension einer Aussage beschnitten, sondern in dem Buch das lang gepflegte Pathos im Umgang mit der Figur Furtwängler überhaupt zurückgefahren wird. Deren Alltags- und Erdenrest wird nämlich durchaus verarbeitet: Kleinheit, Fehler und Schwächen, unangenehme Seiten sind benannt, Hagiographie findet nicht statt. Und auch Furtwänglers eigener Sprachgebrauch von „Größe” kommt nicht mehr vor.
„Glaube an die Größe der Meister ist der Glaube an menschliche Größe überhaupt... Mit dem Glauben an menschliche Größe wird die Seele wieder in den Mittelpunkt gerückt, wohin sie gehört.” Das Furtwängler-Wort in seinem nebulös-antimodernistischen Zungenschlag macht deutlich, was an Furtwänglers außermusikalischer Sprache, seinem Denken, seinen Überzeugungen und Bekenntnissen heute obsolet erscheint. Der Autor hat Fakten eines Lebens und einer Karriere gesammelt, er beschreibt nüchtern, möglichst genau historische Zusammenhänge – wofür 500 Buchseiten nicht zuviel sind, wenn man die Fülle musikalischer, musikhistorischer, privater und politischer Fakten und Umstände, Personen und Wirkungsorte bedenkt, die Furtwängler als Schlüsselfigur einer Epoche in sich birgt.
Zäh erfochtene Übernahme
Dass dieser Mann zum musikalischen Mythos, zum Streitfall bis heute werden konnte, hat – neben seiner tatsächlich erratischen künstlerischen Größe und seiner Bedeutung für die Geschichte der musikalischen „Interpretation” – mit einer in ihm wirkenden Überkreuzung der Linien von Kunst, Geschichte und Politik zu tun. Furtwängler erscheint auch in Haffners Buch als zwiespältige Künstlergestalt des Dritten Reichs, als prekäres Jahrhundert-Symbol des vermeintlich „unpolitischen Künstlers”. Ein Theaterstück (von Ronald Harwood) und ein darauf basierender spektakulärer Film („Taking Sides” von István Szabó) belegen den „Fall Furtwängler” geradezu als tragisches Exempel zwischen deutschnationalem Bildungsideal, ratlosem Mitläufertum und Opportunismus.
Stück und Film sind nur knapp genannt im ersten Kapitel, das mit dem Blick auf Furtwänglers Heidelberger Begräbnis am 4.Dezember 1954 eröffnet wird; der Beobachtung, dass hohe Politiker der jungen Bundesrepublik dem wichtigsten Dirigenten Deutschlands letzte Ehren verweigern. Statt Adenauer und Heuss sind Berlins Kultursenator Tiburtius und der österreichische Kulturminister an Furtwänglers Grab.
Geordnet breitet Haffner sein reiches, aus dem historischen Fundus geschöpftes und in Anmerkungen zu ortendes Material aus. Die Methode, Textfunde nicht in eigenen Diskurs zu verwandeln, sondern „ruckartig” in vielen halbfetten Blöcken auszustellen, fördert durchaus die „Brauchbarkeit” des Buchs: Zitatschätze lassen sich lesend bequem herausklauben. „Verbindungstexte” dagegen erscheinen zuweilen eher flüchtig gefasst.
Mit wenigen Strichen werden Kindheit und Jugend eines Hochbegabten, eines „Ausnahmemenschen” umrissen, dessen problematische Züge erkennbar bleiben: Dem Jungen, Sohn eines akademischen Archäologen, wird klassische Bildung eingepfropft, er ist verwöhnt, selbstherrlich-idealistisch, naturbegeistert, jähzornig, wankelmütig. Und es gelingt Haffner, den künstlerischen und privaten Lebensweg Furtwänglers, von den frühen Stationen seiner Dirigentenkarriere an, plausibel darzustellen: Breslau, Zürich, Straßburg, Lübeck, Mannheim.
Dann, nach dem Tod Nikischs 1922, die durchaus umkämpfte, zäh erfochtene Übernahme der Berliner Philharmonie und des Gewandhauses in Leipzig, bald das erste Amerika-Gastspiel, erste Schallplatten, die Wiener Philharmoniker, das Bayreuth-Debüt 1931. Früher Weltruhm. Die zwölf Jahre Drittes Reich machen zu Recht die Hälfte des Buchtextes aus, wobei sich Haffner nicht nur auf Goebbels’ Tagebücher oder die Breite bekannter Memoirenliteratur stützt, sondern auch auf neuere Forschungen von Michael Kater oder Fred Prieberg.
Der Blick hinter die Kulissen der Staatsmacht und des Dirigierbetriebs ist ergiebig: Der Leser erfährt von einer Karriere, die anscheinend nur aus dem Tauziehen zwischen Partei- und Dirigenteninteressen besteht, aus der Endlosschleife von Reisen, Konzerten und Symphonien, wo Kämpfe um die Orchester, die Produzenten und das Publikum, wo die Qualitätsansprüche, Eitelkeiten, Erfolge, Ängste letztlich ein Leben beherrschen. Frauen, für Furtwängler dringlich, und wie nebenbei gezeugte Kinder können nur ein Schattendasein führen. Und Tragik und Triumph bestimmen auch Furtwänglers letzten Lebensabschnitt, seine zweite Berliner Epoche. Ein Mythos beginnt zu wirken.
Furtwänglers Dirigierkunst und ihre hypnotische Wirkung? Das wird schon im vierten Kapitel, in einer vom Autor so genannten „groben Skizze”, etwas stiefmütterlich behandelt. Wobei er sich hauptsächlich auf Zitatzeugen beruft wie Menuhin, Gielen, Nicolet, Brendel oder Celibidache. Erhellend die frühe Beziehung zum Wiener Musiktheoretiker Heinrich Schenker, dem Furtwängler durchaus Zwiespältiges verdankt (die „Überlegenheit der deutschen Kultur” wie auch das Geheimnis des „Fernhörens”) und der ihn auch kritisierte. Das Wichtigste offenbarte sich später, „das große Geheimnis der Proportion”. Ob Furtwängler als „Maß” heute fehlt? Historisches Denken wird das nicht bestätigen wollen.
WOLFGANG SCHREIBER
HERBERT HAFFNER: Furtwängler. Parthas Verlag, Berlin 2003. 496 Seiten, 39, 80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wolfgang Schreiber ist sehr zufrieden mit Herbert Haffners Biografie, attestiert ihm hervorragende Sachkenntnis und geht besonders mit der Stoßrichtung des Buches d?accord: höchste Zeit, mit dem "Mythos Furtwängler" aufzuräumen. Haffner verzichte völlig zu Recht auf das "lang gepflegte Pathos" in der Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Dirigenten: "Hagiografie findet nicht statt." Stattdessen liefere er Argumente dafür, Furtwänglers Leben mit historischen Augen zu betrachten - und durch diese, so der Rezensent, sieht man einen Antimodernisten "zwischen deutschnationalem Bildungsideal, ratlosem Mitläufertum und Opportunismus". Er hebt außerdem die hohe "Brauchbarkeit" der Monografie hervor, sowie ihre gut organisierte Materialfülle, die auch die Länge von 500 Seiten voll rechtfertige. Haffner sei es gelungen, die Phasen im Leben und der Karriere Furtwänglers "plausibel darzustellen" und dazu erhellende Blicke "hinter die Kulissen der Staatsmacht und des Dirigierbetriebs" während der Nazizeit zu werfen.

© Perlentaucher Medien GmbH