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'Biagio Marins Gedichte sind in der Dialektsprache der Adriainsel Grado geschrieben, in der Großmutter- und Muttersprache, in der Nachtigall- und Amselsprache, Rosmarin- und Rosensprache, Bäche- und Wiesensprache, sie sind geschrieben mit sehr nahen Worten, und handnah ist diese Welt. Es sind Gedichte der Physis. 'Die Wimper hat Schatten', aber keine Worte hat diese Sprache für die allgemeineren Ereignisse und Dinge. Zwar gebraucht Marin auch Worte von draußen, aus dem großen Italien, aus den Verhältnissen der Kommunikation, aber dann sind es übersetzte, aus dem großen Italienisch in ein…mehr

Produktbeschreibung
'Biagio Marins Gedichte sind in der Dialektsprache der Adriainsel Grado geschrieben, in der Großmutter- und Muttersprache, in der Nachtigall- und Amselsprache, Rosmarin- und Rosensprache, Bäche- und Wiesensprache, sie sind geschrieben mit sehr nahen Worten, und handnah ist diese Welt. Es sind Gedichte der Physis. 'Die Wimper hat Schatten', aber keine Worte hat diese Sprache für die allgemeineren Ereignisse und Dinge. Zwar gebraucht Marin auch Worte von draußen, aus dem großen Italien, aus den Verhältnissen der Kommunikation, aber dann sind es übersetzte, aus dem großen Italienisch in ein kleines Italienisch übertragene, zurückisolierte, in die Nähe übersetzte und in die Würde, denn die Würde ist winzig; auch sehr leicht, das Leichteste, das Licht. Mit den wenigen hundert Wörtern, auf die Marin schließlich sein Vokabular einschränken kann, schreibt er von der Landschaft, dem Licht, den Sternen, der Lagune, dem Meer, den Bächen, Blumen, Feldern, dem Wind, sinnliche Einzelheiten, Lebendigkeiten, wieder und wieder, nahezu monoton, aber jedes Wort steht im Prozeß der Sublimation, im Prozeß des Leichtwerdens, des Ineinsgehens, also auch des Sterbens.' (Peter Waterhouse)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000

La vita va via
Die Wiederentdeckung des Dichters Biagio Marin
Es ist schon seltsam mit den Neu- und Wiederentdeckungen im Literaturbetrieb. 1991 erschien bei Rowohlt ein Lyrikband von Biagio Marin und fand nur wenig Freunde. Jetzt, fast ein Jahrzehnt später, hat der Verleger Urs Engeler nochmals den Versuch gewagt: In Memoria / Der Wind der Ewigkeit wird stärker heißt das Buch und bringt Gedichte Marins aus den Jahren 1973 bis 1983. Zusätzlich gibt es zwei Texte zu Biagio Marin. Sie stammen von Pier Paolo Pasolini und Andrea Zanzotto. Und plötzlich spricht man über Marins Dichtung.
Das ist schon seltsam, zumal da sich die Bedingungen für Lyrik, wie sie Marin schreibt, nicht gebessert haben. Dem Autor geht es ums Ganze, um Geburt und Tod, Ewigkeit und Wiederkehr, dies alles im Spiel mit dem Meer, der Sonne, dem Abendhimmel, der in die Nacht eintaucht. Pasolini nennt Marins Dichtung „ontologisch”. Etwas Schlimmeres kann einem Autor heute gar nicht bescheinigt werden. Heillos veraltet könnte man Marins Verse nennen, aber genau in diesem Verdikt liegt die Spur zur Faszination.
Denn Marin ist ein Monolith in vielerlei Hinsicht. Er lebte lang und trug mit sich die Last des Jahrhunderts: 1891 in Grado geboren, erlebte er die Stadt als Teil der österreichischen Monarchie und als mondänen Kurort; in den Schulen sprach man Deutsch. Die zwei Kriege, die dann kamen, erschütterten Grenzen und das Bild von der Welt, jedoch nicht die Bestimmung Marins als Dichter: Grado ist es als äußerer wie innerer Ort, der gradesische Dialekt ist die erwählte Sprache im Gedicht. – Marin: „Ich sollte die Stimme meiner Insel, die Stimme Grados sein, und sonst nichts. ”
Als Marin 1985 starb, hinterließ er an die vierzig Gedichtbände, Prosa und Aufsätze. Das Monolithische an Biagio Marin ist sein Beharren auf elementaren Größen: Im Namen selbst verbürgt sich das Maritime (einer seiner Töchter gab er den Vornamen Marina); durch die sprachliche Enge des Gradesischen kommt es zu einer Reduktion des Vokabulars. Sein „Gesang”, so Marin, sei „aus wenig gemacht”. Es sind Worte wie „Insel”, „Meer”, „Luft” und „Sonne”. – „Vier Noten / welche Not / und doch das große Gedicht / darin alles spricht. ” Der Verlust sprachlicher Vielfalt ist „Not” (Not im Angesicht der Historie), aber genau dadurch entgeht Marins „Gesang” dem Vorwurf, verspätete natursymbolistische Dichtung zu sein. Das „große Gedicht” entsteht vielmehr, wenn elementare Worte aus der Natur mit den Grundbestimmungen menschlicher Existenz in eins gesetzt werden können. Das ist Marins poetisches Ziel, nicht jenseits aller Metaphorik, aber doch weit entfernt von allen elaborierten und dunklen Metaphern. Das Rätsel des Seins ist nicht enträtselbar, es steht da, eingeschrieben in die Natur, eingeschrieben ins Gedicht. Doch dies Rätsel kann eben „Gesang” sein. Von den Dichtern sagt Marin: „Ohne Gesicht / schufen wir den Herrn / wir erfanden Paradies und Infern / einen Gesang voll Licht. ” Und im Gradesischen lauten die Zeilen: „Vemo creào / el gran Dio sensa viso, / l’inferno e ’l paradiso, / el canto piú infiorào. ” Alles ist im auslautenden Vokal „o” eins und zugleich Gesang im Prozess des Schaffens und des Lichtens.
Wenn sich Pasolini und Zanzotto mit der Anwesenheit des Göttlichen in Marins Gedichten Mühe haben, so muss man auch sagen, dass diese Präsenz keineswegs ungebrochen ist. Denn, wenn etwa „Hafen” die „Ewigkeit” mitvermeint, was bedeuten dann folgende Zeilen: „überall / bist du ohne Hafen / fahr nicht / in die Tiefe fall”?! Marin möchte den Leser nicht verstoßen, nur auch er muss verstehen, was es heißt, „in der Welt der Gewalt” Lyrik zu schreiben. Es heißt: „ich habe ein Feuer, / das brennt, aber das weint”. In Marins dichterischer Welt sind allein die Gegensätze von Dauer: Lebendiges Licht und die Nacht der Auslöschung, Gehen und Verwehen, Gott und immer wieder die glatte Negation im „nichts”. Und nur wer dieses Spannungsverhältnis aushält, sich darin hält, kann sagen: „Die Sonne, das Leuchten, das Wasser, das Brot / lohnen die Kämpfe und Wunden. ” Mit der Übertragung, die Peter Waterhouse maßgeblich gestaltet hat, wird klar, dass es sich bei Biagio Marin um einen Dichter ersten Ranges handelt. In der Gegensätzlichkeit allen Lebens suchen seine Worte „Lichtung”.
Das ist auch ein Wort Heideggers, ein anderes ist „Gerede”. Marin ist ein Dichter jenseits allen Geredes. Seine lyrische Rede hat Wert, gibt Sinn und man hofft, dass weitere Texte Marins übersetzt werden mögen. Denn mit Biagio Marin kann man lesend ein Stück des Weges gehen und sagen: „la vita va via.. Es sich sagen und wieder sagen, bis einem der Doppel- und Dreifachsinn der Worte in der eigenen Sprache zufällt: „das Lebendige lichtet. ”
ANDRERAS PUFF-TROJAN
BIAGIO MARIN: In Memoria / Der Wind der Ewigkeit wird stärker. Gedichte. Gradesisch und in einer Übersetzung von Riccardo Caldura, Maria Fehringer und Peter Waterhouse. Urs Engeler Editor, Basel 1999. 170 Seiten, 29 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

`Ich sollte die Stimme meiner Insel, die Stimme Grados sein, und sonst nichts`, zitiert Andreas Puff-Trojan in seiner einfühlsamen Besprechung den hier noch einmal neu ins Deutsche übertragenen Dichter Biagio Marin (1891 - 1985). Beigegeben sind diesem Band Aufsätze von Pier Paolo Pasolini und Andrea Zanzotto, die, wie Puff-Trojan sagt, einige Schwierigkeiten mit der Anwesenheit des Göttlichen in Marins Gedichten haben. Dessen Lyrik, so schreibt er, lebe jedoch bei allem monolitihisch-ontologischen, das ihr eigen ist, vor allem aus der Spannung der Gegensätze, die sowohl in der Natur als auch im Menschen existiert, - weshalb auch bei ihm Gott immer nur denkbar sei in der Präsenz des Nichts. Puff-Trojan hebt vor allem den Übersetzer Peter Waterhouse hervor, dessen Arbeit an diesem Band (es sind mehrere Übersetzer genannt) er als "maßgeblich" bezeichnet.

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