Produktdetails
  • Verlag: Jung und Jung
  • Seitenzahl: 159
  • Deutsch
  • Abmessung: 12mm x 121mm x 190mm
  • Gewicht: 231g
  • ISBN-13: 9783902144164
  • ISBN-10: 3902144165
  • Artikelnr.: 09796043
Autorenporträt
Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten. Erste Lyrikveröffentlichungen 1977, danach erschienen Gedichtbände, Prosa, Hörspiele und Essays. 2009 erhielt Ursula Krechel den "Joseph-Breitbach-Preis". 2012 erhielt Sie den Deutschen Buchpreis für den Roman "Landgericht" Die Autorin lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2002

Knabenpeitschen im Nebenraum
Das ewige "Halt's Maul": Ursula Krechels Sprachverlust

Ursula Krechel hält an einer Schreibmethode fest, die schon für ihr Debüt, das Theaterstück "Erika" (1974), galt: das "Kontinuum einer Geschichte" zugunsten der "Lücken" zu vernachlässigen. Geblieben ist auch das Interesse an Fragen der Frauenemanzipation und der weiblichen Psyche. Verstärkt hat sich ein experimentell-spielerischer Zug, mit dem sich schon die Lyrikerin Ursula Krechel in ihrem Gedichtband "Kakaoblau" (1989) einen künstlerischen Seitensprung erlaubte.

Im Titel der neuen Erzählung, "Der Übergriff", deutet sich jedoch wieder ein düsteres Thema an, das Thema der Gewalt. Und tatsächlich begleitet es den Gang der Erzählung. So hört die Ich-Erzählerin mehrfach aus der Nähe die Geräusche eines ominösen "Knabenpeitschens", bei dem ältere Knaben die jüngeren quälen, oder erinnert sich an die Züchtigung und das Jammern der Nachbarskinder, der "Scholtenmädchen". Einmal blendet die Erzählung den Fernsehbericht aus einem Lande ein, das sich im Vorkriegszustand befindet. Aber von solcher Dominanz, wie es zunächst den Anschein hat, ist das Thema nicht. Allerdings wird die Stimme, die der Erzählerin ständig ins innere Ohr dringt: "Halt's Maul", zum Instrument der Sprachunterdrückung. Es ist wohl die Stimme der verinnerlichten Konvention, der Selbstkontrolle und der Selbstzensur, die sie einschüchtert. Aber dieses Motiv wird totgeritten, bis es die Erzählerin eine Zeitlang fallenläßt. Erst am Ende taucht es wieder auf. Die Offenheit für die Stimmen der Lebensumwelt, der anderen Menschen drängt die imperativische Stimme im Ohr zurück.

Linearität der Ereignisfolge darf hier nicht erwartet werden. Das Bewußtsein des Ich schiebt die Zeiten und die Räume ineinander. Erkennbar wird, daß die Erzählerin eine Schiffsreise antritt, daß sie eine Zeitlang im Haus eines Wirtschaftsmanagers lebt, den sie an Bord kennenlernte und der bald zu einer Geschäftsreise aufbricht. Er bleibt - wie fast alle Figuren der Erzählung - anonym. Gegen Ende enthüllt sich die Vergangenheit der Erzählerin: Als Pressesprecherin einer Firma hat sie "manche kesse Lippe" riskiert und wurde hinausgeworfen. Vielleicht läßt sich von hier aus das psychologische und soziale Problem der Erzählung erschließen. Die Einschüchterung durch die "Halt's Maul" rufende Stimme, der "Verlust" der "Sprachmöglichkeit" wären Ausdruck eines Traumas, das der Verlust der Arbeit hinterlassen hat. Der neue Mut zum Sprechen und Fragen wäre ein Zeichen für die Befreiung von diesem Trauma. Völlige Bestimmtheit läßt der in sich kreisende Monolog der Erzählerin nicht zu. Ein Text weder für die Liebhaber straffen Erzählens noch für die Genießer literarischer Leichtkost.

WALTER HINCK

Ursula Krechel: "Der Übergriff". Erzählung. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2001. 160 S., geb., 18,80 .

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ursula Krechels Erzählung "Der Übergriff" ist bereits 2001 erschienen, die Kritiker standen recht ratlos davor. Doch die Welt hat sich seitdem verändert, erkennt Rezensent Markus Clauer, so auch die Reaktion auf männliche Übergriffe und weiblichen Widerstand, die hier thematisiert werden. Aber das klingt, als gäbe es eine richtige Story, und das scheint hier nicht der Fall zu sein. Sofas leben, Charles Aznavour taucht im Garten auf Clauer, kurz: " Wahrnehmungssensationen" machen diese Prosa aus, so Clauer. Dass der Macho in der Erzählung für Gazprom arbeitet, wirkt heute fast prophetisch, meint er.

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