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Eine Zugfahrt von Glasgow nach London wird für Margaret Hamilton zu einer Reise in die Vergangenheit. Während die Landschaft an ihr vorüberzieht, überläßt sie sich ihren Träumen und Erinnerungen: an die Kindheit ohne Mutter, an den Geruch ihres geliebten Vaters beim Tanz, an Colin, ihren Verlobten, den sie zurückgelassen hat. Sie muß nachdenken über ihren Job in einem Glasgower Gemeinschaftszentrum, den sie gerade verloren hat, weil sie sich auf die Annäherungsversuche ihres Chefs nicht einlassen wollte; über die chancenlosen Jugendlichen, denen sie, die selbst kaum Hoffnung auf Veränderung…mehr

Produktbeschreibung
Eine Zugfahrt von Glasgow nach London wird für Margaret Hamilton zu einer Reise in die Vergangenheit.
Während die Landschaft an ihr vorüberzieht, überläßt sie sich ihren Träumen und Erinnerungen: an die Kindheit ohne Mutter, an den Geruch ihres geliebten Vaters beim Tanz, an Colin, ihren Verlobten, den sie zurückgelassen hat. Sie muß nachdenken über ihren Job in einem Glasgower Gemeinschaftszentrum, den sie gerade verloren hat, weil sie sich auf die Annäherungsversuche ihres Chefs nicht einlassen wollte; über die chancenlosen Jugendlichen, denen sie, die selbst kaum Hoffnung auf Veränderung hat, Mut machen sollte; über Colin, dessen Liebe sie sucht, auf die sie sich aber nicht einlassen kann. Denn in der Nähe zu anderen Menschen lauert der Verlust: Trennung, Tod, ein Adreßzettel, den der Wind davonträgt.
Autorenporträt
A. L. Kennedy, geb. am 22. Oktober 1965 im schottischen Dundee, gehört seit ihrer ersten Aufnahme in die legendäre Granta-Anthologie Best of Young British Writers (1993) zu den meistbeachteten Autorinnen Großbritanniens und gewann zahlreiche Preise. A. L. Kennedy wurde u.a. mit dem Somerset Maugham Award ausgezeichnet. Die Autorin, Dramatikerin und Filmemacherin lebt in Glasgow und meldet sich mit Beiträgen im Guardian auch politisch zu Wort, u.a. als engagierte Gegnerin des Irak-Krieges. Sie erhielt 2008 den Internationale Eifel-Literatur-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Höllenfahrt zu Mozartklängen
A. L. Kennedy kennt keine Angst vor dem Tanz mit der Gewalt / Von Ingeborg Harms

Gewalt ist eine Hauptingredienz der britischen Gegenwartsliteratur, aber nicht immer dringt sie so abrupt und überraschend in den Kokon des Lebendigen ein wie in A. L. Kennedys Roman "Einladung zum Tanz". Die schottische Autorin erzählt von Margaret und Colin, zwei jungen Leuten aus Glasgow, die sich als Außenseiter beim Literaturstudium in London begegnen, ein Paar werden, sich trennen und sich nach drei Jahren in der Heimatstadt wiederfinden. Von vornherein scheinen sie zusammenzugehören: "Beiden gelang es nicht, sich so zu kleiden wie die anderen Studenten. Natürlich kauften sie ihre Klamotten in Secondhandshops, weil neue zu teuer waren, aber was sie sich aussuchten, war weder so schäbig noch so schick, wie es hätte sein sollen." Die Geschichte der zwei Zuspät- und aus einer anderen Kultur Gekommenen entfaltet sich dem Leser in Rückblenden auf einer Zugfahrt, die Margaret abermals nach London führt.

Ihre Reise ist auch ein Entscheidungsprozeß, denn als sie ankommt, weiß sie, daß sie zu Colin zurückkehren und mit ihm leben will. Der Umfang und die Bedingungen dieses Entschlusses sieht der Leser erst nach und nach ein. Er erfährt von Margarets symbiotischer Beziehung zu ihrem kürzlich verstorbenen Vater, der sie allein aufgezogen hat, und von ihrer Bindungsscheu nach seinem Tod. Zahlreiche kleine Szenen geben Einblick in die wachsende Vertrautheit zwischen ihr und Colin, eine Liebesgeschichte, wie sie selten so frisch und klischeefrei erzählt worden ist. Während Colin sein Geld als Vertreter für Satellitenschüsseln verdient, hat Margaret nach dem Studium einen Job in einem Glasgower Gemeindezentrum gefunden und die Annäherungsversuche des Direktors wohl oder übel ertragen.

Die "Joy Factory" ist ein Sammelbecken für Arbeitslose, Rentner und daheimgebliebene Frauen. Margaret versucht dem Namen ihres Arbeitsplatzes einen Sinn zu geben, indem sie einen "Ceilidh" organisiert, ein traditionelles schottisches Tanzfest mit buntem, von den "Joy Factory"-Gästen bestrittenem Programm. Im Ceilidh konzentriert sich Margarets Sehnsucht nach einem Glück, das sie als Kind einmal mit ihrem Vater genoß: "Daddy hatte sie behutsam auf seine Füße gestellt, machte einige Schritte mit ihr und wirbelte sie dann herum und immer wieder herum, erst in einem Twostep, dann in einem Walzer." Als Studentin suchte Margaret das intensivere Leben bei Demonstrationen gegen die Tory-Politik. Auf die Demos folgen Drogen, bis Margaret die Gemeindearbeit und Colin den Sport entdeckt. Wie altmodisch die beiden wirklich sind, offenbart sich, als Colin um ihre Hand anhält und die Nervosität der Situation sich im Streit entlädt.

Anschließend ist Colin wie vom Erdboden verschwunden, und Margaret ahnt nicht, daß er sein persönliches Golgatha erlebt. Düstere Typen haben den jungen Mann entführt, weil er im Gemeindezentrum einmal eine alte Frau vor einem "Kredithai" bewahrte und den Mann öffentlich bloßgestellt hat. Der Anführer der satanischen Bande ist schon vorher durch den Roman gegeistert; er erzählt Margaret im Zahnarzt-Wartezimmer von einem Mord, den er begangen haben will, und macht sich auch auf dem Ceilidh als Störfaktor bemerkbar. Doch nichts bereitet den Leser auf die Höllenfahrt vor, die der zusammengeschlagene Colin zu Mozartmusik aus dem Autorekorder über sich ergehen lassen muß. Auch als seine Peiniger ihn an die Planken eines Holzfußbodens nageln, spielt im Hintergrund klassische Musik. So gerät die Sphäre des Tanzes - gelinde gesagt - ins Zwielicht. Ohnehin hat sie sich für Margaret längst mit dem Tod ihres Vaters vermählt.

Die Zugfahrt, die das Buch als Rahmenhandlung umschließt, hat keinen anderen Gegenstand als die Frage, ob Tod, Schmerz und Krankheit sich in den Tanz integrieren lassen. Neben Margaret sitzt auf der Reise ein behinderter junger Mann, dessen Motorik schütter ist und der sich nur durch gekritzelte Buchstaben äußern kann. Zwischen den beiden entspinnt sich ein bezaubernder, über beschriebene Zettel geführter Flirt. Er inszeniert, was auf Margaret zukommt, wenn sie sich entschließt, ihr Leben mit dem an Händen und Füßen verstümmelten Colin zu teilen. Ihre neue Reife am Ziel der Reise ist nicht nur ein Votum für Colin, sondern auch für das versehrte Schottland, die traurige Heimat, die als abgeschriebenes Hinterland der englischen Moderne ihr armseliges Leben fristet.

Im Rückblick ist das Böse kein Fremdkörper in der Welt dieses wie ein analytisches Drama gebauten Romans. Es rieselt durch die Schulreminiszenzen; da ist die Nähpädagogin, die Margaret verhaut, weil sie nicht mit dem Fingerhut umgehen kann, und der Lehrer mit dem Lederstriemen: "Das Grauen lag noch den ganzen Tag über der Klasse", heißt es von einer solchen Exekution: "Die Jungen reagierten, indem sie spuckten, rauchten und ab und zu Feuerchen in ihren Schulbänken anzündeten. All dies schien Teil der natürlichen Ordnung." Die repressive Moral einer gedemütigten Nation wird auch im Direktor der "Joy Factory" plastisch gezeichnet. Er läßt seine alkoholsüchtige Frau aus Lüsternheit in der Nacht des Ceilidhs allein, in der sie an ihrem Erbrochenen stirbt, und kündigt Margaret, weil sie ihm zur selben Zeit einen Korb gegeben hat.

Was A. L. Kennedys Roman so bewegend macht, ist die Tatsache, daß ihre Figuren durch die Gewalt nicht gebrochen werden. "Das klingt jetzt banal, ich weiß, aber ich sage es trotzdem", bemerkt Mister Ho, ein chinesischer Akupunkteur und eine der kostbaren Nebengestalten, die "Einladung zum Tanz" bevölkern, über den mißhandelten Colin: " - nur sein Körper ist krank. Alles andere ist völlig gesund, deshalb wird er sich wieder erholen. Vielleicht geht es ihm am Ende sogar besser als vorher." Die Diagnose gilt auch für alle anderen Figuren, die auf dem literarischen Ceilidh der Autorin tanzen. Kennedy malt mit geschmeidiger Feder eine tapfere Gesellschaft, die sich selbst zwar kaum noch zu helfen weiß, aber Instinkt genug hat, um falschen Helfern zu mißtrauen, und die für ein Fest jederzeit über sich hinauswächst. "Lebendig sein ist wichtig", hat Margarets Vater ihr an jenem aus der Reihe fallenden, durchwalzten Abend hinterlassen: "Alles andere ist Zeitverschwendung."

A. L. Kennedy: "Einladung zum Tanz". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid von Rosenberg und Gerd Stratmann. Steidl Verlag, Göttingen 2001. 311 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Dieser Roman, dessen Handlung sie mit sichtlicher Anteilnahme skizziert, ist nach Ansicht von Rezensentin Ingeborg Harms "wie ein analytisches Drama gebaut". Mit "geschmeidiger Feder" male A.L. Kennedy eine Gesellschaft, "die sich selber kaum noch zu helfen" wisse. Folgt man der Beschreibung der Rezensentin, geht es in der Geschichte des Paares Margaret und Colin um Gewalt. Gewalt, so Harms, ist "eine Hauptingredienz der britischen Gegenwartsliteratur". Doch nicht immer dringe sie "so abrupt und überraschend in den Kokon des Lebendigen ein" wie in diesem Roman. Im Übrigen lässt Ingeborg Harms ein paar drastische Szenen und Details aus dem Roman für sich selber sprechen.

© Perlentaucher Medien GmbH"