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Was haben Goethe und Herder mit Jack London und dem Surfen zu tun? Warum inspirierte Edgar Allan Poe die Medientheorie von Marshall McLuhan? Wie hängen Cyberpunk und Bildungsroman zusammen? Literatur und Internet haben mehr gemeinsam, als die starre Chronik der Mediengeschichte zunächst vermuten lässt. Es gibt einen inneren Zusammenhang beider Medien, der eine alte nautische Metaphorik für kreative Prozesse aufnimmt und die Medialität des Wissens ins Kalkül zieht. Der gemeinsame Bezug richtet sich auf die Möglichkeit von Innovationen und Bildungschancen, die in Bildern der Wasser- und…mehr

Produktbeschreibung
Was haben Goethe und Herder mit Jack London und dem Surfen zu tun? Warum inspirierte Edgar Allan Poe die Medientheorie von Marshall McLuhan? Wie hängen Cyberpunk und Bildungsroman zusammen? Literatur und Internet haben mehr gemeinsam, als die starre Chronik der Mediengeschichte zunächst vermuten lässt. Es gibt einen inneren Zusammenhang beider Medien, der eine alte nautische Metaphorik für kreative Prozesse aufnimmt und die Medialität des Wissens ins Kalkül zieht. Der gemeinsame Bezug richtet sich auf die Möglichkeit von Innovationen und Bildungschancen, die in Bildern der Wasser- und Meeresmetaphorik gefasst sind. Die Begriffe »Vernetzung« und »Navigation«, aber auch die scheinbar modische Metapher »Surfen« beschreiben einen operativen Umgang mit Texten und Informationen, der als literarische Bildung bezeichnet werden kann. Im Vergleich der nautischen Bildfelder gibt dieses Buch Antworten, die um so überraschender sind, weil sie zeigen, dass ein schneller und flüssiger Umgang mit Information bereits seit Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt und Johann Wolfgang Goethe in der literarischen Bildung angelegt ist.
Autorenporträt
Bickenbach, MatthiasDr. phil. Matthias Bickenbach, geb. 1963, ist seit Dezember 2012 apl. Professor für Literatur- und Medienwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuvor Professurvertretungen für neuere deutsche Literaturwissenschaft an den Universitäten Tübingen, Bonn und Köln.

Maye, HarunHarun Maye, geb. 1973, vertritt die Professur für Medienwissenschaft am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel. Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Literaturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert, Begriffs- und Metapherngeschichte, Medien und Kulturtechniken, Literatur und politische Philosophie sowie die Geschichte der Lesung und des Lesens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2010

Wellenreiten auf den Lehrplan!

Matthias Bickenbach und Harun Maye plädieren für "spielerisches Denken" als intelligenteste Umgangsform mit dem Internet - und finden Unterstützung bei den Klassikern.

Kann man Schiffbruch erleiden im Internet? Allerdings. Angesichts seines exponentialen Wachstums scheint dies sogar unvermeidlich. Allein seit Sie diesen Text lesen, sind knapp fünfzigtausend Websites hinzugekommen. Das "New Journal of Physics" konstatierte vor einem Jahr, dass sich auch die Kapazitätszunahme des Internet nach dem Mooreschen Gesetz vollziehe, sich also in festen Zeitabständen - von in diesem Fall knapp fünf Jahren - verdopple. Wer sich ins Internet begibt, muss also die Möglichkeit des Scheiterns nicht nur in Betracht ziehen. Sie ist gewissermaßen der Normalfall, Vollständigkeit einer Recherche bloße Illusion. Genau das aber teilt die digitale Sphäre mit den vernetzten Wissensspeichern der Vormoderne: Auch Bibliotheken wurden immer wieder als Labyrinthe wahrgenommen, die sich nur noch mit Hilfe intelligenter Techniken handhaben ließen.

Dass die Befürchtung einer geistigen Entmündigung des Einzelnen durch die globale Informationsmaschine frappierende Ähnlichkeit mit jener Kritik aufweist, die das achtzehnte Jahrhundert am extensiven Lesen, der "Lesewut", übte, ist bekannt. Doch die Beziehungen gehen noch viel weiter, wie eine von den Kulturwissenschaftlern Matthias Bickenbach und Harun Maye vorgelegte Untersuchung der Redeweisen über das Internet deutlich macht. Im Sinne von Hans Blumenbergs Metaphorologie, einer Art spezieller Diskurstheorie, die von den reinen Redeschmuck-Metaphern "absolute Metaphern" unterscheidet, welche konstitutiver Bestandteil des Denkens sind, unser Verständnis von Welt mit formen, analysieren die beiden Autoren die epistemologischen Funktionen von Grundbegriffen unserer Digitalkultur: "Surfen", "Cursor", "Navigation" oder "Netz" (im Sinne von Fischer- oder Spinnennetz, "web" oder "net"). Es handelt sich dabei um Katachresen: Metaphern, die gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden und deshalb völlig Neues fasslich zu machen vermögen.

Erstaunlich ist, wie resolut die Auffassung des Internet der bereits in der Antike geprägten Verbindung von Wassermetaphorik und Informationsverarbeitung folgt. Schon die Kybernetik greift ja in ihrem Namen den Steuermann auf, und auch sonst hat sich das Begriffsfeld des "Datenmeeres" und der "Informationsflut" weitgehend durchgesetzt. Dagegen scheiterte der in den neunziger Jahren kurzzeitig populäre Begriff der "Datenautobahn": Die darin enthaltene Zielorientierung scheint dem totalen Möglichkeitsraum Internet nicht angemessen, auch wenn sie über das Fließen des Verkehrs immer noch an das Bildfeld des Liquiden anschließbar ist. Hingegen hat es weniger Bedeutung, ob man sich bildlich auf Astro- oder Argonauten, auf Raum- oder Segelschiffe bezieht, wie die Ausdauer des Terminus "Cyberspace" zeigt.

Die eigentlich naheliegende Übertragung der Buchterminologie auf das Netz (als Buch der Bücher) hat - mit Ausnahme des "Browsens" - nicht stattgefunden. Nicht einmal der Begriff "Webseite" weist in diese Richtung, geht er doch auf eine kuriose Übertragung von "Websites" zurück, wo also von Orten (hier Sternen oder Inseln) die Rede ist. Das mag daran liegen, dass schon die Buchwahrnehmung selbst maßgeblich unter dem Einfluss der Poetik stand, die Bücher stets "als etwas Werdendes, instabil und noch flüssig" auffasste. Alte Gelehrsamkeit wie Digitalmoderne greifen auf dasselbe ozeanische Paradigma zurück. Nur angedeutet seien hier die allegorischen Traditionen der Quellen, der literarischen Strömungen, der sprudelnden Einbildungskraft, des Wissensdursts oder des Segelsetzens, Letzteres in der Antike als "ingenii barca" (Einschiffung des Geistes) bekannt, denen die Autoren intelligente Exkurse widmen.

Bickenbach und Maye aber treiben nicht Motivgeschichte um ihrer selbst willen, geben sich nicht zufrieden mit dem Nachweis überzeitlicher "absoluter Metaphern" im Bereich der Informationsverarbeitung. Die Mobilisierung der Tradition dient einem höheren Zweck: dem Plädoyer, das Surfen entgegen aller Oberflächlichkeitsvorwürfe als Bildungschance zu begreifen, als angemessene Operation des Umgangs mit großen Datenmengen. Die Autoren begreifen es als taktisches Verhalten, das im Gegensatz zur Strategie ein Manöver im schon besetzten Gebiet bedeute. Viel Kittlersche Medientheorie wird da verarbeitet, jedoch ohne alle militärische Apokalyptik. Der Clou dieses so klugen wie kurzweiligen Buches liegt darin, über weite Strecken historisch und literarisch zu argumentieren. So sei die Kulturtechnik Lesen bereits seit der Antike als flexible Angelegenheit betrachtet worden. Spätestens im achtzehnten Jahrhundert wurde das Querlesen als Verfahren nobilitiert. Der schnelle und wahllose Informationskonsum, das Zappen und Scrollen jagt dennoch heutigen Pädagogen einen Schrecken ein, die das vertiefte und verlangsamte Lesen empfehlen und damit allenfalls in der Tradition eines Stefan George stehen.

Virtuos bringen die Autoren dagegen ihre Gewährsdenker in Stellung. Für einen spielerischen, auch größte Zusammenhänge flüchtig durcheilenden und so Überblick schaffenden Umgang mit Wissensmassen stehen hier sowohl Herders Imagination von Schiffstauchfahrten durch "die Summe dessen, was der Menschliche Geist zu allen Zeiten gedacht hat", von 1769 als auch Edgar Allen Poes - und daran anschließend McLuhans - bildmächtiger Rat, nicht gegen den Strudel anzukämpfen, weil man dem Mahlstrom nur entkomme, indem man auf Beweglichkeit setze. Goethes intelligente Datenorganisation, weil er in seinen Akten nach eigener Aussage auch Irrtümer und Berichtigungen registrierte, bildet schließlich die klassische Folie für jenen Algorithmus, auf den Bickenbach und Maye zielen und den sie Surfen oder auch "Spiel mit den Knöpfen" nennen: einen beliebigen Ausgangspunkt setzen, Fehler machen, aus den Fehlern lernen, immer wieder.

Der riskanten "Drück mich"-Verführung der längst nicht mehr eindeutig zugeordneten Knöpfe soll lustbejahend nachgegeben werden, schon weil der Knopf jene Stelle markiere, an der Körper, Geist und Medien taktil verknüpft sind. Die Bedeutung dieses Spiels - ein Umstieg von Datenwissen auf Verfahrenswissen - sei noch keineswegs anerkannt: "Als Bildung gelten weiterhin bloß Inhalte, Werte oder die sogenannten ,Kompetenzen'. Es ist umso erstaunlicher, dass die digitalen Medien durch ihre taktile Kommunikation zur Selbstanleitung motivieren." Das Vorbild für die Eleven des Internet sind daher nicht emsige Klosterschüler, sondern Computerspieler, denn deren "Aufmerksamkeit liegt zwischen Hirn und Händen, bei der sensomotorischen Aktivität".

"Taktile Bildung" ist für Bickenbach und Maye das Gebot der Stunde. Das Risikoverhalten des Spielers aber habe viel gemein mit den Abenteurern auf den Weltmeeren des Wissens zu allen Zeiten. Als Welle auf diesem Ozean verstand auch der eher technikkritisch eingestellte Goethe die Kreativität, weshalb das bewegungslose Meer für ihn, so im Jahre 1795, als Schreckbild fungieren kann: "Todesstille fürchterlich!" Wie der Dichter diese gefährlichen Wellen reitet, die "Sündfluth" surft, wie er Fehler macht und kentert, dann aber doch nicht untergeht, dafür gibt die berühmte Schlussszene des "Tasso" das nachdrücklichste Bild ab (das einem Computerspiel entstammen könnte): Der "Schiffer" klammert sich am Felsen fest, "an dem er scheitern sollte". Diese Haltung also gilt es hochzurechnen, Scheitern als Chance.

OLIVER JUNGEN

Matthias Bickenbach, Harun Maye: "Metapher Internet". Literarische Bildung und Surfen. Kulturverlag Kadmo, Berlin 2009. 246 S., br., 22,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Oliver Jungen zeigt sich beeindruckt vom Unternehmen der beiden Autoren, Redeweisen über das Internet, wie "Surfen" oder "Datenflut", mit Hans Blumenberg auf ihre Funktion hin zu analysieren. Wenn Matthias Bickenbach und Harun Maye darüber hinaus das Surfen im Netz als Bildungschance verstehen und begreiflich zu machen trachten, ist Jungen ganz Ohr. Kittler'sche Medientheorie, Herder, Goethe und McLuhan hört er heraus, wenn die Autoren die Kulturtechnik Lesen historisch und literarisch als lustvolle, intelligente und höchst flexible Angelegenheit ausweisen. Für Jungen ist der Band der beste Beweis. Klug und kurzweilig findet er die Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH