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Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Originaltitel: Balthazar, fils de famille
  • Seitenzahl: 268
  • Erscheinungstermin: 10. September 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 480g
  • ISBN-13: 9783865219688
  • ISBN-10: 3865219683
  • Artikelnr.: 26523442
Autorenporträt
Claudia Steinitz, geb. 1961, lebt in Berlin und übersetzte aus dem Französischen und Italienischen u. a. Gabriele D'Annunzio, Henri-Frederic Blanc, Gerald Messadie und Jean-Christophe Rufin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2009

Fünfzehn Jahre Faulheit
François-Marie Banier schildert einen Taugenichts

Ein Sohn aus gutem Hause soll dieser Balthazar sein, "fils de famille", wie der französische Originaluntertitel heißt. Es ist eine feine Familie. Papa verdient sein Geld als Antiquitätenhändler, der seine reichen Kunden übers Ohr haut und auch den Sohn eine harte Hand spüren lässt. Denn Ohrfeigen sind das Universalhilfsmittel seiner Pädagogik und ein Leitmotiv dieses Buches. Auf Seite 73 zum Beispiel kassiert der vierzehnjährige Filius gleich aufs Mal vierzehn solche Züchtigungen ein. Gelegentlich allerdings fordert Papa vom Hausdiener eine Brechstange, um den Sohn zur Raison zu bringen. Der wiederum sieht sich schon als "blutender Baumstumpf" und den Papa als "Waldarbeiter" im Dschungel seiner Gymnasiastenseele.

Kein Wunder, dass der gerade erst den kurzen Hosen entwachsene Knabe sich am liebsten in ein Paar schwarz- und goldlackierte chinesische Schränke zurückzieht, denn ihm "graut vor Zugluft", und dort seine Briefe schreibt, an de Gaulle etwa und an den lieben Gott, an die Patentante sowie andere ältere Damen. Denn der Tröstungen moderner Teenager entbehrt der Jüngling ganz und gar - kein Handy, kein iPod, kein Computer, kein Chatroom, kein Facebook. Mit Mädchen allerdings, so wie der zarten Sylvie, der er gern die Spuren vom Gürtel des Vaters auf seinem nackten Körper zeigen möchte, kommt er nicht recht voran: "Ich habe große Lust, sie zu ohrfeigen." Dergleichen drastischer Charme allerdings verfängt begreiflicherweise nicht, und so kauft ihm denn die Patentante einen Smoking, in dem er "die verbotenen Viertel" von Paris erkunden möchte. Denn "ich war noch nie in einem Nachtclub", was mit fünfzehn nun wohl das Gebot der Stunde wäre.

Balthazar ist im Grunde ein bedauernswerter Junge, dem nichts gelingt, der sitzenbleibt, so dass die eigene Mama ihm schließlich das unfreundliche Zeugnis ausstellt: "Fünfzehn Jahre absolutes Versagen, totaler Faulheit, Unverschämtheit, Frechheit und Dummheit." Und angesichts dessen, was in diesem Buch von ihm erzählt wird, scheint das die reine Wahrheit über den "fils de famille" zu sein. Auch die Mama wiederum zeigt Grenzen ihrer Weltkenntnis, wenn sie von der eigenen Erfindung eines "Fotospielers" statt der Fotoalben träumt: "Es gibt ja schließlich auch Plattenspieler." Banier, ein bekannter Fotograf, hätte ihr sagen können, dass es heutzutage dergleichen in jedem Fachgeschäft für Elektronik zu kaufen gibt. Die Episode aber ist bezeichnend für das Buch als Ganzes, das in einem völlig ahistorischen Raum zu spielen scheint.

Balthazar weiß zwar angeblich alles - "ich breite mein Wissen aus" -, aber ist zugleich auch ein großer Künstler. Dem Vater gesteht er - "zwischen zwei Ohrfeigen", versteht sich -, dass er seine Kunstwerke zu verkaufen beginne, weil in ihm womöglich "der Modigliani von morgen" stecke. Das Namedropping jedenfalls wird reichlich praktiziert: Proust natürlich und, um nur ein paar zu nennen, Gide, Offenbach, Gauguin, Renoir, Redon. "Dann einen Nachmittag in die Comédie-Française und Molière zu sehen - mein Programmheft in der Garderobe signieren zu lassen." Vielleicht von Molière persönlich? Kurzum: Wenn Balthazars Hobby darin besteht, Bleistifte und Kugelschreiber und leeres Papier zu sammeln, so ließe sich das geradezu als Metapher für dieses Buch betrachten. Es ist leer, seine Gestalten haben keine Konturen, ihre Handlungen entbehren jeder Glaubhaftigkeit und damit jedes Interesses. Folglich verhallt auch der in die Welt geschleuderte Fluch des pubertierenden Tausendsassas - "Im Namen Jesu, vernichte die Eltern" - in der aufgeheizten, mit Gaukeleien, Katerideen und Platituden vollgestopften Atmosphäre dieses Buches echolos.

Das künstlerische Problem, an dem dieses Buch scheitert, hat Banier selbst in dem hilflosen Satz zusammengefasst: "Aber wie erzählt man eine Ohrfeige?" Was das oft konfliktreiche Verhältnis zwischen Söhnen und Vätern angeht, wäre als Antwort auf diese Frage am ehesten auf Franz Kafkas subtilen, genau beobachteten, herzbewegenden "Brief an den Vater" zu verweisen, den man nicht einmal erst ins Deutsche hätte übersetzen müssen. Balthazar bleibt am Ende nur die Flucht zur Großmutter, aber auch sie jagt ihn kurzerhand davon. Na dann: tschüs.

GERHARD SCHULZ

François-Marie Banier: "Balthazar, Sohn aus gutem Hause". Roman. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz. Steidl Verlag, Göttingen 2009. 268 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Francois-Marie Baniers Roman über einen 15 Jahre alten Jungen, der vom Vater gezüchtigt und von seiner Mutter als totaler Versager charakterisiert wird, lässt Gerhard Schulz irgendwie ratlos und total unberührt zurück. Es werden viele Namen in einem völlig zeitlosen Rahmen fallen gelassen, so dass sich der Rezensent nicht ohne Ironie fragt, ob das Autogramm, das sich der Junge nach einer Aufführung in der Theatergarderobe besorgt, von Moliere selbst stammt. Balthazar wird als mit enzyklopädischem Wissen ausgestatteter Künstler vorgestellt, ohne dass er und die anderen Figuren des Romans wirkliche "Kontur" erhielten, beschwert sich der Rezensent. Die Handlung kritisiert Schulz als unglaubwürdig, und der Hauptfigur gelingt es nicht, sein Interesse zu erregen und so verabschiedet er den gebeutelten Balthazar, der am Ende auch von der Großmutter rausgeworfen wird, ohne das geringste Bedauern.

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