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Nicolas Born widersetzte sich stets allen Versuchen der Einordnung als politischer Schriftsteller, als Vertreter der sogenannten »Neuen Innerlichkeit«, als Naturlyriker oder Popliterat. Seine in diesem Band aufgenommenen Briefwechsel mit einigen der engsten Freunde dokumentieren ein Beziehungsgeflecht aus gemeinsamem Engagement, kollegialem Interesse und Freundschaft, wie es die sechziger und siebziger Jahre bestimmte. Gleichzeitig erfährt man von politischer Uneinigkeit, der jeweiligen persönlichen literarischen Entwicklung und dem Abgrenzungsverlangen des Einzelnen.Darüber hinaus entsteht…mehr

Produktbeschreibung
Nicolas Born widersetzte sich stets allen Versuchen der Einordnung als politischer Schriftsteller, als Vertreter der sogenannten »Neuen Innerlichkeit«, als Naturlyriker oder Popliterat. Seine in diesem Band aufgenommenen Briefwechsel mit einigen der engsten Freunde dokumentieren ein Beziehungsgeflecht aus gemeinsamem Engagement, kollegialem Interesse und Freundschaft, wie es die sechziger und siebziger Jahre bestimmte. Gleichzeitig erfährt man von politischer Uneinigkeit, der jeweiligen persönlichen literarischen Entwicklung und dem Abgrenzungsverlangen des Einzelnen.Darüber hinaus entsteht anhand von Briefen an frühe Lehrer, Freunde, Kollegen und die Familie ein perspektivenreiches Porträt, das Borns Vorstellungen über das Schreiben, seine Kriterien für Literatur und seine Sicht der Gesellschaft aufdeckt. Die Briefsammlung zeugt von der großen Unabhängigkeit seines Denkens, mit dem Born seiner Zeit häufig voraus war.Briefwechsel mit: Hermann Peter Piwitt, Friedrich Christian Delius, Peter Handke, Jürgen Theobaldy, Günter KunertBriefe an: Johannes Bobrowski, Rolf-Dieter Brinkmann, Hugo Dittberner, Günter Grass, Peter Handke, Helmut Heißenbüttel, Walter Höllerer, Uwe Johnson, Alfred Kolleritsch, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Michael Krüger, Reinhard Lettau, Ernst Meister, Dieter Wellershoff und viele andere.
Autorenporträt
Nicolas Born wurde 1937 in Duisburg geboren, wuchs am Niederrhein auf und war zunächst im Ruhrgebiet als Chemiegraph tätig, bis er nach der Einladung ins Literarische Colloquium 1963 und einem ersten Förderpreis als freier Schriftsteller nach Berlin ging. Nach der Anerkennung durch Auslandsstipendien und literarische Preise erreichte Born mit seinem dritten Gedichtband »Das Auge des Entdeckers« (1972) und dem Roman »Die erdabgewandte Seite der Geschichte« (1976) auch ein breiteres Publikum. Kurz vor seinem Tod im Dezember 1979 erschien der später vielfach übersetzte und verfilmte Roman »Die Fälschung«.

Katharina Born, geb. 1973, lebt als freie Journalistin und Übersetzerin in Paris. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Geschichte in Brüssel, Washington D.C., Paris und Berlin. Für den von ihr herausgegebenen Band »Nicolas Born - Gedichte« wurde Nicolas Born posthum mit dem Peter-Huchel-Preis (2005) ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2007

Tausche Marx gegen Windeln

Der 1979 jung verstorbene Schriftsteller Nicolas Born galt als eine der größten Begabungen seiner Generation. Seine gesammelten Briefe spiegeln die Entwicklung einer schillernden Autorenpersönlichkeit und eröffnen intime Einblicke in den Literaturbetrieb der sechziger und siebziger Jahre.

Von Hans-Ulrich Treichel

Wo sind eigentlich die leuchtend rot gerahmten Rowohlt Literaturmagazine geblieben? Sie standen doch so viele Jahre im Bücherregal. Das Heft über "Literatur als Utopie" beispielsweise von 1975, das über "Nachkriegsliteratur", das über "Vorbilder" (1979) oder das mit dem noch immer nachdenklich machenden Titel "Schreiben oder Literatur" (1979). Wahrscheinlich sind sie irgendwann in den Achtzigern beim endgültigen Auszug aus der Wohngemeinschaft ausgesondert und ins Antiquariat um die Ecke getragen worden.

Alle die genannten Ausgaben und einige mehr sind von dem 1979 verstorbenen Schriftsteller Nicolas Born mitherausgegeben worden. Die Tätigkeit als Herausgeber nimmt denn auch einen gewichtigen Raum in den soeben erschienenen Briefen Borns aus den Jahren 1959 bis 1979 ein. Vieles davon ist Arbeitskorrespondenz, sowohl mit dem Rowohlt-Lektor und Mitherausgeber Jürgen Manthey als auch mit den verschiedensten Autoren, von Herbert Achternbusch bis Peter Paul Zahl. Allerdings werden die Korrespondenzen mit Hermann Peter Piwitt, Friedrich Christian Delius, Peter Handke, Jürgen Theobaldy und Günter Kunert jeweils gesondert als Briefwechsel dokumentiert.

Neben seinen eigenen literarischen Arbeiten war Born bis zu seinem frühen Krebstod im Jahr 1979 mit dem Literaturmagazin beschäftigt. Oft genug allerdings auch zu seinem Leidwesen, denn Schriftsteller gehören zu der empfindlicheren Hälfte der Menschheit und zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben, sondern auch mit sich selbst. Literaturmagazinherausgeber wiederum sind Menschen, die vor allem damit beschäftigt sind, Texte abzulehnen. Dann muss ein Mensch wie der Schriftsteller-Redakteur Nicolas Born zum Machtmenschen werden, was er von Charakter, Habitus und Gesinnung her ganz gewiss nicht war.

Davor haben ihn schon seine Duisburger Herkunft und seine berufliche Tätigkeit als Chemiegraf (Klischeeplattenätzer) geschützt, der er bis 1964 nachging, um dann als freier Schriftsteller zu leben. Geschrieben hat er schon vorher, und zwar Gedichte, die der Einundzwanzigjährige im September 1959 dem in Hagen lebenden Lyriker Ernst Meister zusandte. So heißt es denn auch im ersten Brief des Bandes: "Sehr geehrter Herr Meister! Gestatten Sie mir bitte, Ihnen einige Gedichte von mir zuzusenden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte hätten, sie zu beurteilen." Dass dieser Brief den Band eröffnet, ist wohl eher eine dramaturgische und weniger eine dokumentarische Entscheidung der Herausgeberin Katharina Born, die damit gewissermaßen den Moment fixiert, an dem ihr Vater zum ersten Mal als Schriftsteller korrespondiert. Zugleich erhält der Adressat damit eine Sonderstellung: Er wird zur Schlüsselinstanz, zum Meister im Wortsinne, der den Initianden auf den Weg führt.

Doch Born, so dankbar er Meister für dessen Beistand ist, strebt nach Höherem: Er schreibt einen Brief an Paul Celan und bittet diesen darum, "zu meinen Gunsten eine Stunde für ein nutzloses Gespräch zu opfern". Der Brief bleibt offenbar unbeantwortet, der Kommentar schweigt sich hierzu aus, dafür aber entwickelt sich ein Kontakt mit Johannes Bobrowski wie auch mit Günter Grass, der dem jungen Autor sogar ein "Kreditangebot" macht, um ihm bei seiner Arbeit an seinem ersten Roman zu unterstützen, der dann 1965 unter dem Titel "Der zweite Tag" erscheinen wird und dem die Romane "Die erdabgewandte Seite der Geschichte" (1976) und "Die Fälschung" (1979) folgen sollen.

In den sechziger und frühen siebziger Jahren lebt Born in Berlin, wo er enge Beziehungen zu Autoren wie Hans Christoph Buch oder auch Friedrich Christian Delius pflegt, sich aber auch mit den "Kunerts" in Ost-Berlin anfreundet. Während eines Amerika-Aufenthaltes erhält er zu Weihnachten von einem seiner Berliner Autorenkollegen ein Päckchen nicht mit Nürnberger Lebkuchen oder Berliner Buletten, sondern dem "KAPITAL" von Karl Marx, dabei hätte er, gerade Vater geworden, lieber "Frischgemüse und Schwedenwindeln" gehabt. Der Briefkontakt mit den Altersgenossen ist phasenweise reichlich männerbündisch, und gelegentlich rutscht Born auch schon mal ein "halt die Vorhaut sauber" als Abschiedsfloskel raus. Das sind dann die etwas peinlicheren Lesemomente, ohne die eine Lektüre fremder Briefe ja niemals ganz auskommt, und Katharina Born hat durchaus recht, wenn sie in einem Aufsatz in der ihrem Vater gewidmeten Zeitschrift Text & Kritik (Heft 170, April 2006) über ihre Editorentätigkeit schreibt: "Nicolas Born war kein großer Briefeschreiber."

Doch wird dieser Mangel mehr als ausgeglichen durch die Einblicke in den westdeutschen Literaturbetrieb der sechziger und siebziger Jahre, die die Briefe uns erlauben. Und durch die Begegnung mit einer Autorenpersönlichkeit der ganz besonderen Art, wie sie Nicolas Born verkörperte. Ein schreibender Facharbeiter aus dem Ruhrgebiet, der sich aber kein "Greif zur Feder, Kumpel!" auf die Fahnen geschrieben hatte. Ein Intellektueller mit Volksschulabschluss, der aber weder Komplexe noch falsche Bescheidenheit, noch kompensatorische Attitüden zeigt. Ein Linker, der erklärtermaßen kein Marxist sein will, sondern "Utopist". Ein Subjektivist, Wahrnehmungsästhetiker und Atomkraftgegner, ein Streiter für "anarchische, ja anarchistische Entwürfe", der über sich als Schriftsteller in einem Brief an den verehrten und bewunderten Peter Handke gleichwohl geradezu demütig schreibt: "Solch einen Satz wie ,sprechend mit vollem Mund zahlt er für den vollen Mund mit Sprechen' werde ich hoffentlich nie mehr schreiben." Und der zugleich aus Anlass einer Rezension, die Günter Kunert über Borns Gedichtband "Gedichte 1967-1978" publiziert hatte, dem Freund mit folgenden Worten dankt: "Lieber Günter, unsäglich gefreut habe ich mich über Deine Rezension, und dankbar bin ich Dir!"

Eine vielsagende Fehlleistung, die uns wissen lässt, dass die Freude so unsagbar groß also nicht gewesen sein kann. Man soll sich eben nie von Freunden rezensieren lassen. Solch ein Lob wiegt im Literaturbetrieb nur halb so viel und in der eigenen Psyche noch weniger. Zumal Nicolas Born ohnehin zu den vielversprechendsten Autoren seiner Generation zählte, und es spricht nicht wenig dafür, dass Friedrich Christian Delius recht hat mit seiner jüngst geäußerten Vermutung: "Er wäre der Beste unter den Autoren geworden, die heute zwischen 60 und 70 Jahre alt sind."

- Nicolas Born: "Briefe 1959-1979". Herausgegeben von Katharina Born. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 632 S., geb., 34,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2007

„Ich fürchte, dass mein Schreiben nicht progressiver wird”
Zerrissen zwischen Politik und Poesie in der Bundesrepublik der siebziger Jahre: Ein Briefband des großen, früh verstorbenen Dichters Nicolas Born
Nicolas Born ist zusammen mit Rolf Dieter Brinkmann der große Zombie der siebziger Jahre. Früh gestorben, im Dezember 1979 mit 42 Jahren, scheint er eine abgeschlossene Literaturgeschichte zu verkörpern. Seine Generationskollegen prägen immer noch die Gegenwart, allen voran Peter Handke, doch Nicolas Born geistert weiter umher, wenn es um kurz zurückliegende Vorzeiten geht und um die Versprechen, die in ihnen lagen. Borns Gedichtband „Das Auge des Entdeckers”, 1972 in der signalroten Broschur-Reihe „das neue Buch” bei Rowohlt veröffentlicht, brachte es auf eine verkaufte Auflage von 8000 Exemplaren, da schien ein tieferer Nerv getroffen worden zu sein. Und sein Roman „Die erdabgewandte Seite der Geschichte” von 1976 war ein Schlüsselwerk für die „Neue Subjektivität” jener Zeit, die aus einer radikalen Politisierung hervorgegangen war. Jetzt, 25 Jahre nach Borns Tod, gibt seine Tochter Katharina eine Werkausgabe heraus. Deren zweiter Band mit bisher unbekannten Briefen dieses Autors verheißt aufschlussreiche Einblicke in etwas, was man die Fußstapfen nennen könnte, in denen sich die aktuelle Gegenwartsliteratur bewegt.
Der Briefband beginnt mit einem werbenden Schreiben des zweiundzwanzigjährigen Born an Ernst Meister, den zurückgezogenen Lyriker aus Hagen in Westfalen, der als „Hermetiker” galt, als schwer verständlich. Ein Brief an Paul Celan in Paris folgte sogleich: Das war die Form von Lyrik, die dem jungen Born vorschwebte, einem Chemographen aus Essen ohne Hochschulausbildung. Im Gegensatz zu Celan antwortete der in der Nähe wohnende Meister sofort, und es kam zu etlichen Besuchen, die erst dann seltener wurden, als Born nach Berlin aufbrach und selbst im Literaturbetrieb mitmischte.
Dennoch schließt sich der Kreis: Born wurde im Lauf der siebziger Jahre ein einflussreicher Multiplikator im literarischen Gespräch, und als Mitglied der Jury des Petrarca-Preises setzte er 1977 tatsächlich durch, dass Ernst Meister diesen Preis verliehen bekam – eine menschlich durchaus anrührende Erinnerung an das einstige Lehrer-Schüler-Verhältnis. Atmosphärisch reizvoll wirkt es, wie der junge Born dem windgeschützten Ernst Meister früh seine Faszination durch die amerikanische Beatlyrik zu erklären versucht, noch ein bisschen existenzialistisch verhaucht: Allen Ginsberg etwa sei ein Beleg dafür, dass „in der jetzt erwachenden Generation der Twens und Teenager” die „Sucht” aufkomme, „ihr Leben auszuschöpfen”. Wenige Jahre später, Born ist Lektor an der University of Iowa, schreibt er um einiges lockerer über dasselbe Sujet. Er fährt zu einer Lesung von Ginsberg nach Illinois: „Ich habe gehört, er singt seine Gedichte nur noch.” Die Jahre, die dazwischen liegen, sind wohl diejenigen, in denen die Bundesrepublik sich mauserte und ein emanzipiertes Staatswesen wurde.
Traue keinem Bürgerkind
Ernst Meister verschafft Born die Einladung zur ersten Schreibwerkstatt 1963 im „Literarischen Colloquium Berlin”. Walter Höllerer, der spiritus rector des damaligen literarischen Lebens in Berlin, setzte gerade das um, was er an amerikanischen Universitäten gelernt hatte, es war die erste creative-writing-Schule in Deutschland überhaupt. Diese Einladung veränderte schlagartig Borns Leben. Er lernte mit Hermann Peter Piwitt und Hans Christoph Buch langjährige Freunde kennen, und er war im richtigen Umfeld, um sofort zur Tagung der Gruppe 47 in Sigtuna 1964 eingeladen zu werden. Hier wurde klar, dass er freier Schriftsteller werden und den Brotberuf wie auch die in sehr normierten Bahnen verlaufende Ehe hinter sich lassen konnte. Es handelt sich tatsächlich noch um einen klassischen Bildungs- und Entwicklungsroman, im Ton der Briefe kann man die einzelnen Stufen genau verfolgen.
Born war zerrissen zwischen einem existenzialistischen Grundgefühl, das in den fünfziger Jahren genährt wurde, und der Politisierung der sechziger Jahre. Seine Herkunft aus dem Ruhrgebiet, aus dem Arbeitermilieu, sensibilisierte ihn gegen die Radikalität von Generationsgenossen, die aus dem Bürgertum kamen und dazu neigten, ihre Subjektivität absolut zu setzen. „Es ist wichtig, jedem linken Bürgerkind zunächst mal überhaupt nicht zu trauen”, schreibt er einmal an Hermann Peter Piwitt. Born zeigte eine zuerst nicht offen eingestandene, dann rasch größer werdende Distanz zu den eindimensionalen Politströmungen seiner Zeit. Dass er, der poetisch-bodenständige Chemograph aus Essen, in einer maoistischen K-Gruppe oder auch nur in der DKP ernsthaft eine Option hätte sehen können, stand nie zur Debatte. Sein Briefwechsel mit Piwitt – bei den wichtigsten Briefpartnern sind auch die Gegenbriefe abgedruckt – zeigt so eindringlich wie kaum sonst ein Zeugnis von damals die Stimmungen, zwischen denen die literarisch Ambitionierten schwankten. Die Politik war unausweichlich, man empfand sich bis in die innersten Fasern als gesellschaftlich geprägt und gesellschaftlich verantwortlich; das Verhältnis zwischen Ich und Gesellschaft war eines, das bis in den letzten Nerv gespannt war. In den Briefen Piwitts und Borns teilt sich das Pathos und das Leiden des damaligen Lebensgefühls mit – es war klar, dass es eine „richtige” Seite gab, auf der man stehen musste, aber wie genau dieses Richtige nun aussah, das zog etliche quälende und mäandrierende Selbstbefragungen nach sich. Am 22.12. 1969 schreibt Born an Hans-Christoph Buch: „Ich fürchte, dass mein Schreiben nicht progressiver wird.”
Wenn man nicht sofort im Sog einer Zeitstimmung aufging, schien man umso schmerzlicher auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Der Umgangston im Freundeskreis konnte resolut, fast männerbündisch, aber auch zärtlich und ironisch sein. Buch, so schreibt Born an Piwitt, habe festgestellt, dass es F.C. Delius an Subjektivität, Born aber an Objektivität fehle. Borns Kommentar: „Buch redet immer klarer, er reift immer schneller.”
Es muss Mitte der siebziger Jahre einen Bruch gegeben haben zwischen Piwitt und Born, von dem wir in diesem Briefband höchstens andeutungsweise etwas erfahren – in Borns Roman „Die erdabgewandte Seite der Geschichte” kommt eine Person namens Lasski vor, mit der sich Piwitt wohl gemeint fühlte. Zur selben Zeit jedoch, als der Briefwechsel mit Piwitt abbricht, beginnt derjenige mit Peter Handke, und das ist höchst aufschlussreich. Denn die Briefe werden plötzlich ganz anders. Mit Piwitt verbindet Born eine fast jugendliche Freundschaft, hier herrschen ein neckischer Ton und eine Vertrautheit, die zwar zu Stilisierungen zwingt, andererseits aber fast alles unmittelbar zu sagen und zu reflektieren erlaubt. Piwitt steht vor allem für das Politische. Mit Handke bricht dies dann ab, und ein ungeahnt poetischer Ton stellt sich ein. Da scheint Born einen Ansprechpartner gefunden zu haben, dem er sich in all dem öffnen kann, was ringsumher bereits als „irrational” gebrandmarkt wird. Dass „Die erdabgewandte Seite der Geschichte” von Handke beeinflusst ist (vor allem im Anfangskapitel ist das stark spürbar), bekennt Born Handke gegenüber einmal emphatisch, aber auch fast wie nebenbei – Handke wiederum sieht in Born einen Gleichgesinnten, Gleichgestimmten, das wird in der verletzlichen Privatheit seiner Briefe sehr deutlich.
Rituelle Treffen im Bundeseck
Viel von der Atmosphäre der siebziger Jahre teilt sich mit, wenn sich Born in den letzten Jahren zwischen seinen literarischen Bestrebungen und der Herausgabe des Literaturmagazins bei Rowohlt fast zu zerreiben scheint – das Literaturmagazin war damals wohl das wichtigste Forum der neuen Literatur und thematisierte die zeittypischen Konflikte zwischen Literatur und Theorie, zwischen Literatur und Politik. Born sieht sich unmerklich zum Manager werden, und seine „Geschäftsbriefe” zeigen einen Autor, der immer selbstbewusster wird und eine große Fähigkeit zu scharfer, aber kollegialer Kritik entfaltet. Wunderbar der kurze Brief an Wilhelm Genazino, als dessen Roman „Abschaffel” endlich erschienen ist: „Die ersten Seiten sind so ernst und stark wie ich Dich kenne.”
Neben den Freundschaftszeugnissen mit Handke berühren die Briefe mit Jürgen Theobaldy wohl am meisten. Es wirkt erschreckend hellsichtig, wenn Theobaldy zu späten Gedichten Borns schreibt, es sei so, „als hättest du nicht mehr viel Zeit zu sagen, was du noch sagen willst”. Born bestimmte in seinen letzten Monaten, als er am Roman „Die Fälschung” schrieb und von seiner plötzlichen, tödlichen Krankheit wusste, Theobaldy zu demjenigen, der die endgültige Fassung herstellen sollte.
Born sehnte sich früh nach Ruhe. In den siebziger Jahren, als ihm die nächtelangen Touren um den Savignyplatz und die rituellen Treffen im „Bundeseck” zu viel wurden, zog er von Berlin in eine weltabgeschiedene Gegend an der Elbe, gleich hinter der Zonengrenze bei Lüchow-Dannenberg – und ausgerechnet hier holte ihn die Politik wieder ein. Denn in dieser menschenleeren Gegend sollten ein Atomkraftwerk und später das Endlager Gorleben gebaut werden. Dadurch wurde die Verbindung von Subjekt und Gesellschaft, die Born immer umgetrieben hatte, aktualisiert.
Manches an dieser Briefedition erscheint willkürlich und nicht nachvollziehbar, an manchen Schlüsselstellen vermisst man Erklärungen, und man bekommt auch keine Handreichungen dafür, was aus welchen Gründen weggelassen wurde. Es ist spürbar, dass Katharina Born, die Tochter, die sechs Jahre alt war, als ihr Vater starb, manchmal die Distanz zu einer „objektiven” Edition gar nicht haben kann. Dennoch ist dieser Briefband ein wichtiges und unverzichtbares Zeugnis zur jüngeren Literaturgeschichte, ein Zeitdokument ersten Ranges. HELMUT BÖTTIGER
NICOLAS BORN: Briefe 1959-1979. Herausgegeben von Katharina Born. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 663 Seiten, 34 Euro.
Ungeselligkeit ist was anderes: Günter Kunert, F.C. Delius und Nicolas Born geben die Laokoon-Gruppe in Kunerts Garten in Ost-Berlin um 1968. – Im Juni 1975 trifft man sich im wendländischen Schloss Gümse zum „1. Rixdorfer Laboratorium zur Erstellung von literarischen und bildnerischen Simultan-Kunststücken””. - 1971 in der Berliner Wohnung der Borns mit Freunden (unter anderem Gert Loschütz, sitzend vorne links). Fotos: Wallstein Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Faszinierend findet Rezensent Michael Braun die nun vorliegenden Briefe Nicolas Borns, die seine Tochter Katharina herausgegeben hat. Die Lektüre dieser Briefe ermöglicht ihm eine "unerhörte Erfahrung": sie gewähren nicht nur einen instruktiven Einblick in Borns Leben und Schaffen, sondern führen auch eine längst "versunkene Literaturlandschaft" vor Augen. Die Euphorie des Aufbruchs in den 1960er Jahren nämlich, die die Briefe an Freunde wie Hermann Peter Piwitt, Günter Kunert oder Friedrich Christian Delius vermitteln, gibt es nach Ansicht Brauns heute nicht mehr. Neben Diskussionen über die seinerzeit fortschreitende Politisierung der Literatur findet Braun allerdings auch "spätpubertäre Prahlereien" und konstatiert dann wiederum die zunehmende Distanzierung des Dichters von der radikalen Linken. In diesem Zusammenhang hebt Braun besonders die Korrespondenz mit Peter Handke hervor, die sich durch einen "ganz leisen, innigen Ton" auszeichne, der sich weit entfernt vom Pathos der Berlin-Korrespondenzen entferne. Mit Lob bedenkt er auch die Arbeit von Katharina Born, die "penibel recherchiert" und die Briefe "vorzüglich kommentiert" habe.

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