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Ein strahlender Septembermorgen in einer Villa in Südfrankreich: Der Hausherr ertränkt mit Hilfe des Gartenschlauchs ganze Ameisenvölker, seine alkoholsüchtige Frau versucht unbemerkt an ihren ersten Brandy zu gelangen, während der fünfjährige Sohn auf dem Brunnenrand mit seinem Leben spielt willkommen im Leben der Familie Melrose. Paare, Passanten geben sich bei ihnen die Klinke in die Hand, man ist amüsant, gebildet, witzig, stinkreich und unbeschreiblich herzlos. Der böse Zauberer im Zentrum dieses bunten Treibens ist der Aristokrat David, »eine sensationell giftige Kreatur« (Village…mehr

Produktbeschreibung
Ein strahlender Septembermorgen in einer Villa in Südfrankreich: Der Hausherr ertränkt mit Hilfe des Gartenschlauchs ganze Ameisenvölker, seine alkoholsüchtige Frau versucht unbemerkt an ihren ersten Brandy zu gelangen, während der fünfjährige Sohn auf dem Brunnenrand mit seinem Leben spielt willkommen im Leben der Familie Melrose. Paare, Passanten geben sich bei ihnen die Klinke in die Hand, man ist amüsant, gebildet, witzig, stinkreich und unbeschreiblich herzlos. Der böse Zauberer im Zentrum dieses bunten Treibens ist der Aristokrat David, »eine sensationell giftige Kreatur« (Village Voice). Doch all dem geistreichen Zynismus zeichnet sich eine Tragödie ab. Edward St Aubyn erzählt mit betörender Leichtigkeit und verblüffender psychologischer Scharfsicht über eine Hölle, der er selbst nur knapp entkommen ist. Sein Roman ist nichts Geringeres als ein Wunder: ein biografisches wie ein literarisches. 2006 war Edward St Aubyn für den renommierten Booker Prize nominiert.
Autorenporträt
Edward St Aubyn, geb. 1960, wuchs in England und Südfrankreich auf und studierte in Oxford.

Ingo Herzke lebt als Literaturübersetzer in Hamburg. Studium der klassischen Philologie, Anglistik und Geschichte in Göttingen und Glasgow.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2007

Die Bosheit ist die Rettung vor der Langeweile
Vom Unglück, nie vulgär sein zu dürfen: Edward St. Aubyn und sein Roman „Schöne Verhältnisse”
Die Welt ist eine Bühne. Wer in ihr Scheinwerferlicht tritt, tut alles dafür, die Rolle, die für ihn bereit liegt, nach Kräften auszufüllen. Gesellschaften, die stärker vom Klassengeist durchdrungen sind, haben dabei den unbestreitbaren Vorteil, dass diese Rollen klarer umrissen sind: Habitus, Idiom, Hobbys, Bildungslaufbahn und Esprit haben über Generationen hinweg für jede Klasse ihre feste Form gefunden, welche das Individuum gnädig stützt. Jeder weiß, wie er sich zu bewegen, wie er zu reden, welche Witze er zu reißen, welchem Club er anzugehören und wen er zu heiraten hat. Und damit es nicht gar zu berechenbar ausfällt, dürfen sich die besonders Gewitzten zusätzlich noch einen Spleen leisten. Kurzum, das ganze soziale Theater macht in einer Klassengesellschaft einfach mehr her als in der nivellierten Mittelstandsgesellschaft alt-bundesrepublikanischer Provenienz.
Wer als Deutscher sich für die keineswegs feinen Unterschiede von Klassengesellschaften interessiert, muss deshalb zu Büchern greifen, die aus England kommen. Ob P. G. Wodehouse oder Evelyn Waugh, ob Kingsley Amis oder Graham Greene – die englische Literatur verfügt über ein besonderes soziologisches Sensorium. Aber auch Gesellschafts-Filme wie Robert Altmans „Gosford Park” oder Woody Allens „Matchpoint” müssen, wenn sie schon von Amerikanern stammen, wenigstens in England spielen.
Einer der tollsten Romane der letzten Jahre ist Alan Hollinghursts „Schönheitslinie”. Er spielt im London der achtziger Jahre. Im Mittelpunkt steht eine reiche und kultivierte Familie, die den Studienfreund des eigenen Sohnes fast wie einen Adoptivsohn aufnimmt, obwohl er bürgerlicher Herkunft und außerdem schwul ist. Der pater familias ist Tory-Abgeordneter, Richard-Strauss-Fan und fast schon liebhaberhafter Verehrer der Aufsteigerin Maggie Thatcher, aber in allem völlig unspießig bis exzentrisch – bis es irgendwann zur Machtfrage kommt, und schon schließen sich eisern die Tore der Klasse und es wird unerbittlich zwischen in und out unterschieden.
Alan Hollinghurst ist befreundet mit einem anderen englischen Autor der mittleren Generation, dem 1960 geborenen Edward St. Aubyn. Auch er beschreibt in seinen Romanen, deren erster, „Schöne Verhältnisse”, nun auf Deutsch vorliegt, die britische Klassengesellschaft. Und er tut dies von einer privilegierten, erhöhten Position aus, denn er selbst gehört qua Geburt zur Spitze der englischen Gesellschaftspyramide. Bis in die Tage der Normannen kann man die St. Edwards zurückverfolgen, die über große Ländereien in Cornwall verfügen. Wenn es also um intime Einblicke in die Welt des hermetisch geschlossenen Hochadels geht, könnte es kaum einen geeigneteren Autor als Edward St. Aubyn geben.
Trotzdem dürfte dieser seine eigene Position keineswegs als privilegiert empfinden, eher im Gegenteil. Denn die Erfahrungen, die er mit seiner Familie machen musste, waren so monströs, dass er mit der Welt seiner Herkunft komplett gebrochen hat. Er hat mit ihr gebrochen und sie zugleich zum Gegenstand seines Schreibens gemacht. „Schöne Verhältnisse”, der Autor verschweigt es nicht, hat stark autobiographische Züge. Im Kern erzählt das Buch davon, was die Kombination aus Ennui und destruktiver Intelligenz, aus Hochmut und Standesbewusstsein für Ungeheuer an Niedertracht und Bösartigkeit hervorzubringen vermag.
Im Mittelpunkt steht David Melrose. Er verfügt über einen ätzenden Witz, durchdringende Beobachtungsgabe, unglaublichen Dünkel und eine Mischung aus Selbsthass und Größenwahn, die ihn im vollen Bewusstsein seiner Scheußlichkeit andere Menschen quälen lässt – als wären die „Liaisons dangereuses” der verbindliche Verhaltenskodex, den sich ein Mann von Geblüt schuldig ist.
David, der seinen Nihilismus für apart hält und in Suetons „Leben der Cäsaren” am liebsten die Kapitel über Nero und Caligula liest, lässt seine Frau auf allen Vieren wie ein Hund die Feigen vom Terrassenboden des Ferienhauses in der Provence aufessen. Er missbraucht seinen fünfjährigen Sohn Patrick und er vergewaltigt seine alkoholabhängige Gattin. „Schöne Verhältnisse” ist ein sarkastischer Titel. Und das alles, um nur nicht als vulgär, gewöhnlich oder als Langweiler zu gelten. Ein Freund Davids, der erklären soll, was er an diesem Ekel finde, bemerkt, „dass solche Menschen, auch wenn sie sich gegenüber ihren Nächsten womöglich zerstörerisch und grausam zeigen, oft von einer Vitalität sind, die andere neben ihnen verblassen lässt.”
Das ist zumindest der Versuch einer Erklärung. Im Ganzen leidet der Roman aber daran, dass er die Charaktermonstrosität seines Personals überhaupt nicht motiviert – es sei denn, man hält die Klassenzugehörigkeit als solche schon für eine hinreichende Erklärung. Die Figuren haben kaum eine Vergangenheit – wenn man von der im Gotha einmal absieht –, keinerlei Entwicklung, und so muss der Leser ihre Bösartigkeit hinnehmen wie gottgegeben.
Hier rächt sich vielleicht die autobiographische Echtheit. Ein Schriftsteller, der seine Geschichte mehr oder minder frei erfindet, muss eine einleuchtende psychologische Motivierung der Niedertracht liefern. Wer autobiographisch schreibt, fühlt sich dieser Aufgabe überhoben, denn warum plausibilisieren, was doch tatsächlich genau so gewesen ist. Aber zwischen Snobismus und dem Missbrauch des eigenen Kindes liegt immer noch eine Grenze, deren Überwindung erklärungsbedürftig ist – und dazu sagt der Roman nur: So ist es nun einmal.
Edward St. Aubyn schreibt eine Prosa von kalt klirrender Eleganz. Das muss man bewundern. Allerdings haben seine Formulierungen einen Hang zur unvermeidlichen Sottise: „Er war einer der vielen Engländer, die alberne Sachen sagten, um weniger hochtrabend zu wirken, und hochtrabende Sachen, um weniger albern zu wirken.” Boshafte Bemerkungen kann dieser Autor – er muss durch eine gründliche Schule gegangen sein – wie im Schlaf produzieren und seinen Figuren in den Mund legen. Oscar Wilde hat nicht umsonst gelebt.
So ist der Grundton dieses Buches, deren Figuren sich über ihren eigenen Zynismus nie täuschen, sarkastisch. Doch darin liegt ein Problem. Denn Sarkasmus legt immer nur die äußerste Wahrheit frei, eine Wahrheit, die vor allem vom Gestus des Entlarven-Wollens bestimmt ist. Über Davids dem Alkohol ergebene Frau Eleanor heißt es: „Auch vor dem Erbrechen hatte sie sich schon die Zähne geputzt, denn sie konnte ihre optimistische Ader nie ganz abbinden.”
Und indem der Roman seinen Figuren viel Raum für ihren Sarkasmus einräumt, fragt man sich irgendwann, warum diese Figuren, statt nur alles mit Degout zu durchschauen, nicht einfach einmal anders leben? Als geborene Snobs müssen sie immer um drei Ecken denken. Von David heißt es: „Seine Verachtung für Vulgarität betraf auch das vulgäre Verhalten, nicht vulgär erscheinen zu wollen.” Aber vielleicht ist auch das streberhafte Bemühen, immer um drei Ecken zu denken, vulgär? Und warum lässt, wer das einmal erkannt hat, es dann nicht einfach bleiben?IJOMA MANGOLD
EDWARD ST. AUBYN: Schöne Verhältnisse. Roman. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. DuMont Verlag, Köln 2007. 188 Seiten, 17,90 Euro.
Jede Schicht hat ihre eigenen Vergnügungen: Der englische Hochadel bei seiner traditionellen Fuchsjagd. Foto: Jiri Rezac/Visum
Von altem Adel: Der Autor Edward St. Aubyn Foto: Ellen Warner
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2007

Adel vernichtet
Stille Katastrophen: Edward St. Aubyn in der Oberschichtenhölle

Drastisch ließe es sich so sagen: David Melrose ist ein absolutes Arschloch, fast alle anderen sind es aber auch, mit Ausnahme der Amerikanerin Anne und des fünfjährigen Patrick. Wir befinden uns auf dem südfranzösischen Landsitz von David und seiner alkoholkranken Frau Eleanor im Dorf Lacoste. Bei diesem Namen sollte man hier nicht an das Krokodil auf dem Poloshirt denken, sondern an den Geburtsort des Marquis de Sade, denn David wird im Lauf des Romans unter anderem seinen fünfjährigen Sohn missbrauchen, was aber ein Geheimnis zwischen den beiden bleibt. David ist ein Vertreter des britischen Hochadels von solcher Verkorkstheit und Widerwärtigkeit, dass an ihm gemessen der Baron de Charlus als der reine Sympathieträger erscheint. Überhaupt sehnt man sich, wenn man dieses Buch zu Ende gelesen hat, sehr heftig nach dem französischen Adel, zumindest wie ihn Proust beschrieben hat, dem am Ende des dritten Kapitels auch Reverenz erwiesen wird.

Aber der Reihe nach. Anfangs ersäuft David mit dem Gartenschlauch Ameisen, während seine Gattin zu ihrem geliebten Buick schleicht und schon einmal ihre täglichen Tabletten mit einem halben Fläschchen Cognac runterspült. Sie ist auf dem Weg zu Anne, die sie zum Flughafen Marseille begleiten soll, wo man ein befreundetes Paar aus England abholt. Anne ist mit dem Herrn Professor Victor Eisen liiert, den sie einmal interviewt hat: einem Philosophen und zugleich Inbild eines Snobs, der den Adel rein um des Adels willen liebt. Das Paar, das die beiden Frauen abholen, ist höchst ungleich: Während Nicholas Pratt seinerseits zum Hochadel gehört und sich darauf freut, abends zusammen mit seinem Freund David über alle herzuziehen, die nicht dazugehören, ist seine dreiundzwanzig Jahre jüngere Geliebte Bridget eher eine Art Hippie und mit Bildung nicht gerade gesegnet. Ein Doofchen, könnte man auch deutlicher sagen, aber eben ein leckeres, wenn auch Nicholas ihrer schon langsam müde zu werden beginnt und sich Gedanken über das Abschiedsgeschenk macht.

Inzwischen hat David zum ersten Mal in seinem Leben seinen Sohn missbraucht und ihn anschließend dazu ermahnt, nie jemandem etwas davon zu sagen. Anschließend macht er sich Gedanken darüber, wie er sich so weit in den Griff bekommt, dass sich das Ganze nicht wiederholt, denn "nicht einmal an der Bar des Cavalry and Guards Club konnte man mit homosexuellem, inzestuösem Kindesmissbrauch prahlen und auf ein geneigtes Publikum hoffen". Das sind so die Sorgen, die David umtreiben.

Abends essen die drei Paare gemeinsam und tauschen allerhand Gehässigkeiten und Spitzen aus, selbstverständlich auf einem hohen intellektuellen Niveau, wenn man von der kleinen Bridget absieht. Anne, der unbehaglich ist, verlässt einmal den Speiseraum und findet den kleinen Patrick allein auf der Treppe sitzend. Sie sieht, dass er Hilfe braucht, aber nicht von ihr: seine Mutter möchte er bei sich haben. Anne geht Eleanor holen, aber Eleanor darf nicht gehen: Ihr Mann verbietet es ihr, weil der Junge nicht verzärtelt werden soll. Das gehört ja nun einmal zu den ehernen Maximen der britischen upper class, dass niemand später anderen das Rückgrat wird brechen können, dem es als Kind nicht selber gebrochen worden ist. Patrick bleibt also allein und geht schlafen, und später, nachdem Anne und Victor nach Hause gefahren sind, gehen auch die anderen nach und nach schlafen. Bridget haut ab, kehrt aber wieder um, während sich Eleanor überlegt, ob sie noch eine Pulle aufmachen soll. So geht wieder einmal ein Tag auf dem Landsitz der Familie Melrose in Lacoste zu Ende.

Soweit die Nacherzählung. Das könnte sich anhören wie eine besonders böse Satire aus britischen aristokratischen Kreisen, gewissermaßen eine schrecklich nette Familie auf hochadlig, und bis zu einem gewissen Grad ist es das auch. Vor allem aber ist es ein Bericht aus der Hölle, und nicht gerade aus deren erstem Kreis, sondern mindestens aus dem neunten und eigentlich, wenn es ihn denn nach Dante gäbe, aus dem zehnten. Wenn man zudem weiß, dass St. Aubyns Erstling (der Roman ist unter dem euphemistischen Titel "Never mind" in England schon 1992 erschienen) einen hohen autobiographischen Gehalt hat, könnte man auch versucht sein, ihn als Schlüsselroman und als Lebensbeichte eines Autors zu lesen, dem das Schreiben das Leben gerettet hat.

Das mag sogar so gewesen sein, und dennoch ist es die falsche Lektüre. Lebensbeichten sind oft "hingerotzt", aber "Schöne Verhältnisse" ist das Buch eines großen Stilisten. Man spürt den unbedingten Willen zum mot juste und zur einzig richtigen Form in jedem Satz, ohne dass aber das Ganze an Überanstrengung gewissermaßen zusammenbrechen würde. Das Ekel David hat eine Weile komponiert, bis sein Vater, der General Melrose, ihm alle Ambitionen in dieser Richtung ausgetrieben hat. Komponiert ist auch St. Aubyns Roman, die einzelnen Kapitel ebenso wie der ganze Roman. Dabei ist er durchaus "konventionell erzählt", um die ebenso konventionelle Formel zu gebrauchen. Es gibt einen auktorialen Erzähler, der mühelos in die einzelnen Figuren schlüpft, einen Wechsel von Stimmen also, mit den entsprechenden Wiederholungen: Auch hier wieder die Analogie zu einem Musikstück.

Auch die einzelnen Sätze sind deutlich gegliedert, klar, präzise, schlank. Sie spiegeln den Willen zur Distanznahme und zur Kälte. Es ist, als habe der Autor den Schrecken, von dem hier ununterbrochen die Rede ist, nur durch äußerste sprachliche und formale Disziplin bändigen können. Dieser Schrecken ist nicht in den Sätzen, er lauert hinter ihnen, und zwar hinter jedem einzelnen, selbst wenn ganz alltägliche Vorgänge berichtet werden. Diese Legierung aus Beiläufigkeit und Bedrohung aus dem per se eher lakonischen Englischen in ein ebenso gebändigtes und zugleich spannungsreiches Deutsch zu übertragen war eine Aufgabe, die Ingo Herzke bewundernswert bewältigt hat.

Im Gefolge dieser Tonlage wartet man zwangsläufig auf die alles auflösende Katastrophe, um nicht von der Katharsis zu sprechen. Der sexuelle Missbrauch Patricks ist natürlich eine Katastrophe, aber da nicht über ihn gesprochen wird, hat er eigentlich gar nicht stattgefunden. Es gibt eine ganze Reihe stiller Katastrophen, die aber ebenfalls nicht wirklich existent sind, weil sie im Innenleben der jeweiligen Protagonisten eingesperrt sind. Sehr eindrücklich wird in diesem Roman demonstriert, wie furchtbar Menschen leiden müssen, die es nicht schaffen, das Gefängnis ihres Innenlebens zu verlassen, und man fühlt mit diesem Leiden selbst dann, wenn man sich wieder ins Gedächtnis ruft, dass es sich bei diesen Menschen mehrheitlich, es sei wiederholt, um Arschlöcher handelt.

Dabei ist es keineswegs so, dass in diesem Buch nicht gesprochen wird. Es wird im Gegenteil fast pausenlos geredet. Man trifft sich ja nicht, um zu essen und zu trinken (das könnte jedes Paar auch allein), sondern vor allem, um sich gegenseitig mit geistreichen Bonmots und mit brillanten Gehässigkeiten zu bombardieren. Auch der Autor selbst ist, wenn er in seine Figuren schlüpft, von großer Beredsamkeit und Brillanz. Das liest sich etwa so: "Als sie David vor zwölf Jahren kennenlernte, hatte sein Aussehen sie fasziniert. Die Miene, auf die man ein Anrecht zu haben glaubt, wenn man aus einem kalten englischen Salon auf seinen Grundbesitz starrt, hatte sich über fünf Jahrhunderte störrisch eingegraben und in Davids Zügen vervollkommnet. Eleanor begriff nie ganz, warum die Engländer es für vornehm hielten, lange Zeit an ein und demselben Ort nichts getan zu haben, aber David ließ keinen Zweifel daran, dass dem so war." Das vorletzte und längste Kapitel des Buches, in dem das gemeinsame Abendessen geschildert wird, besteht überwiegend aus den Sottisen, die die Esser untereinander austauschen.

Allerdings ist das kein Selbstzweck, und deshalb ermüdet es auch nicht. St. Aubyn führt hier eine Gruppe von Menschen vor (vornehmlich, indem er sie sprechen lässt), die ihrer Verzweiflung nicht entkommen können, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschen. Die Katastrophe, die der Leser sich wünscht, wäre der große Knall: dass wenigstens ein Mord geschieht oder zwei Selbstmorde oder dass das Haus in die Luft fliegt oder abbrennt. Alles wäre recht, damit die Spannung sich löst. Für St. Aubyns Protagonisten ist das Schlimmste dagegen längst eingetreten, denn dass es immer so weitergeht, das eben ist nach einem bekannten Satz Walter Benjamins die Katastrophe. Und die eindrücklichsten Bilder der Hölle zeichnen sich nicht dadurch aus, dass da jemand am Feuer schmort oder es unerträglich nach Schwefel stinkt, sondern dass es immer so weitergeht, in alle Ewigkeit und dass es so entsetzlich langweilig ist.

Das kann man von St. Aubyns Roman nun nicht sagen, andernfalls könnte man ihn kaum in ein paar Stunden lesen. Das Buch ist spürbar mit einer ungeheuren Wut geschrieben, aber was dabei herausgekommen ist, ist nicht noch ein Bekenntnisbuch, sondern, da übertreibt der Klappentext endlich einmal nicht, "ganz große Literatur". Es bleibt zu hoffen, dass der Verlag seine eigene Aussage ernst nimmt und auch die fünf Bücher, die diesem Debüt gefolgt sind, nach und nach in deutscher Übersetzung zugänglich macht.

JOCHEN SCHIMMANG

Edward St. Aubyn: "Schöne Verhältnisse". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. DuMont Literatur Verlag, Köln 2007. 187 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Mit seiner messerscharfen Prosa spießt (...) Edward St Aubyn die eigenen Verwandten auf wie schillernde Schmettrelinge im Glaskästchen. Er entlarvt die feine Gesellschaft - und schlägt sie mit Ihren Waffen : erbarmungslos pointierten Beobachtungen und rabenschwarzem Humor." - Brigitte

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In seiner sehr ausführlichen Kritik von Edward St. Aubyns Debütroman, der im englischen Original bereits 1992 erschien, hält Jochen Schimmang mit seiner Begeisterung nicht hinter dem Berg. Der Autor spielt in der Welt des britischen Hochadels, wo sich fast sämtliche Protagonisten als Schweine entpuppen, erklärt der Rezensent. Hier wird gesoffen, snobistisch über die Mitwelt geurteilt, es wird der fünfjährige Sohn missbraucht oder Tablettenmissbrauch getrieben, so Schimmang, der weiß, dass das Buch in nicht geringem Maße auf autobiografischen Erlebnissen beruht. Dabei habe man es aber weder mit einer Schicksalsbeichte, noch mit einer satirischen Bestandsaufnahme des britischen Adels zu tun, betont der Rezensent. Vielmehr handelt es sich laut Klappentext bei "Schöne Verhältnisse", und hier stimmt Schimmang uneingeschränkt zu, um nichts weniger als "ganz große Literatur. Der Rezensent bewundert die präzise, geschliffene Sprache und die sorgsam komponierte Konstruktion und er stellt fest, dass trotz des spürbaren Bemühens St. Aubyns um den stets besten Ausdruck und die passende Satzkonstruktion, der Roman nie angestrengt wirkt. So kann die Adelshölle, die hier beschrieben wird und die von Ingo Herzke brillant ins Deutsche übersetzt worden ist, ihre bedrohliche und beklemmende Wirkung entfalten, wie Schimmang preist.

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