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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Felicitas von Lovenberg verweigert dem Roman das Prädikat "große Literatur". Bestenfalls hat sie ihn als das Buch in Erinnerung, an dessen sexuellen Untiefen einst die Fernsehsendung "Das Literarische Quartett" zerbrach. Dass sie sich jetzt trotzdem die Geschichte "von Leidenschaft als Sucht" sechs Stunden lang anhören konnte, schreibt sie dem Talentkonto von Vorleser Joachim Krol gut. Zu Haruki Murakamis Glück habe Krol nämlich klug darauf verzichtet, dem "vermeintlich getriebenen Charakter" von Protagonist Hajime Temperament zu verleihen. Stattdessen lese er dessen Liebesbericht im Tonfall eines Mannes, der sich in sein Schicksal gefügt habe, Murakamis Anlage der Figur auf diesem Weg genau ins Gegenteil verkehrend. Mit diesem Kunstgriff wedele Krol, schreibt die Rezensentin, die erotische Schwüle, die das Buch ihrer Ansicht nach "wie ein zu schweres Parfüm" durchzieht, immer wieder weg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2000

Leere Vitrinen
Der Romancier Murakami
gibt sich geheimnisvoll
Hajime sagt von sich selbst: „Ich bin als Mensch nichts Besonderes. Ich mache nicht viel her. ” Stimmt. Aber das ist ganz normal für einen Helden Haruki Murakamis. Schon der Erzähler in „Wilde Schafsjagd” bezeichnet sich als „mittelmäßigen Menschen”. Und Toru Okada sitzt im „Mister Aufziehvogel” als Hausmann rum, bügelt Hemden und kocht Spaghetti. Die Männer, von denen da erzählt wird, sind sympathische, etwas wortkarge Einzelgänger. Sie haben eine Katze, einen Job, eine Frau – kurz, ein Leben wie du und ich. Nur dass du und ich keinen Autor haben, der dafür sorgt, dass plötzlich das Fremde in den Alltag einbricht: In „Wilde Schafsjagd” wird der freundliche Vollblutphlegmatiker von einem geheimnisvollen Millionär damit beauftragt, ein Schaf zu suchen, das Schopenhauers ,Willen an sich‘ inkarnieren soll. Bei dem Helden aus „Mister Aufziehvogel” klingelt eines Mittags das Telefon; woraufhin ihm sein gesamtes bisheriges Leben zerbröselt.
Hier nun, in „Gefährliche Geliebte”, dem neuen Roman des japanischen Erfolgsautors, bringt eine Kindheitsfreundin das geruhsame Leben eines Mannes durcheinander. Hajime, verheiratet, zwei Kinder, erfolgreicher Betreiber zweier Jazzkneipen, war als Zwölfjähriger mit einem seltsam frühreifen Mädchen namens Shimamoto befreundet. Die beiden saßen oft nachmittags bei ihr zu Hause, tranken Tee, hörten Platten von Liszt und Nat King Cole, und Shimamoto erzählte ihm von den Qualen der Individualität und Vergänglichkeit: „Wenn erst einmal eine gewisse Zeit vergangen ist, verhärten sich die Dinge. Wie Zement, der in einem Eimer hart wird. Und wir können dann nicht mehr zurück. ” Einmal, ein einziges Mal, hielten sich die beiden für einige Sekunden an der Hand. Kurz darauf zog Hajime mit seinen Eltern fort. Aber noch für den 37-jährigen Mann bedeutet dieser Moment einer kindlich schüchternen Berührung das Glück.
Inzwischen ist Hajime im Alltag eines Familienvaters angekommen, und der Zement ist hart geworden: Alles läuft irgendwie, die Ehe, die Jazzkneipe, und doch kurvt er mit seinem chicen Auto und den zwei Töchtern auf dem Rücksitz durch ein leeres Leben. Bis eines Tages Shimamoto in seiner Kneipe auftaucht.
Der japanische Originaltitel des Buches zitiert einen Song von King Cole: „South of the border, west of the sun” heißt ein Lied, über das sich Hajime und Shimamoto unterhalten, als sie auf dem Weg zu ihrer einzigen gemeinsamen Liebesnacht sind. „,Wenn ich als Junge dieses Stück hörte, habe ich mich immer gefragt, was »südlich der Grenze« denn wohl läge. ‘ ,Ich mich auch‘ sagte Shimamoto. ,Als ich älter wurde und den englischen Text verstehen konnte, war ich enttäuscht. Es war nur ein Lied über Mexiko. Ich hatte immer gedacht, südlich der Grenze müsse etwas Herrliches liegen. ‘” Beim Lesen von Murakamis Büchern geht es einem ähnlich wie Shimamoto mit diesem Song. Ständig verspricht der Plot die Lösung großer Rätsel, weist der Text weit über die Grenze seiner Bedeutung hinaus. Hajimes Geschichte durchziehen Bilder von verschlossenen Gegenständen, die einen Schatz oder ein Geheimnis bergen. Schon als der zwölfjährige Hajime für einen kurzen Moment Shimamotos Hand hält, bemerkt er: „Es war lediglich die kleine . . . Hand eines zwölfjährigen Mädchens, aber diese fünf Finger. . .waren wie eine Vitrine, die absolut alles enthielt, was ich wissen . . . musste. ” Als sich die beiden 25 Jahre später in Hajimes Jazzbar wiedersehen, doziert Shimamoto bei der Betrachtung alter Fotografien über einen unsichtbaren Wesenskern: „Aus Fotos kann man nichts schließen, Hajime. Das sind nur Schatten. Die wahre Shimamoto ist weit, weit fort. Sie ist auf keinem Bild zu sehen. ”
Buchstabengekräusel
Die Vitrine wird auf den 230 Seiten, auf denen Murakami sein Kammerspiel um die zerstörerische Kraft der Liebe entfaltet, nicht einmal geöffnet: Man erfährt nur immer neu, dass Shimamoto irgendwie geheimnisvoll, rätselhaft, unerklärlich sei. So kommt einem „Gefährliche Geliebte” mit der Zeit wie eine der Fotografien vor, von denen Shimamoto spricht: die Figuren bleiben Schatten, Buchstabengekräusel auf dem Papier. Sicher, Murakami spielt in seinen Büchern postmodern virtuos mit den Reizen der Fiktionalität. Im „Aufziehvogel” betonte er die Künstlichkeit einiger Personen noch, indem er ihnen Namen wie Malta, Kreta oder Zimt gab. Gleichzeitig suggeriert er aber, dass hinter diesen Schablonen eine ganze Welt der Tiefe und des Sinns liegt. Schade, denn das klingt dann oft, als habe Rüdiger Dahlke oder Erich von Däniken in einem Thriller von Stephen King herum redigiert: Die ungemein spannenden Geschichten werden mit einer konfus okkultistischen Metaphysik unterfüttert.
Murakami sagte einmal: „Die Städte sind doch nur die Oberfläche. Darunter ist die Unterwelt, so wie bei den Menschen. Mir geht es um die Unterwelt. Wenn man zu der keinen Kontakt aufnimmt, bleibt alles schal. ” Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Murakami beschreibt die Oberfläche sehr genau: die verschiedenen Tokioter Viertel Hajimes Jazzkneipe oder den Regen an einem Nachmittag. Dadurch aber, dass er immer auch versucht zur Unterwelt esoterischer Wahrheiten „Kontakt aufzunehmen”, bleibt am Ende ein schaler Nachgeschmack.
ALEX RÜHLE
HARUKI MURAKAMI: Gefährliche Geliebte. Roman. Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. DuMont Verlag, Köln 2000. 230 S. , 39,80 Mark.
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