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Das Buch erinnert an eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist: an die langen Jahre traumatischen Stillstands, in dem das östliche Europa seit dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings bis zur Wende 1989 erstarrt war.
Die Titelerzählung ist eine Spurensicherung im Untergrund: In einer heruntergekommenen alten Villa in der Hügellandshcaft von Buda, in der sich eine Freundin Ende der 70er Jahre zur Sommerfrische eingemietet hat, identifiziert der Autor mit Hilfe von Fotos, Skizzen und Zeugenaussagen jene geheime Verhör- und Folterstätte der ungarischen Staatssicherheit, die von Béla Szász,…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch erinnert an eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist: an die langen Jahre traumatischen Stillstands, in dem das östliche Europa seit dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings bis zur Wende 1989 erstarrt war.
Die Titelerzählung ist eine Spurensicherung im Untergrund: In einer heruntergekommenen alten Villa in der Hügellandshcaft von Buda, in der sich eine Freundin Ende der 70er Jahre zur Sommerfrische eingemietet hat, identifiziert der Autor mit Hilfe von Fotos, Skizzen und Zeugenaussagen jene geheime Verhör- und Folterstätte der ungarischen Staatssicherheit, die von Béla Szász, einem der wenigen Überlebenden des ersten Schauprozesses in Ungarn, in seinen Erinnerungen ("Freiwillige für den Galgen") als Ort seiner Gefangenschaft beschrieben worden war. Ein Haus des Schreckens, auf dessen einstige Bestimmung nur noch schalldichte Türen und vermauerte Zugänge, vor allem aber das bei den Verhören benutzte sechseckige Turmzimmer hinweisen...
Aus einer Komposition von erzählenden und dokumentarischen Texten, Fotos und persönlichen Notizen lässt Péter Nádas ein eindrückliches Bild des osteuropäischen Lebensgefühls nach dem Scheitern der Reformbewegungen entstehen.
Autorenporträt
Nádas, Péter
Péter Nádas, Erzähler, Dramatiker, Essayist und Fotograf wurde 1942 in Budapest geboren. Seine berufliche Laufbahn begann er 1961 als Fotoreporter für das Frauenmagazin "Nök Lapja". Nach zweijährigem Militärdienst arbeitete er dann ab 1965 als Journalist bei der Tageszeitung "Pest Megyei Hirlap", kam jedoch immer stärker in Konflikt mit den Leitlinien der offiziellen Berichterstattung, bis er 1968 die journalistische Arbeit aufgab und sich als freier Schriftsteller aufs Land zurückzog. Da er bis 1977 auf Grund der Zensur keinen Verlag für seine Werke fand, arbeitete er neben der schriftstellerischen Tätigkeit noch für verschiedene Zeitschriften. Auf Einladung des DAAD lebte Péter Nádas 1981 ein Jahr in Deutschland. Für seinen Roman "Buch der Erinnerung" (1986, dt.1991) wurde er u.a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (1991), dem französischen Prix du Meilleur Livre Étranger und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (1995

) ausgezeichnet. Péter Nádas lebt in Gombosszeg und Budapest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2008

Pardon wird nicht gegeben

Die Spur führt zurück hinter den Eisernen Vorhang, die Angst aber bleibt: Der Ungar Péter Nádas erzählt von den Schrecken der osteuropäischen Diktaturen.

In vier Erzählungen und einem Interview führt uns der ungarische Schriftsteller Péter Nádas in eine Vergangenheit, die schon fast vergessen ist, von der die Nachgewachsenen wenig Ahnung haben, manche überhaupt nichts wissen. Gemeint sind die Jahrzehnte des Totalitarismus in Osteuropa. Sie scheinen in den Abgrund der Geschichte gestürzt, von einem schwarzen Loch verschlungen zu sein. Dabei ist es erst zwei Jahrzehnte her, dass jene Diktaturen ihren Ungeist aufgaben, dass die ehernen Grenzen zwischen Ost und West zu normalen Trennlinien verschiedener Heimaten wurden.

Was einst östlich jener Grenzen geschah, bietet Stoff für Albträume, und so ist es verständlich, dass die Erinnerung daran eher gemieden wird. Aber ist das auch klug? Wer das schmale Büchlein von Péter Nádas liest, kommt sehr rasch zu Einsichten nicht nur über den totalitären Schrecken der kommunistischen Ära, sondern auch über Probleme menschlichen Miteinanders schlechthin. Bevor Stalins Zöglinge das östliche Europa in den Würgegriff nahmen, wüteten Hitler und seine Getreuen im gesamten Europa. Die einen wie die anderen hinterließen ein schreckliches Bild davon, wozu die Spezies Mensch fähig ist, unter Druck oder aus Freude am Druck auf andere. Wenn solche Zeitabschnitte zu Ende gehen, dann heißt es immer, so etwas dürfe nie wieder geschehen. Doch lehrt uns die Geschichte, dass es dauernd geschieht, wenn gerade mal nicht in Europa, dann sonstwo auf unserer Erde.

Also sollten wenigstens die Einsichtigen die Erinnerung an den Schrecken hüten, Lehren daraus ziehen und sie verbreiten. Redegewandte Zeugen wie Péter Nádas helfen ihnen dabei. Er hat das Bündel Erfahrungen, das er uns vorlegt, "Spurensicherung" genannt und ist auf der Suche nach den Spuren tief in die Seelen seiner Landsleute eingedrungen. In der ersten Geschichte führt er uns Denunzianten vor, die mittels Verrats oder erfundener Beschuldigungen Mitbürger aus dem Weg räumen, teils im Interesse der eigenen Karriere, teils aus Lust an der Macht. Nádas greift dabei auf wahre Begebenheiten zurück, zitiert Mitteilungen, die ihm später gemacht, anonyme Briefe, die vor Zeiten versandt wurden. So, wie er es vorführt, wirkt es auf den ersten Blick alles recht alltäglich. Doch der zweite Blick lässt das Entsetzen ahnen, das die bösartigen Angriffe einst angerichtet haben.

In der folgenden Geschichte stützt der Autor sich auf die Memoiren des Schriftstellers und Journalisten Béla Szász, die den Titel "Freiwillige für den Galgen" trugen und 1986 auch in deutscher Sprache erschienen. Szász, überzeugter Kommunist in jenen Jahrzehnten, als seine Heimat wie die meisten Länder dergleichen verdammte und verfolgte, war 1949 vom ungarischen Staatssicherheitsdienst verschleppt und unter fürchterlichen Anklagen vor Gericht gestellt worden. Es ging hier um den ersten Schauprozess in Ungarn, einen in jener Prozesskette, mit der die Sowjetunion zur Stalin-Zeit, Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre, die osteuropäischen Satelliten-Genossen gefügig machte.

Péter Nádas, 1942 geboren, war zu jener Zeit noch ein Kind. Nun, als Erwachsener, besichtigt er ein Haus, das unauffällig und langweilig wirkt, damals aber als Hölle für die Angeklagten diente. Hier wurden sie von den Bütteln des Regimes gepeinigt, damit sie Taten gestanden, die sie nie begangen hatten, aber begangen haben sollten, um die Radikalpolitik der stalinistischen Unterdrücker zu rechtfertigen. Der Autor füllt die banal ausgestatteten Räume mit den Szenerien, die der einstige Angeklagte Béla Szász in seinen Erinnerungen beschreibt, und erreicht so eine gespenstische Vermählung des heutigen Alltags mit historischem Entsetzen.

Die übrigen Teile des Sammelbandes sind der niederdrückenden Erkenntnis gewidmet, dass Menschen, die unter solchen Umständen leben müssen, auch nach dem Ende der Diktatur nicht ohne weiteres frei werden. Die Dressur, der sie jahrzehntelang unterworfen waren, hinterlässt Spuren. Man könnte sagen, die Angst hindert, wenn sie nachdrücklich genug eingeprügelt wurde, für den Rest seines Lebens den Sklaven daran, zur autonomen Persönlichkeit zu reifen. Nádas beschreibt die Zeit, da er in der ungarischen Armee Dienst tun musste und zur Furcht vor dem Weltkrieg gedrillt wurde, der laut Ostblock-Propaganda aus dem feindlichen Amerika drohte. Danach dringt er ein in die Gedanken einer Großmutter und ihres Enkels, die schon jenseits der Diktatur leben und sie dennoch nicht richtig loswerden können. Denn die Erinnerung verhindert, dass die Hoffnung das Zepter übernimmt. Schon der erste Satz sagt, worunter die alte Frau und der junge Mann leiden: "Etwas ist zu Ende gegangen, und etwas anderes will nicht dafür kommen."

Am Ende wird alles noch einmal zusammengefasst in dem Interview, das Péter Nádas 1997 einer ungarischen Journalistin gab. Auch hier äußert er nichts, was uns über die Trostlosigkeit der übrigen Aussagen hinweghelfen könnte. Aber es ist ja auch nicht Sache eines Erzählers, seine Leser um jeden Preis zu trösten. Er teilt uns seine Wahrheit mit, und wenn sie uns erschreckt, dann ist es an uns, mit ihr fertig zu werden, schon deshalb, weil sie im Grunde auch unsere Wahrheit ist. Menschen, die das schaffen, leisten einen Beitrag zur Verbesserung der Welt. Der erste Schritt dazu wäre, dieses Buch Zeile für Zeile zu lesen und nichts davon zu vergessen.

SABINE BRANDT

Péter Nádas: "Spurensicherung". Aus dem

Ungarischen übersetzt von Akos Doma und

Ruth Futaky. Mit Fotos des Autors. Berlin Verlag, Berlin 2007. 171 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Beispielhaft findet Ilma Rakusa diesen Band: Ein Exempel geschriebenen Klartextes (in den älteren Essays des Buches) und des schonungslosen Umgangs mit der Vergangenheit in kommunistischer Diktatur (in neueren Essays wie "Parasitäre Systeme"). In Essays und Reportagen erinnert sich Peter Nadas, recherchiert und setzt sich auseinander mit dem, was er vorfindet, mit dem, was war, und eben auch mit dem Umgang seiner Landsleute mit dem Gewesenen. Mit diesem Buch stellt Nadas eine "dokumentarische Recherche" gegen den allgegenwärtigen Wunsch zu verdrängen. Im titelgebenden Text "Spurensicherung" aus dem Jahr 1977 schreibt er über eine Villa in Budapest, die der Schauplatz von Folter war. Im abgedruckten Gespräch "Die Haut retten" spricht Nadas über seine eigenen Kämpfe mit "Chefideologen und Zensoren". Bewundernswert das alles, so Rakusa, weil stets an der "Logik der Dinge" interessiert und nicht an moralisierender Klage.

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