Marktplatzangebote
65 Angebote ab € 0,80 €
  • Gebundenes Buch

Dwight Wilmerding ist 28 und hat bereits seine erste Midlife-Crisis. Kein Wunder — beim Pharmakonzern Pfizer ist er gerade »gepfeuert« worden, seine WG steht kurz vor der Auflösung, und ob es mit Vaneetha etwas Ernstes werden soll, weiß er nicht so genau. Überhaupt, sein größtes Problem: chronische Unentschlossenheit. Da schlägt ihm sein Mitbewohner vor, sich als Proband für Abulinix zur Verfügung zu stellen, ein Mittel gegen eben jenes Problem ...

Produktbeschreibung
Dwight Wilmerding ist 28 und hat bereits seine erste Midlife-Crisis. Kein Wunder — beim Pharmakonzern Pfizer ist er gerade »gepfeuert« worden, seine WG steht kurz vor der Auflösung, und ob es mit Vaneetha etwas Ernstes werden soll, weiß er nicht so genau. Überhaupt, sein größtes Problem: chronische Unentschlossenheit. Da schlägt ihm sein Mitbewohner vor, sich als Proband für Abulinix zur Verfügung zu stellen, ein Mittel gegen eben jenes Problem ...
Autorenporträt
Benjamin Kunkel wuchs in Colorado auf. Er schreibt für Dissent, The Nation und The New York Review of Books und ist Mitgründer des Magazins n+1.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Buridans Bagel
Benjamin Kunkels harmloser Roman „Unentschlossen” / Von Jens-Christian Rabe
Man muss das ja erst einmal fertig bringen, ein Buch zu schreiben, dass den Nerv der Zeit trifft. Oder wenigstens den Nerv einer nicht unerheblichen Zahl vor allem jüngerer Menschen. Dem 1973 geborenen New Yorker Autor Benjamin Kunkel ist das mit seinem Debütroman „Unentschlossen” gelungen. Über 30 000 gebundene Ausgaben wurden in den Vereinigten Staaten bislang verkauft. Die geplante Startauflage allein der US-Taschenbuchausgabe soll über 100 000 liegen. Es gibt 14 Übersetzungen. Und Hymnen in fast allen amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften. Als das Buch im vergangenen Jahr in den USA erschien, feierte die wöchentliche Buchbeilage der New York Times den Roman als „lustigsten und klügsten Coming-of-age-Roman seit Jahren”. Im Literaturteil des Hauptblatts hielt die NYT-Chefkritikerin Michiko Kakutani ihre Besprechung sogar komplett im Tonfall Holden Caulfields, der Hauptfigur in J. D. Salingers „Fänger im Roggen”, dem berühmtesten aller modernen amerikanischen Entwicklungsromane: „Das Buch hat mich umgehauen.”
Welchen Nerv hat Benjamin Kunkel getroffen? Den – der Titel zeigt es an – der grassierenden Unentschlossenheit, der chronischen Entscheidungsunfähigkeit der wohlversorgten 20- bis 30-jährigen Kinder der westlichen Mittelschicht. Held ist der 28-jährige Dwight Wilmerding. Er hat eine halbwegs elitäre Privatschulausbildung hinter sich und ein eher mittelmäßig motiviertes, aber abgeschlossenes Philosophiestudium an einer unbedeutenden Westküsten-Universität. Mit drei, gelegentlich vier Kumpels bewohnt er eine leidlich drogenaffine WG in New York. Seinen vollkommen unspannenden Telefon-Job beim Pharma-Konzern Pfizer hat er gerade wegen einer Lappalie verloren. Besser so. Er hatte ohnehin vor, zu kündigen, konnte sich aber dann doch immer wieder nicht – genau – entscheiden. So wie er sich morgens im Coffeeshop nicht für einen bestimmten Bagel und abends nicht für seine Freundin Vaneetha entscheiden kann: „Manchmal zuckte sie wie ein träumender Hund, und das jagte mir meist einen zärtlichen Schauder über den Rücken. Trotzdem, gerade weil ich diese Zärtlichkeit empfand, überlegte ich, ob ich sie nicht lieber verbergen sollte, wenn wir beide wach waren. Sie konnte uns ungünstigerweise das Gefühl vermitteln, dass wir zusammen waren.”
Das ist in seiner schrägen Lakonik alles sehr vergnüglich zu lesen, klug, auch elegant selbstironisch, wenn Dwight etwa in dem Buch „Der Gebrauch der Freiheit” des fiktiven deutschen Philosophen Otto Knittel nach der Lösung seines Problems sucht. Aber irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass die Fallhöhe nicht stimmt. So durch und durch harmlos wie der Held bleibt auch das Buch. Ein Buch, das – wie bei uns zuletzt vielleicht Florian Illies’ Erinnerungen an seine Jugend in der hessischen Provinzstadt Schlitz – vor allem davon lebt, dass sich die nämliche Schicht ganz gut in ihm erkennen können wird. Und so gerät alles zum Dokument satter Sattheit. Symptomatisch auch die – in der jüngeren amerikanischen Literatur offenbar unvermeidliche – Verarbeitung des 11. September. Dwight erlebt sie mit Freunden im Ecstasy-Rausch: „,Ein Glück, dass es zwei davon gibt‘, sagte ich. In einem letzten Bemühen um Optimismus versuchte ich, die Sache positiv zu sehen. ,Von allen anderen großen Gebäuden gibt’s normalerweise nur eins, also . . .‘ Dann sah ich, wie von Südwesten her ein weißes Geschoss herbeiraste. ,Hey! Noch ein Flugzeug! Sie haben es geschickt, damit es das andere rettet.‘” Das Geheimnis von Situationskomik ist, dass die Komik genau im Moment der neuen Situation entsteht. Sie wirkt konstruiert, blass, wenn die Situation fünf Jahre alt und gut bekannt ist.
„Für mich klingt das nach
einem Scheißjob
und einem Mangel an Liebe”
Vollends zum Offenbarungseid in Sachen gutwilliger Harmlosigkeit macht „Unentschlossen” allerdings der Weg zur Wandlung, zur Politisierung des Helden. Sie führt von der vermeintlichen Lösung aller Probleme, einem Medikament namens Abulinix, das endlich Entscheidungsfähigkeit verschreibbar machen soll, in den ecuadorianischen Dschungel, wo Dwight erst zu der sehr attraktiven und kapitalismuskritischen belgischen Ethnologin Bridget findet und dann zu sich selbst. Oder umgekehrt. Auch das ist einfühlsam und witzig erzählt, am Ende aber doch wieder nur die Geschichte des entfremdeten Westlers, der in der Ursprünglichkeit der Dritten Welt endlich zur Vernunft kommt. Diesmal mit Hilfe aus Belgien, was aus amerikanischer Sicht offenbar ebenso exotisch klingen muss wie der ecuadorianische Dschungel: „Verschiedene Geschlechtsakte wurden vollzogen, und nebenbei erfreute sie mich mit Geschichten von neokolonialer Abhängigkeit, von der Skrupellosigkeit der Machthaber in den Großstädten und von der Korruption lokaler Eliten. . . . ,Diese verdammten Scheißkerle!‘, knurrte ich.”
Höhe- und irgendwie trauriger Schlusspunkt von Dwights politischer Erweckung ist dann seine Rede beim zehnjährigen Eliteschul-Jahrgangstreffen, die rührend pathetisch als Abrechnung mit den einstigen Klassenkameraden inszeniert wird: „Einige von Euch stellen in ihrem Alltag vermutlich die fragwürdige Herrschaftsfähigkeit der herrschenden Klasse Amerikas unter Beweis. Für mich klingt das nach einem Scheißjob und einem Mangel an Liebe.” Am Ende steht Dwights emphatisches Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus. Ein Bekenntnis, dass – wenn überhaupt – wirklich nur in den USA eine Art Provokation darstellt.
Die deutsche Übersetzung tut ihr Übriges. Sie trifft zwar Kunkels lakonischen Ton, auch für manche seiner nicht einfach zu übersetzenden Wortschöpfungen gelingen ihr glückliche deutsche Entsprechungen. Ein viel sorgfältigeres Lektorat hätte man dem Buch dennoch gewünscht. Auch oder vor allem mit etwas mehr Fingerspitzengefühl für die philosophischen Anspielungen. Aus dem unübersehbar bei Kant entlehnten „universal law” etwa – so lautet die gängige englische Übersetzung von Kants „allgemeinem Gesetz” aus dem kategorischen Imperativ – wäre dann vielleicht nicht bloß die „Regel Nummer eins” geworden. Und aus dem „famous other-minds problem” nicht nur das „berühmte Problem der anderen Seelen”. Das nämlich ist in Deutschland ganz und gar nicht berühmt. In der (analytischen) deutschen Philosophie spricht man vom Problem des Fremdpsychischen.
So ist „Unentschlossen” das ideale Buch geworden für die Leser der deutschen Zeitschrift, die vor ein paar Jahren erfolgreich mit dem Untertitel „Eigentlich sollten wir erwachsen werden” startete und damit das Lebensgefühl der gut ausgebildeten, aber tendenziell orientierungslosen deutschen Mittelstandsjugend genau traf. Auch dort ist Politik nichts anderes mehr als eine Möglichkeit unter anderen, vorübergehend die Leere zu füllen. Nach dem letzten und vor dem nächsten Kick. Wenigstens ist Kunkels Hauptfigur kein Praktikant.
Benjamin Kunkel
Unentschlossen
Roman. Aus dem Amerikanischen von Stefanie Röder. Bloomsbury Berlin Verlag, Berlin 2006. 314 S., 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2006

Die anderen heißen alle Jonathan
Die Überwindung der Ironie durch die Pharmazie: Benjamin Kunkel und sein großartiger Roman "Unentschlossen"

Geht es uns nicht allen so? Daß wir uns nicht entscheiden können, weil wir so viele Möglichkeiten haben? Oder daß es wenigstens so aussieht, als hätten wir lauter Möglichkeiten; und trotzdem hoffen wir immer auf eine noch bessere? Der Schriftsteller Benjamin Kunkel hat in der Entscheidungsunfähigkeit die Krankheit unserer Zeit erkannt und gilt nicht zuletzt aus diesem Grund mittlerweile als "hot item"; ein junger Intellektueller aus New York, Anfang Dreißig, der vor zwei Jahren mit Freunden die kulturkritische und sehr politische Zeitschrift "n+1" gegründet und trotz aller Ernsthaftigkeit nicht vergessen hat, daß es besser ist, zumindest sich selbst dabei nicht zu ernst zu nehmen. "Indecision" heißt sein erster, sensationell intelligenter und lustiger Roman, und in diesem Roman hat der sympathisch-neurotische Held unser Allerweltsproblem: Er kann sich nicht entscheiden.

Das fängt an der Supermarktkasse an, wo er zwischen Plastik- und Papiertüten wählen muß. Es geht weiter bei der Wahl des Restaurants, weil es immer Vor- und Nachteile hat, Dim Sum, Gnocchi oder ein Masala Dosai zu essen; führt zu politischen Eskapaden, weil es schwerfällt, trotz der Sehnsucht nach großen Idealen überhaupt Partei zu ergreifen. Und es endet bei der sehr grundsätzlichen Frage, ob er mit seiner Freundin denn nun ein Paar sein will oder lieber doch noch nicht oder eigentlich überhaupt nie.

Den Ausweg aus der Misere weiß sein Mitbewohner: Er schlägt ihm vor, sich als Proband für Abulinix zur Verfügung zu stellen, das neu entwickelte Medikament gegen chronische Entscheidungsunfähigkeit. Das pharmazeutische Abenteuer beginnt. Einen Roman lang hofft man, das Medikament könnte endlich anschlagen - und hat plötzlich große Lust, im eigenen Leben sehr klare, unwiderrufliche Entscheidungen zu treffen. Wäre eine Dosis Abulinix die Lösung für uns alle?

Mit Heidegger in den Wald

Benjamin Kunkel kommt um die Ecke, ins Café "Paradise" in Chelsea, in dessen Nähe er wohnt, streicht sich das blondrote Haar aus dem Gesicht und erzählt, daß nach Chelsea jetzt immer mehr Yuppies zögen; er wohne hier aber trotzdem gerne. Er bestellt Kaffee und Bagels und schlägt vor, nebenan in den Park zu gehen, wo mehr Ruhe, allerdings auch das Tor geschlossen ist, so daß wir erst einmal um den gesamten Block laufen. Deutsch, sagt Kunkel, könne er leider nicht, weswegen er Heidegger übrigens auch nicht auf deutsch gelesen hätte - und muß dann selber lachen. Denn Heidegger, das gehört zum Grotesk-Schönen seines Romans, spielt in "Indecision" eine besonders aparte Rolle. Der 28jährige, unter Abulie, kurz: Verlust der Entscheidungsfähigkeit, leidende Dwight Wilmerding nämlich klebt im Buch an der Fibel des sogenannten Philosophen Otto Knittel, "Gebrauch der Freiheit", deren Formeln er bei jeder Gelegenheit zum besten gibt, ohne daß seine Freunde tatsächlich verstünden, worum es eigentlich geht. Benjamin Kunkel hat seinem Knittel ein paar Heidegger-Zitate untergejubelt und den Philosophen, der das Bei-Sich-Sein im Wald liebt, ironisch als großes Vorbild stilisiert. So stellt Dwight sich vor, mit dem "Gebrauch der Freiheit" im Gepäck wie Knittel in den Wald zu ziehen, in eine Hütte, nur mit Hund, irgendwo in Vermont, um dort ohne Fernseher den "Beweggrund seines Handelns" langsam und schmelzflüssig in sich aufsteigen zu lassen, auf Bewußtseinsklarheit zu warten, um - endlich entschieden - wieder nach New York zurückzukehren.

Und eben das ist mehr als bloße Parodie. Denn die Frage, die Kunkel mit Knittel so leichthin stellt, ist die, was wir von der Philosophie und der Theorie im Leben eigentlich haben; ob es, neben dem "Gebrauch der Freiheit", also so etwas wie einen Gebrauch der Philosophie gebe. Dwight kann mit seinem philosophischen Rüstzeug zwar seine Lage analysieren. Den nächsten Schritt muß er trotzdem selber tun: "Das Wollen ist auch nur eine Erfahrung, möchte man sagen (Der Wille auch nur Vorstellung). Er kommt, wenn er kommt, und ich kann ihn nicht herbeiführen", steht dem Roman als Wittgenstein-Motto voran. Abulinix ist der Traum von der Zauberpille, die den Willen von der Vorstellung befreit und chemisch kurzerhand herbeiführt. Es ist, mit dem verheerend hilfsbedürftigen Augenzwinkern eines Handlungsunfähigen gesprochen, die pharmazeutische Überwindung der Philosophie - also die allerletzte Rettung.

"Für mich geht es eigentlich weniger darum, daß Dwight sich nicht entscheiden kann. Mehr noch weiß er überhaupt nicht, was er eigentlich will", sagt, jetzt auf der Parkbank, Benjamin Kunkel. "Solange er das nicht weiß, muß ihm jede Entscheidung, die er trifft, als vollkommen beliebig erscheinen. Und das zeichnet Leute unseres Alters doch aus, oder? Es gibt keine wirklich dringenden Notwendigkeiten: Man kann nicht mehr ohne weiteres an politische Ideale, sagen wir den Marxismus, glauben - muß und will nach 9/11 aber auch aus der solipsistischen Ironieschleife herauskommen, die kennzeichnend für die Postmoderne war. Menschen mit Ironie finde ich grundsätzlich natürlich viel angenehmer und weniger gefährlich als andere, die keine haben. Allein mit Ironie aber kommt man auch nicht weiter."

Benjamin Kunkel ist, anders als sein Held zu Beginn des Romans, zumindest jetzt, in New York, eher eine Art Macher. Er wuchs in Colorado auf, war in New Hampshire auf dem Internat und verbrachte vor dem Studium in Harvard und an der Columbia University zwei Jahre auf der Ranch des Deep Springs College in der kalifornischen Wüste. Aus Harvard kennt er Mark Greif, mit dem und anderen er "n+1" gründete, eine mit eindrucksvollem Ernst betriebene Literaturzeitschrift, die an die ehrwürdige Tradition der antistalinistischen "Partisan Review" anknüpft. Daß sie eine Zeitschrift gegründet und dezidiert keinen Blog ins Netz gestellt haben, wie es unter zeitgenössischen Avantgardisten sonst ja eher üblich ist, war eine bewußte Entscheidung: "Politische Blogs sind sicher eine Sache", sagt Kunkel. "Literarische Blogs halte ich allerdings für ein merkwürdiges Phänomen. Sie scheinen vor allem von Leuten betrieben zu werden, die sehr literaturbegeistert sind, aber wenig Zeit mit Lesen verbringen. Man findet dort Einträge, in denen jemand von diesem tollen neuen Buch eines Typen namens Robert Musil schwärmt, das von einem Mann handelt, der keine Eigenschaften hat und in Österreich herumrennt. Blogs verlangen nach unmittelbarer Reaktion. Und das ist das genaue Gegenteil von dem, was mich interessiert: langsames, überlegtes Schreiben."

Mit Updike ins Verderben

Langsames, überlegtes und zeitunabhängiges Schreiben ist die Idee von "n+1". Alle Gründungsmitglieder schreiben auch für die großen Zeitungen und Magazine, für die "New York Times" oder "The New York Review of Books". Allerdings gab es immer wieder Themen, die sie dort nicht unterbringen konnten, weil diese entweder als nicht aktuell genug oder als nicht mainstreamkompatibel abgelehnt wurden. Also schufen sie sich ihren eigenen Raum für Belange jenseits des Diktats der Aktualität. Wie man sich die junge literarische Szene in New York denn vorstellen müsse, fragt man Kunkel. Sind die Leute von "n+1" mit Autoren wie Jonathan Franzen und Jonathan Safran Foer befreundet, oder gibt es da Grabenkämpfe? - "Die anderen heißen alle Jonathan! Franzen, Foer, Lethem - Jonathan ist im Moment der erfolgversprechende Schriftstellervorname! Ehrlich gesagt verbindet uns am Ende aber wahrscheinlich mehr, als wir möglicherweise wahrhaben wollen. Was uns trennt, ist eher die Eitelkeit der kleinen Unterschiede. Ich würde zum Beispiel sagen, daß ,n+1' politischer ist und Popkultur weniger feiert, als die Leute von der Zeitschrift ,Believer' das tun."

Benjamin Kunkel meint es sehr ernst. Und im Grunde ist diese Entschlossenheit, reflektiert Stellung zu beziehen, seine Antwort auf Dwights unentschiedenes Herumlavieren im Roman. Man mag das prätentiös finden. Angesichts des absurden Witzes von "Indecision" ist es vor allem aber eine sympathische Möglichkeit, sein Leben zu leben. Kunkels Roman beginnt in der erzählten Zeit am 11. September 2001. Allerdings kommen die Attentate nur in ein paar Sätzen vor, da der Held sich zu diesem Zeitpunkt in einem die Welt umarmenden Drogenrausch befindet, also gar nicht begreift, was eigentlich vor sich geht. Doch beherrscht das Datum als Schneise in der Erfahrung Dwights unterschwellig die Erzählung. Er habe in letzter Zeit ziemlich viel Terror-Kitsch gelesen, sagt Kunkel, der sich, obwohl er Updike eigentlich sehr mag, weder für dessen Roman "Terrorist" begeistern kann noch für Martin Amis' Unterfangen, sich in den Kopf von Mohammed Atta hineinzuversetzen. Über die Terroristen des 11. September, meint er, sei von investigativen Journalisten soviel herausgefunden und soviel Gutes geschrieben worden, daß einem bei den neuen Fiktionalisierungen eigentlich immer nur ins Auge springe, wie fiktionalisiert sie seien. "Sie machen aus 9/11 einen Mythos", sagt Kunkel, "und ich wollte das Gegenteil, den Tag in der Erzählung präsent halten, ihn aber nicht mythisch überhöhen."

Dwight Wilmerding schickt er in "Indecision" nach Ecuador, wo dieser ganz erstaunliche Rauscherfahrungen macht und vor allem zwei Dinge findet: eine Frau und eine politische Überzeugung. Ecuador, das ist gewissermaßen der Wald Otto Knittels, in den der unentschlossene Held allein hineinmuß, um entschlossen und netterweise zu zweit wieder herauszukommen. "Wir alle haben viele Möglichkeiten", sagt Kunkel, "aber Dwight sieht, daß diese zwei Dinge, die er findet, für ihn gut genug sind." Das "gut genug" sagt er mit großer Emphase, es liegt keine Resignation darin. Und diese Emphase, der beinahe naive Wunsch, leidenschaftlich für etwas einzustehen, ist es, der seinen Entwurf so überzeugend macht. Dwight jammert nicht herum. Er gibt sich mit etwas zufrieden, was er findet, um handeln zu können. Und das könnten wir alle - auch ohne Abulinix.

JULIA ENCKE

Benjamin Kunkel: "Unentschlossen". Roman. Aus dem Englischen von Stefanie Röder. Bloomsbury-Berlin-Verlag. 316 Seiten, 19,90 Euro.

Der Autor liest am 18. September in Berlin und in den darauffolgenden Tagen in Wien, Innsbruck, München und Zürich.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Marion Lühe hat Nachsicht mit dem Buch und seinem Autor Benjamin Kunkel. Zu komisch, zu unterhaltsam, zu intelligent dabei, zu moralisch ohne moralisierend zu sein findet sie die "menschliche Versuchsanordnung" in Szene gesetzt, durch die ein "ewig Pubertierender" zu einem korrekt engagierten Zeitgenossen umgepolt wird. Schlüssig nämlich kommt ihr die rasante wundersame Wandlung nicht vor. Auch den Umstand, dass Kunkel eine sozialkritisch engagierte Kulturschrift herausgibt und er den Erfolg seines Buches für ein Missverständnis hält, lässt Lühe lieber unkommentiert. Möglich, dass dort Fragen lauern, die Lühes Wohlwollen überstrapazieren würden.

© Perlentaucher Medien GmbH