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Das literarische Ereignis des Jahres - Das große Epos über den Gründungsmythos Amerikas.
Dieser Roman begeistert Amerika: Schon kurz nach seinem Erscheinen wurde "Der erste Sohn" als "moderner amerikanischer Klassiker" bejubelt und in einem Atemzug mit den Meisterwerken von Cormac McCarthy, John Dos Passos und Larry McMurtry genannt. Philipp Meyer erzählt die Geschichte der Eroberung des amerikanischen Westens als große Familiensaga über drei Generationen. Es ist der Kampf des texanischen Clans der McCulloughs während der letzten 150 Jahre um Land, Öl und Macht.

Produktbeschreibung
Das literarische Ereignis des Jahres - Das große Epos über den Gründungsmythos Amerikas.

Dieser Roman begeistert Amerika: Schon kurz nach seinem Erscheinen wurde "Der erste Sohn" als "moderner amerikanischer Klassiker" bejubelt und in einem Atemzug mit den Meisterwerken von Cormac McCarthy, John Dos Passos und Larry McMurtry genannt. Philipp Meyer erzählt die Geschichte der Eroberung des amerikanischen Westens als große Familiensaga über drei Generationen. Es ist der Kampf des texanischen Clans der McCulloughs während der letzten 150 Jahre um Land, Öl und Macht.
Autorenporträt
Meyer, PhilippPhilipp Meyer, geboren 1974, stammt aus einer Künstlerfamilie, verließ vorzeitig die Schule und hielt sich mit diversen Jobs - unter anderem als Fahrradmechaniker - über Wasser. Mit 20 entschloss er sich zu einem Literaturstudium und schaffte die Aufnahmeprüfung an der Cornell University. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Broker an der Wall Street, um seine Schulden zu bezahlen. In dieser Zeit begann er zu schreiben. Ein Stipendium ermöglichte ihm einen Aufenthalt an der University of Texas, wo er seinen ersten Roman "American Rust" (dt. "Rost") begann. Das Buch gewann den Los Angeles Times Book Prize, war das Washington Post Book of the Year, schaffte es auf diverse Bestsellerlisten und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Philipp Meyer gilt seither als einer der hoffnungsvollsten amerikanischen Nachwuchsautoren. An "Der erste Sohn" arbeitete er über fünf Jahre. Zur Zeit ist er ein Guggenheim Fellow und lebt in Austin, Texas und New York.
Rezensionen
"Nur in den besten historischen Romanen wird uns vor Augen geführt, dass wohl auch wir in jenen längst verflossenen Zeiten die Sünden unserer Väter begangen hätten. 'Der erste Sohn' ist ein solcher Roman." The New York Times

"Ein Werk von außergewöhnlicher erzählerischer Kraft, in dem Verwüstung und Zerstörung unvermeidlich und die flüchtige Freude über den Sieg bestenfalls ein bittersüßer Genuss zu sein scheinen." John Burnside in The Guardian

"Mit seinem gewaltigen Panorama - Der erste Sohn reicht von Vorbürgerkriegs-Siedlern bis zu Nach-9/11-Einwanderern - gehört das Buch zu den Great American Novels jener Art, die John Dos Passos einst schrieb. Philipp Meyer erzählt die Geschichte des Wilden Westens, die mit Blut in die Prärie Texas' eingeschrieben ist, ein zweihundert Jahre währender Kampf um Land, Öl und Macht." The Washington Post

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2014

Es war einmal in Amerika
Philipp Meyers „Der erste Sohn“ erzählt die Geschichte von Texas im epischen Breitwandformat.
Das Buch ist wenn nicht der, so doch ein großer amerikanischer Roman
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Jeannie hält die Frage für taktlos. In Texas, wo sie herkommt, fragt man nicht, wie viel Land einer besitzt. Das wäre genauso ein Unding, wie einen Cowboy-Hut zu tragen – die Dinger kamen erst in Mode, als es für die Cowboys vorbei war und das Vieh längst mit Helikoptern zusammengetrieben wurde. Trotzdem gibt sie ihren Mitschülerinnen auf dem Elite-Internat in Neuengland, wohin sie expediert wurde, die korrekte Antwort. Die Pointe liegt jedoch darin, wie sie es tut. Topsy findet die genannte Zahl nicht sonderlich beeindruckend, bis sie erfährt, dass nicht von acres , sondern von sections die Rede ist, denn acre , so wird sie belehrt, sei eine zu kleine Maßeinheit für die Ranch von Jeannies Familie.
  Nun haben auch die Yankee-Mädels schon mal davon gehört, dass in Texas alles etwas größer ist. Um sich jedoch als deutscher Leser einen Begriff von dem Faktor zu machen, mit dem hier multipliziert werden muss, sei erwähnt, dass der Bauernhof, um den es geht, 1400 Quadratkilometer umfasst; da würde die Stadtfläche Münchens ungefähr viermal hineinpassen, und es wäre immer noch Platz für den Vatikan. Das ist ein gutes Stück Texas, genug für ein Königreich, und doch nur eine Ackerkrume dieses zweitgrößten US-Bundesstaats, der seinerseits literarisch schwerlich auf weniger Raum als dem eines 600-Seiten-Romans untergebracht werden kann. Diesen Roman hat der 1974 geborene Amerikaner Philipp Meyer nun geschrieben.
  „Der erste Sohn“ rollt die texanische Geschichte auf, von der Ausrufung der Republik im Jahr 1836 bis in die Gegenwart, stellvertretend für den Gründungsmythos der Vereinigten Staaten. Als die Komantschenhören, dass bereits zwanzig Millionen Siedler im Land sind, ist diese Nachricht vernichtender für sie als alle Kriege, die sie gegen den weißen Mann geführt haben. Eli wird zum Chronisten ihres Untergangs; er ist der „erste Sohn“, geboren im selben Jahr, in dem Texas sich für unabhängig von Mexiko erklärte, Stammvater der McCulloughs, einer mythischen Dynastie von Rinder- und Ölbaronen, deren Saga der Roman in epischer Breite erzählt – mit apokalyptischem Tremolo und klugen Zeitsprüngen zugleich.
  Drei Generationen der McCulloughs kommen abwechselnd zu Wort in diesem Verfallsroman. Die Perspektivwechsel zoomen sich heran an historische Zäsuren – von der Sezession über die Ära der „Banditenkriege“ zwischen Mexikanern und Texanern bis zum Ende des Öl-Booms. Der geschichtliche Weitwinkel signalisiert Meyers Anspruch, nicht nur einen großen amerikanischen Roman zu schreiben, sondern den großen amerikanischen Roman, „The Great American Novel“ oder auch GAN, wie Henry James das Genre in den Jahren des Nation-Building verspottete, kurz nachdem John W. De Forest 1868 den Begriff geprägt hatte.
  Dass das GAN-Etikett jedoch nie eine Belastung war, zeigt der emeritierte Harvard-Professor Lawrence Buell in seinem ebenfalls voluminösen Buch „The Dream of the Great American Novel“ ( Harvard University Press, Cambridge/Massachusetts 2014. 567 Seiten, 29 Euro ). Der Begriff sei schon in seiner Frühzeit ironisch gebrochen gewesen und habe keinen größeren Nimbus gehabt als „andere große amerikanische Dinge wie die große amerikanische Nähmaschine, die große amerikanische Privatschule und der große amerikanische Schlafwagen“, so ein Zeitgenosse. Das Label habe von jeher weniger als Pathosformel symbolischer Überhöhung gedient denn als Instrument kritischer Befragung. Zugleich warnt Buell davor, diese ironische Reserve beim Nennwert zu nehmen. „Die Angepisstheit mancher Kritiker legt nahe, dass die Quelle noch kräftig sprudelt“, schreibt er ziemlich unakademisch über die Great American Novel, diese amerikanische Spezialität , die aus dem Bedürfnis nach Selbstvergewisserung erwuchs und jede Totsagung überlebt hat.
  Ironie gibt es durchaus auch bei Philipp Meyer, wenn er etwa Edna Ferber einen Cameo-Auftritt spendiert, der Autorin des Romans „Giganten“, der später mit James Dean verfilmt wurde. Oder wenn er das Zeitkolorit mit der Erwähnung populärer Fernsehserien wie „Bonanza“ oder „Dallas“ anreichert. Humor beweisen sogar die Komantschen, bei denen Eli drei Jahre verbringt. Hates Work heißt die schönste Squaw im Lager, die irgendwann nachts zu ihm ins Tipi kriecht, denn das ist genau das, was sie ausmacht: Arbeit hassen. Daneben lässt Meyer die Zeitgeschichte ernsthafter mitlaufen. Die Abschaffung der Sklaverei verbessert nicht den Status der Schwarzen, die nun eben Dienstboten genannt werden. Die tödlichen Schüsse auf John F. Kennedy in Dallas überraschen niemanden, leben doch zu dem Zeitpunkt immer noch Leute, die erlebt haben, wie ihre Eltern skalpiert wurden. Und als sich das Ölgeschäft nach Nahost verlagert, mischen schon wieder Texaner mit.
  Der Roman des ehemaligen Investmentbankers Philipp Meyer, der beim diesjährigen Pulitzer-Preis knapp Donna Tartts „Der Distelfink“ unterlag, wurde in den USA mit großen Vorbildern verglichen. An Cormac McCarthy erinnert die archaische Wucht von Meyers Erzählen, seine Beherrschung der Fachsprache der Prärie mit ihren Arroyos, Chaparalls, Mesas, Remudas und Brasadas, sowie die Vorstellung, dass eine entsicherte 38er das beste Glaubensbekenntnis ist. An John Dos Passos‘ „U.S.A.“-Trilogie ließ Meyers Erstling „Rost“ über den Niedergang der amerikanischen Arbeiterklasse denken.
  Am passendsten aber ist wohl der Vergleich mit John Steinbecks grimmigem Realismus. Philipp Meyers „Erster Sohn“ überzeugt durch die Kraft seiner Narration, durch Anti-Heroismus und akribische Recherche. Wer das Buch gelesen hat, versteht auf Anhieb, weshalb der Autor fünf Jahre darauf verwenden musste. In einer der stärksten Szenen beschreibt Meyer, wie Indianer einen Bison erlegen. Wenn sie fertig sind mit dem Tier, gibt es kein Körperteil, das nicht verwertet worden wäre, selbst der Dung wird als Brennmaterial eingesammelt. Die Ausführlichkeit dieser Schilderung dient nicht der Romantisierung eines Naturvolkes, das noch im Einklang mit der Schöpfung lebt, im Gegenteil: Meyer geht es darum, wie intelligent die Ahnenihre Lebensbedingungen nutzten. Und dass die Gewalt, die dieses Leben beherrschte, nichts mit Grausamkeit zu tun hatte – die brachten erst die Weißen ins Land –, sondern mit dem unerbittlichen Gesetz der Wildnis.
  Nach einem Überfall der Komantschen, bei dem seine Familie massakriert wird, wächst der halbwüchsige Eli bei den Indianern auf und wird schließlich doch an die Weißen verkauft – ein Menschenleben sei die Originalwährung in Texas, heißt es einmal. Hingebungsvoll vertieft sich der Roman in die Darstellung der indianischen Lebensweise, inklusive ihrer Sexual- und für den Leser nur schwer erträglichen Folterpraktiken. Mehr als von den Repetiergewehren der Siedler werden sie von deren eingeschleppten Seuchen besiegt, und die fortschreitende Landnahme vernichtet ihren Lebensraum.
  Natürlich ist Eli für die Zivilisation verloren und bleibt ein halber Indianer. Keinen einzigen Tag hält er es in der Schule aus, lieber stiehlt er Pferde, macht mit Pfeil und Bogen Jagd auf Haustiere und schläft mit der Ehefrau des Richters. Er hat bei den Komantschen gelernt, autark zu sein, konditioniert auf den Überlebenskampf. Eli schließt sich den Texas Rangers an, später der Rebellenarmee der Konföderation. Nach dem Krieg steigt er auf zum mächtigsten Mann der Gegend. Seinen Lebensabend verbringt der hundertjährige Colonel nicht in seiner kathedralenartigen Villa, sondern in einer einfachen Lehmhütte ohne Strom und fließend Wasser, indianisch eben.
  Es ist sonderbar, dass Philipp Meyer ursprünglich auf die Lebensdarstellung der patriarchalischen Portalfigur verzichten wollte; der eigentlich Gründungsmythos sollte eine Leerstelle bleiben, dabei sind gerade diese Passagen die besten. Deutlich verhaltener intoniert er die beiden anderen Erzählstränge. Elis melancholisch verhangener Enkel Peter ist der verlorene Sohn des Romans, das schwarze Schaf der Familie. Künstlerisch und misanthropisch veranlagt, wirkt er wie ein texanischer Hanno Buddenbrook. Als die Cowboys, angeführt von dem mittlerweile achtzigjährigen Eli, die Ranch ihres mexikanischen Nachbarn überfallen und Männer, Frauen und Kinder erschießen, ist das für Peter ein traumatisches Erlebnis. Jahre später klopft María, die Tochter des Mexikaners und Peters Jugendliebe, die er nicht heiraten durfte, an seine Tür, und es beginnt ein verschattetes spätes Glück für die beiden.
  Hundert Jahre danach wird Peters mexikanischer Urenkel als Racheengel der poetischen Gerechtigkeit auf die Ranch zurückkehren. Jeannie hatte ihn nicht anerkennen wollen. Nach einem Schlaganfall hält sie Rückschau auf ihr Leben, das bestimmt war vom einsamen Kampf, sich in einer Männerwelt zu behaupten, in der man noch in den Sechzigerjahren sein Grundstück nicht ohne Revolver verlässt und die Erde in den Mund nimmt, um zu probieren, ob sie nach Öl schmeckt.
  So geschmeidig Philipp Meyer Genre-Klischees unterläuft, so unverständlich ist es, dass er seine Geschichte zum Teil überkommentiert, was angesichts der motivischen Engführung nicht nötig wäre. Zuweilen haut er seinen eschatologischem Furor mit geballten Fäusten in den Büffelschmalz: „Es müsste eine neue große Eiszeit kommen und uns alle ins Meer fegen. Damit Gott eine zweite Chance bekommt.“ Oder: „Vielleicht hatte er den Samen seines Untergangs selbst gesät.“
  Gelungen ist ihm jedoch ein Buch, das durch stofflichen Reichtum und Illusionslosigkeit besticht. Philipp Meyer entlarvt den Frontier-Mythos und zeigt, dass die amerikanische Geschichtestets angetrieben wurde von Habgier und mörderischer Energie, dass es keinen Dollar gibt, der nicht blutbefleckt wäre. Aber er stellt ebenso heraus, dass auch die vorkoloniale Zeit, in der sich die Indianer untereinander bekriegten, von Gewalt beherrscht war. „Der erste Sohn“ ist ein moderner Klassiker, der im Federschmuck des historischen Romans die Conditio humana befragt, eine Probebohrung, bei der die pechschwarzen Einsichten nur so sprudeln.
  Am Ende erinnert sich Eli an den Schild des Häuptlings, dessen Stamm seine Frau getötet hat, bevor Eli ihn tötete. Als Verstärkung ist der Schild symbolschwer ausgestopft mit einer Ausgabe von Edward Gibbons „Verfall und Untergang des Römischen Imperiums“. Aus der Harnblase des Indianers fertigt Eli einen schönen Tabaksbeutel. Doch er wird verfolgt von einem Jungen, der überlebt hat. „So ein Kind wäre heute tausend Männer wert“, heißt es. Denn dieses Kind sucht Eli, um ihn zu töten, und er erkennt in diesem „letzten Sohn“ das Ebenbild seiner selbst.
Philipp Meyer: Der erste Sohn. Roman. Aus dem Englischen von Hans M. Herzog. Knaus Verlag, München 2014. 608 Seiten, 24,99 Euro, E-Book 19,99 Euro.
Die entsicherte 38er
ist auch hier immer noch
ein Glaubensbekenntnis
Zuweilen wird das Pathos
mit geballten Fäusten in den
Bisonschmalz gehauen
„Buffalo Hunt“ heißt das Gemälde von Frederick Walker (1840-1875). Und dass auch er etwas von Pfeil und Bogen versteht, beweist Philipp Meyer mit seinem zweiten Buch, einem Roman im Bison-Format. Fotos (2): Getty Images, Elizabeth Lippman
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2014

Nimm dir, was du willst, aber sei bereit, dafür zu sterben

Ein ehemaliger Finanzhai ist gerade dabei, zu einem der großen Chronisten Amerikas zu werden: Philipp Meyers Roman "Der erste Sohn" ist ein Breitwand-Epos und so spannend wie ein Abenteuerbuch.

Landschaften werden unterschätzt. Sie gelten als kulturloser Leerraum zwischen Städten oder dienen als Hintergrund für harmlose Gemälde. Doch Landschaften, bis auf ein paar Kratzer an der Oberfläche seit Äonen unverändert, sind die eigentlichen Machthaber auf unserem Planeten. Mit stoischer Beharrlichkeit formen sie Lebewesen und Lebensweisen. Und geben sie nicht sogar vor, wie sie besungen werden wollen? So wie der verspielte Zickzackkurs des Rheins den lyrischen Ton und schwülstige Nixenromantik fordert, so lassen die weiten amerikanischen Prärien und gigantischen Plateaus, will man ihnen gerecht werden, nur die Form des schwartendicken Epos zu.

An "Once Upon a Time in the West"-Sagas herrscht fürwahr kein Mangel, aber das, was Philipp Meyer nun mit dem fünf Generationen übergreifenden Familienroman "Der erste Sohn" vorgelegt hat, ist ein Novum, weil es dem letzten Aufbäumen des "Wilden Westens" in Texas ohne falsche Verklärung einer der einander jahrzehntelang befehdenden Parteien - Indianer, Texaner und Mexikaner - in geradezu fotorealistischer Drastik ein Denkmal setzt, vor dem man schon allein aufgrund des verarbeiteten Recherchematerials nur den Hut ziehen kann. Zudem kann Meyer Figuren entwerfen, die sich dem Leser nicht anbiedern. Und doch wirkt nichts an diesem wissensprallen Roman, in dem man insbesondere über indianische Gebräuche sehr viel lernen kann, langweilig oder belehrend, im Gegenteil. Meyer setzt in einem Ausmaß auf Spannung und Blutvergießen, dass man die sechshundert Seiten mit fast schon schlechtem Gewissen einfach wegschmökert wie den dicksten Karl-May-Band.

In diesem Versuch, das amerikanische Wesen aus seiner Genealogie zu erklären, einer "Great American Novel" also, ist Moral keine allzu wichtige Kategorie, sieht man davon ab, dass Meyer einer letztlich entwürdigenden Indianer-Idealisierung entgegentritt. Die hier in all ihrer Binnendifferenzierung dargestellten Indigenen nämlich vergewaltigen und töten ebenso gnadenlos, wie es die Cowboys tun, wenn auch - vielleicht doch ein kleiner Restbestand an Heroisierung - nicht aus Mordgier oder Rache. Am nächsten an eine Grunderkenntnis kommt denn auch die mehrfach wiederkehrende und durch ein Edward-Gibbon-Motto (es hätte auch Oswald Spengler sein dürfen) gestützte Aussage heran, dass die Geschichte eine endlose Abfolge von einander auslöschenden Imperien darstelle: Die zahlreichen Indianerstämme in Amerika haben schließlich zunächst die Mogollon-Kultur vernichtet. "Sie alle wurden von den Apachen ausgelöscht. Die wiederum, jedenfalls in Texas, von den Comanchen ausgelöscht wurden. Die schließlich von den Amerikanern ausgelöscht wurden." Wenn es dabei überhaupt eine Schuld gibt, verteilt sie sich gleichmäßig auf alle Ethnien und Imperien. Allerdings widerspricht die Erzählung dieser alles Individuelle einebnenden Dekadenzthese im Detail dann doch.

Außerdem ist nicht die Überwindung einer denselben Lebensraum besiedelnden Kultur hier das eigentliche Thema, die alte Western-Thematik, sondern vielmehr die Vermischung der Kulturen, und zwar gleich auf mehreren Ebenen. Der Hauptprotagonist und Stammvater der McCullough-Dynastie, Eli McCullough, geboren 1836 kurz nach der Unabhängigkeit der Republik Texas von Mexiko, daher "der erste Sohn", wird mit dreizehn Jahren von Comanchen entführt, die seine Mutter und seine Schwester fürchterlich misshandeln und töten ("Sie hatten ihr die Brüste abgeschnitten und die Eingeweide herausgerissen"). Eli, ein Draufgänger schon als Jugendlicher, der sich für das Gejammer des schöngeistigen Bruders schämt und es folgerichtig zu finden scheint, dass die Comanchen auch diesen schließlich mit ihren Lanzen durchbohren ("Ich wusste, ich sollte aufstehen und meinem Bruder helfen, ... doch ich wollte nicht"), wächst drei Jahre bei den Indianern auf und wird einer von ihnen, indem er sich durch Mut und Härte den Respekt seiner neuen Familie verdient: Er reitet mit auf Beutezüge und skalpiert seine Opfer.

Als ein unbezwingbarer Gegner - die Pocken - seine Gruppe arg dezimiert hat, kehrt Eli zu den Weißen zurück, ohne dort wirklich Anschluss zu finden. Ein kitschiger Roman hätte hier den edlen Wilden im Weißen hervorgekehrt: Meyer tut das Gegenteil, er zeigt einen Entwurzelten, der an der Gesellschaft scheitert. Die einzige Tätigkeit, bei der Eli die vertraut gewordene Lebensweise fortsetzen kann, ist das (durch ein Fehlverhalten erzwungene) Anheuern bei den Texas Rangers. Nun tötet er eben beherzt Indianer. Einige Zeit später aber bemerkt Eli, dass eigentlich eine ganz andere Gruppe von Westlern ähnliche Freiheiten genießt, wie er sie bei den Comanchen kennenlernte: die Reichen. Und mit der Energie, Rücksichtslosigkeit und Opferbereitschaft eines geborenen Patriarchen, inzwischen Colonel genannt, gründet er eine der großen, sklavenbewirtschafteten Texas-Ranches, die zunächst mit der Rinderzucht und später mit Erdölförderung ein Vermögen erwirtschaften. Seine Zeit bei den Comanchen scheint Eli unverwundbar gemacht zu haben, aber doch fragt man sich, ob er nur eine der beiden Hauptlektionen von seinem Ziehvater Toshaway gelernt hat. Dieser hatte ihm erklärt, es sei natürlich, anderen wegzunehmen, was man haben wolle. Einzig die Weißen aber glaubten, das Gestohlene gehöre ihnen; einzig sie seien erstaunt, wenn sie ihrerseits dafür getötet würden. Die zweite, von Eli kaum angenommene Lektion lautete, dass man einen Feigling daran erkenne, dass er nur sich selbst liebe.

Erzählt wird die Familiengeschichte auf mehreren Zeitebenen zugleich, was narrativ eher schlicht, spannungstechnisch aber sehr effektiv ist. Abwechselnd kommen Eli, sein ganz anders gearteter Sohn Peter sowie die wiederum höchst ehrgeizige, ein Erdölimperium befehligende Urenkelin Jeanne Anne, die sich am Sexismus ihres eigenen Umfelds aufreibt, zu Wort. Dank des klugen Arrangements erklären sich viele der angeschnittenen Themen und Familiengeheimnisse erst nach und nach.

Peter ist in jedem Sinne die Antithese zu seinem Vater, ähnelt eher dessen hingerichtetem Bruder. So leidet er offenbar als Einziger am Rassismus im Frontier-Gebiet, der zu immer größeren, diesmal vor allem die Mexikaner treffenden Eruptionen führt. Weil er aber nicht aufzubegehren wagt, protokolliert er im Tagebuch, was geschieht - und wie er doch stets mit den Starken kollaboriert. Das ist ein hinterhältiger Sprengsatz im Roman: die einzig anständig, ja modern wirkende Figur ist ein Schwächling, ein kastrierter Umfaller. Ein Sündenfall steht im Zentrum von Peters Tagebucheinträgen, ein Massaker der McCulloughs und ihrer Verbündeten an den befreundeten Nachbarn, den Garcias, deren Besitz sich die Mörder unter allgemeinem Beifall angeeignet haben. Doch eine Überlebende gibt es, und ausgerechnet diese sucht Peter eines Tages auf. Es droht eine Vermischung ganz eigener Art.

Philipp Meyer wird man Ängstlichkeit kaum vorwerfen können, er schreibt in voller Rüstung. In seinem ersten Leben war Meyer Wall-Street-Händler, der mit Derivaten hantierte und plötzlich im Geld schwamm. Seine im Jahre 2010 in der Zeitschrift "Literaturen" erschienene, heute im Netz einsehbare Abrechnung mit einer dekadenten Finanzwelt - höchste Achtung genießt dort Meyer zufolge das Erbrechen Tausende Dollar teurer Menüs auf Unbeteiligte - ist eine faszinierende Lektüre. Mit "Rost", seinem fulminanten Romandebüt über den amerikanischen "Rust Belt", die verfallende Industrieregion im Nordosten der Vereinigten Staaten, wurde Meyer auf Anhieb zu einem der wichtigsten Chronisten Amerikas, der in einem Atemzug mit Faulkner und - neuerdings - Cormac McCarthy genannt wird.

"Der erste Sohn" nun zeigt uns, wie eine Denkweise, die republikanische, aus einer Zeit und einer Landschaft heraus entsteht, ohne diese Zeit zu beschönigen oder einmal mehr im Namen des metrosexuellen, intellektuellen New York (die auch in Europa beliebteste Brille für den Blick nach Übersee) über den bis heute lebendigen, bewaffneten Pioniergeist Gericht zu halten. Man mag es nach der Lektüre fast glauben: Die Dynastien, Stämme und Imperien werden weiter kommen und gehen, und das stets mit Gewalt; aller Glaube an den ordnenden, bändigenden Eingriff ist Selbstbetrug. Halten wir uns lieber an das, was bleibt: die Landschaft.

OLIVER JUNGEN

Philipp Meyer: "Der erste Sohn". Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Knaus Verlag, München 2014. 608 S., geb., 24,99 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Philipp Meyers "Der erste Sohn" lässt sich wohl am ehesten in die Reihe der "GAN" einordnen, der "Great American Novels", jener Romane, die seitenstark das amerikanische Bedürfnis nach Selbstvergewisserung befriedigen, erklärt Christopher Schmidt. Meyer widmet sich Texas, wo eine Ranch auch mal die Stadtfläche Münchens umfasst und dessen Geschichte er aus den Perspektiven gleich dreier Generationen der McCulloughs ausbreitet, einer der großen Rinder- und Ölfamilien des Bundesstaats, angefangen mit den Kämpfen der Siedler gegen die Komantschen und bis in die Gegenwart, in der die Texaner im Nahen Osten mitmischen wollen, fasst der Rezensent zusammen. Fünf Jahre hat Meyer an diesem Buch gearbeitet, was Schmidt angesichts des Detailreichtums der historischen Darstellung kaum wundert. Vor allem die Passagen über das Leben der Komantschen, bei denen der Stammvater der McCulloughs aufwächst, haben den Rezensenten fasziniert: Gewalt ohne jede Grausamkeit - die kam erst mit den Siedlern, so Meyer.

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"Ein großes Epos über die Besiedlung von Texas, so packend erzählt wie von Karl May, aber frei von falscher Romantik." ZDF "Das Blaue Sofa", Wolfgang Herles