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Seit Berlusconis Ministerpräsidentschaft wird über die Frage gestritten: Handelt es sich um einen italienischen Sonderfall von Klientelwirtschaft und Bestechung - oder ist Italien der smarte Vorreiter eines Modells der Verbindung von Medienkontrolle, Konsum und politischer Macht?

Produktbeschreibung
Seit Berlusconis Ministerpräsidentschaft wird über die Frage gestritten: Handelt es sich um einen italienischen Sonderfall von Klientelwirtschaft und Bestechung - oder ist Italien der smarte Vorreiter eines Modells der Verbindung von Medienkontrolle, Konsum und politischer Macht?
Autorenporträt
Paul Ginsborg, geboren 1945 in London, ist Professor für Neuere Europäische Geschichte an der Universität Florenz und hatte zuvor einen Lehrstuhl für Europäische Geschichte am Churchill College in Cambridge inne. Er ist ein ausgewiesener Kenner der italienischen Geschichte und Autor einer Vielzahl von Sachbüchern zu historischen Themen. Paul Ginsborg lebt in Florenz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2004

Großer Versprecher

BERLUSCONI. Unter den vielen, meist kurzatmigen biographischen Analysen Berlusconis ragt der Essay des in Florenz lehrenden englischen Politikwissenschaftlers Paul Ginsborg heraus. Anders als die meisten Kritiker des italienischen Ministerpräsidenten hält er sich nicht bei Äußerlichkeiten auf. Selbstverständlich verweist er auf Berlusconis offenkundig schlechte Manieren, seinen "zwischen mediterranem Chic und Dallas" oszillierenden Lebensstil und seine zwielichtigen Geschäfte. Aber er bleibt nicht dabei stehen. Ihm geht es um den Kern von Berlusconis beunruhigendem Auftritt auf der politischen Bühne. Ginsborg erklärt Berlusconis politischen Erfolg aus einer doppelten Perspektive. Einerseits versteht er ihn als das eigenartige Produkt der Mediendemokratie, andererseits stellt er ihn in bestimmte Traditionen der italienischen Politik. Wie Bloomberg oder Murdoch gehöre Berlusconi zu einer "globalen Fernseholigarchie", die ihre angesammelte Medienmacht politisch verwende. Als Prototyp einer neuen Mediendemokratie kenne er keine positiven politischen Inhalte, sondern definiere alle liberalen Freiheiten nur noch negativ. Auf diese Weise habe er bewirkt, daß die Pressefreiheit in Italien nicht mehr nur ernstlich bedroht, sondern faktisch beseitigt und durch einen nur noch "rituellen Pluralismus" ersetzt worden sei. Daß Berlusconi mit einer solchen Politik mehr Erfolg hat als andere Medienmoguln, erklärt Ginsborg mit Berlusconis perfekter Beherrschung der Mechanismen patriarchalischer Klientelpolitik. Berlusconi spreche vor allem den traditionellen familiarismo der Italiener an, indem er sich geschickt als pater familias geriere, der unermüdlich für seine Klientel sorge. Das beginnt bei seiner Bewegung Forza Italia, dieser sogenannten Partei mit angeblich 300 000 Mitgliedern, die er mit persönlichen Geschenken erfreut und mit einträglichen Stellen versorgt. Die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre bewußt verwischend, erhebt er das ganze Volk zu seiner persönlichen Klientel. In sorgfältig inszenierten Auftritten im von ihm mittlerweile fast vollständig beherrschten Fernsehen verspricht er jedem, der ihn unterstützt, seine persönliche Fürsorge. Man denke nur an den grotesken "Pakt", den er vor laufender Kamera im letzten Wahlkampf mit dem italienischen Volk geschlossen hat. Von den zahllosen Versprechen, die er dabei gegeben hat, hat er zwar bis zum heutigen Tage fast keines erfüllt. In Erinnerung bleibt jedoch, daß er anders als andere Politiker an die Nöte aller Italiener gedacht zu haben scheint. Ginsborg stellt Berlusconi damit in eine vordemokratische politische Tradition, die in Italien vor dem Ersten Weltkrieg von Giolitti geprägt und von Mussolini in den langen Jahren des faschistischen Regimes auf die Spitze getrieben worden ist. Berlusconi ist zwar von Mussolinis faschistischer Diktatur weit entfernt, Ginsborg hat aber zweifellos recht, wenn er ihn auf dem Weg in ein neuartiges Präsidialsystem sieht, das nicht konstitutionell verankert ist, sondern lediglich medial vermittelt wird. Zweifellos geht das auch nicht mehr nur die Italiener, sondern alle Europäer an. Allerdings unterschätzt Ginsborg deutlich die oppositionellen Kräfte Italiens. Die Justiz ist sehr viel unabhängiger, die demokratische Grundstimmung des Landes sehr viel stärker ausgeprägt, als es Ginsborgs herablassende Analyse der Gegner Berlusconis erkennen läßt. Die wirtschaftlichen Eliten des Landes sind inzwischen zu ihm deutlich auf Distanz gegangen, die kulturellen hat er sowieso nie gewonnen. Berlusconi hat als Politiker allem Anschein nach seinen Zenit überschritten. (Paul Ginsborg: Berlusconi. Ambizioni patrimoniali in una democrazia mediata. Giulio Einaudi Editore, Turin 2003. 91 Seiten, 9,- [Euro])

WOLFGANG SCHIEDER

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Aufschlussreich findet Rezensent Henning Klüver Paul Ginsborgs Essay über das Phänomen Berlusconi. Er referiert Ginsborgs Analyse der Strategie Berlusconis, nach außen hin Modernisierung zu verkörpern, nach innen aber mit den alten politischen Kräften zu paktieren, um seine Pfründe zu sichern. Einen kritischen Blick werfe der Autor auch auf die Politik des Ministerpräsidenten, von der allein dessen Unternehmen profitierten, während es Italien heute insgesamt schlechter gehe. Ginsborg warne davor, Berlusconi nicht ernst zu nehmen. Schließlich treffe er das Bedürfnis breiter Bevölkerungskreise, sich in der Führung wiederzuerkennen. Etwas bedauerlich scheint Klüver, dass Ginsborg die Antwort auf die im Untertitel des Buchs gestellte Frage nach Modell der Zukunft oder italienischem Sonderweg schuldig bleibt.

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