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Eine Bildungsreise der besonderen Art: Staunen, wenn ein Provinznest den ganzen "Ring" auf die Beine stellt, aber manchmal lässt Schilda grüßen im Umgang mit den kulturellen Ressourcen. Was 1998 als Ferienvergnügen begann, wurde zu einem ungewöhnlichen Panorama unseres Landes, seiner Bewohner und seiner wechselvollen Geschichte.
Rund achtzig feste opernensembles gibt es hierzulande, beinahe so viele wie im gesamten Rest der Welt. Nicht nur in München und Dresden, sondern auch in Detmold und Cottbus. Ralph Bollmann hat sie alle besucht. Als er in Meiningen die "Tosca" sah, wurde das Land
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Produktbeschreibung
Eine Bildungsreise der besonderen Art: Staunen, wenn ein Provinznest den ganzen "Ring" auf die Beine stellt, aber manchmal lässt Schilda grüßen im Umgang mit den kulturellen Ressourcen. Was 1998 als Ferienvergnügen begann, wurde zu einem ungewöhnlichen Panorama unseres Landes, seiner Bewohner und seiner wechselvollen Geschichte.
Rund achtzig feste opernensembles gibt es hierzulande, beinahe so viele wie im gesamten Rest der Welt. Nicht nur in München und Dresden, sondern auch in Detmold und Cottbus. Ralph Bollmann hat sie alle besucht. Als er in Meiningen die "Tosca" sah, wurde das Land noch von Helmut Kohl regiert. Als er in Plauen "Lohengrin" besuchte, rief Gerhard Schröder die HartzoReformen aus. Und als er 2010 nach Ulm zur "Salome" fuhr, stand der Euro vor dem Absturz. Eine Entdeckungsreise durch Geschichte und Gegenwart: Die deutsche Kleinstaaterei mit all ihren Skurrilitäten und der Föderalismus sind der Boden, auf dem dieser kulturelle Reichtum der Provinz gewachsen ist.
Autorenporträt
Ralph Bollmann, Jahrgang 1969, studierte Neuere Geschichte, Politik und Öffentliches Recht in Tübingen, Bologna und an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule in München. Seit 2002 leitet er das Inlandsressort der"taz"in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2011

Landesherrlichkeit
81 Opernhäuser! Ralph Bollmann bereist die Kulturprovinz
Kassel. Deutschlands Mitte. Die Vorstellung ist aus, und man sucht etwas zu essen. Überhaupt machen die Anfangszeiten deutscher Kulturveranstaltungen oft die Schwierigkeit, dass man nicht weiß, ob man vorher oder nachher ins Restaurant gehen soll. Oder umgekehrt gesagt: Die Gastronomie tut sich schwer, sich zackig auf den Rhythmus von Staats-, Landes- und Stadt-Theatern einzustellen. Also irrt man durch Kassel, hungrig, benommen von mehreren Stunden „Tristan und Isolde“, auf der Suche nach einer passablen Speisestätte. Wer die Nachkriegsfußgängerzone von Kassel kennt, der weiß, dass Ortsfremde es bei dieser Suche nicht ganz leicht haben werden. Man stößt dann auf einen Burger King. Und dort auf eine Frau, die irgendwie bekannt aussieht. „Tatsächlich: Isolde kauft sich einen Whopper. Adrienne Dugger, US-amerikanische Opernsängerin von Rang, die auch in Bayreuth schon auftrat, stillt ihren Hunger nach dem Liebestod mit Fast Food.“
Diese Szene erzählt der Journalist und Historiker Ralph Bollmann in dem gerade erschienenen Buch „Walküre in Detmold“. Es ist ein Buch, das einen Deutschland mit anderen, mit offeneren Augen sehen lässt. Wo „kulinarisch“ zu einem der schlimmsten Schimpfwörter der Musiktheater-Kritik geworden ist, ist es gut, an den engen Zusammenhang von Theater und Essen zu erinnern. Doch das ist noch das kleinste Verdienst von Bollmanns Buch. Es geht nämlich darin nur vordergründig um Opern und ihre Anfangszeiten. Es geht vielmehr um unsere subventionierte Kulturprovinz von Aachen bis Görlitz, von Freiburg bis Stralsund und damit um die dezentrale Lebensform der Deutschen überhaupt. Dürftigen Verpflegungsmöglichkeiten wie in Kassel stehen dabei nicht nur an anderen Orten des Landes Feinschmeckerparadiese gegenüber, sondern insgesamt ein kultureller Reichtum, den wir – dies ist die Botschaft – nur deshalb nicht zu schätzen wissen, weil wir ihn für selbstverständlich halten.
Doch selbstverständlich ist erst einmal rein gar nichts am deutschen Kulturföderalismus: So zählt Ralph Bollmann feste Opern-Ensembles an 81 Standorten in Deutschland. Einundachtzig Opernhäuser – mit öffentlich bezahlten, festangestellten Musikern und Technikern! Wenn man alle Musikformen zusammenrechnet, kommen jedes Jahr so viele Menschen in die deutschen Musiktheater wie in die Fußballstadien, rund zehn Millionen Zuschauer und Zuhörer. Es gibt pro Jahr 6000 Opernabende. Deutschland hat ungefähr so viele Opernhäuser wie der gesamte Rest der Welt zusammen.
Ralph Bollmann zählt aber nicht nur, er reist. Die unglaublichen Zahlen kann man dem Bühnenverein überlassen; der Berliner Autor aber, der Politikredakteur bei der taz war und jetzt bei der FAS arbeitet, hat in einem Zeitraum von zwölf Jahren erfolgreich versucht, sämtliche Opernstandorte im Lande selbst aufzusuchen und überall eine Aufführung anzusehen. Außerhalb der Opernhäuser lernt der unermüdliche Kundschafter Düsseldorf als „Welthauptstadt des Junggesellenabschieds“ kennen, er erlebt Schnösel vom Taunus in Wiesbaden, Rentneridylle in Passau und den Reiz der thüringischen Kleinstädte. Gegeben wird Barockoper in Mannheim, „Don Carlos“ in Wiesbaden, Wagner in Freiburg, Mozart in Aachen, „Maskenball“ in Bremerhaven; Flensburg bietet Raritäten aus dem französischen Repertoire. Der Chronist, der die Informationen über all diese Orte geschickt dosiert, sieht dabei Niedergang und Behauptung; er sieht Pracht in trister Umgebung und ebenso Tristes inmitten von Wohlstand. Mal weitsichtige Planung, mal Vetternwirtschaft. Doch niemals idealisiert der Autor, niemals macht er umgekehrt die Provinz herunter, was die allerleichteste aller spöttischen Übungen ist. Bollmann hingegen, ein dazulernender Connaisseur ohne Arroganz, liefert eine unsentimentale, kenntnisreiche, sehr unterhaltsame Liebeserklärung auch an die Absurditäten der deutschen Zwergstaaterei, welche immer noch die Struktur des Gemeinwesens prägt.
Auch Feuilletonisten stöhnen in Redaktionskonferenzen manchmal: Außerdem ein „Rigoletto“ aus Hannover – auch das noch! Doch was in seiner Fülle vielleicht nicht jeden im Land anspricht, ist für ein regionales Kulturpublikum jeweils oft essentiell; und nicht selten kann die Provinz auch künstlerisch mit den Großstädten mithalten. Natürlich könnte man in einer guten halben Stunde von Wuppertal nach Bochum fahren, wenn das Theater in Wuppertal zumacht; aber ist es nicht ein Gewinn an urbaner Zivilität, dass man in Wuppertal und in Bochum als Stadtbürger ins Theater gehen kann? Insgesamt ist das Niveau unserer öffentlichen Kultur bei allen Einsparungen immer noch bemerkenswert. Man kann in fast jedem Städtchen ein interessantes öffentliches Museum aufsuchen, historische Besonderheiten von Rang besichtigen und abends in eine subventionierte, erfindungsreiche Theatervorstellung gehen – höchst erstaunlich, „dass man so etwas in Deutschland, wenn man will, jedes Wochenende haben kann, immer an einem anderen Ort“. Einmal gar entfährt es Ralph Bollmann, dem nichts ferner liegen könnte als Nationalismus: „Was ist das für ein angenehmes Land.“
Dieser Blick aufs Hiesige, aufs Gewöhnliche ist ungewöhnlich und deswegen sehr lehrreich. Ralph Bollmann ist Jahrgang 1969, südwestdeutscher Bürgersohn und Berliner Schüler von Heinrich August Winkler, linksliberal, reformorientiert. Die meisten seiner Art und seiner Generation sind weltläufig und auslandserfahren wie er auch; sie finden Deutschland im Vergleich der Länder eigentlich gar nicht schlecht, vermeiden es aber, diese Präferenz zu laut auszuformulieren. Ein Interesse für kleine und mittlere deutsche Städte wie Greifswald oder Mainz, Erfurt oder Koblenz erscheint ihnen im ausgehenden Zeitalter der Billigflieger ungeprüft langweilig; auch in Köln, Frankfurt oder Bremen betreiben sie selten intensives Sightseeing.
Ralph Bollmann aber gelingt etwas Exemplarisches: ein kosmopolitischer Blick nach innen, ein fremder Blick aufs Eigene. Das kulturföderalistische Deutschland ist keine bornierte Rentnerpromenade, es erfährt und verdient die Zuwendung netter, kluger, geistig gelenkiger Menschen – das ist die Lehre der „Walküre in Detmold“. Wahrhaft provinziell hingegen ist: die Nichtwahrnehmung der Provinz. JOHAN SCHLOEMANN
RALPH BOLLMANN: Walküre in Detmold. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011. 285 Seiten, 19,95 Euro.
Das kulturföderalistische
Deutschland ist keine
bornierte Rentnerpromenade
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In jeder Zeile der Rezension Johan Schloemanns wird spürbar, welch außerordentliche Sympathie er für dieses ungewöhnliche Buch empfindet. Ralph Bollmann unternimmt darin eine Ethnografie der kulturellen Provinz. Im Lauf von zwölf Jahren ist er an sämtliche Opernstandorte in deutschen Städten gereist: Das sind nicht weniger als 81 - und damit soviele, ruft der verblüffte Rezensent aus, wie im Rest der ganzen Welt. Der Band ist weniger ein Buch über einzelne Inszenierungen, Regisseure oder auch die Musik - wiewohl der Hinweis auf hohe Qualität vieler Inszenierungen an vom Feuilleton je kaum aufgesuchten Orten auch wichtig ist. Eigentlich aber geht es um Deutschland, ein an Kultur noch immer immens reiches Land, dessen weltläufige Intellektuelle über die Provinz gerne lächeln. Bollmann macht das zur Freude von Schloemann nicht mit. Er ist neugierig, aufmerksam und bringt von seinen Reisen so hoch interessante Impressionen mit, dass sie für den Rezensenten nur eine Erfahrung bestätigen: "Wahrhaft provinziell ? ist: die Nichtwahrnehmung der Provinz."

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