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Der Tag, an dem nichts Bemerkenswertes geschieht, beginnt wie jeder andere. Es ist der letzte des Sommers in einer namenlosen Straße, irgendwo in England: Menschen voller unbekannter Geschichten, uneingestandener Liebe und dunkler Geheimnisse erwachen. Ein junger Mann beobachtet sie alle, er würde sie gern kennen, das Mädchen, das er nicht anzusprechen wagt, das alte Ehepaar, die spielenden Kinder, aber er kennt noch nicht einmal den Namen seines Nachbarn. Doch am Ende dieser bewegenden Liebeserklärung an den Alltag steht ein schrecklicher Unfall. Drei Jahre später erinnert sich eine…mehr

Produktbeschreibung
Der Tag, an dem nichts Bemerkenswertes geschieht, beginnt wie jeder andere. Es ist der letzte des Sommers in einer namenlosen Straße, irgendwo in England: Menschen voller unbekannter Geschichten, uneingestandener Liebe und dunkler Geheimnisse erwachen. Ein junger Mann beobachtet sie alle, er würde sie gern kennen, das Mädchen, das er nicht anzusprechen wagt, das alte Ehepaar, die spielenden Kinder, aber er kennt noch nicht einmal den Namen seines Nachbarn. Doch am Ende dieser bewegenden Liebeserklärung an den Alltag steht ein schrecklicher Unfall. Drei Jahre später erinnert sich eine schwangere Frau an diesen Tag und erfährt etwas, das ihr Leben verändern wird.
Das wirklich Wichtige bleibt unseren Blicken unsichtbar - Jon McGregor nicht.
Autorenporträt
Jon McGregor, geboren 1976 in Bermuda/GB, aufgewachsen in Norfolk. Romanveröffentlichungen. 2002 einziger Debütant der Booker Prize Longlist, 2003 ausgezeichnet mit dem 'Somerset Maugham Award' und 2004 mit dem "British Book Award" in der Kategorie Best Newcomer.

Anke Caroline Burger, geb. 1964 in Darmstadt, übersetzt seit 1992 aus dem Englischen, vor allem Literatur aus Indien, den USA und Kanada. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören unter anderem Tod Wodicka, Jon McGregor, Michelle de Kretser und Mark Haddon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2005

Narziß ohne Goldmund
Fenster zur Straße: Jon McGregors Debütroman

Voyeure sind gewiß die erregendsten Erzähler. Die Lust, das Treiben anderer zu beobachten und, von ihnen unbemerkt, so tief wie möglich in ihr Inneres zu dringen, treibt die großen realistischen Romane an und macht den alten allwissenden Autor stets erneut zum Meister unserer Leidenschaft. Die packendsten Geschichten allerdings entstehen, wenn uns der Augenöffner das Entscheidende verbirgt und wir, allein durch Andeutungen stimuliert, den eigentlichen Akt aus Einzelansichten zusammenphantasieren müssen. So kann, wie einst Alfred Hitchcock, der Meister unter den Voyeuren, mit "Fenster zum Hof" unübertroffen vorführte, der Anblick einer einzigen glühenden Zigarette in der Dunkelheit erregender, erotischer und tödlicher sein als jedes Sex- und Action-Drama.

Dergleichen muß der junge Jon McGregor wohl vor Augen gehabt haben, als er sich vor ein paar Jahren ernsthaft dem Schreiben zuwandte, derweil er seinen Lebensunterhalt als Tellerwäscher suchen mußte. Nicht von ungefähr wählte er einen unerkannten Fotografen, der das Treiben seiner Nachbarschaft auf Polaroids festhält, zur heimlichen Zentralfigur. Was er erzählt, will nämlich ganz vom Reiz des Zuschauens leben, vom Bann des beiläufig Beobachteten, dunkel Erahnten, bebend Erspürten wie von der Lust am vorsätzlichen Ausspähen anderer. So inszeniert sich der Debütroman vollständig in einem Panoptikum des wechselseitigen Betrachtens und bespiegelt sich dennoch vor allem selbst. Obschon von der englischen Kritik vor drei Jahren stürmisch gefeiert, öffnet uns "Nach dem Regen" gerade nicht die Augen für die Welt, sondern umkreist diffuse Befindlichkeiten mit selbstverliebter, manierierter Sprache. Kein Lustzuchtmeister präsentiert sich hier, nur ein Narziß ohne Goldmund.

Dabei wäre die Grundidee sehr spannend. Wie in den großen Stadtromanen der Moderne drängt alles Geschehen sich auf einen Tag im Sommer, dessen Verlauf erst allmählich durch ein Puzzle aus Erzählfetzen, Beobachtungsbruchstücken und Erlebnisperspektiven sichtbar wird. Dazu spielt alles sich in einer Straße ab, irgendwo am Rande einer mittelenglischen Großstadt, wo die Einwohner sich zwar vom Sehen, aber nicht mit Namen kennen; sie wissen äußere Details aus dem Leben ihrer Nachbarn, aber nichts von deren wahrer Lebenssituation. Diesen suburbanen Widerspruch will der Erzähler dadurch wiedergeben, daß sämtliche Figuren namenlos bleiben - "die Tochter des Mannes mit den vernarbten Händen", "der Typ aus der Achtzehn", "die große dünne Frau mit dem Glitter um die Augen" - und doch in ihren geheimsten Sehnsüchten und Ängsten bloßgestellt werden. Doch der Effekt erschöpft sich schnell. Wie überhaupt die Ausdrucksmöglichkeiten dieses Autors empfindlich hinter seinem Ausdruckswillen zurückbleiben: Dieser drängt stark zum Emphatischen, Gefühlsechten, Tiefmenschlichen, jene aber stammen aus der Boutique für literarisches Sampling.

Ein Hemingwayton, ein Woolfsound, was Starkes von Dos Passos, was Heißes von Daphne du Maurier - Selbstbedienung ist die Mutter aller Tradition, nur muß man dann auch Sorge tragen, daß die erworbenen Prunkstücke richtig sitzen. Bei McGregor jedoch hängen sie herum wie Papas Frack am Leib eines schmächtigen Konfirmanden, denn seine eigenen Sätze klingen so: "Sie fühlt die Befriedigung über diesen Anblick wie ein Gefühl, das ihren Körper durchdringt, als sei ihr Atem der langsame Bogenstrich eines Cellos, Summen und erfülltes Verlangen klingen in ihr nach." Doch damit nicht genug. Sie "hält den leisen Ton in sich, läßt ihn durch die Mundhöhle kreisen und trinkt ihn still wieder hinunter". So etwas muß man wirklich auskosten, bevor das Bild endgültig verrutscht: "Ich denke darüber nach, über ihn und die Nacht, und ein Bild geht mir durch den Kopf, Haut und Zähne und Hände, das an meinem Magen reißt wie ein Kleid, das sich in der Tür verfangen hat, und ich mach die Augen zu." Dabei verfängt sich außer Kleidern auch schon mal was anderes: "Ich sagte das alles sehr leise und war überrascht, die Worte überhaupt herauskommen zu hören, wie Schmetterlinge, die sich durch einen Netzvorhang arbeiten." Und so kommen sie heraus, die Worte, immer weiter, seitenlang, aber das überrascht uns bald nicht mehr.

Ganz sicher braucht es heute Mut dazu, große Empfindungen aufzuschreiben. Doch Mut allein genügt nicht, wie dieser Erzähler wohl selbst weiß. Deshalb macht er sich gerne klein und gibt sich wie ein Kind, das über die Poesie des Alltags naiv staunt, während er doch nur die Pose des biederen Zuschauers einnimmt, der die Schrecknisse der Welt zur moralischen Selbsterhöhung nutzt. Das herzzerreißende Todesdrama jedenfalls, das sich bei ihm am Schluß auf regennasser Straße zuträgt, sollte keinen täuschen: Auch die verregnete Fahrbahn dient hier dem Zweck der Selbstbespiegelung. Denn um erzählend wirklich heiße Leidenschaften zu erregen, braucht der Voyeur nicht einfach kullerrunde Augen, sondern einen eiskalten Blick.

Jon McGregor: "Nach dem Regen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Anke Caroline Burger. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005. 304 S., geb., 19,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.07.2005

Da fiept ja der Lastwagen
Furchtlos sentimental: Jon McGregors „Nach dem Regen”
Könnte Jon McGregor, 1976 im britischen Bermuda geboren, Walter Ruttmanns berühmten Stummfilm „Berlin, Symphonie einer Großstadt” gesehen haben? An den Kinoklassiker aus dem Jahr 1927 wird man erinnert, wenn man sich in den Debütroman des jungen Engländers hineinbegibt: Eine mehrseitige Prosapassage, die dem „Lied der Stadt” gewidmet ist, entfaltet den Geräuschteppich einer nächtlichen Metropole so suggestiv in Worten, so wie es dem deutschen Regisseur seinerzeit in Bildern gelang. McGregors Ouvertüre zeigt ein bemerkenswertes Gespür für Klang und Rhythmus, wirkt jedoch im Ton eigenartig antiquiert, wie aus einer Epoche spätromantischer Technik-Faszination in die Gegenwart katapultiert. Der Autor sieht und hört die Stadt als lebenden Organismus, der atmet und schreit, seufzt und singt, als vielstimmigen Chor beseelter Objekte, Gebäude, Vehikel und Maschinen: Da haben Tanzflächen blaue Flecken von den Tritten der Nacht, Lastwagen „verkünden fiepend ihre Anwesenheit”, Alarmanlagen „jaulen ihre Not in die Nacht hinaus”, alte Fabrikgebäude „behalten ihre Gespenster und ihre Gedanken für sich”, Telefonzellen rufen nach Antwort, und Autobusse im Depot „entspannen” ihre Karosserien, während sie auf den neuen Tag warten.
Der liebevolle Blick auf die scheinbar unscheinbaren Dinge und Vorgänge des Alltags, das Lauschen auf ihre Melodie - das ist das Grundthema des Romans und die Essenz seines Originaltitels „If Nobody Speaks of Remarkable Things”. Will sagen: Wenn niemand von den bemerkenswerten Dingen spricht, die sich ständig vor unseren Augen abspielen, dann muss es eben der Autor tun, denn „unsere Augen sind, als wären Wolken vor der Sonne, und unser Leben ist blasser und ärmer”, wenn wir jene Dinge „nicht als das erkennen, was sie wirklich sind”. McGregor scheut sich nicht, dieses Credo einer seiner Figuren in den Mund zu legen - einem Vater, der seiner vierjährigen Tochter (und damit dem Leser) die Welt erklärt. Er hätte auch sagen können: Schläft ein Lied in allen Dingen, und man sieht nur mit dem Herzen gut. Damit ist der pädagogische Impetus des Romans festgeschrieben, und wenn die Belehrung auch ein wenig altklug wirkt, so beeindrucken doch die Achtsamkeit und die Wärme, mit der McGregor seine sensible Wahrnehmung in eine erzählerische Form kleidet.
Denn die im Roman vorkommenden Personen, die namenlosen Anwohner einer namenlosen Straße irgendwo in England, ihre Geschichten und miteinander verwobenen Schicksale werden ebenso aufmerksam betrachtet und belauscht wie die Requisiten der nächtlichen Großstadt. Von geduldiger Beobachtung ausgehend, fühlt sich der Erzähler, dem der Roman zur Hälfte anvertraut ist, wie ein freundlicher Nachbar in die Geheimnisse, die Seelenregungen und Verletzungen seiner Figuren ein, ohne je die Grenze der Diskretion zu überschreiten. Die andere Hälfte gehört der Stimme einer jungen Frau. Sie erinnert sich an einen Sommertag vor drei Jahren, der in diesem sonst so friedlichen Wohnviertel mit einem erschütternden Vorfall endete - „Nach dem Regen”, wie der deutsche Titel etwas unentschlossen vermerkt - und berichtet, parallel zu jenen retrospektiven Momentaufnahmen, von gegenwärtigen Ereignissen, die ihr persönliches Leben einschneidend verändern. Dass es dabei um Liebe geht, um schwierige Familienverhältnisse, eine ungewollte Schwangerschaft und ungeklärte Gefühle, ist nicht besonders originell, und so kann der Autor sich auch hier darin üben, uns die Augen für die verborgene Wirklichkeit der Dinge zu öffnen.
Die Erzählebenen sind in einer ambitionierten Konstruktion miteinander verwoben und aufeinander bezogen, was auch dazu führt, dass im Eifer der Verrätselung bisweilen auch Banaleres mit raunender Symbolik aufgeladen wird. Am Ende wird zwischen den Hauptfiguren gar eine Beziehung hergestellt, die ins Okkulte hinüberreicht. Da schaut der Kitsch schon mal kurz um die Ecke, und doch muss man einräumen, dass der Autor mit viel Fingerspitzengefühl vorgeht, wenn er die zarte Andeutung von Seelenwanderungs-Phänomenen mit einer Reprise der einleitenden Großstadt-Impressionen zusammenschneidet. Ein englischer Kritiker nannte den Roman sehr vornehm „fearlessly sentimental”, und manches spricht dafür, dass er damit einen internationalen literarischen Trend beim Namen genannt hat.
So rot sind die Augen
In seiner leicht mysteriösen Zentralfigur hat McGregor zu einem guten Teil sich selbst und sein bildgebendes Verfahren porträtiert: Ein junger Mann, dessen Augen vom genauen Hinsehen ständig gerötet und gereizt sind, fertigt wie manisch Polaroidbilder von Straßenszenen und Schmuddelecken, von Fundstücken und Abfallobjekten an, archiviert Weggeworfenes, Übersehenes und Missachtetes vom Graffito über die Flaschenscherbe bis zur Blutspur auf dem Kneipenparkplatz. Ihm ist alles gleich kostbar, und nicht umsonst wird er, der schüchterne, gehemmte Einzelgänger und hoffnungslos Liebende, uns später in der Rolle eines heroischen Retters wiederbegegnen. Sollte sich sein Erfinder bei künftigen Arbeiten dazu entschließen können, nicht alle Einfälle und Beobachtungen gleichermaßen zärtlich aufzuheben und zu verewigen, sondern hier und da auch einmal die Spreu vom Weizen zu trennen, darf man auf seine weitere schriftstellerische Entwicklung gespannt sein.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
JON MCGREGOR: Nach dem Regen. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005. 304 Seiten,19,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zu uneingeschränktem Lob kann sich Kristina Maidt-Zinke nicht entscheiden. Das beherzte Lauschen des Autors auf den Klang des Unscheinbaren - denn darum geht's ihm vor allem, meint sie - erscheint ihr nicht wirklich neu und vor allem nicht differenziert genug. So herzlich und warm ihr Jon McGregors Blick auch vorkommt, so "raunend" klingt für sie so manches in diesem Buch. Auf die Art hinterlassen McGregors sensible und und "ambitionierte" Erzählkunst am Ende doch einen schlechten Nachgeschmack. Und bei der Rezensentin den Wunsch Richtung Autor, beim nächsten Mal die ein oder andere Beobachtung gern einfach links liegen zu lassen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das Debüt des Jahres, ein durch und durch erstaunliches Buch." -- Stern