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Seit den 90er-Jahren herrscht in der Öffentlichkeit wie in der Geschichtswissenschaft ein starkes Interesse am deutschen Vernichtungskrieg im Osten. Das Interesse konzentrierte sich aber bisher - etwa in der Wehrmachtsausstellung - auf den sowjetischen und auf den jugoslawischen Schauplatz. Der Initialfeldzug gegen Polen und die anschließende Besatzungsherrschaft fanden bisher hingegen kaum Beachtung. Die deutschen und polnischen Autoren des Bandes machen aber nunmehr klar: Der 'Vernichtungskrieg', den man bisher allgemein mit dem Überfall auf die Sowjetunion beginnen ließ, fand schon ab 1939…mehr

Produktbeschreibung
Seit den 90er-Jahren herrscht in der Öffentlichkeit wie in der Geschichtswissenschaft ein starkes Interesse am deutschen Vernichtungskrieg im Osten. Das Interesse konzentrierte sich aber bisher - etwa in der Wehrmachtsausstellung - auf den sowjetischen und auf den jugoslawischen Schauplatz. Der Initialfeldzug gegen Polen und die anschließende Besatzungsherrschaft fanden bisher hingegen kaum Beachtung.
Die deutschen und polnischen Autoren des Bandes machen aber nunmehr klar: Der 'Vernichtungskrieg', den man bisher allgemein mit dem Überfall auf die Sowjetunion beginnen ließ, fand schon ab 1939 in Polen statt. Bereits dort kam es zur Einübung der Erbarmungslosigkeit, zur Entgrenzung und Entregelung der Gewalt, zum Mord an polnischen und jüdischen Zivilisten. Bis Ende 1939 wurden rund 60.000 Polen und 7.000 Juden jenseits von Kampfhandlungen getötet.
Das Verhältnis Deutschlands zu seinem europäischen Nachbarstaat kann sich erst ganz entspannen, wenn dieses Kapitel objektiv beschrieben worden ist.
Autorenporträt
Bogdan Musial, geboren 1960 in Wielopole/Polen. 1985 politisches Asyl in der Bundesrepublik, 1992 Einbürgerung. 1990 - 1998 studierte er Geschichte, Politische Wissenschaften und Soziologie in Hannover und Manchester. 1998 Promotion zum Thema Judenverfolgung im besetzten Polen. Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung (1991 - 1998). 1999 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Habilitation 2005. Seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts des Nationalen Gedenkens in Warschau. Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher.

Prof. Dr. Klaus-Michael Mallmann, geb. 1948, seit 2001 wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Professor für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Neue Akzente setzt nach Ansicht von Rezensent Hans-Jürgen Döscher diese Aufsatzsammlung, deren Herausgeber und Autoren seiner Ansicht nach die weit verbreitete Auffassung im Kern widerlegen konnten, dass Hitlers Vernichtungsfeldzug gegen die Juden und Slawen erst 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion begonnen habe. Vielmehr sei bereits der Polenfeldzug von 1939 Auftakt des Vernichtungskrieges gewesen. Um so mehr Beachtung verdient der Band Döscher zufolge, als offenkundige Defizite aufgearbeitet und politisch motivierte Entstellungen in der Historiografie, vor allem zur Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion, revidiert würden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2005

Verschlungene Wege nach Treblinka
Der Vernichtungsfeldzug gegen Juden und Slawen begann bereits im Herbst 1939 in Polen

Otto Dov Kulka/Eberhard Jäckel (Herausgeber): Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945. Droste Verlag, Düsseldorf 2004. 894 Seiten, 74,90 [Euro].

Klaus-Michael Mallmann/Bogdan Musial (Herausgeber): Genesis des Genozids. Polen 1939-1941. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004. 240 Seiten, 42,- [Euro].

Bogdan Musial (Herausgeber): "Aktion Reinhardt". Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941-1944. Fibre Verlag, Osnabrück 2004. 454 Seiten, 29,80 [Euro].

Charles Patterson: "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka". Über die Ursprünge des industrialisierten Tötens. Aus dem Amerikanischen von Peter Robert. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2004. 307 Seiten, 16,90 [Euro].

In den letzten Jahrzehnten sind mehrere Publikationen zur geheimen Berichterstattung der Überwachungsorgane im "Dritten Reich" erschienen, darunter die herausragende Edition der Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS ("Meldungen aus dem Reich"). Mit ihrer Hilfe wollten die nationalsozialistischen Machthaber verläßliche Informationen über die Stimmung in der Bevölkerung und die Aktivitäten ihrer Gegner gewinnen - wohl wissend, daß das Bild einer monolithischen "Volksgemeinschaft" aus Führung und "Gefolgschaft" mehr der Propaganda als gesellschaftlicher Realität entsprach. Da Meinungsforschungsinstitute in Deutschland noch fremd waren, die Führung des "Dritten Reiches" aber möglichst authentische Erkenntnisse über die Wechselbeziehungen zwischen Herrschaft und Gesellschaft erwartete, hatten neben der Gestapo und dem Sicherheitsdienst (SD) auch die regionalen Verwaltungsbehörden regelmäßig und unabhängig voneinander Stimmungsberichte abzufassen. Besonderes Augenmerk galt den "weltanschaulichen Gegnern" des Nationalsozialismus: Judentum, Marxismus, Liberalismus, "politische Kirchen" und "Rechtsbewegung" (Monarchisten). Während die "Meldungen aus dem Reich" über alle Lebensbereiche, begrenzt auf den Zeitraum zwischen 1938 und 1945, berichteten, enthält die von den emeritierten Historikern Kulka (Jerusalem) und Jäckel (Stuttgart) herausgegebene Edition ausschließlich Berichte über das Verhalten der Juden und ihrer Organisationen sowie über die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung zu den antijüdischen Maßnahmen des Regimes zwischen 1933 und 1945. Dazu werden 752 grundlegende Dokumente vorgestellt aus einem Gesamtkorpus mit 3744 Quellen, die über die beigefügte CD-Rom zugänglich sind. Die repräsentative Dokumentenauswahl vermittelt ein facettenreiches Bild der Beziehungen zwischen Juden und ihrer nichtjüdischen Umwelt. Trotz zunehmender Entrechtung und Verfolgung präsentiert sich das jüdische Leben bis zu den Novemberpogromen 1938 in bemerkenswerter Vielfalt. Die abschließenden Kapitel zu den Deportationen offenbaren einen hohen Kenntnisstand in der Bevölkerung über das Schicksal der Deportierten und die dann folgenden Gewaltverbrechen in den besetzten Gebieten Osteuropas. Voluminöse Quelleneditionen mit langer Vorlaufzeit bis zur Drucklegung können nicht immer den neuesten Forschungsstand bei den notwendigen Erläuterungen widerspiegeln. Herschel Grynszpan, ein 17jähriger Jude polnischer Nationalität, der am 7. November 1938 ein Revolverattentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris verübte, lebte dort nicht als Student, wie im Glossar der Edition dargestellt, sondern arbeitslos und illegal. Das Opfer war weder Botschafter noch Gesandtschaftsrat, sondern Legationssekretär. Die von Hitler am 9. November 1938 absichtsvoll verfügte Sprungbeförderung zum Gesandtschaftsrat I. Klasse konnte vom Rath nicht mehr bestätigen, da er bereits das Bewußtsein verloren hatte. Das NS-Regime nutzte den Tod vom Raths als willkommenen Anlaß zur Auslösung der reichsweiten Pogrome, die unter dem Euphemismus "Reichskristallnacht" in die Geschichte eingingen. Ungeachtet einiger Errata ist die Edition eine wahre Fundgrube nicht nur für die Forschung, sondern für alle historisch interessierten Leser, die mehr über jüdisches Leben zwischen Selbstbehauptung und Repression im Alltag des "Dritten Reiches" erfahren wollen.

Neue Akzente setzt der von Klaus-Michael Mallmann und Bogdan Musial herausgegebene Sammelband zur "Genesis des Genozids". Die Herausgeber und die Autoren der Aufsätze widerlegen im Kern die weitverbreitete Auffassung, daß Hitlers Vernichtungsfeldzug gegen Juden und Slawen erst 1941, das heißt mit dem Überfall auf die Sowjetunion, seinen Anfang genommen habe. Auf der Basis neu erschlossener Quellen deutscher und polnischer Provenienz können sie nachweisen, daß bereits der Polenfeldzug im Herbst 1939 Auftakt des Vernichtungskrieges war und daß Polen zum "Laboratorium der Rassenpolitik" Hitlers wurde. Allein in den drei Monaten bis Ende 1939 sind nach neuesten Befunden etwa 60 000 Polen und 7000 Juden außerhalb der militärischen Kampfhandlungen getötet worden. Vergleichende Analysen zum sowjetisch besetzten Ostpolen schärfen überdies den Blick in die "doppelte Tyrannei", der die Polen ausgesetzt waren. "Nach einem schnellen Schlag gegen Polen, zuerst vom deutschen Heer und dann von der Roten Armee, blieb von diesem häßlichen Ergebnis des Versailler Vertrages nichts mehr übrig", erklärte Außenkommissar Molotow am 31. Oktober 1939 in seiner Sieges- und Rechtfertigungsrede vor dem Obersten Sowjet der UdSSR. Beide Aggressoren verfolgten expansionistische Zielsetzungen ebenso wie die Entpolonisierung ihrer Interessensphären; beide griffen zu Terrormaßnahmen gegenüber unerwünschten und resistenten Bevölkerungsgruppen. Sie unterschieden sich allerdings und vornehmlich in den langfristigen Zielen ihrer Okkupationspolitik: "Germanisierung" einerseits, "Sowjetisierung" andererseits. Das Spektrum der Beiträge reicht vom "Schlachtfeld zweier totalitärer Systeme" über die Tätigkeit der deutschen Polizeiverbände ("Fußvolk der Massendeportation und Völkerverschiebung") bis zur "Dekomposition" und "Kollaboration" der zerrissenen polnischen Gesellschaft unter deutscher und sowjetischer Herrschaft. Der Sammelband verdient um so mehr Beachtung, als offenkundige Defizite aufgearbeitet und politisch motivierte Entstellungen in der Historiographie, vor allem zur Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion, revidiert werden.

Eine thematische Fortsetzung erfährt der interessierte Leser mit dem Aufsatzband zum "Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941-1944". Nach den Absprachen im Hitler-Stalin-Pakt und der Kapitulation Polens teilten sich die Sieger ihre Kriegsbeute verbindlich im deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939. Ostpolen fiel an die Sowjetunion, Westpolen an das Deutsche Reich. Neben den annektierten Territorien entstand das "Generalgouvernement" unter deutscher Zivilverwaltung mit den Distrikten Krakau, Warschau, Radom und Lublin. Auf diesem Gebiet wurden über zwei Millionen Juden, vorwiegend polnischer Nationalität, unter dem Decknamen "Aktion Reinhard" in den Vernichtungslagern Belzec, Majdanek, Sobibor und Treblinka ermordet. In den einzelnen Beiträgen präsentieren Historiker aus Polen, Deutschland, Israel und den Vereinigten Staaten ihre Forschungsergebnisse zur Planung und Durchführung des Völkermordes an den polnischen Juden im "Generalgouvernement". Der Buchtitel "Aktion Reinhardt" weicht von der in den meisten Beiträgen verwandten Schreibweise "Aktion Reinhard" ab. Da die Bezeichnung dieser mörderischen "Aktion" nachträglich zum Gedenken an Reinhard Heydrich geprägt wurde, den Chefplaner der "Endlösung", der im Frühjahr 1942 einem Attentat zum Opfer gefallen war, sollte der Titel bei einer Neuauflage des lesenswerten Bandes an die gängige Schreibweise angepaßt werden.

Das Buch "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka" des amerikanischen Sozialhistorikers Charles Patterson fällt aus dem Rahmen der seriösen Geschichtsschreibung. Im Mittelpunkt seiner Zivilisationskritik steht das empathielose Verhältnis der Menschen gegenüber den Tieren. Patterson zufolge gab es einen direkten Weg von den Großschlachthöfen Chicagos über Fords Fließbandmethode in der Automobilproduktion bis zu den Vernichtungslagern in Belzec, Majdanek und Treblinka. Der routinierte Genozid an den Juden schreibe die Routine des Massenmords an den Tieren fort, lautet seine zentrale These. Henry Ford, Gründer der Ford Motor Company, war gewiß kein Philosemit. Sein 1921 erschienenes Buch "Der internationale Jude" erregte großes Aufsehen und gehörte zur Standardlektüre vieler Antisemiten. Der aus Tierschützer-Pose konstruierte, vermeintlich geradlinige Weg von den Schlachthöfen Chicagos zu den Tötungszentren in Polen ("Der Weg nach Auschwitz führt durch Amerika") unterstellt indes einen Kausalzusammenhang, der der komplexen historischen Wirklichkeit nicht gerecht werden kann. Pattersons Darstellung setzt sich souverän über gesicherte Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung hinweg. Sie vernachlässigt insbesondere die Ursprünge des modernen, rassenideologisch geprägten Antisemitismus im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die radikalisierenden Tendenzen nach dem Ersten Weltkrieg und nicht zuletzt Hitlers obsessiven Antisemitismus.

HANS-JÜRGEN DÖSCHER

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