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"Mit Schreiben Geld verdienen? Ihre intimsten Gedanken preisgeben?" Selbstredend haben die Menschen auf unseren Aufruf reagiert und Texte eingesandt. Einige sind in der vorliegenden Mappe versammelt, die wir vorläufig "Florida-Räume" betitelt haben, nach einer der eigenwilligsten Einreichungen. Ihr Verfasser ist die Marienfelder Schule, eine Gruppe philosophierender Hunde, deren einer, ein Cockerspaniel, als Architekturkritiker in einer Kleingartensiedlung auf die zu durchleuchtende Form kommt: die provisorische Ausbuchtung, das angelehnte Glashaus, die postmoderne Gemütskrankheit, der…mehr

Produktbeschreibung
"Mit Schreiben Geld verdienen? Ihre intimsten Gedanken preisgeben?" Selbstredend haben die Menschen auf unseren Aufruf reagiert und Texte eingesandt. Einige sind in der vorliegenden Mappe versammelt, die wir vorläufig "Florida-Räume" betitelt haben, nach einer der eigenwilligsten Einreichungen. Ihr Verfasser ist die Marienfelder Schule, eine Gruppe philosophierender Hunde, deren einer, ein Cockerspaniel, als Architekturkritiker in einer Kleingartensiedlung auf die zu durchleuchtende Form kommt: die provisorische Ausbuchtung, das angelehnte Glashaus, die postmoderne Gemütskrankheit, der Florida-Room. Andere Individuen haben Gedichte eingereicht, so etwa Bettine, Bettines Mutter, eine revolutionäre Köcherfliege und eine ehemalige Stasi-Agentin, die ihre Träume protokolliert. Die einzelnen Texte sind, fürs bessere Verständnis, mit unseren Kommentaren versehen.Auch Ann Cotten, "das großartig-amerikanisch-österreichische Landei aus Iowa" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), nimmt teil an dem von einer außerirdischen Macht veranstalteten Schreibwettbewerb. Und liefert eine ungeduldige Raketenbohrung durch unser irdisches Dasein.
Autorenporträt
Cotten, AnnAnn Cotten wurde 1982 in Iowa geboren und wuchs in Wien auf. Bei Suhrkamp erschienen von ihr bislang Fremdwörterbuchsonette (2007), Florida-Räume (2011) und Der schaudernde Fächer (2013) und Verbannt! (2016). Ihre literarische Arbeit wird nicht nur in der Literaturszene, sondern auch in den Bereichen der Bildenden Kunst und der Theorie geschätzt und wurde zuletzt mit dem Klopstock-Preis und dem Hugo-Ball-Preis ausgezeichnet. Sie lebt in Wien und Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2011

Wird man Hunde hören? Wird man nicht sagen, sie seien ahnungslos?

Mit "Florida-Räume" präsentiert Ann Cotten ein abgründiges Textkunstwerk. Leser, die sich an die Leine legen lassen, bekommen dafür viel spekulativen Auslauf.

Ein mit Kot beschmiertes Konvolut aus Gedichten und Prosastücken will der Herausgeber im Winter "hinter den frostgeplagten Ribiselgewächsen" in seiner Gartenparzelle gefunden haben. Die heterogenen Texte aus (angeblich) unterschiedlicher Feder liegen uns nun als Sammelband vor. Dessen Herausgeber ist allerdings unter mysteriösen Umständen beim Verfassen seines Nachwortes verstorben. Dass wir dieses Buch trotzdem in den Händen halten, verdanken wir Ann Cotten, zumindest steht ihr Name auf dem Umschlag.

Ann Cottens hermetisches Kunstwerk mit dem Titel "Florida-Räume" sträubt sich gegen Fragen von Autorschaft und Gattungszugehörigkeit, das titelgebende Kompositum gibt dem Unternehmen aber einen Rahmen: In solchen Räumen werden die Texte zu Sonden, die das unspektakuläre, vielleicht auch abstoßende Außen der Welt durchstoßen, um im dichterischen Wort zu einer Relativierung der als Wahrheit geltenden Wirklichkeit vorzudringen.

Nach ihrem hochgelobten Debüt-Gedichtband "Fremdwörterbuchsonette" (2007) und ihrer Magisterarbeit über Listen in der konkreten Poesie macht die 1982 in Iowa geborene, in Wien aufgewachsene Autorin es dem Leser in ihrem neuen Buch nicht leicht. Man wird auf allerhand Fährten geführt, dabei aber an sehr langer Leine gelassen. Das hat seinen Reiz und, wenn man sich auf das Spiel einlässt, durchaus auch seinen Sinn.

Am Anfang steht ein Inserat, das potentielle Schriftsteller lockt, ihre Texte an eine fiktive Solothurner Postfachadresse zu schicken, und dies nicht mit Aussicht auf das ohnehin Unwahrscheinliche im Leben eines Dichters, also Geld, Ruhm und Ehre, sondern auf Wertvolleres: "Selbsterkenntnis". Dem Aufruf folgen unterschiedliche "Subjekte" wie "die Agentin", "Bettine und Bettines Mutter", ein "200 kg-Tierfreund" oder auch eine schmächtige Mischkreatur aus Lebewesen und Maschine, genannt "Ameisenjungfer Ameisenlöwe" und schließlich eine Figur namens "Ann Cotten". Dazu kommen der Bericht "Echo" eines Datenträgers, die prosaische "Ausschüttung" des "Geistes" oder aber, als längstes und grundlegendes Stück des Bandes: "Der Cocker". Der Erzähler ist ein Cockerspaniel, der die Idee der "Florida-Räume" theoretisch untermauert und durch seine Beschreibung der Welt aus Hundesicht literarisch veranschaulicht.

Der Hund dient Cotten als Medium, denn dieser ist "in seinen parzellierten Erscheinungsformen eine Kristallisation der Beziehung des Menschen zur Natur". Der "Cocker" aber ist weit mehr als der Begleiter des Menschen, er ist Sprecher der "Marienfelder Schule", einer Künstlervereinigung, bestehend aus kulturkritischen Vierbeinern, deren Treffpunkt die Tribünen der "Marienfelder Rennbahn" sind. Die Anlage ist angelehnt an die Mariendorfer Trabrennbahn in Berlin, die nach den Plänen des Jugendstilarchitekten August Endell (bei Cotten eingeführt als Alfred Endell) erbaut wurde. Endell hatte als Herausgeber der Zeitschrift "Pan" in der Kunstszene Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gewirkt und der Jugendstilbewegung ein überregionales Forum verschafft. Um ein Forum geht es Ann Cottens theorielustigen und symbolfähigen Hunden auch: Ihr Treffpunkt jedenfalls ist Beispiel eines "Florida-Raums", den sie in einem ästhetischen Traktat theoretisch dingfest zu machen, aber auch praktisch umzusetzen suchen: Sie wollen "die Florida-Rooms so bauen, dass man nicht weiß, ob man draußen ist oder hineinsieht oder drinnen ist und hinausschaut". Die Dichterwerkstatt als Zufluchtsort und Beobachterposten? Sicher sind sich die ästhetisch versierten Hunde nicht, ob ihre Ideen auch angenommen werden: "Wird man Hunde hören? Wird man nicht sagen, wir seien ahnungslos, lägen im Dreck und sähen die Dinge aus einer ganz falschen Perspektive?"

Wie bei E. T. A. Hoffmanns Kater Murr oder Paul Austers Streuner Mr. Bones aus dem Roman "Timbuktu" läuft hier der Leser an der Leine eines Cockers, mal mehr, mal weniger ahnend, was Herrchen (oder Frauchen) vorhat, mal blind folgend, in der Hoffnung auf eine Belohnung. Auch wenn diese nicht immer leicht zu bekommen ist, so lohnt sich doch der labyrinthische Spaziergang durch die "Florida-Räume", die in ihrem utopischen Gehalt Austers "Timbuktu" durchaus nahe kommen.

Bei aller tief schürfenden Gewitztheit der Prosatexte, drohen doch die oft zarten Gedichte des Bandes, obwohl in der Mehrzahl, unter der Theoriewucht und Erzähllust der Prosatexte zu ersticken. Es könnte dem Leser so gehen wie dem Mischwesen "Ameisenjungfer Ameisenlöwe", dem, "einen Schritt aus der Haustür hinaus", "die Welt entgegenstürzt wie Körner in einem Silo".

Auch wenn der Finder der Texte kurz vor seinem Ableben die Umstände, unter denen die Mappe ihn erreicht hat, schaudernd als "Kriminalgeschichte" bedichtet, so kann man nur ahnen, wer ihn auf dem Gewissen hat. Das nächste Opfer ist schon in Sicht: Der Erbe des Gartens will das baufällige Gartenhäuschen und damit, so lässt sich folgern, einen "Florida-Raum" dem "Boden gleich" machen. Dieser soll nun einer Loggia weichen, "um die Parzelle besser vermieten zu können". Und das ist bestimmt nicht im Sinne ihres Erfinders, der Autorin dieses schillernden Gesamtkunstwerks.

FRIEDERIKE REENTS.

Ann Cotten: "Florida-Räume".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 287 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ein starkes Stück" nennt Jochen Jung dieses fast 300 Seiten starke "Elementarbuch" und feiert die amerikanische Wienerin Ann Cotten als Jeanne d'Arc der Dichtkunst, die selbige zurück in relevante Höhen von Sprache, Form und vor allem der Kunst führe. Es handelt sich um "sechs Konvolute Lyrik und vier Prosastücke", wie wir lesen, wobei speziell die Prosa dem Kritiker sehr dicht, vielleicht sogar "etwas blickdicht" erscheint. Manchmal drängt sich auch das Kulturkritische für seinen Geschmack allzu selbstgewiss vor. Auch fühle man sich als Leser manchmal dumm, wie  der Rezensent eingestehen muss. Und doch: die Gedichte reißen ihn immer wieder hin, und er zählt sie "ab sofort zum Besten", was die deutschsprachige Lyrik dieser Tage kann.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Gedichte ... gehören ab sofort zum Besten, was die deutschsprachige Lyrik dieser Tage kann.«
Jochen Jung, DIE ZEIT 16.09.2010