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Was für Gedichte kann man schreiben in einer Sprache wie dem Chinesischen, an deren Verben sich keine Zeitform oder Person zeigt? Die Antwort des Lyrikers und Essayisten Yang Lian lautet: Gedichte, die Sinn nicht linear entfalten, die Zustände artikulieren, keine Handlungen. Die die Dinge auf diese Weise in Urbilder verwandeln. Die die archaische Lyrik Chinas und ihre Chiffren auf der Basis des modernen Gedichts seit Pound und Eliot wieder auferstehen lassen. Die von Masken handeln, von Krokodilen, von Sonne und Mond, von Knochen und Zähnen. So rühren sie an die dunklen, großen Themen der…mehr

Produktbeschreibung
Was für Gedichte kann man schreiben in einer Sprache wie dem Chinesischen, an deren Verben sich keine Zeitform oder Person zeigt? Die Antwort des Lyrikers und Essayisten Yang Lian lautet: Gedichte, die Sinn nicht linear entfalten, die Zustände artikulieren, keine Handlungen. Die die Dinge auf diese Weise in Urbilder verwandeln. Die die archaische Lyrik Chinas und ihre Chiffren auf der Basis des modernen Gedichts seit Pound und Eliot wieder auferstehen lassen. Die von Masken handeln, von Krokodilen, von Sonne und Mond, von Knochen und Zähnen. So rühren sie an die dunklen, großen Themen der Literatur, die nicht an den Grenzen von Kontinenten haltmachen: Erfahrungen des Exils, die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache, an Liebe, Vergänglichkeit und Tod.In seinen Essays und Reflexionen, die die Gedichte begleiten und flankieren, entfaltet Yang Lian diese Poetik der Überzeitlichkeit und -räumlichkeit. Als Dissident, der nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Jahr 1989 seine Heimat verließ und heute im Londoner Exil lebt, nimmt er Stellung zur gegenwärtigen Lage in China, verknüpft dabei stets das Poetische und das Politische. Denn es ist das Gedicht, das uns eine Sprache erschließt, mit der wir lernen können, auch das Politische neu und anders zu denken.
Autorenporträt
1957 geboren in Berlin; erste Veröffentlichung von Gedichten in der Zeitschrift "Sinn und Form" 1976; erster Gedichtband 1980 im Aufbau-Verlag; seitdem Arbeit als freier Autor; 1987 Ausreise in die Bundesrepublik; 1989 Visiting Writers an der Universität von Texas in Austin; 1992 Stipendiat Villa Massimo, Rom; einige Literaturpreise, zuletzt Friedrich-Hölderlin-Preis Tübingen 1993 und Preis der Literaturhäuser 2006; 1997-2004 Leiter des Studios Literatur und Theater der Universität Tübingen; lebt als freier Schriftsteller in Berlin-Charlottenburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2010

Offenes Fenster, verschlossener Himmel
Wer ist nicht im Exil? Der Lyriker Yang Lian

Wenn Exilgedichte Brücken sind, die von einem Heute in ein Gestern, von einem Hier in ein Dort errichtet werden, die die Spanne zwischen Verbot und Duldung abmessen, dann finden sich im Werk Yang Lians wenig Anhaltspunkte, die ihn als einen Exildichter ausweisen. Exil ist für diesen Schriftsteller keine politische, sondern eine poetische Form der Existenz. "Wer ist nicht im Exil?", fragt Yang Lian und zielt damit auf den Anspruch des Dichters an sich selbst und an seine Sprache. "Man könnte sagen", so Yang Lian, "dass ich mich trotz all meiner Reisen nicht vom Fleck bewegt habe. Zwischen mir und der chinesischen Sprache, zwischen mir und der Dichtung hat sich nichts verändert."

Mit den "Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons" ist nun eine klug arrangierte Werkschau erschienen, die von der Besessenheit und Radikalität zeugt, mit der Yang Lian poetische Räume baut, um eine Form für sein Leben zu finden. Der Band besteht in der ersten Hälfte aus teils überarbeiteten, teils neu und erstmalig übersetzten Gedichten und Gedichtzyklen. Die zweite Hälfte versammelt eine Auswahl essayistischer Reflexionen sowie ein Nachwort des Dichterfreundes Uwe Kolbe.

Yang Lians Reflexionen sind "verstreute Texte" oder sanwen, wie das klassische chinesische Prosagenre genannt wird, welches thematische und formale Vielstimmigkeit in einer ästhetischen Einheit zu bündeln vermag. Sie sind eigenständiger Bestandteil seiner Dichtung und weder Leseanleitung noch Auslegung seiner Lyrik. Im besten Falle legen sie Pfade in die Erfahrungs- und Gedankenwelt Yang Lians, sind Auskünfte zu einer Poetologie, die sich aus der archaischen Dichtkunst Chinas und der abendländischen Moderne gleichermaßen speist. Nicht zuletzt seinem unermüdlichen Mentor und Übersetzer Wolfgang Kubin ist es zu verdanken, dass die derzeit wichtigste Stimme chinesischer Lyrik hierzulande nicht unbekannt geblieben ist. Seit 1987 wurden fünf Bände in deutscher Übersetzung publiziert.

Das Unterwegssein schien Yang Lian von Geburt an vorbestimmt. Im schweizerischen Bern kommt er 1955 als Sohn eines chinesischen Diplomaten zur Welt. Kurze Zeit später kehrt die Familie nach Peking zurück, und Yang Lian verlebt seine Kindheit einen Steinwurf entfernt von den Ruinen des Alten Sommerpalastes. Eine für jene Zeit typische Künstler-Biographie nimmt ihren Lauf. 1974 "zur Umerziehung" aufs Land verschickt, verdingt er sich nach seiner Rückkehr in der Hauptstadt als Redakteur beim Rundfunk. Eine Arbeit, die ihn ernährt und dabei reichlich Zeit für die ausgiebige Lektüre der westlichen Moderne lässt. Als der "Pekinger Frühling" Ende der siebziger Jahre Künstler und Intellektuelle zu gewagten Inhalten und neuen ästhetischen Formen inspiriert, veröffentlicht auch Yang Lian seine ersten Gedichte in der Untergrundzeitschrift "Jintian" (Heute), dem literarischen Sprachrohr der Bewegung. Es ist die Zeit der "obskuren Lyrik", die mit großem Pathos die Politisierung der Kunst geißelt und die Freiheit des Individuums beschwört.

Wie viele seiner Zeitgenossen kehrt auch Yang Lian in der Aufbruchsstimmung der frühen achtziger Jahre zurück aufs Land. Diesmal ist es eine Landverschickung aus freien Stücken, getrieben von dem Wunsch, zu den Ursprüngen chinesischer Kultur und an die Stätten chinesischer Geschichte zurückzukehren. Die meisten landen in der Fremde beim Eigenen. Yang Lians väterlicher Freund, der Nobelpreisträger Gao Xingjian, hat mit dem "Berg der Seele" eine Topographie dieser Reise ins Innere geschaffen. Autoren wie Xu Xing und jüngst der Wahl-Londoner Ma Jian haben diese Erfahrungen in stark autobiographischen Texten nachgezeichnet.

Gemeinsam waren sie Teil der Pekinger Boheme, gemeinsam wurden sie 1983/84 während der "Kampagne gegen geistige Verschmutzung" mit Publikationsverbot belegt - und damit erstmals auch interessant für den Westen. Von ihnen erhoffte man sich Auskunft über die undurchsichtigen Vorgänge hinter der großen Mauer, es folgten Einladungen, viele reisten aus, die meisten blieben vorübergehend, einige für immer. Yang Lian lebt heute in London, die chinesische Staatsbürgerschaft hat er gegen einen neuseeländischen Pass eingetauscht. Seit einigen Jahren kehrt er regelmäßig nach China zurück. Yang Lian schreibt ausschließlich auf Chinesisch, seine Texte erscheinen in Taiwan, Hongkong und auch in der Volksrepublik. Sein Publikum indessen ist vorwiegend ein europäisches.

Dichtung ist für Yang Lian nie Selbstzweck, Deutung oder gar Abbildung von Wirklichkeit, sondern Ausdruck von Sprach- und Selbstzweifel, der unablässige Versuch. "Niemand vertraut dem Wort weniger als ein Dichter", heißt es in seinem Poem "Ein Garten im Winter". In seinen sanwen beschreibt Yang Lian die Aporie des modernen Dichters, für den die Mauer aus Meisterwerken klassischer Dichtkunst zur schwierigsten Hürde und angesichts ihrer Vollkommenheit zur Falle werde: moderne Dichtung als Versuch, so etwas Vollkommenem wie einer Pyramide noch einen Millimeter an Höhe hinzuzufügen.

Mit seiner Form- und Sprachbesessenheit schafft Yang Lian auch eine wohlkalkulierte Distanz zu seinen Lesern. Es ist diese Form der Selbstexilierung, die seine Lyrik fremd und nahezu unübersetzbar macht: Bilder greifen nach einem verborgenen Prinzip ineinander und entfalten eine autarke poetische Welt. In "Finsternisse", einem Gedicht aus dem Jahr 1992, heißt es: "Eine andere Welt ist immer noch diese, sagt die Finsternis." Und in dem Zyklus "Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons" steht: "Es gibt keine Dämonen ohne ein Heim. / Wohin sich nicht zurückkehren lässt, das ist das Heim: ein / paar Schritte entfernt von den Füßen, aber isoliert. Gräben / kreuzen einander."

Yang Lian teilt seine Gedichte in China-, Europa- und Südpazifik-Manuskripte ein und nennt dies seine persönliche Weltkarte. Orte hausen wie Geister darin, doch sind es keine geographischen Räume, sondern Landkarten der Erinnerung. Das lyrische Ich geht ein in eine universelle Landschaft, in der die Spannungen zwischen Östlichem und Westlichem, Vergangenem und Gegenwärtigem, Natur und Kultur aufgehoben sind. Es sind überwiegend albtraumhafte Bilder, düster anmutende Todesgebilde, Räume voll Dunkelheit und Schrecken, in denen Leben und Schreiben konvergieren. Was bleibt, inmitten der Finsternisse, ist die Unverbrüchlichkeit der Schrift, das poetische Gegenwort: "So stirb denn. Ein Gedicht ist die einzige Adresse, wert / der Auferstehung."

IRMY SCHWEIGER

Yang Lian: "Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons". Aus dem Chinesischen übersetzt von Karin Betz und Wolfgang Kubin. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 295 S., geb., 29,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Susanne Mayer porträtiert mit viel Sympathie den chinesischstämmigen Lyriker und Autor Yang Lian und geht dabei auch auf seinen jüngst auf Deutsch erschienen Band "Aufzeichnungen eines fremden Dämons" mit politischen Texten, Reisebeschreibungen, Literaturtheoretischem und Gedichten ein. Yang Lian wurde als Sohn eines Diplomaten in der Schweiz geboren und blieb nach dem Massaker auf dem Tiananmenplat im australischen Exil. Heute lebt er in London, erzählt die Rezensentin. Besonders die Gedichte haben es ihr angetan: sie dürften für chinesische Ohren so fremd klingen wie für europäische, meint Mayer. Denn sie sind geprägt von einer ganz eigenen Sprache, dem "Yanglischen".

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