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Dieser Roman ist, so die NZZ, das "wohl abgründigste aller großen Werke der Holocaust-Literatur". Die Arbeit an dem Text zum Drehbuch gab Kertesz nun die Freiheit, sein Material auszudehnen und mit autobiographischen Einzelheiten anzureichern. So erleben wir am Ende der Filmfassung das zerstörte Deutschland zur Stunde Null, geraten zwischen die auf den Straßen herumziehenden "displaced persons" und in die Ruinen Dresdens, bevor der befreite Held der Geschichte endlich nach Budapest zurückkehrt. Kertesz hat in Schritt für Schritt aus der eigenen literarischen Vorlage ein neues Kunstwerk gemacht.…mehr

Produktbeschreibung
Dieser Roman ist, so die NZZ, das "wohl abgründigste aller großen Werke der Holocaust-Literatur".
Die Arbeit an dem Text zum Drehbuch gab Kertesz nun die Freiheit, sein Material auszudehnen und mit autobiographischen Einzelheiten anzureichern. So erleben wir am Ende der Filmfassung das zerstörte Deutschland zur Stunde Null, geraten zwischen die auf den Straßen herumziehenden "displaced persons" und in die Ruinen Dresdens, bevor der befreite Held der Geschichte endlich nach Budapest zurückkehrt.
Kertesz hat in Schritt für Schritt aus der eigenen literarischen Vorlage ein neues Kunstwerk gemacht.
Autorenporträt
Imre Kertesz, 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Er gilt seit dem späten Erfolg seines "Roman eines Schicksallosen" als einer der großen europäischen Schriftsteller. Die jahrelange Arbeit an diesem Roman, der 1975 in Ungarn erschien, finanzierte er durch Musicals und Unterhaltungsstücke. Er betätigte sich als Übersetzer von Freud, Nietzsche, Hofmannsthal, Canetti, Wittgenstein und anderen. 2000 erhielt er den "Welt"-Literaturpreis, 2002 den Nobelpreis für Literatur und 2004 den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten und den Corine - Internationaler Buchpreis 2004 für sein Lebenswerk. 2009 wurde Imre Kertesz mit dem Jean Améry-Preis für Essayistik geehrt, 2013 erhielt er den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch. Imre Kertész lebte in Budapest und Berlin. Er starb 2016 nach langer Krankheit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2003

Vierhundert Streiche
Die düstere Pracht der Unverziertheit: Ein Drehbuch von Imre Kertész
Wirklichkeit, Idylle, magischer Moment ... im Kino sind sie schwer auseinander zu halten. Am Ende ist es eine Frage der Perspektive, der Distanz: „Unter dem gesprochenen Text, von irgendwo aus der Ferne oder von oben aufgenommen, sozusagen in der Kameraeinstellung einer zukünftigen Erinnerung, also auf alle Fälle aus der linearen ,Realität‘ des Handlungsablaufs heraustretend: der Zug der Häftlinge auf dem Rückweg von der Fabrik. Zu beiden Seiten SS-Eskorte. Goldenes, spätnachmittägliches Sonnenlicht. Über dem Zug schwebt leichter Straßenstaub.”
Das ist eine der unergründlichen Szenen, mit denen Imre Kertész sein Drehbuch durchsetzt. Eine Szene zur magischen Stunde, zwischen Tag und Abend, die Häftlinge kehren zurück in ihr Lager. Müdigkeit, Erschöpfung, Leere, gefilmt in goldenem Licht, und der Staub darüber wie ein Weichzeichner. Hollywood hatte plötzlich starkes Interesse an dem Buch, nachdem Kertész den Nobelpreis bekommen hatte, aber der hat es bereits Lajos Koltai versprochen, der sich seit Jahren um eine Finanzierung bemüht. Es soll seine erste Regie werden, als Kameramann hat er aber die ungarische Filmproduktion geprägt, viele Filme von Márta Mészáros und Pal Gábor, später in Hollywood von Luis Mandoki oder Jodie Foster. Seit Jahren arbeitet er mit István Szabó zusammen, von „Mephisto” bis zum Furtwängler-Film „Taking Parts”. In „Sunshine”, Szabós großem Generationenepos, hat er eine KZ-Sequenz gestaltet, die das genaue Gegenstück zu der Kertész-Idylle ist, eine grausame Tortur, von eisiger, kristallener Schönheit.
Die Profis rümpfen die Nase, wenn Literaten sich an der Fabrikation von Filmskripts versuchen, und besonders verdächtig ist, wenn einer sein eigenes Buch adaptiert. Man muss den Naiven spielen, um nicht unter Pauschalverdacht zu geraten. „Der Roman”, erklärt Kertész, „ist ein geschlossenes Universum, das sich behaupten muss. Das Drehbuch dagegen ist eine offene Möglichkeit ...” Sein Buch, der „Roman eines Schicksallosen”, hat das europäische Lesepublikum verwirrt und verwundert, weil er die sunny side of life beschreibt in den KZs der Nazizeit. „Im Großen und Ganzen, kann ich sagen, habe auch ich Buchenwald bald liebgewonnen ...” Was kann das Kino machen mit solchen Sätzen?
Ein Drehbuch, hat Roman Polanski gesagt, der im vorigen Jahr mit „Der Pianist” eine Geschichte vom Überleben im Warschauer Ghetto auf die Leinwand brachte, ist ein Handbuch, eine Gebrauchsanweisung. Und sein Gebrauchswert garantiert seine Unschuld – weil es Bilder heraufrufen kann, die keine Entsprechung haben müssen in der Wirklichkeit oder dem, was wir dafür halten.
Kertész widersetzt sich dem Abbildungs-, dem Realismusgebot, das man dem Kino gern unterjubelt. Er beugt sich dem „Gesetz der Gattung”, aber er genießt vor allem die Freiheiten des neuen Mediums, nicht seine Zwänge. „Denn als Drehbuchautor ertappt sich der Schriftsteller dabei, dass er plötzlich ausführlicher und persönlicher wird. Nun kann er gewissen autobiographischen Motiven Platz geben, Erinnerungen, auch Anekdoten, die er als Romancier damals strengstens verwerfen musste.”
Kino ist Somnambulismus für Kertész, sein Script hat eine Tendenz zur Schläfrigkeit, zur Diffusion: „All das sehen wir ein wenig verschwommen, mit dem müden Blick des Jungen.” Doch die Ruhe ist trügerisch, untergründig wird stets das eigene Vorgehen reflektiert, wird meditiert über die Ästhetik des Kinos und wie sie sich auswirkt auf die Fragen der Moral. „Dieser Luftangriff findet bei strahlender Mittagssonne statt und ist vielleicht die einzige Szenenfolge des Films, die in ästhetischem Sinn als herausragend schön bezeichnet werden kann. Wie glitzernder Weihnachtsschmuck fällt von oben eine Flut von Stanniolblättchen herab; auf einmal ist der Himmel voll von den weißen Tupfen der Flugabwehrgeschosse ... Der Himmel ähnelt nun wahrlich einer Eisbahn, von Schlittschuhen mit willkürlichen Linien vollgekratzt, oder einem Spiegel, auf den betrunkene Hände mit Diamanten krumme Linien gezeichnet haben.” Die letzten Sätze sind dabei, ungewohnt in einem Script, von einem Kollegen geborgt, von Sándor Márai, aus dem Tagebuch, 3. Juli 1944.
Der Weg ins Kino
Über allem spürt man das Bilder-Verbot, verhängt von Claude Lanzmann, nach seinen Erfahrungen mit dem Film „Shoah”: Was in den Lagern geschah, lässt sich nie und nimmer abbilden. Ein Konsens besteht hierüber, dem auch Kertész zustimmt: „Wenn wir nun doch gegen dieses Verbot verstoßen, können wir das nur durch die Authentizität der Zeugenaussage rechtfertigen. Wir müssen dazu erklären, dass wir nicht eine Darstellung des Holocaust bezwecken, sondern den Weg eines Menschen verfolgen, der unausweichlich durch die Welt der Lager führt. Wenn wir auch die Illusion der Authentizität aufgeben müssen – denn eine solche Darstellung ist unmöglich –, werden wir uns doch zumindest um Treue, Lakonie und die düstere Pracht der Unverziertheit bemühen, die, wie wir hoffen, der Trauer von Millionen würdig ist.”
Es ist nicht das Trauma des Holocaust, das Kertész zum Schreiben brachte, sondern die Erfahrung von Anpassung, Konformität,Resignation in der ungarischen Nach-Holocaust-Gesellschaft, 1955. Sein Drehbuch liest sich wie eine Art Handbuch der Erinnerung, es ist offen und manchmal verschmockt, ergeht sich in Vermutungen und gewinnt dadurch eine scharfe Präzision. Das Buch, der Roman des Schicksallosen, sagt sogar der Autor, drängt auf Verfilmung – weshalb er lieber gleich selber das Script verfasst hat. Ein wenig Erfahrung kann er vorweisen, er hat zum Broterwerb als Verfasser von Librettos und Lustspielen gearbeite.
„Das im Verstand angekommene Wirkliche ist schon nicht mehr Wirkliches. Unser Auge zu denkend, zu intelligent... Problem. Sehen machen, was du siehst, durch die Vermittlung einer Maschine, die es nicht sieht, wie du es siehst.” Einer der orakelhaften Sätze aus Bressons Noten zum Kinematographen. Bilder aus seinen Filmen kommen einem in den Sinn, wenn man das Buch von Kertész liest, und aus Filmen von Rossellini und Truffaut: der Franziskusfilm, Balthasar, die 400 Coups ... Am besten aber geht man gleich an den Beginn der Filmgeschichte zurück – liest die Heimkehr der Häftlinge als ein kleines Gegenstück zu einem der allerersten Filme überhaupt, „La sortie des usines Lumière à Lyon (Arbeiter verlassen die Fabrik)”.
Im Umgang mit dem fremden Medium hat Kertész eine Poetik seines Schreibens nachgeliefert – das Drehbuch ist ihm zur Poetik geraten, das Kino weist uns für die Heimkehr den Weg. „Der Junge trottet durch eine Nebenstraße. Heller Sommervormittag. Er schwitzt, ist müde. Über der Schulter der Reisesack. Auf einem Platz hält er inne. Er blickt sich um, orientiert sich. Schließlich entdeckt er ein verfallenes Kino. Nach ihm richtet er seinen Weg.”
FRITZ
GÖTTLER
IMRE KERTÉSZ: Schritt für Schritt. Drehbuch zum „Roman eines Schicksallosen”. Aus dem Ungarischen von Erich Berger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 184 Seiten, 9 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Fritz Göttler bespricht das Drehbuch des ungarischen Nobelpreisträgers Imre Kertesz, das dieser zu seinem eigenen Roman geschrieben hat. Er weiß, dass die "Profis" der Filmbranche gewöhnlich die "Nase rümpfen", wenn ein Außenstehender ein Drehbuch verfasst, schon gar, wenn es sich um die Adaption des eigenen Romans handelt. Der Roman, erinnert sich Göttler, hatte die Leser "verwirrt", weil er die "sunny side of life" im KZ darstellt. Der Autor schöpfe in seinem Filmscript die "Freiheiten" des Mediums Film aus und beuge sich gleichzeitig dem "Bilder-Verbot", das der Filmemacher Claude Lanzmann seit dem Film "Shoah" über den Holocaust verhängt hat. Der Rezensent hat das Drehbuch als eine Art "Handbuch der Erinnerung" gelesen und er lobt seine "Offenheit" und "Präzision". Er ist mit Kertesz einer Meinung, dass sich der Roman zur Verfilmung geradezu aufdrängt und er findet es in Ordnung, dass der Autor das Drehbuch gleich selbst geschrieben hat, zumal er, wie der Rezensent betont, durchaus schon Erfahrung beim Schreiben von Librettos und Lustspielen" gesammelt hat.

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