Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 4,00 €
  • Broschiertes Buch

Von Bonn nach Berlin, vom Gemeinsamen Markt zum politisch verfassten Europa, von der Machtpolitik zur Weltbürgergesellschaft - das sind die Stichworte für »Übergänge«, die Jürgen Habermas zu politischen Stellungnahmen herausgefordert haben. Den Hintergrund für diese Kommentare aus den letzten drei Jahren bilden Gedanken zu einem dynamischen Verständnis demokratischer Verfassungen, zu den symbolischen Ausdrucksformen des nationalen Selbstverständnisses und zu den religiösen Wurzeln modernen Bewusstseins.

Produktbeschreibung
Von Bonn nach Berlin, vom Gemeinsamen Markt zum politisch verfassten Europa, von der Machtpolitik zur Weltbürgergesellschaft - das sind die Stichworte für »Übergänge«, die Jürgen Habermas zu politischen Stellungnahmen herausgefordert haben. Den Hintergrund für diese Kommentare aus den letzten drei Jahren bilden Gedanken zu einem dynamischen Verständnis demokratischer Verfassungen, zu den symbolischen Ausdrucksformen des nationalen Selbstverständnisses und zu den religiösen Wurzeln modernen Bewusstseins.
Autorenporträt
Jürgen Habermas wurde am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.02.2002

Mit kritischen Augen
Jürgen Habermas distanziert sich von seiner Fangemeinde
Wahrscheinlich hätte Joschka Fischer ebenso gerne wie Johannes Rau die Laudatio auf den letztjährigen Träger des Friedenspreis des deutschen Buchhandels gesprochen. Dass schließlich aber weder der Bundesaußenminister noch der Bundespräsident den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas in der Frankfurter Paulskirche mit einer Rede gewürdigt hat, dürfte ein Verlust sein, den die Nation verschmerzen kann.
Allerdings trug so viel Zuwendung der Bundesprominenz dem Geehrten schon im Vorfeld der Preisverleihung die – vorsichtig gesagt – unfreundliche, in Wahrheit wohl boshafte Beobachtung ein, er sei der bundesrepublikanische Staatsphilosoph par excellance. Plötzlich wollten konservative Stimmen ausgerechnet im angefeindeten und gelegentlich gar geschmähten Gesellschaftskritiker Habermas den Hegel einer sozialdemokratisierten Bundesrepublik erkennen, der selbst angesichts des Balkaneinsatzes der Bundeswehr noch erkläre, das Wirkliche sei vernünftig und die Vernunft dank der rot-grünen Regierungsbildung wirklich geworden.
Ein flüchtiger Blick in die mittlerweile neunte Folge seiner „Kleinen politischen Schriften”, dieses Mal „Zeit der Übergänge” betitelt, hätte gezeigt, wie falsch das Porträt des emeritierten Philosophen als ergrautem Rechtshegelianer ist. Soweit hat sich Habermas von seinen Anfängen als Kritiker des Idealismus durchaus nicht entfernt. Zwar bekennt der Autor dieser zu ganz unterschiedlichen Anlässen verfassten, also stilistisch und in den Tonlagen durchaus heterogenen Texte, er betrachte den europapolitischen Stabwechsel von Kohl zu Fischer als einen „Glücksfall”. Ansonsten wartet der gute Europäer Habermas aber keineswegs mit Ergebenheitsadressen ans Bundeskabinett oder gar an die Realitäten der Jetztzeit auf. Viel zu ausgeprägt ist sein Sinn für die Ohnmacht des Sollens, um das Wünschbare – wie es Philosophen gerne vorgeworfen wird – mit dem Wirklichen zu verwechseln. Wahr ist vielmehr, dass er noch während des Wahlkampfes dem damaligen Kanzlerkandidaten ins Stammbuch schrieb, das Problem der Massenarbeitslosigkeit lasse sich mit den Instrumentarien der nationalstaatlich eingefassten Wirtschafts- und Sozialpolitik auf keinen Fall bewältigen.
Schwerhörige Konservative
Und wie recht Habermas mit seiner scharfen, vor mehr als drei Jahren geäußerten Kritik an neokorporatistischen Impulsen sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik hatte, lehrt das mittlerweile amtliche Desaster des „Bündnis für Arbeit”. Auf dieser Linie argumentiert er auch in dem nun wieder abgedruckten Interview, das nach Schröders Wahlsieg, also im Oktober 1998 in der Zeit erschienen war. Da fordert Habermas, dem Wirkungsverlust nationaler Politiken – unter dem Losungswort „Deregulierung” nur schlecht kaschiert – müsse eine Regenerierung politischer Steuerung auf transnationaler Ebene folgen.
Demgegenüber und im direkten Widerspruch zur Forderung nach Deregulierung sieht Habermas das rot-grüne Projekt, das der Wahlkampf unter den Stichworten „Modernisierung und soziale Gerechtigkeit” angepriesen hatte, in der „falschen Prämisse” begründet, „daß sich der angestrebte soziale und ökologische Umbau im nationalen Rahmen auf den Weg bringe ließe.” Überhaupt erweist sich Habermas’ Diagnose, wonach sich die Politik der Bundesrepublik auch nach dem Machtwechsel auf die Gegebenheiten der von ihm so genannten „postnationalen Konstellation” nicht einzustellen wisse, als der eigentliche Generalbass seiner Einsprüche.
Selbst wenn man also – wie etwa Arnulf Baring – behaupten wollte, die Mentalität der Bundesbürger sei im Übergang von der Bonner zur Berliner Republik als „linker Konservatismus” zu charakterisieren, so kann Habermas kein Sprachrohr solcher Einstellungen sein, denn eben dieser Konservatismus hat sich bisher nicht mit Vorschlägen zu Wort gemeldet, wie eine demokratisch legitimierte Machtausübung jenseits des Nationalstaates auszusehen habe.
Im Gegenteil: dieser Konservatismus ist gewöhnlich eher an der Intransigenz gegenüber einer solchen Fragestellung erkennbar. Euroskeptiker etwa finden sich ja nicht nur im rechten, sondern sehr wohl auch im linken Lager. Und muss noch daran erinnert werden, dass Joschka Fischer nach seiner Rede zu einer europäischen Staatenkonförderation Prügel von allen Seiten bezogen hat?
Farbenblinde Sozialdemokraten
Auch die mit dem Angriff auf Afghanistan unlängst wieder aufgeflammten innerdeutschen Pazifismusdebatten haben eindrucksvoll dokumentiert, welche Welten den Zeitgenossen Habermas, der Politik unter dem kosmopolitischen Horizont einer „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung” reflektiert, vom Provinzialismus angeblich linkskonservativer Milieus trennen. Um Habermas als deren intellektuelle Speerspitze zu identifizieren bedarf es schon einiger Kurzsichtigkeit und Farbenblindheit. An Auflösungsvermögen und analytischer Tiefenschärfe sind seine Befunde jedenfalls denjenigen noch immer überlegen, die Habermas partout als einen Meisterdenker der Sozialdemokratie denunzieren möchten.
Empfohlen sei die Habermas’sche Textsammlung auch jenen, die nach der Frankfurter Rede des Friedenspreisträgers – sei es irritiert, sei es triumphierend – vermerkten, Habermas habe alte metaphysik- oder religionskritische Positionen verlassen, indem er jetzt das Eigenrecht religiöser Überzeugungen herausstreiche. Ein wie reflektiertes Verhältnis das Habermas’sche Denken sowohl in seiner vernunft- wie in seiner gesellschaftstheoretischen Akzentuierung zur religiösen Überlieferung hat, ist in einem „Gespräch über Gott und die Welt” nachzulesen, das der Philosoph lange vor dem 11. September 2001 mit einem Vertreter der Befreiungstheologie geführt hat. Dort wird man überdies erfahren, dass Habermas einer Philosophie, die den „methodischen Atheismus” verabschiedet, allen „philosophischen Ernst” abspricht, sich gleichzeitig aber nicht dem Kommentar verschließt, seine eigene Konzeption der Sprache und des kommunikativen Handelns zehre vom „christlichen Erbe”.
Habermas zögert keinen Augenblick in dem „Telos der Verständigung”, das seine Sprachtheorie als das Ziel diskursiver Überprüfung fragwürdiger Geltungsansprüche erfasst hat, ein Erbe jenes christlich verstandenen Logos wiederzuerkennen, „ der sich ja (nicht nur bei den Quäkern) in der kommunikativen Praxis der Gemeinde verkörpert.” Welch verführerische Thematik ist da unserem protestantischen Staatsoberhaupt durch die Lappen gegangen? MARTIN BAUER
JÜRGEN HABERMAS: Zeit der Übergange. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 196 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Recht vehement verteidigt Martin Bauer in seiner Rezension Jürgen Habermas gegen seine falschen Freunde. Als solche hat er die deutsche Sozialdemokratie ausgemacht, die sich gerne mit dem Philosophen schmücke, ohne sich doch so recht darum zu kümmern, was er ihr ein ums andere Mal ins Stammbuch schreibt. Diese Einmischungen, die in diesem Band nach Anlass und Stil heterogener Texte zusammengefasst sind, haben, so Bauer, ihren "Generalbass" in der Insistenz auf der "Regenerierung politischer Steuerung auf transnationaler Ebene". Darin liegt, nach Ansicht des Rezensenten, ein entschiedener, noch dazu mit beträchtlicher "analytischer Tiefenschärfe" vorgetragener Widerspruch gegen den politischen Strukturkonservatismus der Sozialdemokraten. Auch Habermas' Verhältnis zum Christentum, warnt Bauer, ist um einiges komplexer, als die neuesten Umarmungen von rechts vermuten ließen. Den "methodischen Atheismus" lässt sich der Philosoph nicht abhandeln, während er das christliche Erbe seines "Telos der Verständigung" einräumt.

© Perlentaucher Medien GmbH