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"In Zeiten des religiösen Fanatismus und patriotischen Eifers plädiert Rushdie für die Freiheit des Gedankens und für mehr Spaß" (The New York Times)
Rushdies Schriften aus einem bewegten Jahrzehnt. Zu glanzvollen literarischen Essays fügen sich Texte über politische und gesellschaftliche Themen, namentlich zur Globalisierung und zum jüngsten Kräftemessen zwischen islamischer und westlicher Welt. Das Herzstück bildet "Werte der Menschheit", eine Auseinandersetzung mit dem 11. September und seinen Folgen, das politische Credo von Rushdies Schaffen. Sein Einsatz für die Freiheit, für die…mehr

Produktbeschreibung
"In Zeiten des religiösen Fanatismus und patriotischen Eifers plädiert Rushdie für die Freiheit des Gedankens und für mehr Spaß" (The New York Times)
Rushdies Schriften aus einem bewegten Jahrzehnt. Zu glanzvollen literarischen Essays fügen sich Texte über politische und gesellschaftliche Themen, namentlich zur Globalisierung und zum jüngsten Kräftemessen zwischen islamischer und westlicher Welt. Das Herzstück bildet "Werte der Menschheit", eine Auseinandersetzung mit dem 11. September und seinen Folgen, das politische Credo von Rushdies Schaffen. Sein Einsatz für die Freiheit, für die Freiheit der Meinungsäußerung und der Kunst, ist zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer für das Miteinander der Menschen und Kulturen. Neben bislang in Deutschland unveröffentlichten Texten aus den Zeiten der Fatwa, über Rushdies Leben im Untergrund, stehen leichthändig verfasste Glossen über das Fotografiertwerden, das Straußenzüchten, U2, das Arschloch des Jahres und nicht zuletzt darüber, wie der Grinch Amerika stahl.
Autorenporträt
Salman Rushdie, geboren 1947 in Bombay, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman 'Mitternachtskinder' wurde er weltberühmt. Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2008 schlug ihn die Queen zum Ritter. Salman Rushdie erhielt 2014 den Hans Christian Andersen Award und den PEN/Pinter Prize.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2004

Die Süße der öffentlichen Küsse
Vogelfreier Fußballfan und Apologet des Romans: Der Essayist Salman Rushdie
Im Februar 1999 konnte Salman Rushdie ein denkwürdiges Jubiläum feiern. Zehn Jahre war es her, dass der greise Ayatollah Khomeini, den eigenen Tod vor Augen, den Verfasser der „Satanischen Verse” für vogelfrei und seine Ermordung zur gottgefälligen Tat erklärt hatte. In einem Artikel beschrieb Rushdie nicht so sehr, wie es ihm gelungen war, die „Fatwa” ein ganzes Jahrzehnt zu überleben, sondern wie diese sein Leben veränderte. Er war nämlich gezwungen, zwei verschiedene Existenzen zu führen, und konnte sich nicht leisten, „eine davon zu verlieren, denn das wäre das Ende von beiden” gewesen. Also lebte der Autor im Widerspruch nicht nur zu den religiösen Fanatikern, die ihn jagten, sondern auch zu sich selbst, der er sich nach der ruhigen Arbeit am Schreibtisch sehnte und sich diese Sehnsucht nicht erfüllen durfte. Als Schriftsteller, den es drängt, sich auf sein eigentliches Metier zu konzentrieren und Romane zu schreiben, hat sich Rushdie also den politischen Zumutungen gestellt, denn „ignoriere ich sie (was ich nur zu gerne täte), muss es aussehen, als schwiege ich unter Zwang oder aus Angst”. Da ihm aber fortwährend politische Kommentare abverlangt wurden und er paradoxerweise zur öffentlichen Figur wurde, weil er untertauchen musste, droht die Welt ihn nicht mehr als den wahrzunehmen, der er war und sein möchte: ein Erzähler, der in seinen Romanen zwischen den Kontinenten, Kulturen und Zeiten hin und her springt und dabei eigenwillig Fakten und Fiktionen miteinander verbindet.
Der Mann in der Menge
Dass die islamischen Sittenwächter von einem Werk der Fiktion so aus der Fassung gebracht wurden, dass sie dem Verfasser nach dem Leben trachteten, mag für Rushdie tragisch und für jene, die sich der Gewalt des Dogmas wie dem Dogma der Gewalt nicht beugen wollten, eine Herausforderung gewesen sein. Unabhängig davon aber beweist die Fatwa etwas anderes: dass die Literatur auch heute noch eine Wirkung entfalten kann, die ihr - zumal im Westen - längst abgesprochen zu werden pflegt. Die Fatwa des obersten iranischen Geistlichen zeugt noch in ihrer geistlosen Wut davon, dass die Literatur eine gesellschaftliche Bedeutung hat, die ihr abzusprechen fast schon Common Sense der aufgeklärten Leute war. Folgerichtig verteidigt ausgerechnet Rushdie die Kunst des Romans leidenschaftlich gegen ihre Verächter; und damit sind nicht die Feinde des freien Wortes gemeint, nicht die Wächter religiöser oder politischer Zwangslehren, sondern jene westlichen Intellektuellen, die die „europäische Kunst des Romanschreibens” nicht mehr erklären können oder verteidigen wollen, sondern schlichtweg für überholt halten.
In seiner Apologie des Romans bezieht sich der indisch-britische Romancier auf Gedanken, die Milan Kundera zum Roman als genuin antitotalitärer und antidogmatischer Gattung des europäischen Individualismus entwickelt hat. Antitotalitär ist für Kundera schon die Form des Romans, in der das Individuum historisch erstmals zu sich findet und die Welt antidogmatisch unter vielerlei einander ergänzenden und korrigierenden Perspektiven betrachtet. Rushdie kritisiert namentlich den Meisterdenker George Steiner, der die Zukunft des Erzählens in der Reportage sieht, und den Nobelpreisträger V.S. Naipaul, der seine Ankündigung, keine Romane, sondern nur mehr Reiseberichte zu schreiben, freilich nicht wahr gemacht hat, sondern weiterhin Romane publizierte (ehe er kürzlich, in merkwürdiger Vergrämung, überhaupt seinen Rückzug aus der Welt der Literatur proklamierte). Steiner wie Naipaul würden nicht erkennen, dass der Roman, der „teils soziale Untersuchung, teils Fantasy, teils Beichte” ist, bereits jene „hybride Form” darstelle, die sie für die Zukunft der Literatur halten.
Einige der überzeugendsten Texte, die Rushdie in „Überschreiten Sie diese Grenze!”, der monumentalen Sammlung seiner Essays, Aufsätze, Kolumnen, Polemiken aus den Jahren 1992 bis 2002, vorlegt, sind Fragen der Kunst gewidmet. Etwa der einleitende Essay, in dem er den fernen Kindertag heraufruft, an dem er im Kino „Der Zauberer von Oz” gesehen hat, einen Film, in dem Märchen und Realität, Erfindung und Wirklichkeit zauberhaft in eins fallen - nicht anders, als später in Rushdies Romanen: „Als ich ,Der Zauberer von Oz‘ zum ersten Mal sah, machte das Erlebnis einen Schriftsteller aus mir.” Da gibt es warmherzige Nachrufe wie den auf die kauzige Autorin Angela Carter und Porträts älterer Kollegen. Zum 80. Geburtstag von Arthur Miller, der zeitlebens zugleich die individuellen Freiheiten verteidigt und die sozialen Missstände kritisiert hat, rühmte Rushdie dessen „doppeltes Beharren auf der Realität des Realen und auf der moralischen Funktion des Schreibens”, welches heute „wieder einmal so radikal wie in Millers Jugend” klingt.
Womit hat sich Rushdie in diesem für ihn so wechselvollen Jahrzehnt sonst noch beschäftigt? Begeistert vor allem mit der populären Kultur, gegen die er vom Sport bis zur Popmusik keinerlei elitäre Ressentiments hegt. In den „Notizen eines Fans” berichtet er von seiner Leidenschaft für den Fußball, die ihn immer wieder aus seinen einsamen Verstecken heraustrieb und in der Gemeinschaft von zehntausenden Besuchern des Wembley-Stadions untertauchen ließ. Ganz Mann der Masse, erzählt er auch vom Glück, ein Rolling-Stones-Konzert live mitzuerleben oder mit der Gruppe U2 zusammenzuarbeiten.
Indien als Realität und Vision, als Kindheitsbild und politisches Krisengebiet, als Heimat, die den Weltbürger bald lockt, bald abstößt, ist ein Lebensthema von Salman Rushdie, der 1947 in Bombay geboren wurde. Seine wohlhabenden muslimischen Eltern waren aus der Hauptstadt New Delhi geflohen, ehe dort nach der Teilung der einstigen britischen Kronkolonie in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan die Massaker an den Muslimen begannen. Bombay, dessen Lebendigkeit er in seinem ersten Roman „Mitternachtskinder” feiert, ist für Rushdie das Inbild der toleranten, liberalen Großstadt geblieben, während Indien selbst in seinen Augen nicht erst durch den Hindu-Nationalismus der letzten Jahre viele der Chancen verspielt hat, die sich dem Land einst geboten hatten. Radikale Kritik übt Rushdie, der in seiner Heimat nicht gerne gesehen wird und gleichwohl dem „Traum von der glorreichen Heimkehr” verfallen ist, an den Gründungsmythen Indiens.
Das beginnt schon bei Mahatma Gandhi, den er als höchst widersprüchliche Gestalt porträtiert: „Gandhi war fest entschlossen, das Leben eines Asketen zu führen, aber . . . es kostete die Nation ein Vermögen, Gandhi ein Leben in Armut zu ermöglichen.” Der Asket wünscht sich eine agrarisch geprägte Gesellschaft, deren Rhythmus von der Natur, dem Jahreskreislauf, der kargen Selbstversorgung des Dorfes bestimmt wird; finanziert wurde er jedoch von steinreichen Industriellen, denen er dafür dankbar beisprang, etwa wenn er Gewerkschaftern, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in den Betrieben seiner Finanziers wandten, einen seiner legendären Hungerstreiks androhte.
Indien ist ein Land mit vielen Sprachen; die indischen Autoren, die in den letzten Jahren weltweit erfolgreich waren, schreiben wie Vikram Seth, Rohinton Mistry, Arundhati Roy oder eben Salman Rushdie ausnahmslos auf Englisch. In die heftige Kontroverse, die darüber in Indien seit Jahren geführt wird, hat sich Rushdie mit provokanten Thesen eingeschaltet. Vor allem seine Behauptung, dass „Indiens beste Literatur seit der Unabhängigkeit vermutlich in der Sprache der abgereisten Imperialisten geschrieben” wurde, galt und gilt für skandalös. Rushdie plädiert dafür, die für den Entwurf einer weltoffenen indischen Identität so wichtige Frage nach der Sprache Indiens nicht fortwährend ideologisch zu beantworten oder gar als nationale Bewährungsprobe zu verstehen; vernünftiger wäre es, das schlichte Faktum zu akzeptieren, dass die Sprache der einstigen Kolonialherren mittlerweile zu einer von vielen indischen Sprachen geworden ist. Mehr noch, Rushdie weist den Verächtern des Englischen nach, dass selbst das Urdu - „meine eigene Muttersprache” -, welche nationalbewusste Politiker als verbindliche Literatursprache des Subkontinents inthronisieren möchten, „ursprünglich eine Einwanderersprache” war und aus der Vermischung der „mitgebrachten Sprache der Muslim-Eroberer und der einheimischen Sprache, die sie vorfanden”, entstanden ist.
Der Kolumnist und das Kosovo
Ein paar Jahre lang hatte Rushdie eine monatliche Kolumne in der New York Times. Eine Auswahl legt er in einem eigenen Abschnitt seiner gesammelten „Schriften” vor. In den Kolumnen erweist sich der Erzähler als eminent politischer Kopf, der sich über die Konflikte in Nordirland, Kaschmir, auf den Fidschi-Inseln oder im Kosovo gleichermaßen kundig macht und über Pinochet eben so Kluges zu sagen hat wie über die religiöse Rechte in den USA oder den Absturz der Concorde. Als ein linker Liberaler, der sich um die Freiheitsrechte des einzelnen sorgt, aber dabei nicht blind für die Überlebensprobleme von Hunderten Millionen auf unserer Erde ist, forderte er zum Millennium den vollständigen Schuldenerlass für die Länder der Dritten Welt; und zwei Jahre später, angesichts der Anschläge auf die Twin Towers, beschwor er eine demokratische Bewegung, die nicht nur gegen etwas zu kämpfen bereit ist, sondern sich vor allem dessen bewusst wird, wofür es sich einzustehen lohnt. Und wofür lohnt es? Für das „Küssen in der Öffentlichkeit, Schinkenbrote, Meinungsverschiedenheiten, neueste Mode, Literatur, Großzügigkeit, sparsamen Umgang mit Wasser, eine gleichmäßigere Verteilung der Ressourcen dieser Welt, Filme, Musik, Gedankenfreiheit, Schönheit, Liebe”.
In der Polemik, die in den Kolumnen gattungsgemäß nicht zu kurz kommt, schießt Rushdie gelegentlich übers Ziel, etwa wenn er im Mai 1999 darüber räsonniert, wer Anspruch auf den Titel „Der Trottel des Jahres” habe - Charlton Heston, der nach dem Blutbad in der Columbine High School die Bewaffnung der Lehrer verlangte, oder Peter Handke, der sich in die Dienste der serbischen Kriegspropaganda gestellt habe. Was er da gegen Handke ins Treffen führt, weiß er meist nur vom Hörensagen, bezieht er sich doch weniger auf das, was Handke - wie kritisierenswert auch immer - tatsächlich gesagt und geschrieben hat, als auf jene bizarren Meldungen, die eine bedenkenlos skandalisierende Presse daraus gemacht hat. Das ist bedauerlich auch deswegen, weil Rushdie sonst seriös zu recherchieren weiß.
KARL-MARKUS GAUSS
SALMAN RUSHDIE: Überschreiten Sie diese Grenze! Schriften 1992 - 2002. Aus dem Englischen von Gisela Stege, Barbara Heller und Rudolf Hermstein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 576 Seiten, 24,90 Euro.
Salman Rushdie 2002 in Vancouver, Canada
Foto: Christopher J. Morris / Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Salman Rushdie ist auf dem Weg zur "Ecoisierung", diagnostiziert Friedhelm Rathjen, schränkt aber sogleich ein, dass er anders als sein italienischer Kollege Umberto Eco zwar mittlerweile genauso virtuos über beinahe alles unter dem Himmel unterhaltsam schreiben könne, doch dabei nie die Ernsthaftigkeit seines Anliegens verrate. "Vor allem aber", schreibt Rathjen, "ist Rushdie nie unverbindlich, sondern bezieht dezidiert Stellung und engagiert sich pro und kontra - was mitunter nervig ist, aber allemal ein Gewinn". Beispiel Religion, Macht und Moral: Religiöse Eiferei, so Rushdie, hat mit Macht zu tun, nicht mit Moral. Und umgekehrt müsse man Moral mit Macht durchsetzen. Und: den "Unglauben" und damit "Verstand statt Dogma wählen". Rushdie äußert sich also klar und politisch, dennoch ist der Rezensent ein wenig enttäuscht, dass er sich viel weniger als früher für Literatur zu interessieren scheint, und dass die allermeisten der neunzig Texte Gelegenheitsarbeiten und damit zu sehr an einen Zweck gebunden sind, um weiter reichend zu wirken. Fazit: eine Sammlung für Fans.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Rushdies Wendungen und Worte sind stets amüsant. In diesem Band steckt beflügelndes Vergnügen.« New York Times Book Review