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Der sechsjährige Sol, die sechsjährige Erra: In wie unterschiedlichen Lebenswelten wachsen sie auf! Sol, verwöhnt, altklug und öfter im Internet unterwegs, als seine gluckenhafte Mutter erfahren darf, lebt in jenem Land, in dem «Gott mit Bush befreundet ist». Erra, das glückliche Mädchen mit der Wunderstimme, das in Trümmern spielt, salutiert noch vor Adolf Hitler. Erra ist Sols Urgroßmutter. Über Generationen sind die beiden verbunden, und dennoch liegt in dieser Genealogie ein unentdecktes Geheimnis vergraben. Was ist etwa mit dem hässlichen Muttermal an Sols Schläfe, das er sich…mehr

Produktbeschreibung
Der sechsjährige Sol, die sechsjährige Erra: In wie unterschiedlichen Lebenswelten wachsen sie auf! Sol, verwöhnt, altklug und öfter im Internet unterwegs, als seine gluckenhafte Mutter erfahren darf, lebt in jenem Land, in dem «Gott mit Bush befreundet ist». Erra, das glückliche Mädchen mit der Wunderstimme, das in Trümmern spielt, salutiert noch vor Adolf Hitler. Erra ist Sols Urgroßmutter. Über Generationen sind die beiden verbunden, und dennoch liegt in dieser Genealogie ein unentdecktes Geheimnis vergraben. Was ist etwa mit dem hässlichen Muttermal an Sols Schläfe, das er sich wegoperieren lässt? Was mit dem grenzenlosen Hass seines Vaters? Niemand setzt sich auf dieselbe Weise an den Tisch der Geschichte, und Lüge, Untreue und Verrat bestimmen die Art, wie sie in dieser Familie von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es bleibt den aufmerksamen Kindern überlassen, die Brüche und Verwerfungen in den Erzählungen ihrer Eltern zu deuten. Und so, mit Hilfe ihrer klaren, nur scheinbar naiven Stimmen führt uns Nancy Huston über vier Generationen und durch mehrere Kontinente ins Zentrum des diesem Roman zugrunde liegenden Rätsels. «Ein winziger Makel» ist ein spannendes, raffiniert und originell konstruiertes Buch, zeitkritisch, politisch, aber auch sehr intim und berührend.
Autorenporträt
Nancy Huston, geb. 1953 in Calgary/Kanada lebt seit 1974 in Paris und hat mehrere preisgekrönte Romane veröffentlicht. 2015 wurde sie mit dem International Literary Grand Prix ausgezeichnet
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2008

Stiege abwärts in die Vergangenheit
Nancy Hustons „Ein winziger Makel” stellt den Familienroman auf den Kopf
Dieser Roman funktioniert so, als würde man eine Treppe rückwärts hinab steigen: die oberste Stufe vor Augen, eine Hand am Geländer, sich vorsichtig tiefer tastend, mit einem undeutlichen Gefühl dafür, wie viel Abstand zwischen den einzelnen Stufen liegt. Gleich vier Generationen bringt Nancy Huston in ihrem Familienpanorama „Ein winziger Makel” aufs Tapet. Sie erzählt die Geschichte von hinten, operiert mit vier verschiedenen Ich-Erzählern und katapultiert uns jedes Mal in die Kindheit der Protagonisten zurück. Den Auftakt bildet im Jahr 2004 der sechsjährige Sol, der mit seinen Eltern in Kalifornien zu Hause ist. Gemeinsam mit Großmutter und Urgroßmutter tritt die Familie eine Reise nach Deutschland an. Die zweite Episode spielt 1982 und wird von Sols Vater Randall erzählt. Randall lebt in New York und zieht wegen eines Forschungsprojekts seiner Mutter für einige Zeit nach Israel um. Der dritte Teil ist im Jahr 1962 angesiedelt; hier steht Randalls Mutter Sadie im Mittelpunkt, die bei ihren Großeltern in Kanada aufwächst, bis ihre Mutter heiratet und Sadie mit nach New York nimmt. Den Schlussakkord bildet Sadies Mutter Kristina, genannt Erra. Sie befindet sich 1944 in einer deutschen Kleinstadt und wird nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von einem kanadischen Ehepaar adoptiert.
Die verwandtschaftlichen Verbindungen klingen verwirrender, als sie sind. Der jeweilige Erzähler gibt die Richtung vor, ordnet die Geschehnisse und eröffnet dem Leser verschiedene Lebenswelten: von der ehrgeizigen kalifornischen Mittelschicht über New Yorker Intellektuelle und Bohemiens bis zu einer deutschen Mitläufer-Familie ist alles vertreten. Außerdem erzeugt Huston einen kuriosen Verfremdungseffekt: Noch bevor wir die Akteure von innen kennenlernen und in ihr Kinder-Ich hineinschlüpfen, sind wir ihnen bereits als Erwachsene aus der Perspektive ihrer Kinder begegnet. Auf diese Weise gewinnt das Muster der familiären Beziehungen erst nach und nach an Präzision. Durch die umgedrehte Chronologie ist der Leser gezwungen, die Querverbindungen und Kontinuitäten innerhalb der vier Romanteile selbst herzustellen. Genau diese tastende Rückwärtsbewegung ist der Kniff von „Ein winziger Makel” und entspricht dem Anliegen Hustons: verschüttete Erfahrungen zu Tage zu fördern.
Die Vervierfachung des Erzählers, die Umkehr der Zeitenfolge und die über den Globus verstreuten Handlungsorte sind für Nancy Huston, 1953 in Kanada geboren, in den USA aufgewachsen, seit den siebziger Jahren in Paris beheimatet und für „Ein winziger Makel” mit dem Prix Femina ausgezeichnet, offenbar das strukturelle Rüstzeug, um der komplexen Thematik ihres Romans gerecht werden zu können. „Ein winziger Makel” kreist nämlich um Judentum und Kindsverschleppungen während des Dritten Reichs. Vor allem die erwachsene Sadie, mit einem jüdischen Mann verheiratet und besessen vom Nationalsozialismus, steigert sich in die Herkunftsfrage hinein: Ihre Mutter schweigt sich über ihre Kindheit aus. Geschickt lässt Huston die Handlungsfäden auf dieses Schweigen zulaufen und macht es zu einem spannungsschürenden Element – erst ganz zum Schluss klärt sich das Geheimnis.
Alles wird weitergegeben
Das, was in den letzten Jahrzehnten auf theoretischer Ebene unter dem Begriff „transgenerationelle Traumatisierung” vielfach diskutiert wurde – die Übertragung erlittener, unverarbeiteter Verletzungen auf die nachwachsende Generation –, wird hier zum Kern einer Geschichte. Wie tief die Angehörigen einer Familie miteinander verbunden sind, spiegelt Huston in einem kleinen Motiv: in dem titelgebenden Muttermal, dem „winzigen Makel”, dem sichtbaren Erbe. Der blonden, blauäugigen Erra-Kristina wird das Muttermal beinahe zum Verhängnis, weil es nach der nationalsozialistischen Rassenlehre als Makel gilt. Sie deutet es als Glücksbringer um. Dass ausgerechnet Sols Mutter diesen Makel operativ beseitigen lassen will, was zu ungeahnten Komplikationen führt, bekommt eine symbolische Bedeutung.
Rassenlehre, Nationalsozialismus, Judentum, Deutschland heute und während des Dritten Reichs, die USA heute und in den sechziger Jahren, Israel und der Libanonkrieg, ist das nicht ein bisschen viel für einen 360-seitigen Roman? Nancy Huston bewerkstelligt den eigenen Anspruch ganz gut. Sie rettet sich über die virtuose Konstruktion und den Trick mit der Kinderperspektive, was sie davor schützt, die Geschehnisse übermäßig aufzuladen. Jeder Hauch von Pathos wird durch den erfrischenden Blick der Sechsjährigen sofort zerstreut. Sol zum Beispiel ist ein ausgekochtes Biest: Seiner Mutter spielt er den Modell-Sohn vor, aber heimlich surft er im Internet und zieht sich Pornos und Guantanamo-Bilder rein. In ihren besten Momenten erinnern Hustons respektlose Ich-Erzähler an Jonathan Safran Foers großmäuligen Ukrainer aus „Alles ist erleuchtet”, auch wenn Foer literarisch viel mehr zu bieten hatte und für die jüdische Vergangenheit eine überraschende Erzählform fand. Abgesehen davon mag bei deutschen Lesern eine gewisse Übersättigung eingetreten sein: Der Nationalsozialismus hat in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anders als in Frankreich seit vielen Jahren Hochkonjunktur. Da müsste schon etwas anderes kommen.MAIKE ALBATH
NANCY HUSTON: Ein winziger Makel. Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Claudia Steinitz. Rowohlt Verlag, Hamburg 2008. 368 S., 19,90 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zufrieden zeigt sich Maike Albath mit Nancy Hustons weit ausholendem Familienroman "Ein winziger Makel". Im Blick auf die thematische Vielfalt des Romans - es geht um Rassenlehre, Nationalsozialismus, Judentum, Deutschland heute und während des Dritten Reichs, die USA heute und in den sechziger Jahren, Israel und den Libanonkrieg - könnte man auf die Idee kommen, das Buch sei überladen. Doch Albath zerstreut diesen Eindruck und bescheinigt Huston, ihr anspruchsvolles Vorhaben gut umgesetzt zu haben. In diesem Zusammenhang lobt sie insbesondere die komplexe Erzählform, den souveränen Einsatz der Kinderperspektive der vier Ich-Erzähler und die "virtuose Konstruktion" des Romans. Pathos und eine zu starke Aufladung der Geschehnisse werden ihres Erachtens damit vermieden. Bisweilen fühlt sie sich bei Hustons Ich-Erzählern an Jonathan Safran Foers großtuerischen Ukrainer aus "Alles ist erleuchtet" erinnert. Dabei verhehlt sie nicht, dass Foer in ihren Augen "literarisch viel mehr zu bieten" hat.

© Perlentaucher Medien GmbH
'Ein winziger Makel' ist eine sehr schöne Symphonie des Bösen. Sie besingt das Leiden der Welt in einem universellen Gesang. Le Figaro Littéraire