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Eine Meisterin des Erzählens in jeder Form
Mit Du stirbst nicht, ihrem ausgezeichneten Roman über die Rückkehr ins Leben nach einer Hirnblutung, hat sich Kathrin Schmidt ein großes Lesepublikum erobert. Mit dem darauf folgenden Gedichtband Blinde Bienen hat sie die literarische Kritik begeistert, und nun folgt ein spätes Debüt: Finito. Schwamm drüber. ist ihr erster Band mit Erzählungen.Und auch diese sind von besonderer Qualität und einer beeindruckenden Vielfalt, sowohl im Ton als auch in den Themen und Perspektiven. Sie spannen den Bogen von der Zeit des geteilten Deutschlands bis in die…mehr

Produktbeschreibung
Eine Meisterin des Erzählens in jeder Form

Mit Du stirbst nicht, ihrem ausgezeichneten Roman über die Rückkehr ins Leben nach einer Hirnblutung, hat sich Kathrin Schmidt ein großes Lesepublikum erobert. Mit dem darauf folgenden Gedichtband Blinde Bienen hat sie die literarische Kritik begeistert, und nun folgt ein spätes Debüt: Finito. Schwamm drüber. ist ihr erster Band mit Erzählungen.Und auch diese sind von besonderer Qualität und einer beeindruckenden Vielfalt, sowohl im Ton als auch in den Themen und Perspektiven. Sie spannen den Bogen von der Zeit des geteilten Deutschlands bis in die Gegenwart, führen in Familien und Singlehaushalte, zeigen starke Frauen in schwachen Momenten und Männer, die nie so stark geworden sind, wie sie sich immer empfanden. Dabei beweist Kathrin Schmidt, wie groß das Repertoire ihrer erzählerischen Mittel ist und wie nah sie damit ihren Figuren kommen kann. Aus der Epikerin, die mit bildmächtiger Sprache und oft langen, kunstvoll gebauten Satzgefügen den Leser mitreißt, ist eine Meisterin der Verknappung geworden. Der Leser findet sich sofort in einer Szene, einer Stimmung, einem Konflikt - und geht mit.Titel wie Laubers Lachen, Der Kirschgott oder Frau Ypsi und Herr Lon zeigen, dass eines in jedem Fall nicht zu kurz kommt: der Humor.

Autorenporträt
Schmidt, KathrinKathrin Schmidt, geboren 1958 in Gotha, arbeitete als Diplompsychologin, Redakteurin und Sozialwissenschaftlerin. Sie erhielt für ihre literarischen Arbeiten zahlreiche Preise, darunter den Leonce-und-Lena-Preis 1993. Ihr 1998 erschienener Roman »Die Gunnar-Lennefsen-Expedition« wurde mit dem Förderpreis des Heimito-von-Doderer-Preises und dem Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1998 ausgezeichnet. Für ihren Roman »Du stirbst nicht« erhielt sie 2009 den Preis der SWR-Bestenliste und den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschien ihr Gedichtband »waschplatz der kühlen dinge« (2018).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2011

Landschaften blühen hier nicht

Kein Pessimismus ohne tiefere Wurzeln: Mit Lakonie und Sprachkraft zeigt Kathrin Schmidt sich in ihrem neuen Erzählband "Finito. Schwamm drüber" auf der Höhe ihres Könnens.

Von Hans-Jürgen Schings

Auf engstem Raum und mit unerbittlicher Konsequenz so viel Unheil wie möglich anzurichten, das ist die Sache der literarischen Kurzgeschichte. So jedenfalls will es ihre schwarze Variante und deren grandioser Patron Ambrose Bierce, dessen unvergleichliche Katastrophen blitzartig dafür sorgen, dass dem Leser Sehen und Hören vergeht. Benötigt werden dazu die Qualitäten der Moralisten, eine gehörige Portion Pessimismus und formaler wie intellektueller Witz. Da beides nicht leicht zu haben ist, muss man sich meist mit glimpflicheren Versionen begnügen.

Kathrin Schmidt verfügt über das erforderliche Rüstzeug und gehört deshalb in die Gattungslinie der strengen Observanz. Schade deshalb, dass sie ihre Kurzgeschichten ein wenig kompromisslerisch als "Erzählungen" tarnt. Tatsächlich genügen ihr durchweg sechs bis acht Seiten, um eine Geschichte in Gang und zum vorwiegend bösen, immer aber frappierenden Ende zu bringen.

Katastrophen liegen ihr, doch nicht immer muss es katastrophal zugehen. So werden Etüden eingestreut, in denen der Witz proverbial wird und ganzen Sprichwörtern zur Anschauung verhilft. Wie die Katze um den heißen Brei schleicht - so wirbt hier ein Jüngling um eine Pizzeria-Schöne, bis er die Umworbene mit dem "Katzenspeck" nach Hause führen und dafür die Katze aus seinem Hausflur verschwinden kann ("Heißer Brei"). Auch wie man sich jemanden "vorknöpft", kann man ganz wörtlich nehmen ("Ein Tag, ein Knopf"), desgleichen die Metapher "bestricken", wenn man eine Strickmaschine, einen "Ganzkörperstrampler" und einen anfangs entsetzten Ehemann zur Hilfe nimmt ("Am roten Faden").

Auch sonst macht sich gern sprachspielerischer Spaß geltend. Dass Frau Ypsi und der vietnamesische Herr Lon in der gleichnamigen Geschichte aufgrund einer noch so zufällig aufgefischten Heiratsannonce zueinander und ihr Glück finden, verdanken sie natürlich ihren Namen. Auch kommt es vor, dass vermeintlich schlimme Befunde ins Gegenteil verkehrt werden - während besorgte Nachbarn regelmäßig das Weinen einer vereinsamten Frau an deren "Weintag" zu vernehmen glauben, trainiert die gezielt für einen "Lachklub" ("Warum weinen Sie mittwochs?"). Nicht immer trifft also das Schlimmste zu. Zu den lustigen Einsprengseln gehören auch manche Sprachgewitztheiten, darunter die Vorliebe für das semantische Zeugma, seit Jean Paul eine Lieblingsfigur der Humoristen: "Sein Geld war ausgegangen. Bis dahin auch er, sehr oft mit seiner Frau, nur, dass sie immer wieder heimkehrten in ihre kleine Altneubauwohnung." Doch das sind Lockerungsübungen, die für Abwechslung sorgen. Dem Trend von Kathrin Schmidts Erzählungen können sie wenig anhaben.

Der trägt die Farbe Grau, überzieht die Welt dieser Geschichten wie mit einem Schleier und ist zuständig für einen Pessimismus, mit dem sich nicht mehr scherzen lässt. Licht und Farben, schönes Wetter oder die Sonne kommen nicht vor, Landschaften selten, blühende schon gar nicht; die Welt ist eng und östlich; Kreuzberg gilt als exotisch-verworfener Platz, die einzige Erzählung, die im Süden spielt, leidet an der Hitze dort; ansonsten Wohnkombinate, Gartenkolonien, Reihenhäuser, Vorstadtsiedlungen, sich aufrappelnde Kleinstädte ("Anklam"), ein schattenhaftes Ambiente mit dem dazu passenden Personal. Es dominieren Frauen im Alter zwischen etwa vierzig und sechzig; die jüngeren bilden die Ausnahme, und die älteren sind noch schlimmer dran, eine wahnsinnige Großmutter etwa, ekelhaft, stinkend; ferner Obdachlose, Verwahrloste, Asylanten. Einer der Männer trägt durchgehend den schönen Namen "Grund ihres Wunsches, die Welt zu verlassen". Die Frauen, oft dezent schriftstellernd tätig, sonst in der Regel arbeitslos, leiden an ihren Familien, an den Kindern, die sie, wenn sie Chloe und Phoenix heißen, "meine Ösen" nennen, am Einkaufen ("Kartoffeln und Klopapier") und Haushalten. Man erfährt, was sie aus ihren Kühlschränken holen und zubereiten. Ihre Geschichten spielen an Geburtstagen, an "Niemandstagen" (wo die familiären Pflichten suspendiert sind), auf Ausflügen. Stets bringen sie ganze Biographien "auf den Punkt", nicht selten mit jähem und tödlichem Ende. "Du stirbst nicht" (2009) lautet der Titel des eindrucksvollen und hochdekorierten Roman-Protokolls von der Genesung nach schwerem Zusammenbruch, das Kathrin Schmidt einem größeren Publikum bekannt gemacht hat. "Du stirbst" ist die Devise ihres neuen Bandes; sie gehört zur schwarzen short story und entsteigt einem depressiven Untergrund.

Kein Pessimismus ohne tiefere Wurzeln. "Überhaupt - hatte die Erfahrung des Verschwindens, ohne von der Karte getilgt zu werden, nicht vor dem Platzen des Aneurysmas, vor der Dunkelpause, über allem gehockt wie ein Bussard, bereit, jederzeit nach Beute zu schnappen?" So formuliert es der Genesungs-Roman und lässt die Zusammenhänge zwischen Krankheit und Verschwinden der DDR immerhin ahnen. Die Erzählungen warten mit ähnlichen Andeutungen auf, nicht eifernd und rechthaberisch, sondern fast schon zaghaft, ja verdruckst; sie zucken förmlich zusammen, wenn an das Trauma gerührt wird, das die hier tonangebende Generation mit sich herumträgt.

Da ist das alte Ehepaar, das einer grünen Witwe auffällt, "Geschlagene", wie sich herausstellt. Sie sind Ärzte, die sich "nachwendlich" zur Ruhe gesetzt haben, Mitglieder der gleichen Parteigruppe wie die Schwiegereltern, die nichts davon verlauten lassen, "über die Maßen gebeutelt" von der "Übergangszeit" - gemeint sind die Monate "zwischen Grenzöffnung und Vereinigung" -, mit plötzlichem Apoplex damals die Frau und einseitiger Erblindung der Mann. "Beinahe dankbar schienen sie, aber wem?, dass das vermeintliche Unglück damals über sie hereingebrochen war. Sie hätten in Watte gepackt verharren dürfen, bis die neuen Zustände sich einpegelten." Dann gehen sie in die stille Opposition und hoffen das gleiche von den alten Genossen; "sicher seien die treuen Seelen noch immer so rot wie damals, was?" ("Zwielichte Zeiten"). Da sind, auf einem Ausflug zu viert ("Quadrigaflitz" heißt das hier), drei Frauen, die, beim Verzehr von "Schwedeneisbechern, wie früher", die "letzten fünfzehn Schrumpfjahre" vergessen und sich in die vierzig davorliegenden zurückfallen lassen. "Nein, sie hätten nicht gelitten damals", sagen sie, eine "Zuträgerin" von damals - die Staatssicherheit war "die notwendige Überwachung Bekloppter" -, und eine einstige "Parteimieze", und bejahen wohlgemut die Frage "Haben wir leiden lassen?" ("Tadeusz. Punkt.").

Am weitesten geht die Erzählung "Der Kirschgott", vielleicht das beste Stück der Sammlung. Sie stammt aus der Erinnerung an die Zeit, "da ich tagein, tagaus mit nichts anderem befasst schien als ein gutes ostdeutsches Kind zu sein . . . mit einem scharfen Knoten im Halstuch, mit staatstreuen, fröhlichen Eltern und einem Apfel, dick und rot, zu einem guten Butterbrot in der ledernen Mappe", und handelt von der Geschichte des Lehrers Barz, der eines Tages statt der üblichen Stoffpuppe im Kirschbaum hängt. Barz mit der dicken, fröhlichen Frau und den schielenden, lachfrohen Kindern hatte zehn Jahre in Bautzen eingesessen und sich mühsam von den "eigenen Irrtümern" zum "überzeugten Anhänger der staatlichen Ordnungen" bekehrt, so jedenfalls schien es, bis die Sache mit der Tschechoslowakei passierte.

Erst jetzt, nach zwanzig Jahren, beginnen die Leute über den seinerzeit Beschwiegenen zu sprechen. "Im Inneren seien sie staatsfern und bitter geblieben, die staatstreuen, fröhlichen Eltern von einst . . . Der Knoten im Halstuch der Kinder keineswegs scharf, sondern von klug versteckter Schlaffheit über die Jahre der Kindheit getragen." Ingrimmig und lakonisch, ohne Kommentar, doch mit von Bitterkeit geschärfter Sprachkraft zeigt sich die Erzählerin Kathrin Schmidt hier auf der Höhe ihres Könnens.

Kathrin Schmidt: "Finito. Schwamm drüber". Erzählungen.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 238 S., geb., 17,95 [Euro]..

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2011

Wer hat den Kirschengott ins Geäst gehängt?
Hier sitzt dem scheinbar gewöhnlichen Leben das Exzentrische im Nacken: Kathrin Schmidts traurige und witzige, groteske und elegische Erzählungen „Finito. Schwamm drüber“
Zu den vergnüglichsten literarischen Spielen gehören diejenigen, bei denen vollkommene Willkür und einfache Regel sich wechselseitig beflügeln. Aus fünf, sechs zufällig zusammengewürfelten Wörtern sollen die Mitspieler eine Geschichte von nicht mehr als 500 Worten erfinden. Oder es sind wörtlich genommene Metaphern in Erzählungen zu verwandeln: jemandem auf den Zahn fühlen, aus einer Mücke einen Elefanten machen, aus dem letzten Loch pfeifen.
Wer solche Spiele mit Kathrin Schmidt spielt, der muss sich warm anziehen. Denn sie ist darin sehr, sehr gut. Daran lässt der Erzählband „Finito. Schwamm drüber“ keinen Zweifel, den die 1958 in Gotha geborene Autorin jetzt veröffentlicht hat, ob sie sich darin einen Tag, der wie jeder andere scheint, vorknöpft, um ihn zu einem erotischen Abenteuer zu machen, ob sie eine Ehefrau ihren Mann bestricken lässt oder ob sie die Vorgabe, aus Frau Ypsi und Herrn Lon ein Paar zu machen, so souverän erfüllt, dass die aus einem Sprachspiel geborenen Figuren leibhaftige Existenzen zu sein scheinen.
Kathrin Schmidts Roman „Du stirbst nicht“ (2009), für den sie den Deutschen Buchpreis erhielt, war, außer dass er von einer Ehe, vom Abhandenkommen eines Mannes in einer Frau und vom Abhandenkommen der DDR handelte, auch die Geschichte der Rückkehr einer Kranken in die Sprache, die sie verloren hatte. Redewendungen und markante Wortbojen trugen sehr dazu bei, dass der Sprachfluss wieder in sein Bett fand. Und in ihrem Gedichtband „Blinde Bienen“ (2010) spielen „landname“ und „landnahme“ Bäumchen-verwechsel-dich und geht „vokalise“ einkaufen.
Dieses Ausloten der deutschen Sprache, die Neigung, Doppelbedeutungen nachzulauschen und Redewendungen auf den Grund zu gehen, begegnet in den hier versammelten Erzählungen, die über einen Zeitraum von gut fünfzehn Jahren entstanden sind, auf Schritt und Tritt. Es steht dort, wo in der „short story“, das Auslassen und Weglassen steht, das berühmte „Lakonische“.
Zwar gibt es auch hier den trockenen Ton, die Folge knapper Sätze, den Schein von Alltäglichkeit: „Ich grinste. Sie grinste zurück“. Aber andauernd sitzt dem scheinbar gewöhnlichen Leben das Exzentrische im Nacken, und eine eben noch zugeknöpfte Kellnerin findet sich unversehens in der Wohnung ihrer Kundin wieder, wo sie mehr als nur ihre Kellnerinnenschürze aufgeknöpft hat. Oder in der Kehle eines so unheilbar wie aussichtslos in seine Schwester verliebten Bruder halten sich der hölzerne Nachklang seiner Sprechstimme und die Schönheit seiner Singstimme so lange in Schach, bis in einem Café das Lied „Horch, was kommt von draußen rein“ aus ihm herausbricht.
Auf der Tonspur dieser Erzählungen tauchen die Lieder, auch Kirchenlieder wie „O Haupt voll Blut und Wunden“ so auf, wie sie im Theater in Inszenierungen von Christoph Marthaler auftauchen, als nahezu figürliche Mitspieler, die auch dann tonangebend sind, wenn sie eine Melodie nur leise andeuten und dann ersterben lassen. Dieses Herstellen von Echoräumen beherrscht Kathrin Schmidt in einer Vielzahl von Tonarten, und nie bescheidet sie sich mit einem vielsagenden, auf eine höhere Bedeutung schielenden Ungefähr.
Ihre Figuren sind ungemein irdisch, erdnah, körperlich. Sie schwitzen und husten, ölen sich ein oder verwahrlosen, paaren sich, wenn es sein muss hastig, lecken sich die Finger oder beobachten über viele Zeilen hinweg, wie sich eine Zunge im Mund bewegt. Und wie ihre Körper der Gravitation und dem Verfall unterworfen sind, so gibt es für sie auch kein Entkommen aus ihren Familien und der Geschichte, und da sie kaum einmal hinauskommen aus Deutschland, ist es die deutsche Geschichte.
„Immer, wenn die Schatten kurz waren und die Zeit lang wurde, legte sich Brigitte Bambosa in den Liegestuhl in der hintersten Ecke des Gartens.“ So beginnt die Erzählung „Zwielichte Zeiten“. Sie gewinnt ihre Handlung wie viele dieser Geschichten aus der Unterbrechung oder Aufkündigung von Routinen, und der Anfangssatz wird sein Versprechen einlösen. Die Gewohnheit wird sich als Langeweile entpuppen, die Langeweile wird vertrieben werden, und am Ende wird alles wieder sein wie am Anfang.
Nur wird zwischendurch die Erinnerung an einen Sommertag des Jahres 1989 aufgetaucht sein, als in der DDR zwei befreundete Ehepaare vor dem Fernseher saßen und das eine Paar fassungslos sah, wie die chinesische Armee die Studenten angriff und das andere Paar empört sah, wie die Konterrevolutionäre die Armee angriffen. Und am Ende der Erzählung „Der Kirschgott“ hängt ein Lehrer, der 1956 aus Bautzen entlassen wurde und 1968 erfährt, dass in der Tschechoslowakei „eine Art Krieg“ ausgebrochen sei, im Geäst, „mit offenen Augen, der Zukunft zugewandt“.
Die Titelerzählung handelt von der schwierigen Ansiedlung eines desertierten Offiziers der jugoslawischen Armee im vereinigten Deutschland. „Finito. Schwamm drüber“ ist nicht nur ihr Titel, sondern auch ihr Schlusssatz. Das ist kein Zufall. Keiner der letzten Sätze trumpft in diesen Geschichten mit dem Pathos des letzten Satzes auf, alle aber lohnen es, ihnen nachzusinnen.
In einem nimmt eine tote Mutter den Platz auf einer Bank ein, auf der sie zu Lebzeiten saß, in anderen werden Paare, die sich auf groteske Weise gefunden haben, in eine unbekannte Zukunft entlassen, und einmal führt das Heraustreten aus einer geometrisch abgezirkelten Existenz tatsächlich bis nach Afrika. Denn zu den Wiedergängern der Geschichte gehören hier auch jene verwaisten Kinder aus Namibia, die Anfang der 1980er Jahr in der DDR eine Elite-Erziehung erhalten sollten und 1990 zurückgeschickt wurden. Herr Lauber, nach 1989 nicht ärmer geworden, macht sich auf zum „Ossi-Club“ in Namibia: „Den Nachbarn hat er gesagt, die Sommerfrische rufe. Sein Lachen hallt in ihren Ohren nach.“
Das Schicksal hat in diesen Erzählungen ausgespielt, das Winken mit symbolischen Zaunpfählen vermeiden sie auch dort, wo eine Großmutter von dem schönen Land unter Wasser phantasiert, das ihr gehört. Wohl aber gibt es das Unabänderliche, an dem ein Leben zerbrechen kann, wie den Verkehrsunfall, der eine Mutter dazu bringen kann, ihr Kind zu verwünschen: „Wenn es tot wäre wie Jos, hätte ich einfach sterben können.“
Traurig und witzig, versponnen und grausam, grotesk und elegisch sind diese Erzählungen. Denn Kathrin Schmidt beherrscht die Kunst, mit der Sprache zu spielen, ohne das Gewicht der Worte zu mindern.
  LOTHAR MÜLLER
KATHRIN SCHMIDT: Finito. Schwamm drüber. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer&Witsch, Köln 2011. 238 Seiten, 17,95 Euro.
Manchmal brechen in diesen
Erzählungen aus den Figuren
Lieder heraus, wie bei Marthaler
Kathrin Schmidt, geboren 1958 in Gotha, hat mit ihrem Roman „Du stirbst nicht“ den Deutschen Buchpreis 2009 gewonnen. Jetzt zeigt sie, dass sie auch eine Meisterin der kurzen Erzählung ist.
Foto: Thomas Lohnes/dapd
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mitten hinein in die verschatteten Existenzen heutiger Glückssucher befördern Kathrin Schmidts Erzählungen Jürgen Verdofsky. Der Rezensent staunt über die schlafwandlerische Zielsicherheit, mit der die Figuren in diesen Texten auf Talfahrt gehen beziehungsweise  geschickt werden. Dabei registriert er bei ihnen sowohl das "Verlangen nach großen Taten", "kleine Freuden", "Scham und Schuld", als auch die großen geschichtlichen Zusammenhänge, die sich für Verdofsky in den Biografien begreifbar spiegeln. Obwohl die Texte unterschiedliche Entstehungsdaten tragen (manche gehen zurück auf die Zeit vor Schmidts Erfolgsroman "Du stirbst nicht" von 2009, wie Verdofsky anmerkt), scheinen sie dem Rezensenten ästhetisch aus einem Guss und sämtlich mit nachhaltiger Wirkung.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Kathrin Schmidts Erzählungen sind Poesie gewordene Betrachtungen der bundesdeutschen Gesellschaft, sie sind politisch von Bedeutung und große Literatur« Süddeutsche Zeitung 20111212