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Die literarische Entdeckung: Verena Roßbachers schillernder Debütroman über Klara und ihre Männer
Hierher kommen sie alle: Das Kaffeehaus Neugröschl zieht die Originale der Stadt besonders an, obwohl oder gerade weil der Inhaber es nach Gutdünken öffnet und schließt und auch gern mal zur Autowerkstatt erklärt. Seine Aushilfskellnerin Klara, das geheimnisvolle Zentrum des Romans, fasziniert die unterschiedlichsten Männer und bewirkt die erstaunlichsten Metamorphosen.
Am Anfang steht ein klassischer Konflikt: Der Erfinder und Vabanquespieler Roth hat wieder eine brillante Geschäftsidee in
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Produktbeschreibung
Die literarische Entdeckung: Verena Roßbachers schillernder Debütroman über Klara und ihre Männer

Hierher kommen sie alle: Das Kaffeehaus Neugröschl zieht die Originale der Stadt besonders an, obwohl oder gerade weil der Inhaber es nach Gutdünken öffnet und schließt und auch gern mal zur Autowerkstatt erklärt. Seine Aushilfskellnerin Klara, das geheimnisvolle Zentrum des Romans, fasziniert die unterschiedlichsten Männer und bewirkt die erstaunlichsten Metamorphosen.

Am Anfang steht ein klassischer Konflikt: Der Erfinder und Vabanquespieler Roth hat wieder eine brillante Geschäftsidee in den Sand gesetzt und braucht eine neue Identität. Vor allem aber kann er sich nicht abfinden mit dem Freund seiner Tochter Klara, einem Gärtner, der auch noch vegetarisch lebt. Während Roth sich als Grün neu erfindet, erlebt Valentin Kron mit Klara eine Zeit des Glücks, der abrupte Ernüchterung folgt, als Klara das Interesse an ihm verliert und sich dem Cellisten Stanjic zuwendet. Stanjic, ein Großstadtcowboy, brütet über einer Schubert-Interpretation, betreibt nebenher einen Plattenladen und muss sich ebenfalls bald mit Klaras Wankelmütigkeit abfinden. Zu Klaras weiteren Erwählten und Verlassenen gehören der Steinesammler, Florist und Universalautodidakt Lenau und der Pianist für Bar und Orchester Wurlich. Alle frequentieren das Neugröschl, einige kennen sich persönlich, und alle treffen am Ende aufeinander - allerdings ohne Klara. Und alle faszinieren durch Eigensinn, ausgefallene Interessen und charakterliche Unausgewogenheiten.

Verena Roßbacher besitzt Phantasie, Fabulierlust, sprachliches Feingefühl und derben Humor - und geizt nicht damit. Sie fesselt den Leser mit einer Geschichte, die um Liebe, Entwicklung und Verwandlung kreist, und mit ihrer Fähigkeit, die Figuren durch ihre Sprache kenntlich werden zu lassen. Klara und ihre Männer lassen den Leser so schnell nicht mehr los.
Autorenporträt
Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz/Vorarlberg, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 'Mon Chéri und unsere demolierten Seelen' ist nach ihrem Debüt 'Verlangen nach Drachen' (2009), 'Schwätzen und Schlachten' (2014) und 'Ich war Diener im Hause Hobbs' (2018) ihr vierter Roman bei Kiepenheuer & Witsch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2009

Ja, ist denn schon wieder Frühling, oder was?

Die Liebe ist ein schönes Ungeheuer: Verena Roßbacher hat ein im Wortsinne fabelhaftes Romandebüt geschrieben.

Von Richard Kämmerlings

Mit Gerüchen fängt es an, und mit Gerüchen hört es auf. Was nur? Vielleicht nicht "die Liebe", bestimmt jedoch die erotische Anziehung, die man damit verwechseln kann. Jedenfalls können Gerüche der Anfang vom Anfang und dann auch vom Ende sein. "Was für ein Geruch - Ich weiß doch auch nicht, Feld, Heide, Valentin, eine Mischung aus allem Möglichen." Das ist nicht zu verstehen, gerade weil damit alles gesagt ist: "Sie hat immer gesagt, ich würde riechen wie Feld und Heide, sagte Kron, das klang schön, ich dachte, sie mag das." Gerüche im Präteritum aber haben ihren Zauber schon verloren: "Mochte ich auch. Vergiss es einfach, ich weiß nicht, was das ist auf einmal."

Verena Roßbacher, Jahrgang 1979, demonstriert in ihrem Debütroman, dass "einfach" zu vergessen das Schwerste überhaupt ist. "Verlangen nach Drachen" ist ein Buch über das Aufhörenmüssen und das Nichtaufhörenkönnen, über das ganz banale Ende von Gefühlen, die doch das ganz und gar Unbanale, das Anti-Banale sein sollten. Was ist das Gegenteil von banal? Das Besondere, das Kostbare, das Heilige, vielleicht am besten: das Ungeheuerliche. Von Monstern ist in diesem Buch viel die Rede. Wer das Banale verabscheut, der wird ganz von selbst ein Verlangen nach Drachen verspüren.

Der Roman ist als Reigen angelegt, als Reigen von Klaras Männern. Sie ist das märchenhaft-utopische Weibswesen, um das die Herren vom Schlage des nach Feld und Heide duftenden Müslimannes Valentin Kron kreisen wie die Motten ums Licht. Während fast unmerklich einige Jahre ins Land gehen (die Verunklarung der Zeitstruktur ist Absicht), liebt Klara. Sie verliebt und entliebt sich und hinterlässt, selbst anscheinend unbehelligt, ein Trümmerfeld an Gefühlen, Bildern, Souvenirs. Da Klara selbst stets nur im Blick der Verlassenen erscheint, verzerrt sich ihre Gestalt ins Mythische. Sie ist mal Undine, mal Lolita, mal Lulu, mal männermordendes Biest und mal Unschuld vom Lande, mal Urbild erotischer Reize, mal die klare Stimme der Vernunft inmitten einer vor Verzweiflung rasenden Männerschar.

Die eigentümliche Atmosphäre des Romans ist, und schon das verleiht ihm in der oft uniform-realistischen Gegenwartsliteratur die Aura des Besonderen, der Wiener Literatur der Zwischenkriegszeit entlehnt, ein bisschen "Die Blendung" und ein bisschen Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", wie überhaupt die szenenartige Abfolge des grotesken Geschehens etwas Theatralisches hat. Auch Gert Jonke oder Urs Widmer (und, natürlich, Georg Büchner) sind Vorbilder. Handlungsort ist ein typisiertes, seltsam geschichtsloses Wien mit Fleischerei, Blumenladen, Kaufhaus, Gärtnerei und vor allem einem Wirtshaus, dem "Neugröschl", dessen Personage unterjocht wird von einem canetti-artig verzerrten Wirtsmonster, das seine Gäste züchtigt, falls sie sich über das ungenießbare Essen beschweren.

Im ersten Kapitel wird der Neugröschl von Klaras Vater aufgesucht, der nach einer fatal gescheiterten Geschäftsidee die Rache seiner Kunden fürchtet und die Identität wechseln will - nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Aus Roth wird Grün. Dieser Grün hatte sich darauf verlegt, alte, wertvolle Geigen zu "verbessern", indem er ihnen einen Pilz "aus der Gruppe der Moderfäule-Erreger" einsetzte, um Dissonanzen im Holz zu bekämpfen. Nun hat der Hochstapler die Instrumente auf dem Gewissen und macht sich davon - wie seine Tochter die Männer wechselt er die Namen. Zugleich ist Grün der Erste in der Reihe der von Klara Verlassenen, er leidet wie ein Hund unter ihrer Beziehung zum "Weichling" Kron, gegen den er handgreiflich wird, woraufhin Klara endgültig die Zelte abbricht. Im Wahn stapft der Vater über Stock und Stein und sucht seine verlorene Tochter. "Grün hörte vom Wald einen Kuckuck rufen, einmal, zweimal, er kriegte sich gar nicht mehr ein. Aber das war ja wohl Unfug, es war ja wohl kein Frühling, oder was."

Missverständnis als Erzählform.

Verena Roßbacher ist eine Meisterin solcher schleichenden Übergänge von der Normalität in komplette Verwirrung. Dazu setzt sie mit großer sprachlicher Könnerschaft die personale Perspektive und den Inneren Monolog ein, so dass kein Blick von außen auf die autistischen Figuren fällt. Weil die innere Logik der Handlungen verdeckt bleibt, wird das groteske Missverständnis zur vorherrschenden Erzählform, in der sich so die Kommunikationsstörungen der Liebenden spiegeln.

Grandios komisch ist die Szene, wenn der liebeskranke und geistig verwirrte Cellist Stanijc (Krons Nachfolger) im Kaufhaus eine ganze Batterie hochmoderner Eiswüfelbehälter ersteht, weil er jedes daheim aufgefundene Haar der Geliebten einzeln einfrieren will. "Die Verkäuferin schichtete die zehn Eiswürfelbehälter auf den Verkaufstisch, verdeckte die Messer, Hulesch und Quenzel wünscht ihnen viel Freude damit, sagte sie strahlend, nahm eine der größten Papiertüten aus dem Regal und packte alles ein, jetzt im Frühling nimmt man doch ganz gerne mal einen kühlen Drink zu sich."

Doch das Glück, und sei es der Duft der Haare der Geliebten, lässt sich nicht einwecken. Gerüche sind auch der Anfang der Erinnerung - und somit von Literatur. Dazu wäre es hilfreich, sie konservieren oder nach Belieben künstlich erzeugen zu können, so wie einst Prousts Erzähler mit Gebäck in Lindenblütentee. Doch wie die Liebe nicht festgehalten werden kann, zerrinnt auch die Erinnerung daran. "Man kann den Schnee nicht denken, es gibt keinen anderen Zustand, der das Gefühl ersetzt, das man hat, wenn es schneit." Genau an diesem sprachskeptischen Paradox arbeitet sich Verena Roßbacher ab und verhandelt so nebenbei Wittgensteinsche Fragen. Ihr Roman liefert Fragmente einer Sprache des Verlusts. Unter Walen, heißt es einmal, seien jedenfalls durch die Störung der Niederfrequenztöne im Ozean die "großen Liebesgeschichten vorbei".

Die einzelnen Kapitel funktionieren als Porträts von Männern am Rande des Nervenzusammenbruchs, doch im Fortgang der Lektüre entsteht ein ungemein dichte Netz von Figuren, Motiven, Symbolen, das selbst fast schon einem paranoiden Beziehungswahn ähnelt, in dem alles mit allem zusammenhängt: die Farbe (und der Name) Grün, die Blumen, die Tiere, die Musik und eben die Düfte. Lenau, einer der Liebhaber, ist Alchemist und Sammler von magischen Kristallen, mit deren Kraft sich alle Lebenssituationen meistern lassen. Zugleich ist er auf der Jagd nach urzeitlichen Viechern, dem Lindwurm, dem Ungeheuer von Loch Ness, den Drachen. Es sei ein alter Glaube, sagt Lenau einmal, "dass das Erscheinen von Chimären - wie übrigens auch Ungeheuern - einen Wechsel der Zeiten anzeigen."

Über Klara, die im "Neugröschl" kellnert, sagt der Wirt, dass sie einen gewaltigen Appetit habe. Von einer Sättigung, einem Abklingen des Begehrens, will sie nichts wissen: "Ich will aber den Rausch, ich will, dass er immer ist", sagt sie zu Lenaus flehentlicher Mahnung, dass man für die Liebe nach der ersten Phase der Verliebtheit "etwas tun" müsse. Verhält sich also einer, dem das Gute nicht reicht, wie Vater Grün, der eine Stradivari mit Akupunktur "verbessern" will? Wird die Frau, die in der Liebe nach Vollkommenheit strebt, zwangsläufig zum männerverschlingenden Monster? So sind die Drachen nicht nur das Symbol für den Zeiten- (also Partner-)wechsel, sondern auch für eine neue Chance auf dauerhaftes Glück, für das Versprechen einer Ewigkeit. Dieser Chimäre jagen alle Figuren Roßbachers mit jeder Trotzfaser ihrer Seele nach.

In den letzten beiden Kapiteln wendet sich das Blatt: Plötzlich ist Klara die Verlassene und sucht einen Ton für ihr Schicksal; zugleich tritt ein ziemlich unwahrscheinliches Paar auf, das eine "Lösung" vorstellt. Über den Realismus dieses Ausgangs mag man geteilter Meinung sein, beziehungsweise darüber, ob die Autorin nicht nur ein weiteres fabelhaftes Mischwesen auftischt, einen Glücksdrachen, den es geben muss, weil es uns alle so sehr danach verlangt. Einig aber dürfte man sich über die Tatsache werden, dass hier ein ganz und gar ungeheuerliches Buch vorliegt.

Verena Roßbacher: "Verlangen nach Drachen". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 448 S., geb. , 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Selten hat man sich in der neueren Literatur so gut unterhalten," feiert Rezensent Jochen Jung den Roman der jungen Österreicherin Verena Roßbacher, den er für einen Erstling zudem ziemlich umfangreich findet. Oberflächlich gesehen gehe es um eine junge Frau namens Clara und ihr Liebesleben, und zwar aus der Sicht des davon irritierten Vaters, in dessen Reflex sich wiederum die naive Sicht der Tochter auf die Männer spiegelt. Daraus aber entspännen sich zahllose weitere Geschichten und Einlassungen, denen Jung mit dem größten Vergnügen folgt, auch in die Abgründe der Sehnsucht aller Zivilisation nach ihrem Gegenteil, die das heimliche Thema dieses Buches ist. Immer wieder begeistert ihn dabei der höchst eigene Witz dieser Autorin, der sich, so Jung, auch vor der Klamotte nicht scheue, den er aber meist aus einem komplexen Sprachempfinden erwachsen sieht. Besonders das "überaus schräge" fünfte Kapitel hat es Jung angetan, eine "komisch apokalyptische Szenerie, mitreißend, hinreißend, herzzerreißend".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2009

Das unfehlbare Gespür für den Falschen
Tante Jolesch lebt noch: Verena Roßbachers selbstbewusster Debütroman „Verlangen nach Drachen”
Es wäre dann doch zu schön gewesen, um wahr zu sein, dass eine Debütantin, Absolventin des Leipziger Literaturinstituts, gleich eine Figur erfindet wie den diktatorischen Kaffeehauswirt Neugröschl, der seine Gäste züchtigt, sein Lokal nach Belieben für geschlossen erklärt oder zur Autowerkstatt umwidmet, und der auch sonst alle Züge eines angeschrägten, abgefeimten Wiener Originals trägt. Aber wer nicht zufällig ein Interview mit Verena Roßbacher gelesen hat und sich bei Friedrich Torberg nicht so gut auskennt, dürfte kaum argwöhnen, dass Neugröschl aus dessen „Tante Jolesch” entlehnt wurde, wo er unter anderem den unsterblichen Satz prägte: „Was ein Kompott ist, bestimme ich.”
Verena Roßbacher, vor dreißig Jahren in Vorarlberg geboren, in Österreich und der Schweiz aufgewachsen, hat jenen altwienerischen Ton an der Abbruchkante zum Wahnsinn mit großem Feingefühl adaptiert, was ihren Roman „Verlangen nach Drachen” als buntschillernden Exoten aus dem Grau deutschsprachiger Erstlinge heraushebt. Auch die Titel-Drachen sind ausgeliehen, in diesem Fall von Heimito von Doderer.
Eine der Hauptfiguren wiederum trägt, zumindest vorübergehend, den illustren Schriftstellernamen Roth. Die Vorbilder sprechen für sich – und doch überwiegt der Eindruck, dass hier eine Nachwuchsautorin ungewöhnlich selbstbewusst und zielsicher ihren eigenen Weg beschritten hat, nach der Devise: „Was ein Roman ist, bestimme ich.”
Sieben Episoden kreiseln um eine junge Wienerin namens Klara, Tochter des besagten Roth, der sich alsbald Grün nennt, weil seine eigenwilligen Geschäftsideen – dazu gehören beispielsweise Akupunkturbehandlungen für historische Violinen – von Zeit zu Zeit einen Identitätswechsel erfordern. Klara ist, wie ihr Name nahelegt, ein reines Wesen und mithin eine geräumige Projektionsfläche für Männerträume.
Nur in der Perspektive ihrer wechselnden Liebhaber, zu denen im übertragenen Sinne auch ihr Vater zählt, nimmt sie überhaupt Gestalt an, und da es sich bei diesen Herren ausnahmslos um phantasiebegabte und verhaltensauffällige Individuen handelt, setzt der Liebesreigen eine Flut von Bildern und Einbildungen, Aus- und Abschweifungen, abstrusen Palavern und grotesken Szenen frei, in der literarische Referenzen als fröhliches Treibgut tanzen.
Den Pflanzen Mozart vorspielen
Der alternative Gärtner Valentin Kron konserviert Kleintiere in Spiritus, ist aber ansonsten eine Seele im Schafspelz, zu ernst und gefühlig für Klara. Der ziemlich durchgeknallte Cellospieler David Stanjic sammelt einzelne Haare der Geliebten und friert sie in Eiswürfelbehältern ein, hat indes wenig Gespür für Takt und Melodie der Liebe. Alexander Lenau heißt ein Florist, Steinkundler und Experimentator, der seinen Pflanzen Mozart vorspielt und einiges über die Musik der Sphären weiß, jedoch Klaras Verlangen nach dem nie endenden Rausch nicht stillen kann.
Auch Konrad Wurlich, Barpianist mit extravaganter Frisur, ist nicht der Richtige, und so heiratet Klara, mit unfehlbarem Gespür für den vollends Falschen, den Dirigenten Theo Barnabas, der sie unglücklich macht. Dann sind da noch Helmut Teupel, Privatdozent für Paläontologie, und seine couragierte Gattin Josefine – ein Paar, dessen seltsames Verhältnis laut Kapitelüberschrift „Die Lösung” darstellt, was aber in diesem an Rätseln reichen Figuren-Panoptikum kaum noch verwundert.
Das Begreifen der Zusammenhänge fördert übrigens, wenn man dem Fossilien-Experten Lenau glauben darf, der versteinerte Archaeopteryx: Er ist das Sinnbild der „Idee an sich”, das „Mysterium der denkenden Wesen”. Die Kernfrage lautet: „Wie kommt das gänzlich Neue in den Kopf des Denkenden?” Oder auch: Wie kommen all diese Einfälle in den Kopf der Frau Roßbacher? Während Klara, inzwischen Mutter eines Kindes, im fernen Tokio den Verräter Barnabas mit komisch klischeehaften Vorwürfen und Anklagen überschüttet, deckt in Europa der Jahrhundertorkan Kyrill, wir schreiben 2007, die Dächer ab. Im Hause Teupel, wo die Gastgeberin, von der Sehnsucht nach ungezügeltem Wachstum gepackt, eine „erstaunliche florale Entwicklung” eingeleitet hat, steigt unterdessen die Erdbeersaftparty: In einer atemberaubenden Häufung skurriler und surrealer Situationen dürfen Klaras Verflossene und ihr Vater, der sich jetzt Monsieur Vert nennt, ihre Eigenarten noch einmal ungehemmt ins Spiel bringen. Draußen tobt der Schneesturm, man trinkt auf Mozart, und „Frau Teupel wirbelte an Verts Arm, drehte drehte drehte sich, bis alles verwischte, Augen Blumen Haare, schillernd in den Hüften.”
An diesem Punkt hat sich aber für den Leser schon vieles verwischt, und die Romanhandlung ist überwuchert von Verena Roßbachers Erzählsprache, die abwechselnd als florales Ornament und als reptilienhaftes Schlängeln daherkommt, die manchmal böse glitzert und dann wieder musikalisch sich wiegt.
Bewundernswert ist, wie die Autorin bei aller Neigung zum Anarchischen, die sie mit ihrem Personal teilt, stets die Fäden in der Hand und die Form im Blick behält. Leicht überkonstruiert wirkt das Ganze noch hier und da, ein wenig überfrachtet mit Anspielungen, Korrespondenzen und Bildungsbrocken. Aber vielleicht braucht Verena Roßbacher nur die Obhut der Literaturinstitute zu verlassen, um ihre Erfindungen mit noch leichterer Hand zum Leben zu erwecken. KRISTINA MAIDT-ZINKE
VERENA ROSSBACHER: Verlangen nach Drachen. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 444 Seiten, 19,95 Euro.
Würden in Gasthäusern nur Speisen aufgetischt, und nicht auch Geschichten, um wie vieles ärmer wäre dann die Literatur! Foto: Alimdi.net / Alfred Schauhuber
Verena Roßbacher Foto: Ekko von Schwichow
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»Die eigentümliche Atmosphäre des Romans verleiht [ihm] die Aura des Besonderen. [...] Einig [...] dürfte man sich [...] werden, dass hier ein ganz und gar ungeheuerliches Buch vorliegt.« Richard Kämmerling FAZ