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"Warten ist eine Zumutung. Und doch ist es das Einzige, was uns das Nagen der Zeit fühlbar und ihre Versprechen erfahrbar macht." In unendlich vielen Formen sind wir, meistens überraschend, dem Warten ausgeliefert: Wir warten auf den anderen, auf eine Antwort, auf den Richtigen, auf den Befund, auf eine Nachricht, auf das Ende der Schmerzen, auf die Sportergebnisse, auf das Ende des Regens, auf den nächsten Tag, auf die Geburt des Kindes ... Das Warten ist eine Herausforderung. Im Aufgabenheft der verplanten Stunden die leere Seite, die es zu füllen gilt.

Produktbeschreibung
"Warten ist eine Zumutung. Und doch ist es das Einzige, was uns das Nagen der Zeit fühlbar und ihre Versprechen erfahrbar macht." In unendlich vielen Formen sind wir, meistens überraschend, dem Warten ausgeliefert: Wir warten auf den anderen, auf eine Antwort, auf den Richtigen, auf den Befund, auf eine Nachricht, auf das Ende der Schmerzen, auf die Sportergebnisse, auf das Ende des Regens, auf den nächsten Tag, auf die Geburt des Kindes ... Das Warten ist eine Herausforderung. Im Aufgabenheft der verplanten Stunden die leere Seite, die es zu füllen gilt.
Autorenporträt
Andrea Köhler wurde 1957 geboren und hat Philosophie und Germanistik studiert. Sie ist Redakteurin der Neuen Zürcher Zeitung und lebt als Kulturkorrespondentin in New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2007

Der Januskopf des Adventskalenders
Ein Essay von Andrea Köhler über das Warten
Ist Warten überhaupt ein Thema? Warten ist das Erlebnis der Zeit als solcher, ein Motor, der leerläuft, ohne etwas antreiben zu dürfen. Warten ist so lästig, so nichtig, so ganz ohne etwas, das bloß ihm gehörte. Wer vom Warten reden will, tut gut daran, sein Thema zu umkreisen, mehrmals anzusetzen, verschiedene Perspektiven zu eröffnen, denn an einen eigentlichen Kern dieser dicht nebelhaften Sache wird er nicht gelangen.
Genau dies unternimmt Andrea Köhler. Ihren Essay hat sie in der „Bibliothek der Lebenskunst” bei Insel veröffentlicht; das gibt ihm seinen pragmatischen, gelassenen Duktus vor. Kein Zweifel, eine Lebenskunst, die diesen Namen verdient, muss sich auch mit dem Warten auseinandersetzen. Manche Leute werden nie krank, aber dass einer gar nicht hätte warten müssen, davon hat man noch nicht gehört. Darin gleicht es dem Tod, als dessen Abglanz und Vorübung man es wohl bezeichnen darf.
Andrea Köhler also macht sich nicht an eine Definition, sondern entwirft situative Vignetten, von denen jede schon den Keim eines weiteren Essays in sich trägt, welcher dann zum Beispiel heißen könnte „Über das Telefonieren, einst und jetzt”, „Über das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Eisenbahn”, „Über das Rauchen und seine Gebärden”. Während alle Welt damit beschäftigt ist, sich im Geist des Prohibitionismus immer noch strengere Verbote für die vermaledeiten Raucher auszudenken, hängt Andrea Köhler den kleinen, das Warten strukturierenden Aktionen nach, die sich einst aus dem schlanken Stängel und seiner Handhabung ergaben.
Einsamer Wolf, blasierte Frau
„Wie viel Zeit ging einmal auf das Konto jener genussbesetzten Minuten, in denen man sich eine Zigarette ansteckte – oder anzünden ließ –, frivol vergeudete Zeit, die man einfach in blauen Dunst aufgehen ließ. Das immer auch flirtanfällige Ritual, das dem einsamen Wolf und der blasierten Frau gleichermaßen gut zu Gesicht stand, ist inzwischen zu einer Pausengeste des letzten Jahrhunderts mutiert, von der nur ein paar verschämt zusammengeduckte Gestalten übriggeblieben sind, die frierend auf dem Balkon oder vor den Türen eines Bürogebäudes herumstehen.” Wenn man das so liest, erfasst man die eingetretene Verarmung: Verlorengegangen ist die Facon des Zwischenraums, verloren sind die darin gestisch angesiedelten Rollenfiguren des Herrn und der Dame. Jammerschade! Und man fragt sich, was die Nichtraucher bloß mit der vielen Zeit anfangen, die sie länger leben dürfen.
Dieser Essay tut, was seiner offenen Form am meisten entspricht: Er regt dazu an, ihn fortzuspinnen. Zum Warten ließe sich, genau weil es ein Nichts zu sein scheint, Unendliches sagen; was in der Literaturgeschichte denn auch geschehen ist. Wenn man gegen den anmutigen Gang dieses Buchs eines einwenden kann, dann am ehesten, dass es sich in etwas arg kurzzügiger Folge auf seine Vorgänger beruft, auf Foucault und Beckett und Baudelaire und Goethe und Flaubert und Handke und Johann Peter Hebel und noch dreißig weitere. Das ist ein bisschen viel für ein Bändchen von hundert Seiten; es fehlt dabei etwas, das beim Warten schlechterdings nicht entbehrt werden kann: Geduld.
Außer dieser liegen dem Warten ganz offenbar zwei andere Affekte nahe, der Ärger und die Angst. Der Rezensent wäre, hätte es an ihm gelegen, wahrscheinlich eher dem Ärger nachgegangen. Für Andrea Köhler steht jedoch die Angst im Mittelpunkt, und damit die Liebe. Hier folgt sie den Spuren von Roland Barthes, der erklärt hatte: Der Liebende ist der Wartende – der Wartende ist der Liebende. Das Buch trägt die auf den ersten Blick kryptische, auf den zweiten aber sonnenklare Widmung: „Für den Einen und die, die mich als erste warten ließ”. Das kann nur die Mutter sein.
Herr der Wiederkehr
Am ausführlichsten von allen Gewährsleuten geht die Autorin auf Sigmund Freud und dessen Schrift „Jenseits des Lustprinzips” ein, worin das „Da-Fort”-Spiel eines eineinhalbjährigen Kindes geschildert wird. Das Kind verbirgt eine Garnspule erst, um sie dann durch einen Ruck am weghängenden Bindfaden „wiederzufinden”, viele Male hintereinander. So, indem es sich zum Herrn der Wiederkehr aufschwingt, tröstet es sich über die Abwesenheit der Mutter. Alle Beklemmung des Wartens, so Freud, so Barthes, so Köhler, hat ihre Wurzel in der Panik, es könnte womöglich die Mutter für immer wegbleiben.
Das Warten hat etwas tief Ambivalentes. Köhler verdeutlicht es an einem scheinbar harmlosen Kindheits-Accessoire: „Wie ja auch der Adventskalender das Warten mit der Versuchung und dem Verbot liiert und, falls die Versuchung stärker ist, (die Türchen gleich alle zu öffnen, die Päckchen zu plündern), zu der bitteren Einsicht verhilft, dass, wer nicht abwarten kann, sich selbst beraubt.” In dem, was sich als idyllische Feier der Vorfreude ausnahm, lässt Andrea Köhler plötzlich das Antlitz frühen Leids und einer abgefeimten Pädagogik hervortreten. An dem einen Satz hat man erst mal reichlich Stoff zum Nachdenken. Und solche Sätze stecken viele in dem Buch! BURKHARD MÜLLER
ANDREA KÖHLER: Lange Weile. Über das Warten. Bibliothek der Lebenskunst. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007, 104 Seiten, 15 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit hohem Lob bedenkt Kurt Flasch diese Meditationen über das Warten von Andrea Köhler. Die bekundete Absicht der Autorin (und NZZ-Korrespondentin), der Pause, dem Warten, der Langsamkeit auch eine erfreuliche Seite abzugewinnen, hält er für zu bescheiden. Er sieht in dem Buch mehr den Versuch einer "Selbstvergewisserung des Menschen als eines wartenden Wesens" und einen "philosophischen Traktat" über menschliche Zeiterfahrung. Etwas später relativiert er letztere Einschätzung, scheint ihm das Buch für einen Traktat doch zu individuell, zu konkret. Köhlers transparenten theoretischen Überlegungen folgten nämlich immer "Intermezzi", in denen ein - fiktives - Ich von Warteschleifen des Büros und der Liebe, des Märchens und des Schlafs erzähle. Brillant findet Flasch, wie die Autorin die Ambivalenz, die Zweideutigkeit des Wartens aufrecht erhält. Beeindruckt hat ihn zudem die kundige, feinsinnige Darstellung. Sein Fazit: ein Buch von "hoher Intelligenz" und "seltener Schönheit".

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