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Im ersten Winter nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich eine illustre Gesellschaft aus Diplomaten und Honoratioren regelmäßig im Palmenhaus einer nordeuropäischen Hauptstadt ein - angezogen von Blüten bei Kerzenlicht, vor allem aber von Wärme. Denn das Palmenhaus gehört zu den wenigen öffentlichen Orten, die beheizt werden. Leon, der Kurator des Hauses, überwacht die bunten Schmetterlinge, gibt Auskunft, hält sich am Rand. Nur mit einer ostasiatischen Schönen redet er oft und lang. Sie erinnert den Einzelgänger an Kou Min, ein Mädchen aus dem Fernen Osten, die dem verwaisten Jungen im Troß…mehr

Produktbeschreibung
Im ersten Winter nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich eine illustre Gesellschaft aus Diplomaten und Honoratioren regelmäßig im Palmenhaus einer nordeuropäischen Hauptstadt ein - angezogen von Blüten bei Kerzenlicht, vor allem aber von Wärme. Denn das Palmenhaus gehört zu den wenigen öffentlichen Orten, die beheizt werden. Leon, der Kurator des Hauses, überwacht die bunten Schmetterlinge, gibt Auskunft, hält sich am Rand.
Nur mit einer ostasiatischen Schönen redet er oft und lang. Sie erinnert den Einzelgänger an Kou Min, ein Mädchen aus dem Fernen Osten, die dem verwaisten Jungen im Troß eines Meeresforschers über den Weg lief. Es war Liebe auf den ersten Blick, die unerfüllt noch immer in ihm rumort.
In seiner Einsamkeit spricht Leon mit den Pflanzen - und die mit ihm. Einmal rettet er einen Zigeunerjungen von 'draußen' und nimmt ihn zu sich, heimlich, in den Heizungsanbau. Er liebt den Sprachlosen, den er Felix nennt, er benutzt ihn. Am Ende, bevor er in ein Krankenhaus ein gewiesen und bevor die Zukunft des Botanischen Gartens, der mitten in der Stadt auf bestem Bauland liegt, besiegelt wird, rächt der Gerettete sich schrecklich. Eine Tamarinde, Leons Lieblingsbaum, spricht den Nachruf.
Autorenporträt
James Hamilton-Paterson, 1941 in London geboren, Oxfordabsolvent und Mitglied der Royal Geographical Society, renommierter Journalist, Sachbuchautor, Lyriker und Romancier, schreibt u. a. für die "Sunday Times", das "Times Literary Supplement", den "New Statesman" und für die Schweizer "Weltwoche". Er lebt als freier Schriftsteller in Italien und auf den Philippinen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2003

Kaspar Hauser
im Palmengarten
James Hamilton-Patersons
Roman „Nachtblüte”
Eine Tamarinde hat das Schlusswort. Sie spricht schon zu Beginn des Romans. Nur seine Hauptfigur, der Gärtner im Palmenhaus einer nördlichen Hauptstadt, kann sich mit ihr und den anderen Pflanzen unterhalten. Doch „Nachtblüte”, der neue Roman von James Hamilton-Paterson, ist nicht nur ein eigenwilliges neuromantisches Traumbuch, das mit der Aufhebung der Grenzen zwischen Mensch und Natur spielt. Die erzählte Geschichte ist zeitlich präzise situiert: Der Gärtner heißt Leon, er ist 1913 geboren, der Hauptteil des Romans spielt ein Jahr nach Pearl Harbour, in einem namenlosen Land, das von den Deutschen besetzt war.
Leon hat das riesige, kathedralengleiche Palmenhaus der Hauptstadt im letzten Jahrzehnt als Kurator betreut. Angefangen aber hat er als Hilfsarbeiter aus der Provinz. „Stellen Sie sich einen Jungen an einem grauen, nördlichen Meer vor, eine entfernte Gestalt, deren neutrale Farben mühelos mit der Landschaft verschmelzen. Seine verblichene Drillichhose, mit getrockneten und welligen Fischschuppen bedeckt, hat das silbrige Blaugrün der Stranddistel, die in den Dünen verstreut in Büscheln wächst. Sein Haar hat das melancholische Gelb des Meerfenchels, der in Mulden und Spalten vom Wind geschüttelt wird.”
Hamilton-Patersons Sprache ist von einer mimetischen, anschmiegsamen Genauigkeit, die dem Leser scheinbar mühelos sinnliche Erfahrungen vermittelt. Nur Leon selber wird nicht glücklich mit Meer und Landschaft. Er ist zu allein. Von einem Vater ist nicht die Rede, seine Mutter sieht der Fünfjährige eines Morgens mit ihrem Fahrrad über den Polderdeich ins Dorf fahren. Stunden später kommt sie bei einem Bauunfall ums Leben. Leon wächst bei einem Onkel auf, der wenig spricht. Er schwärmt für Cou Min, das asiatische Dienstmädchen eines Naturforschers. Als der mit Cou Min den Ort wieder verlässt, ist Leon tief getroffen und geht, mit sechzehn, in die Stadt.
Hamilton-Paterson, 1941 in London geboren, lebt heute in Italien. Im deutschen Sprachraum ist er als Journalist und Autor von Büchern wie „Seestücke” bekannt geworden, doch seit einigen Jahren werden auch seine Romane übersetzt. Dieser variiert das schon in der Biographie über Edward Elgar angeschlagene Thema der Nicht-Zugehörigkeit: Leon ist nie ganz in seine Zeit hinein gekommen. Trotz seines gesellschaftlichen Aufstiegs schläft er über Jahre hinweg undomestiziert im Palmenhaus, nippt abends an einer Blüte und bleibt stumm wie eine Kaspar-Hauser-Figur. „In meinem Palmenhaus sind wir im Inneren der Uhr, wir beobachten das Wachstum, spüren die Zuneigung all dessen, was lebt, schnuppern die Verwesung, ich begreife nicht, wie manche Menschen unberührt bleiben, aber die meisten reagieren.”
Fülle und Fruchtbarkeit
Leon spezialisiert sein Haus während des Kriegs auf Nachtgewächse, die ihre Wirkung erst entfalten, wenn den Besuchern das Sehen vergangen ist und die anderen Sinne auf ihre Rechnung kommen, gegen deren Verschüttung Leon arbeitet. Doch so wie Hamilton-Paterson im ganzen Buch ein Miteinander von Naturmystik und Zeitgenossenschaft praktiziert, ist auch Leon kein Idylliker. Zwar liebt er das achtzehnte Jahrhundert, mit seiner Freude an der Entdeckung und Kategorisierung der Natur. Doch die Distanz zur Natur ist ihm bewusst. Noch nach dem Krieg, als die Not in der zerbombten Stadt groß ist und Sozialleistungen für wichtiger gehalten werden als Pflanzen, kämpft er um das luxuriöse Palmenhaus, weil es das Verhältnis des Menschen zur Natur in all seiner Künstlichkeit „authentisch” manifestiert und den Nachkriegsmenschen eine Idee von „Schönheit, Fülle, Fruchtbarkeit” gibt.
Dass Leons Kaspar-Hauser-Zeit vorbei ist, wird spätestens klar, als ihm ein jüngeres Double seiner selbst zuläuft. Kurz nach dem Krieg rettet er einen Zigeunerjungen vor einheimischen Rassisten. Leon nimmt den Jungen, der stumm zu sein scheint, zu sich, nennt ihn Felix und versteckt ihn; um irgendwann, zuerst voll schlechten Gewissens und dann immer wieder mit ihm zu schlafen.
Nach Jahren beginnt Felix plötzlich zu sprechen und verflucht seinen Missbrauch. Doch Leon wird von Hamilton-Paterson nicht als Verbrecher gezeichnet. Eher ist es so, dass er nicht nur die Grenze zwischen Natur und Mensch, sondern alle Grenzziehungen für sich nie ganz realisiert hat. Parallel zur verschwiegenen Missbrauchs-Geschichte blüht seine Liebe für ein Doppel des Dienstmädchens Cou Min, eine asiatische Kulturbotschafterin, die Leon immer wieder in seinem Palmenhaus besucht. Sie will ihn schließlich dazu gewinnen, in ihrem Land einen Garten für aus dortiger Sicht exotische, d.h. europäische Pflanzen einzurichten. Doch läuft die Geschichte auf ein apokalyptisches Ende zu.
Nicht immer gelingt Hamilton-Paterson das Sprechen der Pflanzen. Die Weisheiten der Tamarinde haben manchmal einen argen Hang ins Pädagogische. Doch mit seiner Poetik der Unentschiedenheit, der fließenden Übergänge und unsicheren Grenzen lässt das Buch an vielen Stellen den Leser die Wahrnehmungsveränderungen, die es darstellt, auf außergewöhnliche Weise miterleben.
HANS-PETER KUNISCH
JAMES HAMILTON-PATERSON: Nachtblüte. Aus dem Englischen von Ebba Drolshagen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 294 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2003

Bekenntnisse unter Palmen
Grüner Daumen: James Hamilton-Paterson spricht zu Pflanzen

Das Widersprüchliche am Leben ist ja, daß zuviel davon einem genauso schlecht bekommt wie zuwenig. Da ist zum Beispiel Leon, der sich vor seinem Leben und seiner Gegenwart in eine Welt geflüchtet hat, die so mit Vitalität protzt, daß es einem fast die Luft abschnürt. Leon lebt in einem Gewächshaus, er lebt in einem Gefängnis. Hier steht die Hitze, hier tropft es von der Glaskuppel, hier sprechen die Pflanzen. Draußen ist der Schnee, draußen ist das Jahr 1946, draußen ist die Liebe. Und als die in dieses fragile Gebilde einbricht, geht Leons Welt schnell zugrunde.

Eine recht zerbrechliche Metapher hat sich der englische Schriftsteller James Hamilton-Paterson ausgesucht für seinen Roman "Nachtblüte", dessen Titel im englischen Original schwärzer, schmerzvoller, sehnsüchtiger klingt: "Griefwork", eine Art Trauerarbeit also, die der so genialische wie ungelernte Gärtner Leon verrichtet: Wie fette Tropenpflanzen ranken sich die Erinnerungen um sein Herz, wild wuchern die Eindrücke und Beobachtungen - auch die Sprache gehorcht in diesem Buch botanischen Gesetzen, und James Hamilton-Paterson ist ihr Gärtner. Aber wo sonst eine Meeresbrise oder der Gestank von Manila durch seine Bücher zieht, da weht es einen hier eher süßlich an, so betörend wie betäubend. Denn das Glashaus, in dem Leons Leben gleichzeitig gedeiht und verdorrt, ist ein recht luftleerer Raum.

Bekannt wurde Hamilton-Paterson in Deutschland mit seinen Essays über Ozeane und die dunklen Ecken der zivilisierten Welt - eine Schriftstellerexistenz als Fluchtreflex, ein Leben an den Rändern, auf den Philippinen und in der Toskana. "Wasserspiele", "Drei Meilen tief" oder "Die Geister von Manila" hießen diese Bücher, die auch die Grenzen des Erzählens auf eine Art und Weise austesteten, wie es die angelsächsischen Autoren vielleicht am besten beherrschen. Zwischen Welthunger und Selbstschau manövrierende Erzählessays und Reflexionsromane waren das, ausgereifte Werke, die von dem Widerhall eines mehr als bewegten Lebens berichteten. Ein Schriftstellerleben, vom Spätwerk aus betrachtet. "Nachtblüte" ist auf englisch bereits 1993 erschienen, ein melancholisches Zwischenwerk, das in seiner bildmächtigen und beobachtungssatten Sprache manchmal etwas hypertroph wirkt. Das Rascheln einer Biographie. Wie Efeu wächst diese Prosa die Welt zu, von der sie erzählt.

In Rückblenden entfaltet Hamilton-Paterson Leons Leben, von der Erinnerung an die Mutter, deren Fahrradspeichen immer "sprrixx" machten, bis sie von einem herabfallenden Spiegelsplitter vor einem Leuchtturm getötet wurde; von der Einsamkeit der Kindheit und der Sprache des Meeres und der Kühle der Küste; von der pubertären Verliebtheit in das asiatische Dienstmädchen Cou Min. Vor all diesen Erinnerungen und vor dem Krieg, der das Leben ist, und dem Krieg, den die Deutschen entfacht hatten, flüchtet sich Leon in das Palmenhaus einer nicht weiter differenzierten nordeuropäischen Stadt. Hier lebt Leon, hier spricht er mit seinen Pflanzen: "Hört ihr noch zu? In meinem Palmenhaus sind wir im Inneren der Uhr, wir beobachten das Wachstum, spüren die Zuneigung all dessen, was lebt, schnuppern die Verwesung." Die Welt als Vitrine. "Es ist bemerkenswert. Einige Dinge werden erst sichtbar, wenn man Glas darüber stülpt, was um so richtiger ist, je banaler diese Dinge sind."

James Hamilton-Paterson verwebt die Biographie Leons zu einem Porträt der modernistischen Sehnsucht des neunzehnten Jahrhunderts, die in ihrer Klassifizierungslust der Natur eine Form gab - und so traurig, wie der Autor auf dem Umschlagfoto um die Ecke schaut, so traurig blickt er auch auf diese untergegangene Zeit zurück. Die Heutigen sind Menschen ohne Wurzeln, ohne Sinn für das Werden und Entstehen; die Nachtblütler aus seinem Palmenhaus sind Dandys und Diplomaten, Bohemiens und Weltflüchtlinge, Menschen, die sich in der Künstlichkeit dieser Umgebung erst richtig erkennen. "In meinem Palmenhaus bin ich authentisch, wie auch das Palmenhaus authentisch ist", sagt Leon. Was natürlich ein Irrtum ist; und so ist Hamilton-Patersons Erzählung auch eine feingesponnene und nostalgische Abhandlung über das Wesen der Kunst. "Teil unserer Aufgabe, wie ich sie verstehe, ist es, das Publikum zum Verständnis zu erziehen", belehrt Leon einmal seinen Arbeitgeber, der das Palmenhaus modernisieren will. "Dieser Ort ist unbezahlbar. Weil er so unnatürlich ist, kann er Menschen dazu bringen, nachzudenken und ihre Ansichten zu ändern. Wir müssen es erhalten, koste es, was es wolle."

Doch schließlich ist es Leon selbst, der für den Einbruch des Lebens, der Luft, der Liebe verantwortlich ist. Seine Schwärmerei für die exotische Prinzessin ist noch von etwas lawrencehaft verlorener Erotik - seine Beschäftigung mit dem Zigeunerjungen Felix, dem er während des Zweiten Weltkriegs das Leben rettet, ist dagegen von durchaus handfester Art. Mehr oder weniger kunstvoll balanciert Hamilton-Paterson Kunst und Kitsch; die Menschen sind hier eigentlich nur eine weitere Spezies in einem üppig wuchernden Kosmos. Wie Leon pflegt der Autor seine kostbaren Sätze, seine seltenen Einblicke, seine raren Beobachtungen - weshalb das Buch auch eine gewisse, wenngleich sehr gepflegte, Langeweile ausstrahlt. Bei aller konstruierten Dramatik beschreibt Hamilton-Paterson selbst am besten den leicht sedierenden Eindruck, den die Lektüre hinterläßt: "Gepflegte Menschen schlenderten, sich leise unterhaltend, über den Kies oder standen in Grüppchen beisammen", heißt es einmal, "ihr Lachen kräuselte mit dem verbotenen Zigarettenrauch langsam hinauf in das Maßwerk der Eisenkonstruktion hoch über ihnen." Ein Buch, wie aus der Zeit gerutscht.

GEORG DIEZ

James Hamilton-Paterson: "Nachtblüte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ebba D. Drolshagen. Insel Verlag Verlag, Frankfurt am Main 2002. 296 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Georg Diez kultiviert dieser bereits 1993 erschienene Roman des Briten Hamilton-Paterson "gepflegte Langeweile", was nicht unbedingt negativ gemeint ist. Dazu später. Hamilton-Paterson sei hierzulande mit seinen Ozeanessays und Reiseberichten bekannt geworden, die sein bewegtes Leben in Manila oder in der Toskana reflektierten. Der Roman "Nachtblüte", im Original "Griefwork" betitelt, was für Diez schwärzer, sehnsüchtiger klingt, erscheint dem Rezensenten "wie aus der Zeit gerutscht". Er schildert das Porträt eines jungen Mannes, der mit seiner "Klassifizierungslust der Natur" die Sehnsüchte des 19. Jahrhunderts spiegelt. Leon lebt in einem Gewächshaus, in das er sich vor den Deutschen zurückgezogen hat, in einer künstliche Welt der Zuchtpflanzen, die sofort zusammenfällt, lautet die Analyse des Rezensenten, als Luft, Leben, Liebe dort einbrechen. Wild wächst die Botanik, schreibt Diez, und wild wuchere auch die Prosa Hamilton-Patersons, von der diesmal ein leicht süßlicher Duft ausgehe statt wie sonst die herbe Meeresbrise. Die Menschen sind nur eine Spezies unter anderen in diesem botanischen Kosmos, befindet Diez, vom Autor aufmerksam und mit jener britischen gepflegten Langeweile betrachtet, die Kitsch und Kunst stilvoll miteinander zu verbinden wisse.

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