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Die Würde ist das höchste Gut des Menschen. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von Würde sprechen? Peter Bieris lang erwartetes neues Buch handelt von diesem zentralen Thema unseres Lebens. Mit einem einzigen Begriff ist die menschliche Würde nicht zu fassen. Bieri nähert sich ihr deshalb als Beobachter: An Beispielen aus dem Alltag und der Literatur entwickelt der Philosoph aus der Schweiz eine Vorstellung von Würde, die von unserem Umgang mit anderen und mit uns selbst abhängt. Würde, so stellt sich heraus, ist keine abstrakte Eigenschaft, sondern eine bestimmte Art zu leben. In…mehr

Produktbeschreibung
Die Würde ist das höchste Gut des Menschen. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von Würde sprechen? Peter Bieris lang erwartetes neues Buch handelt von diesem zentralen Thema unseres Lebens. Mit einem einzigen Begriff ist die menschliche Würde nicht zu fassen. Bieri nähert sich ihr deshalb als Beobachter: An Beispielen aus dem Alltag und der Literatur entwickelt der Philosoph aus der Schweiz eine Vorstellung von Würde, die von unserem Umgang mit anderen und mit uns selbst abhängt. Würde, so stellt sich heraus, ist keine abstrakte Eigenschaft, sondern eine bestimmte Art zu leben. In wunderbar klarer Sprache entwickelt Bieri seine Philosophie: eine wahre Schule des Lebens.
Autorenporträt
Peter Bieri (1944-2023), geboren in Bern, war Philosoph und Altphilologe und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin. Er lebte in Berlin. Im Carl Hanser Verlag erschienen von ihm: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens (2001) und Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde (2013), unter dem Pseudonym Pascal Mercier die Novelle Lea (2007) sowie die Romane Nachtzug nach Lissabon (2004) und Das Gewicht der Worte (2020). Für "Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde" erhielt Peter Bieri 2014 den Tractatus Essaypreis des Philosophicum Lech.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als wichtig, schön und entsprechend lesenswert bezeichnet Rezensent Otto Depenheuer das Buch des Philosophen Peter Bieri über die Vielfalt der Menschenwürde als Alltagserscheinung. Dass sich der Autor mit Grundfragen nicht aufhält, sondern gleich den praktischen Vollzug der Würde anpeilt, findet Depenheuer befreiend. Ebenso das undogmatische Aufzeigen der Pluralität solcher Vollzüge, in denen der Mensch die Gefahren des Lebens aushält, und, wie der Autor es laut Rezensent versteht, auch unter ungünstigen Bedingungen die Herausforderung zu leben annimmt. Für Depenheuer geht Bieri dabei denkbar anschaulich und einfühlsam vor, wenn er sich auch Inkonsequenzen leistet, wie der Rezensent feststellt. Den Sport des Zwergenwurfs etwa verbietet laut Autor ein objektiver Würdebegriff. Just den aber möchte der Autor ja vermeiden, meint Depenheuer. Im Bereich praktischer Lebensweisheit bietet ihm der Band hingegen "fesselnde" bis "hinreißende" Passagen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2013

In einer Kultur der Stille leben, die eigene Stimme finden
Peter Bieri beschreibt die Vielfalt der menschlichen Würde und der Würdeverletzungen in seinem Buch „Eine Art zu leben“
Würde gibt es nicht, weder eine Würde des Löwen noch die des Menschen. Und doch ist sie das dirigierende Zentrum unserer bewussten Existenz, zur eigenen und fremden Würde verhalten wir uns ständig gut und richtig oder schlecht und falsch, sie ist unsere Lebensobsession. Peter Bieri umschreitet die undefinierbare allgegenwärtige Würde des Menschen in den Brechungen unseres Verhaltens zu ihr. Unsere Art zu leben zeigt die Würde oder ihren Verlust, ob wir es wollen oder nicht; unser sittliches Leben, zu dem wir so geboren sind wie zur leiblichen Existenz. In drei Dimensionen wird die Würde umschritten: im Verhältnis des Subjekts zu sich selbst, es sieht sich als Zweck an sich, als Selbstzweck; diese Konstitution des Subjekts kann von anderen lädiert werden, und umgekehrt zerstöre oder fördere ich durch mein Handeln die Würde der anderen.
  Es sind keine gelehrten und historischen Darlegungen, der Leser folgt mühelos, weil er die Konstellationen des Erlebens von sich selbst kennt und nachbilden kann. Wir müssen uns zu uns und anderen im Medium dieser undefinierbaren Würde verhalten, wie wir uns leiblich in Raum und Zeit orientieren müssen. Zur Darstellung dienen Alltagssituationen oder literarische Darstellungen der vergangenen zweihundert Jahre. Bühnenspiele, Romane, Erzählungen, die in besonderen Fällen häufiger angeführt und in fortschreitenden Reflexionen analysiert werden. Wir wissen, dass jede Folter die Würde verletzt, und finden bei Bieri eine subtile Kasuistik der Bewahrung und Zerstörung der inkognito vorausgesetzten Würde. Eine der Geschichten handelt vom Gefängnis. „Was das Schrecklichste sei, frage ich. Er führt mich wortlos zur Tür. Dort nimmt er meine Hand und legt sie über die Stelle, wo die Klinke sein müßte. Noch nie habe ich so deutlich gespürt, daß etwas nicht da ist.“
  Die literarischen Szenen werden überführt in imaginäre Dialoge, in die der Leser involviert wird, deren Pro und Contra er folgt. Peter Bieri lässt sich auch selbst auftreten – an sich gleichgültig, wer dieses „Ich“ nun ist, aber die Erlebnispalette wird lebendiger, wenn der uns bekannte Autor es tatsächlich selbst war, der einen kurzen Auftritt in Teheran hatte und dann überstürzt wieder abfliegt. Die Dämonologie der Religion beginnt schon vor dem Anflug auf die „Islamische Republik“. Republik ohne Würde, jeder ist gewarnt.
  Ich, fühlend und reflektierend, involviert in gesellschaftliche Konflikte, die es bedrohen oder stärken. Es werden die Ebenen der Psychologie und Soziologie nicht getrennt, sondern in den Erfahrungen des Selbst und der Anderen situativ vergegenwärtigt und analysiert. Besonders scharf die Kritik an den Medien, die die frohlockenden Opfer ihrer Shows entblößen im würdelosen Sezieren von Seele, Leib und Unterleib. Bieri untersucht nicht den gesellschaftlichen aktuellen Treibsand, der die Würde erstickt, sondern hält sich an die multiple bürgerliche Gesellschaft im Allgemeinen. „Weder die Erfahrung der Würde noch die Lebensform, zu der sie gehört und in der sie sich ausdrückt, sind aus einem Guß.“
  Sprachlich immer prägnant, präzise, auf die Sache gerichtet, der gute Schriftsteller zeigt nicht in kunstvollen Pirouetten, wie glänzend er schreiben kann. Als Rezensenten notieren wir dagegen Fragen. Zum Beispiel: Es wird dem Menschen immer wieder zugeschrieben, er sei ein „Zweck an sich“ oder „Zweck an sich selbst“. Was ein Zweck ist oder ein Mittel, weiß jeder handlungsfähige Mensch, aber ein Zweck an sich? Ein Zweck, den es gibt, ohne dass er das Ergebnis einer planvollen Handlung ist. Der Urwald? Die Natur? Es gibt, soviel ich weiß, weder im Griechischen noch Lateinischen eine gleiche Wortprägung. Finis in se? Wir ergänzen: „Zweck an sich“ oder „an sich selbst“ ist ein Kunstwort, das vermutlich die Kantische Unterscheidung von „Erscheinung“ und „Ding an sich“, „Ding an sich selbst“, aufnimmt und voraussetzt. Der „Zweck an sich“ ist als solcher der Vernetzung der Erscheinungen und der in sie eingebetteten Mittel und Zwecke entzogen und soll ein reiner Vernunftbegriff sein, er bezieht sich auf eine nur noumenale Wesenheit. Jeder Mensch ist immer vielfaches Mittel eigener und fremder Handlungen, aber darin soll er sich qua Zweck an sich nicht erschöpfen. Zur Orientierung: In einem Lebewesen als solchem sind, so müssen wir denken, alle Teile Mittel und Zweck aller anderen und nichts sonst. Der Mensch soll dagegen nicht nur Lebewesen sein, sondern schießt darüber noumenal als Zweck an sich, als Ding an sich, hinaus. Aus diesem ominösen Überschuss eines Apriori bezieht er seine Selbstpflicht, seine Rechtlichkeit und seine Würde. Aber lässt sich der Begriff aus diesem Kontext lösen, wie Bieri voraussetzt? Der Kantische Begriff des „Zwecks an sich“ wurde sogleich zur kurrenten Münze auch ohne die Transzendentalphilosophie, der Sache nach ist jedoch das Gemeinte erst durch Kant möglich und nur durch Rückgriff auf ihn historisch erklärbar. Bieris Buch ist hauptsächlich nicht kantianisch, denn seine Grundannahmen stehen, im Raster der Aufklärungsphilosophie, eindeutig auf der Seite der englisch-französischen Gefühlsmoral, gegen die sich Kant in seiner kritischen Phase wendet. Wie lässt sich der Begriff eines Zwecks an sich in diesem Milieu retten?
  Bieri nimmt an – gegen Kant –, dass auch Tiere als Selbstzweck oder „Zweck in sich selbst“ zu behandeln sind; er macht also nicht zur Bedingung, dass das Lebewesen der möglichen Würde sich als Subjekt selbst bestimmen kann. Auch Wesen, die notorisch nicht denken können, dürfen Würde für sich beanspruchen, wenn unser Gefühl dieser Meinung ist. Bieri zielt auf eine „éducation sentimentale“, wir sollen sensibel werden für den höchsten Wertbegriff unserer Existenz, aber die Analysen beanspruchen in Wirklichkeit die reflektierende Urteilskraft zwischen Sentiment und Vernunft. „Ich möchte in einer Kultur der Stille leben, in der es vor allem darum ginge, die eigene Stimme zu finden.“ Dieses Ernst-Wiechert-Idyll muss sich noch vor der Urteilskraft bewähren, dem Gefühl misstrauen wir.
  Was der Rezensent des Weiteren entbehrt: Die Erläuterung des Unterschiedes von Recht und Ethik im vielfach strapazierten Würdebegriff. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so beginnt unsere Verfassung und stellt damit den Würdebegriff an die Spitze des Rechts, nicht der Gefühlsmoral. Auch der Gefühlsmoralist Bieri muss zwei Ebenen der Würdeläsion unterscheiden; in der einen wird ein sanktionierbares Recht verletzt und die Verletzung möglichst durch ein Gericht mit einer Strafe belegt, in der zweiten Ebene kann der Angriff auf die Würde nicht strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn er die Person seelisch zerstört. Tangiert es unsere Würde rechtlich, wenn wir bei Datensammlern transparent werden und umgekehrt als Hörige einer Religion nur völlig verhüllt auf die Straße dürfen? Die Verfassung eines Staats kann nicht auf private Würdeläsionen Rücksicht nehmen, auch wenn diese in der Selbsttötung enden, die Würde, an die sie appelliert, ist nur für den Rechtsbereich zuständig. Lässt sich diese fundamentale Differenz im Würdebegriff selbst auffinden, oder ist er stumpf dagegen und lässt sich auf die eine oder andere Seite ziehen? Der Unterschied von Recht und Ethik gehört zur „Vielfalt menschlicher Würde“, aber er passt offenbar nicht in den Analyseduktus des Buches.
REINHARD BRANDT
Peter Bieri: Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde. Hanser Verlag, München 2013. 384 Seiten, 24,90 Euro.
Jeder Mensch ist immer Mittel
eigener und fremder Handlungen
Wesen, die nicht denken können,
dürfen auch Würde beanspruchen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Wenn Geworfenwerden zum Entwurf gehört

Eigentlich unantastbar, aber sehr oft in Anspruch genommen: Peter Bieris Buch über die Vielfalt der menschlichen Würde geht den Erfahrungen nach, die diesem großen Begriff zugrunde liegen.

Von Otto Depenheuer

Die Menschenwürde erfreut sich in Deutschland höchsten Ansehens. Das prominente Bekenntnis in Artikel 1 des Grundgesetzes - "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - ist Identitätsmerkmal der Republik. Seit das Bundesverfassungsgericht die "nicht interpretierte These" (Heuss) gar in ein subsumtionsfähiges Grundrecht transformiert hat, prägt es den rechtspolitischen Diskurs. Alle Diskussionen zu den Grenzen von medizinischen und biotechnologischen Möglichkeiten bis hin zum Datenschutz und Sicherheitsrecht werden zu einem juristischen und politischen "Kampf um die Menschenwürde": Ist sie tangiert, ist eine Maßnahme wegen der Unantastbarkeitsgarantie verboten, Relativierungen nicht zugänglich, gegen Abwägungen jeglicher Art immun.

Begriffliche Erfolgskarrieren pflegen regelmäßig inhaltliche Vagheit nach sich zu ziehen. So korrespondiert dem überwältigenden Erfolg dieses Höchstwertes eine frappante Ungewissheit darüber, was Menschenwürde eigentlich ist: was sie bedeutet, woher sie kommt, was sie verlangt. Verfassungsrechtlich begnügt man sich pragmatisch mit einem Negativkatalog darüber, was denn auf jeden Fall gegen die Menschenwürde verstößt und damit "unantastbar" ist. Da wird dann mutig bekannt und kräftig dekontextualisiert, um nur ja nicht in Abwägungskalamitäten mit Relativierungsoptionen zu gelangen. Selbst demokratisch beschlossene Konfliktlösungen in ebenso komplexen wie tragischen Konfliktlagen werden derart in eine Entweder-oder-Alternative überführt und nicht selten als Verstoß gegen die Menschenwürde aufgehoben.

Derart befriedigt die Idee der Menschenwürde ein latentes, aber verbreitetes Bedürfnis nach absoluter Orientierungssicherheit in orientierungsloser Zeit. Mit durchaus fragwürdigen Folgen: Das Bekenntnis ersetzt die Urteilskraft und gibt einem Tribunal über Gut und Böse seine unübersteigbare Letztbegründung. Tatsächlich aber entwertet die ubiquitäre Instrumentalisierung der Menschenwürde diese mehr und mehr zur kleinen Münze und gibt moralischer Gesinnungsphrasendrescherei ohne Substanz das Stichwort.

Vor diesem Hintergrund zunehmender Überforderung und Engführung eines großen Rechtsprinzips wirkt das Buch von Peter Bieri über die "Vielfalt menschlicher Würde" geradezu befreiend. Es hält sich erst gar nicht auf mit philosophischen Grundfragen der Menschenwürde, deren Tiefendimensionen dem gelernten Philosophen natürlich präsent sind, deren Gebrauchswert er allerdings zu Recht eher skeptisch sieht. Er sucht stattdessen Dimensionen und Realität der Menschenwürde im praktischen Lebensvollzug auszuloten.

Nicht, was Menschenwürde auf jeden Fall verbietet, ist sein Thema, sondern "die vielfältigen Erfahrungen zu erkunden, die wir mit dem Begriff der Würde einzufangen suchen". Um den "intuitiven Gehalt der Erfahrungen von Würde auszuschöpfen", unterscheidet Bieri drei Dimensionen der Würde: Wie behandeln mich die anderen? Wie stehe ich zu den anderen? Wie stehe ich zu mir selbst? Das ausgebreitete Panorama der Vielfalt konkreter Realisierungen von Würde zeigt, dass die Würde des Menschen keine Anleitung ist für "die" Art, sondern für "eine" Art zu leben. Eine Pluralität menschenwürdiger Lebensvollzüge wird sichtbar, deren Kern eine Würde ist, die der Mensch sich schuldet, der er ist, die ihm niemand und unter keinen Umständen nehmen kann - und die deswegen im Letzten immer schon "unantastbar" ist. Die Idee der menschlichen Würde versteht Bieri dabei als den Versuch, die Gefährdungen des Lebens auszuhalten und auch unter widrigsten Bedingungen dessen Herausforderung anzunehmen.

Mit dieser Zielsetzung einer "Vergewisserung über das menschliche Leben insgesamt" zeigt Bieri anschaulich und einfühlsam, dass der Mensch aus seiner Würde heraus zwar sehr unterschiedlich leben und zu durchaus gegensätzlichen Haltungen und Entscheidungen gelangen, aber in jedem Fall seiner "Würde" als Mensch gerecht werden kann.

Dieses überzeugende Konzept hält Bieri allerdings nicht ganz konsequent durch. Wenn etwa Zwerge auf Jahrmärkten zum Gaudi des Publikums dem soganannten Zwergenwurf unterzogen werden, so verstoße das gegen die Menschenwürde. Im Ergebnis befindet sich der Philosoph damit auf der sicheren Seite, nämlich auf einer Linie mit der Rechtsprechung. Menschenwürde - so die Begründung - sei "auch etwas Größeres, etwas Objektives", das "als Charakteristikum einer ganzen Lebensform" über den Einzelnen hinausreicht.

Das kann man so sehen, wäre aber doch einer objektiven Begründung bedürftig, der Bieri aber eigentlich aus dem Weg gehen wollte und die er auch hier nicht bietet. Weil er den "zwischenmenschlichen Erfahrungen von Würde nachgehen" will, lässt er in einem seiner wunderschönen Dialoge den Zwerg fairerweise auch zu Wort kommen: "Was ist mit der Würde, die in der Freiheit der Entscheidung liegt, sich für die Show freiwillig zur Verfügung zu stellen?"

In der Tat: Will man dem Zwerg wirklich seinen von ihm selbst für sich reklamierten Würdeanspruch nicht zubilligen, weil er der objektiven Menschenwürde widerspricht? Erringt die objektive Menschenwürde, wie immer sie auch definiert wird, ihre Siege um den Preis individuellen Würdebewusstseins? Kann es also ein menschenwürdiges Leben in menschenunwürdiger Umwelt nicht geben? Victor E. Frankl votiert gegen Bieri: Bewusstsein und Anspruch eigener Würde lassen den Einzelnen auch in unmenschlichen Lagen "trotzdem ja zum Leben" sagen.

Die häufig fesselnd zu lesenden Streifzüge durch Grenz- und Alltagssituationen des Lebens mit all ihren Implikationen für den Würdeanspruch des Menschen bieten nicht weniger als einen anspruchsvollen Fahrplan zur Lebensweisheit. Die Überlegungen zur Würde des Menschen in seinen letzten Lebensstadien, einschließlich der Fragen nach Freitod und Sterbehilfe, sind geradezu hinreißend: von tiefer Einfühlsamkeit in die existentielle Entscheidungssituation mit ihren ambivalenten Sichtweisen, dialogisch glänzend in allen Einzelaspekten entfaltet. Bieri lässt alle Erwägungen mit ihrer ambivalenten Überzeugungskraft zu Wort kommen.

Seine Ausführungen bieten natürlich keine allgemeingültige Lösung, sie wollen und müssen den Leser allein zurücklassen. Entscheiden kann nur der Einzelne im Bewusstsein und in Achtung der Würde, die er sich schuldet. Aber nach der Lektüre wird wohl niemand mehr die überlegt getroffenen Entscheidungen anderer einfach als gegen die Menschenwürde verstoßend abqualifizieren können, sondern sie respektieren, auch wenn er sie nicht teilt: Menschenwürde beinhaltet eben nicht nur einen verpflichtenden Anspruch gegen sich selbst, sondern gebietet Toleranz denen gegenüber, die ihren Würdeanspruch anders realisieren.

Bieris "in der Tonlage gedanklichen Ausprobierens" geschriebenes Buch verfehlt seine Wirkung nicht. "Den Leser in seine Gedankengänge zu verwickeln und ihn zum Komplizen zu machen im leidenschaftlichen Versuch, Klarheit zu gewinnen", das gelingt ihm meisterlich. Er erinnert an die Würde der Menschenwürde: Sie ist kein Besitzstand, erst recht kein Wohlfühlgarant, sondern verpflichtet, sich ihrem Anspruch zu stellen. Nur als "die rettende Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst" (Thomas Mann) lässt die Würde den Menschen allfällige Gefährdungen des Lebens aushalten und bestehen. Ein wichtiges, ein schönes, ein lesenswertes Buch.

Peter Bieri: "Eine Art zu leben". Über die Vielfalt menschlicher Würde.

Carl Hanser Verlag, München 2013. 384 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Peter Bieris differenziertes Werk über die menschliche Würde bietet Lesegenuss und ist eine Einladung zum selbstständigen Nachdenken." Klara Obermüller, Neue Zürcher Zeitung, 25.08.13

"Ein Lesevergnügen der tieferen Art." Hans Joas, Die Zeit, 26.09.13

"Peter Bieri hat eine Philosophie für Nichtakademiker geschrieben. In seinem neuen Buch spielt er verschiedene Würde-Erfahrungen im Alltag durch. Würde ist für Peter Bieri eine Lebensform und ein Versuch, respektvoll mit anderen und sich selber umzugehen." Dorothee Vögeli, Neue Zürcher Zeitung, 22.11.13

"Vor diesem Hintergrund zunehmender Überforderung und Engführung eines großen Rechtsprinzips wirkt das Buch von Peter Bieri über die Vielfalt menschlicher Würde geradezu befreiend." Otto Depenheuer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.13

"Bieris Buch verfehlt seine Wirkung nicht. 'Den Leser in seine Gedankengänge zu verwickeln und ihn zum Komplizen zu machen im leidenschaftlichen Versuch, Klarheit zu gewinnen', das gelingt ihm meisterlich." Otto Depenheuer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.13

"Ein wichtiges, ein schönes, ein lesenswertes Buch." Otto Depenheuer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.13

"Brillantes Stück Lebensphilosophie." Stephan Hebel, Frankfurter Rundschau, 18.12.13