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Nach dreiundzwanzig Jahren Exil kehrt Harun in seine Heimatstadt Amaria im Irak zurück. Zwischen den Ruinen, die der Krieg hinterlassen hat, stößt er auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit auf eine Inschrift, die er als Kind hinterlassen hat: "Der Engel des Südens". So nannte er das Idol seiner Jugend, eine Jüdin, die für ihn das goldene Zeitalter verkörpert, als die Ethnien und Religionen noch friedlich zusammenlebten. In dieser und unzähligen anderen Geschichten bringt Najem Walis historisch profunder und märchenhafter Roman die dramatische Vergangenheit aus Krieg, Diktatur, aber auch…mehr

Produktbeschreibung
Nach dreiundzwanzig Jahren Exil kehrt Harun in seine Heimatstadt Amaria im Irak zurück. Zwischen den Ruinen, die der Krieg hinterlassen hat, stößt er auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit auf eine Inschrift, die er als Kind hinterlassen hat: "Der Engel des Südens". So nannte er das Idol seiner Jugend, eine Jüdin, die für ihn das goldene Zeitalter verkörpert, als die Ethnien und Religionen noch friedlich zusammenlebten. In dieser und unzähligen anderen Geschichten bringt Najem Walis historisch profunder und märchenhafter Roman die dramatische Vergangenheit aus Krieg, Diktatur, aber auch Sehnsucht und Hoffnung einer einst multikulturellen Stadt ans Licht.
Autorenporträt
Najem Wali, 1956 im irakischen Basra geboren, flüchtete 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs nach Deutschland. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Er ist Kulturkorrespondent der bedeutendsten arabischen Tageszeitung Al-Hayat und schreibt regelmäßig u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und Die Zeit. Bei Hanser erschienen zuletzt sein Roman Bagdad Marlboro, für den er mit dem Bruno-Kreisky-Preis 2014 ausgezeichnet wurde, sowie Bagdad. Erinnerungen an eine Weltstadt (2015).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2011

Kaddisch für ein verlorenes Land

Aus Nachbarn werden Feinde, aus Freunden Verräter: In seinem Roman "Engel des Südens" erzählt Najem Wali vom Irak als Land der politischen und kulturellen Zerwürfnisse. Eine ergreifende Lektüre über die Angst vor dem anderen.

Malaika, schöner Engel der Sehnsucht" - kaum ein Popstar der sechziger Jahre von Rocco Granta bis Harry Belafonte und Pete Seeger verzichtete darauf, den einem afrikanischen Volkslied entlehnten Ohrwurm über einen guten Geist zu interpretieren. Multikulti war in Mode, wenn auch eher in Form von Ethno-Pop.

Der schöne Engel in Najem Walis neuem Roman kommt aus einem Land, das gute Geister mehr als gebrauchen kann. Mit ihren dunkelblonden Haaren und blauen Augen war Malaika das berühmteste Mädchen der Stadt und das Kindheitsidol des späteren Schriftstellers Naim. Dreiundzwanzig Jahre nach seiner Flucht besucht ein Alter Ego Naims und des Autors seine geschundene Heimatstadt im Süden des Irak zum ersten Mal wieder. Nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein Anfang des neuen Jahrtausends ist die Stadt Amaria nur noch der Schatten ihrer selbst. Besatzer und ebenso machthungrige wie brutale einheimische Generäle haben die einst blühende, von Schiiten, Sunniten, Juden, Christen, den religiösen Minderheiten der Sabäer und Jeziden, Zigeunern, Armeniern und anderen Völkern und Religionsgemeinschaften bewohnte Handelsmetropole nahezu ausgelöscht.

Jahrhunderte lebten hier, an einer der Wiegen der Zivilisation in der Nähe des Zusammenflusses von Euphrat und Tigris, die Menschen friedlich miteinander. Die ethnische Vielfalt garantierte den Wohlstand. Heute trifft der Erzähler auf dem verwahrlosten englischen Friedhof nur arbeitslose, drogensüchtige Jugendliche, die ihren Stoff in einer leeren Dattelsirupbüchse zusammenmixen. Die Büchse und eine Inschrift, die er als Kind selbst in den Marmorsockel eines Grabsteins geritzt hatte, holt die Erinnerungen zwischen Fiktion und Fakten aus dem Dunkel seines langen Exils hervor: "Malaika al-Dschanub - Engel des Südens".

Malaikas Prominenz beruhte darauf, dass ihr Antlitz, gemalt von al-Malak, dem Goldschmied, die Dosen der Marke "Dattelsirup der Braut" zierte. Längst ist der süße Saft, der in der Fabrik der Familie von Schlomo Mischal produziert worden war, aus den Geschäften verschwunden und jener, den die Mutter des Erzählers jahrelang für ihren Sohn aufbewahrte, ist vergoren. Verschwunden sind die Eltern Malaikas, der jüdische Arzt Gabbay und seine aus einer christlichen Familie stammende kommunistische Ehefrau Nawal, die als Frauenärztin im städtischen Krankenhaus arbeitete. Von Terror und Wüstenwind verweht sind die Spuren so vieler, darunter auch die von Malaika und ihrem Freund und späteren Lebens- und Leidensgefährten al-Malak, die des kurdischen Mathematiklehrers, des armenischen Sängers, des portugiesischen Seemanns aus der nahe gelegenen Hafenstadt.

Der neue Roman des 1956 in Basra geborenen und heute in Berlin lebenden Najem Wali führt uns abermals in seine Heimat Irak und erzählt anhand der Geschichte dreier Jugendfreunde - der Jüdin Malaika, des Sabäers al-Malak und des Muslims Naim - eine nationale Tragödie, die mit der britischen Besatzung im Ersten Weltkrieg begann und unter den Militärregimes von al-Bakr und schließlich Saddam Hussein ihren grausamen Höhepunkt erreichte.

Der Niedergang des Landes geht bei Najem Wali einher mit der zunehmenden Unterdrückung, Verfolgung, Auswanderung und Ausrottung von Minderheiten und Andersdenkenden, allen voran die über einhunderttausend irakischen Juden, die, beginnend mit Pogromen im Jahr 1941, bei denen nahezu zweihundert allein in Bagdad starben, zunehmend unter Druck gerieten. Schonungslos wird die Faschismusfaszination des aufstrebenden Militärs beschrieben, in der örtlichen Bibliothek wird ein handsigniertes Exemplar von "Mein Kampf" gehütet.

In einem mäandernden Erzählstrom breitet sich auf erschreckende und berührende Weise das Schicksal Dutzender Figuren, der Stadt und des ganzen Landes aus. Mehrfach wechselt die Erzählperspektive, so dass die Figuren des Dichters Naim und die des Erzählers Harun Wali miteinander verschmelzen. Eindringlich beschreibt der 1980 aus seiner Heimat geflohene Autor, wie Diktatur und Terror von heute auf morgen den Nachbarn in einen Feind und den Freund und Bruder in den eigenen Henker verwandeln können. Während in den fünfziger und sechziger Jahren Tausende Juden von Zigeunern über die Grenze nach Iran geschleust wurden und von dort nach Israel auswanderten, weigert sich der Arzt Gabbay, ein irakischer Patriot und Jude, bis zuletzt, seine Heimat zu verlassen, und zahlt dafür den höchsten Preis.

Ganz anders als die deutsche Kriegswaise Regina, die vereinsamt im Deutschland der fünfziger Jahre auf eine Annonce hin blindlings in den Irak heiratet und Jahre später auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen, Hitler verehrenden Ehemann als Jüdin ins Gelobte Land einreist, denn einen deutschen Pass besitzt sie längst nicht mehr. Der Kopf der Auswanderung der irakischen Mizrachim, wie die damals in Israel ungeliebten orientalischen Juden genannt wurden, leitet niemand anders als der inzwischen für den Mossad arbeitende Schlomo Mischal, der einstige Erbe der Dattelsirupfabrik. Aus diesen und vielen anderen Schicksalen spricht die bittere Ironie der Geschichte.

Die ins Märchenhafte verklärten Figuren von Malaika und al-Malak - das Wort bedeutet auf Arabisch ebenfalls Engel - sind Träger einer verzweifelten Hoffnung und der Sehnsucht des von seiner Odyssee des Exils ermüdeten Dichters. Ob und wo sie und ihr gemeinsamer Sohn den Horror überlebt haben, bleibt hingegen ungewiss.

SABINE BERKING

Najem Wali: "Engel des Südens". Roman.

Aus dem Arabischen von Imke Ahlf-Wien. Hanser Verlag, München 2011. 540 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Berking lässt sich von der Märchenhaftigkeit der Geschichte und den Figuren in diesem Roman von Najem Wali mitreißen. Die zwischen Fiktion und Fakten heraufbeschworene Erinnerung des exilierten Erzählers an eine verlorene, von ethnischer Vielfalt geprägte Heimat namens Irak liest sie als nationale Tragödie, beginnend mit britischer Besatzung, endend mit Saddam Hussein. Wali, erläutert uns Berking, beschreibe den Niedergang seiner eigenen Heimat schonungslos in Szenen der Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten, vor allem der irakischen Juden. Den plötzlichen Umschwung von Freund zu Feind findet sie eindringlich dargestellt in all seiner Bitterkeit und Ironie.

© Perlentaucher Medien GmbH