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Zentral für Adornos Selbstverständnis war seine jüdische Abkunft ebenso wie das Erlebnis des Nationalsozialismus, der ihn in die Emigration nach Amerika trieb. Dort schrieb er zusammen mit Max Horkheimer sein wirkungsmächtigstes Werk "Dialektik der Aufklärung". Darin leuchtet er vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen die Schattenseiten der Moderne aus. Als Haupt der Frankfurter Schule hat Adorno seinen festen Platz in der Philosophiegeschichte, war aber auch einer der wichtigsten Anreger, Förderer, Vermittler und Deuter im deutschen Geistesleben. Lorenz Jäger unternimmt es zum ersten Mal,…mehr

Produktbeschreibung
Zentral für Adornos Selbstverständnis war seine jüdische Abkunft ebenso wie das Erlebnis des Nationalsozialismus, der ihn in die Emigration nach Amerika trieb. Dort schrieb er zusammen mit Max Horkheimer sein wirkungsmächtigstes Werk "Dialektik der Aufklärung". Darin leuchtet er vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen die Schattenseiten der Moderne aus.
Als Haupt der Frankfurter Schule hat Adorno seinen festen Platz in der Philosophiegeschichte, war aber auch einer der wichtigsten Anreger, Förderer, Vermittler und Deuter im deutschen Geistesleben. Lorenz Jäger unternimmt es zum ersten Mal, Adornos philosophisch-literarisches Schaffen in die politischen Entwicklungen einzubetten. Er legt eine spannend zu lesende Darstellung vor, in der er Adornos Lebensweg einfühlsam nachzeichnet und in wichtigen Punkten neu deutet.
Autorenporträt
Lorenz Jäger, geboren 1951, ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.Nach dem Studium der Soziologie und Germanistik in Frankfurt unterrichtete er Deutsche Literatur in Japan und in den Vereinigten Staaten. Zahlreiche Editionen und Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Lorenz Jäger lebt in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2003

LORENZ JÄGER, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat Adornos Leben knapp und faßlich dargestellt. Geschildert wird die Entwicklung der "Kritischen Theorie" und der Ästhetik Adornos im engen Zusammenhang seiner Freundschaften mit Max Horkheimer, seinem Kompositionslehrer Alban Berg, mit dem Philosophen Walter Benjamin, mit Thomas Mann, den er bei dem Musiker-Roman "Doktor Faustus" beriet, mit dem mephistophelisch dreinredenden Bertolt Brecht, mit Hanns Eisler und Paul Celan - und schließlich auch die Krise zwischen dem Lehrer und seinen Studenten, die ihn in seinem letzten Lebensjahr belastete. Adornos bleibende philosophische Leistung war die Beschreibung einer mit sich selbst zerfallenden Vernunft in der gemeinsam mit Horkheimer geschriebenen "Dialektik der Aufklärung". Die politische Biographie zeichnet den wechselhaften Weg nach, den Adorno und das Frankfurter Institut für Sozialforschung im Jahrhundert der Extreme gingen. (Lorenz Jäger: "Adorno". Eine politische Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, München 2003, 319 S., geb., Abb., 22, 90 [Euro])

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2003

Kein richtiges Essen im falschen
Und er liebt ihn doch: Der Entzauberer Lorenz Jäger
Lesen ist manchmal wie wandern. Erst recht, wenn Musik und Natur ein Buch im Innersten zusammenhalten. Auf dem geräumigen Weg, der sicher ans Ziel führt, bricht man auf. Bald wird man weggelockt in den Wald, auf kleine Seitenpfade geführt, immer frohgemut weiter, durchs Dickicht und über Lichtungen. Wenn man am Abend ans Ziel gefunden hat, glaubt man, ein Abenteuer erlebt zu haben. Diese Erfahrung macht der Leser der Adorno-Biographie von Lorenz Jäger. Nie wird es langweilig, aber manchmal verwischen die Konturen, bevor alles gut ausgeht. In zweierlei Hinsicht geht es dem Leser so, und zumindest in einer wird er dem Autor eine tiefere Absicht unterstellen.
Einerseits gibt es die kleinen Kulturgeschichten und biographischen Portraits – hinreißende Miniaturen, die den Erzählverlauf der Hauptbiographie immer wieder unterbrechen. Durch sie erhält das Buch seine Farbe, seine übersprühende Lebendigkeit. Wenn nur nicht dahinter das Profil des Menschen, um den es eigentlich geht, gelegentlich verblassen würde. Es gibt Randgeschichten, die das schönste sind am Buch, wie die über den linksaktivistischen Künstler Hans Imhoff. Auf dem biographischen Hauptweg gelingen Jäger immer wieder so meisterlich dichte und differenzierte Bilder wie das der Beziehung Adornos zu Kracauer.
Andererseits nimmt Jäger gerne Fährten im Werk Adornos auf, die unmerklich wegführen vom Zentrum. Ein Nebensatz kann wichtiger werden als die Hauptlinien des Denkens. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Lust an der symptomatischen, esoterischen Lektüre. Es ist auch eine geschickte Strategie, um Schritt für Schritt, ohne es dem Leser auf die Nase zu binden, den Philosophen Adorno zu entzaubern. Als Ausgangspunkt dient Jäger eine Beobachtung Kracauers. Der hat Adornos Anfälligkeit für Lehren und Lehrgebäude früh erkannt. Adorno stand in der Gefahr, intellektuellen Schulen blind nachzueifern.
Marxismus, Psychoanalyse und in der Musik die Zweite Wiener Schule Schönbergs bildeten seinen Horizont. Jäger betont, wie Adorno sich an die Grenzen der Lehren vorwagt, wie er sich an ihren Aporien abmüht und sie aushöhlt – bis Horkheimer nichts mehr versteht: „Adorno sagt zu jeder seiner Analysen auch das Gegenteil” –, letztlich ohne ihrem Bann zu entkommen. Die drei Schulen Adornos stehen für die klassische Moderne – „das Gehäuse seines Denkens”. Jäger nennt das die intellektuelle „Konstellation der Geburt”. Adornos Werk sei der Versuch, diese Konstellation „in allen ihren Möglichkeiten durchzuspielen, sie normativ zu rechtfertigen”.
Das klingt in der Ausführung viel weniger abenteuerlich als im Entwurf. Der Gedanke hat etwas Reizvolles, auch wenn Jäger die Originalität Adornos zu gering veranschlagt. Die Strategie, den Denker zu entzaubern und zu historisieren, mündet allerdings in Hochachtung für den Menschen: Als Adorno am Ende seines Lebens erkennt, dass die denkerische und künstlerische Moderne überlebt ist, bekennt er das – für Jäger ein Akt intellektueller Redlichkeit und Stärke.
Schöne Seele, Bergmensch
In einem jedoch muss man Jäger entschieden widersprechen. Adorno war nicht nur der „Alteuropäer”, den Jäger beschwört. Amerika war nicht nur Kulturindustrie, sondern auch ein Teil von Adornos Moderne, sogar politisches Vorbild, ein „Potential realer Humanität, das im alten Europa so kaum vorfindlich ist” – was Jäger ausblendet. Spürbar ist ein Vorbehalt gegen Amerika, nicht nur in den Passagen zum Bombenkrieg. Die „alteuropäische” Interpretation verstellt die Einsicht, dass die „Dialektik der Aufklärung” und die späten Vorlesungen ein dialektisches Loblied der Entfremdung und des Bürgers sind. Jägers unvergesslichster Satz ahnt das, wenn er einen Traum Adornos als Sehnsucht nach bürgerlicher Höflichkeit deutet: „Es gab kein richtiges Essen im falschen, nicht einmal im Traum: Als Taktlosigkeit würde die Inhumanität überleben.”
Jäger hat die populäre Biographie geschrieben, die er uns versprochen hat. Es ist ein Adorno, den jeder verstehen kann – eine großartige Leistung. Deshalb ist es zu verschmerzen, wenn manche Feinheiten von Adornos Denken verloren gehen. Das Politische in all seinen Widersprüchen und Verleugnungen steht im Mittelpunkt, weil es leichter den Zugang zu Leben und Werk des Denkers eröffnet. Jägers Stil, sein Blick für das Große im Kleinen, wirkt Wunder: ein philosophisches Buch, spannend wie ein Krimi.
Gleichzeitig liest sich Jägers Adorno über weite Strecken wie ein Kapitel aus der intellektuellen Geheimgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Dickicht und Lichtungen, Umwege und Hauptwege gehören zueinander. In ihrem Zusammenspiel erstrahlt die Natur.
Wenn Adorno im Angesicht des Matterhorns seine letzten Atemzüge tut, dann gerät das Buch unerwartet zur Apotheose. Theorie und Politik sind längst vergessen. Es bleibt die „schöne Seele”, der Bergmensch und Musiker Adorno. Ihm gilt die unverhohlene Bewunderung Jägers. So steht am Ende der Kern jeder echten Biographie – die Liebeserklärung an einen Menschen.
TIM B. MÜLLER
LORENZ JÄGER: Adorno. Eine politische Biographie. DVA, Stuttgart 2003. 314 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kaum zu glauben, aber wahr: Was Lorenz Jäger in seiner Biografie präsentiert, verspricht der Rezensent Tim B.Müller, ist ein "Adorno, den jeder verstehen kann". Und zwar, noch erstaunlicher, ohne dass das mit einem allzu großen Verlust an intellektueller Genauigkeit verbunden sei. Schon die "Grundkonstellation", in die Jäger den Philosophen sozusagen hineingeboren sieht, nämlich die marxistische, die psychoanalytische und die Zwölfton-Lehre als Ausgangs-Hintergrund, vermag den Rezensenten als Analyseansatz im Grunde zu überzeugen. Ganz gerecht werde Jäger dem Sachverhalt zwar nicht, so sei, meint Müller, Adorno doch um einiges origineller gewesen, als von Jäger veranschlagt. Es geht dem Autor, hier wird es deutlich, zuletzt doch um ein Projekt der "Entzauberung". Auch in der allzu einseitigen Darstellung eines vermeintlichen Anti-Amerikanismus schieße er schon mal übers Ziel hinaus. Dabei lägen Jägers Stärken jedoch ohnehin weniger in der Auseinandersetzung mit philosophischen Entwürfen als in den "hinreißenden Miniaturen" von Zeit- und Weggenossen, in der Aufmerksamkeit auch für Nebensätze und Nebensächliches. Und genau das macht das Buch, so Müller, zur gelungenen "populären Biografie".

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