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1965 haben die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen - vorläufiger Endpunkt einer dramatischen Vorgeschichte, die im Luxemburger Abkommen zur sogenannten Wiedergutmachung von 1952 ihren Ausgang nahm. In dichter Erzählung sucht der Historiker Dan Diner die Tiefenschichten jener zwiespältigen deutsch-israelischen Annäherung auszuleuchten, vor allem die politisch-theologischen Aspekte der Diskussion auf israelischer Seite nur wenige Jahre nach dem Mord an den europäischen Juden. Es geht ihm dabei um Sprache und Habitus, Fluch und Bann, um Erinnern…mehr

Produktbeschreibung
1965 haben die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen - vorläufiger Endpunkt einer dramatischen Vorgeschichte, die im Luxemburger Abkommen zur sogenannten Wiedergutmachung von 1952 ihren Ausgang nahm. In dichter Erzählung sucht der Historiker Dan Diner die Tiefenschichten jener zwiespältigen deutsch-israelischen Annäherung auszuleuchten, vor allem die politisch-theologischen Aspekte der Diskussion auf israelischer Seite nur wenige Jahre nach dem Mord an den europäischen Juden. Es geht ihm dabei um Sprache und Habitus, Fluch und Bann, um Erinnern und Vergessen, Anerkennung und Nichtanerkennung - schließlich um die Entscheidung zwischen jüdischer Tradition und israelischer Staatsraison: Durfte man mit dem Land der Mörder in Verhandlungen treten und materielle Entschädigung annehmen?
Autorenporträt
Dan Diner, geboren 1946, lehrt Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität zu Jerusalem. Der international renommierte Historiker war von 1999 bis 2014 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig und ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Dan Diner steht der Alfred Landecker Stiftung vor. Zu seinen Hauptwerken gehört »Zeitenschwelle. Gegenwartsfragen an die Geschichte« (2010); »Das Jahrhundert verstehen. 1917-1989« (2015) und »Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage« (2015).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Sparr schätzt besonders das Gespür für das vermeintlich Kleine, für Gesten und Bilder, mit dem der Historiker Dan Diner anlässlich des 50. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel das Verhältnis der beiden Staaten betrachtet. Große Begriffe wie "Schuld" und "Sühne" treten dahinter zurück, meint Sparr und konzentriert sich zusammen mit dem Autor auf die Nebenwege, den Kontext der Widerworte und die Distanz zwischen den beiden 1952 in Luxemburg zur Unterzeichnung des deutsch-israelischen Abkommens zusammentreffenden Delegationen. Der ganze historische Prozess scheint dabei für Sparr auf und die bis heute wirkenden Belastungen im Verhältnis beider Staaten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2015

Trotz Distanz auch Nähe
Israel und die Deutschen

Endlich wieder ein wirklich lesenswertes Buch über israelisch-jüdische Beziehungen zu Deutschland und Deutschem. Endlich ein Buch, das der großen deutsch-jüdischen Geistestradition würdig ist und nicht nur nostalgisch an sie erinnert. Dieser Autor vertreibt den geistigen Mief des ewig Korrekten. Dabei argumentiert er nie inkorrekt oder polemisch. Abgesehen von einigen Jargonismen, schreibt der noch in Jerusalem lehrende Leipziger Emeritus glasklar und allgemein verständlich. Dan Diner bietet kaum neue Fakten, doch er wirft auf Bekanntes ein ganz neues Licht. Er dringt über das historisch Faktische hinaus in die existentiellen und theologischen Tiefenschichten der israelisch-deutschen und der gesamtjüdisch-deutschen Beziehungen. Im Kern ist dies ein Grundlagenbuch zur jüdischen Geschichtssicht, Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie.

Schon der Buchtitel ist ein großer Wurf. "Rituelle Distanz". Diese zwei Wörter kennzeichnen das israelisch-jüdische Verhältnis zu Deutschland besonders in der hier untersuchten Frühphase bis 1952/53. Zunächst beschreibt Diner, wer wie und wo in der allgemein jüdischen und israelischen Welt schon bald nach dem sechsmillionenfachen Judenmord - mit sehr schlechtem Gewissen - Kontakte zu Deutschland aufgenommen hatte. Mit schlechtem Gewissen, doch guten Gründen: Für viele der aus Deutschland stammenden Israelis und Diasporajuden blieb Deutschland trotz Holocaust eben nicht nur das Land Hitlers, sondern mindestens ebenso sehr die Heimat Goethes und Schillers, also ihre eigene seelische und kulturelle Heimat. Die trotz allem bestehende Deutschland-Liebe von Einzelpersonen löste Schuldgefühle gegenüber dem jüdischen Kollektiv aus, das Deutschland gegenüber unmittelbar nach der Schoa eine Art Bann pflegte. Deshalb das Wort Distanz im Buchtitel. Doch trotz Distanz Nähe. Und wegen dieser Nähe rituelle Distanz, damit der Einzelne beim Kollektiv und vor sich selbst nicht zu sehr anecke. Das alles wusste man auch vor Diners Buch. Aber keiner vor ihm hat es so griffig formuliert. Andere schreiben dicke Bücher, Diner sagt mit nur zwei Wörtern alles. Wer mehr wissen will, muss sein Buch lesen. Obwohl so schlank, enthält es Gehaltvolles.

Ein zweiter Kunstgriff gelingt dem Autor meisterhaft: Er interpretiert das Foto von der Unterzeichnung des Wiedergutmachungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Israel und der Claims Conference, der Vertretung der Diasporajuden. Es geschah in Luxemburg am 10. September 1952. Kein mir bekannter Historiker hat vor Diner Körpersprache so überzeugend als Methode geschichtswissenschaftlicher Fakten und Tiefenanalyse angewandt. Diner belegt die israelisch-jüdische Doppelbödigkeit im Verhältnis zu Deutschem anhand von Werdegang, Schicksal und Äußerungen der deutschstämmigen Vertreter Israels bei den Wiedergutmachungsverhandlungen. Es gelingt ihm, jenseits des Biographischen aufzuzeigen, wo und weshalb die individuellen Identitäten und Identifikationen durchaus typisch für kollektiv jüdisches Empfinden waren.

Diasporajüdische sowie israelische Einzelpersonen wollten das von Deutschen Geraubte nach 1945 zurückerlangen. Die jeweilige Institution beanspruchte geraubtes, aber erbenloses Eigentum der Holocaust-Opfer sozusagen als Restitution für (so Diners Gedankenführung im Schlusskapitel) das "jüdische Volk als Ganzes". Jede dieser Institutionen stellte - im Sinne Rousseaus - die staatlich-israelische oder nichtstaatlich jüdische Vertretung des jüdischen "allgemeinen Willens" dar. Die Verlautbarungen kennt fast jeder, der sich mit der Thematik befasst hat. Vor Diner hat jedoch keiner diese nichtjüdisch- sowie und erst recht jüdisch-geistesgeschichtlichen Ur- und Hintergründe, seien sie religiös oder weltlich, ausgeleuchtet. Die religiös-jüdischen Hintergründe erläutert Diner pädagogisch geschickt, so dass auch interessierte Laien die Überlegungen und Empfindungen nachvollziehen können. Im Kapitel "Jerusalem: Die Arena der Knesset" zerlegt Diner haarklein Politikerreden in der hitzigen, fast zu einem jüdischen Bürgerkrieg führenden Parlamentsdebatte über die Aufnahme von Wiedergutmachungsverhandlungen im Januar 1952. Ihm gelingt es, scheinbar platte Politikerphrasen in intellektuelle, historische und theologische Über- und Höhenflüge jüdischen Geschichtsdenkens umzuwandeln.

Wenn wir - über Dan Diners Buch und über seine bislang unerreichten analytischen Tiefen hinaus - in die Gegenwart blicken, lässt sich dies sagen: Inzwischen fühlen sich Israel und die jüdische Welt Deutschland gegenüber geradezu nah, entspannt und entkrampft. In Deutschland obwaltet heute Israel gegenüber rituelle Arroganz auf der gesellschaftlichen Ebene und rituelle Scheinnähe bei der politischen "Elite".

MICHAEL WOLFFSOHN

Dan Diner: Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage. Deutsche Verlags Anstalt, München 2015. 172 S., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2015

Neubeginn nach dem Holocaust
Dan Diner beschreibt das Wiedergutmachungsabkommen zwischen Israel
und Deutschland 1952 und die Spannungen, die in Jerusalem damit verbunden waren
VON JOSEPH CROITORU
In diesem Jahr wird des 50. Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gedacht, die am 12. Mai 1965 aufgenommen wurden. Aktuelle Neuerscheinungen dazu sind rar, und auch Dan Diners Buch „Rituelle Distanz“ hat mit dem Jahrestag selbst nur am Rande zu tun. Der israelisch-deutsche Historiker war in den vergangenen Jahrzehnten in beiden Ländern gleichzeitig als Geschichtsprofessor tätig. In Leipzig leitete der gebürtige Münchner von 1999 bis 2014 das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, das neue Maßstäbe in der Erforschung des modernen Judentums gesetzt hat.
  Diners Blick war aber schon immer auch auf globale Entwicklungen gerichtet, vor deren Hintergrund er auch die jüdische Geschichte deutete. Sein jüngstes Buch kreist zwar um das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen aus dem Jahr 1952 und beleuchtet insbesondere Verhalten und Rhetorik der politischen Elite Israels sowie der führenden jüdischen Organisationen. Die Studie ist allerdings, wie der Autor selbst betont, „Teil einer sich in Arbeit befindenden größeren Untersuchung zur Geschichte der Verwandlung jüdischer Lebenswelten in der Moderne“.
  Wegen ihres Präzedenzcharakters bietet die Wiedergutmachung reichlich Stoff für die von Diner diagnostizierten „Verwandlungen“ im jüdischen Selbstverständnis. Gewiss war, wie er hervorhebt, der Bruch der damaligen israelischen Führung mit dem von ihr als „diasporisch“ abgelehnten Bann der Eliten des noch jungen Staats Israel gegen Deutschland Resultat eines neuen politisch souveränen Denkens. Die existenziellen wirtschaftlichen Interessen des Landes vor Augen argumentierte denn auch damals Israels Außenminister Moshe Sharett, diese müssten Vorrang haben vor einer Rückwärtsgewandtheit, die einen durch die Staatsgründung nun geschichtlich überholten Zustand ewiger messianischer Erwartung aufrechtzuerhalten trachte.
  Mit dem Argument, dass der israelische Staat dringend die deutsche Entschädigung bräuchte und ein bilateraler Vertrag nun einmal Voraussetzung dafür sei, setzte sich die israelische Regierung schließlich durch. Dass aber diese Argumentation gleichzeitig auch ihrer Selbstlegitimierung diente, wird in dem Buch nicht reflektiert. Dabei hatten es die Volksvertreter keineswegs leicht, den in den Köpfen noch nicht ganz präsenten und schwer regierbaren neuen Staat Israel zu verkörpern: Von 1949 bis 1952 erlebte Jerusalem nicht weniger als vier Regierungen.
  Bei dem von Diner hier ausgemachten Bewusstseinswandel handelte es sich also auch um eine Rhetorik der Staatlichkeit, die von den Regierenden genauso kalkuliert eingesetzt wurde wie der von der Opposition geschürte Deutschlandhass. Dass antideutsche Ressentiments in der dem Abkommen vorausgehenden Knessetdebatte vom Januar 1952 gezielt instrumentalisiert wurden, wird, obwohl ihr ein ganzes Kapitel gewidmet ist, nicht wirklich deutlich. Den Gegnern der Regierung war dabei jedes Mittel recht, und so überschlugen sich links- wie rechtsnationale säkulare Politiker nicht nur mit patriotischen Racheparolen, sondern bedienten sich auch gern alttestamentlicher Metaphern, mit denen ewige Unversöhnlichkeit gegenüber dem „Erzfeind“ Deutschland demonstriert und die Unsühnbarkeit seiner Schuld unterstrichen werden sollte. Der Autor neigt dazu, den Griff zu solchen religiösen Formeln als Symptom einer „theologisch-politischen Transformation“ des israelischen Politikdiskurses aufzufassen. Solche Rückgriffe auf die jüdische Schrifttradition gehörten damals aber längst zum Sprachhabitus säkularer Zionisten.
  Nicht unproblematisch ist auch Diners Analyse der Inszenierung jener „frostigen“ Atmosphäre, auf der die israelische Seite bei der Unterzeichnung der Wiedergutmachungsverträge in Luxemburg am 10. September 1952 beharrte. Dies zumal, da der eigentliche Grund für die „rituelle Distanz“ erst und eher nebenbei in einem späteren Kapitel genannt wird: nämlich dass die erhitzte israelische Diskussion gerade „in Fragen des Zeremoniellen“ kulminiert sei. Besonders die als Sakrileg empfundene Eventualität, dass es zwischen der israelischen und der deutschen Delegation zu einem unmittelbaren physischen Kontakt kommen könnte, sei Gegenstand der öffentlichen israelischen Kritik gewesen.
  Was das angeht, hätte man sich noch mehr Details gewünscht. So bleibt unerwähnt, dass Außenminister Sharett, der damals gemeinsam mit Bundeskanzler Konrad Adenauer das Abkommen unterzeichnete, vor seinem Abflug nach Europa von israelischen Journalisten direkt mit der Frage konfrontiert wurde, ob es einen Handschlag mit dem Deutschen geben würde, auf die er eine konkrete Antwort schuldig blieb – Adenauer hatte schließlich unerwartet Sharetts Hand geschüttelt, allerdings vor der Unterzeichnung und nicht in dem Raum, in dem sie im Luxemburger Stadtpalais stattfand und den beide Delegationen vereinbarungsgemäß getrennt und in zeitlichem Abstand betraten.
  Doch der spontane Händedruck hinter den Kulissen wurde geheim gehalten. So konnte die israelische Mainstreampresse anschließend zwar zufrieden von einer Vertragsunterzeichnung „ohne Reden und Händeschütteln“ berichten. Aber schon wenige Tage später bekamen jüdische Reporter von dem geheimen Händedruck Wind, den die ultranationalistische Oppositionspresse zu einem Skandal stilisierte. Diner, obgleich er das Verhalten der israelischen Seite eingehend analysiert, verweist im Zusammenhang mit der Unterzeichnung nur auf Reaktionen in bundesdeutschen Zeitungen, und so bleibt das Bild hier unvollständig.
  Umso deutlicher veranschaulicht der Historiker hingegen, wie sehr die am Zustandekommen des Abkommens beteiligten Juden unter dem Trauma des Holocaust standen. Das einzige jüdische Mitglied der deutschen Delegation, Jakob Altmaier, hatte die Katastrophe in einen bekennenden Juden verwandelt. Auf der offiziellen jüdischen Seite waren es aber eher die juristische Auseinandersetzung mit dem deutschen Verhandlungspartner und die Notwendigkeit, sich bei den Entschädigungsforderungen für die Verbrechen der Schoah als Kollektiv neu zu definieren, die eine „Verwandlung“ bewirkten – hin zu einer neuen, länder- wie organisationsübergreifenden jüdischen Solidarität, wie sie es vorher nicht gegeben hatte. 
Joseph Croitoru, geboren in Haifa, ist freier Historiker und Journalist. Er lebt seit 1988 in Deutschland.
Zwischen Außenminister Sharett
und Adenauer kam es zum
Handschlag – aber nicht offiziell
Annäherung: Israels Premierminister David Ben-Gurion und Kanzler Konrad Adenauer 1960 in New York.
Foto: AP
  
  
  
  
Dan Diner,
Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage. Deutsche Verlags-Anstalt 2015, 176 Seiten, 19,90 Euro.
Als E-Book: 15,99 Euro
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»[Es gelingt] Diner, die enorme Zerreißprobe zu zeigen, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Deutschland für den jungen jüdischen Staat bedeutete.« konkret, 3/15