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Menschen des späten Mittelalters, die sonst in keiner historischen Quelle zu Wort kämen, erzählen ihre kleinen Schicksale. Sie schreiben an den Papst und bitten um Beistand: Da geht es um Liebe und Tod, Krieg und Pest, Condottieri und Piraten, Pilgerfahrten und Hexenritte. Arnold Esch hat diese Stücke zu einem hinreißenden Buch verwoben, das uns durch alle Sphären führt: vom Himmel durch die Welt zur Hölle.Aus Tausenden von unveröffentlichten Schreiben an den Papst hat Arnold Esch für diesen Band, der an die "Wahren Geschichten aus dem Mittelalter" anschließt, eine Auswahl getroffen. Doch…mehr

Produktbeschreibung
Menschen des späten Mittelalters, die sonst in keiner historischen Quelle zu Wort kämen, erzählen ihre kleinen Schicksale. Sie schreiben an den Papst und bitten um Beistand: Da geht es um Liebe und Tod, Krieg und Pest, Condottieri und Piraten, Pilgerfahrten und Hexenritte. Arnold Esch hat diese Stücke zu einem hinreißenden Buch verwoben, das uns durch alle Sphären führt: vom Himmel durch die Welt zur Hölle.Aus Tausenden von unveröffentlichten Schreiben an den Papst hat Arnold Esch für diesen Band, der an die "Wahren Geschichten aus dem Mittelalter" anschließt, eine Auswahl getroffen. Doch diesmal kommen die Gesuche nicht nur aus dem mitteleuropäischen Raum, sondern aus ganz Europa, von Portugal bis Polen, von Schottland bis Sizilien. Kaum irgendwo sonst wird das Mittelalter so aus der Nähe betrachtet und gerade dadurch ungewöhnlich anschaulich und lebendig.
Autorenporträt
Arnold Esch ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom. 2011 erhielt er den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2014

Vergebt uns, wir haben Fußball gespielt

Jahrhundertelang waren die Geständnisse, die bei der päpstlichen Bußbehörde eingingen, vom Beichtgeheimnis geschützt. Jetzt hat Arnold Esch aus ihnen einen erstaunlichen Band über individuelle Schicksale im Spätmittelalter komponiert.

Europa um 1440: In Glasgow losten ein paar Geistliche und Laien zwei Fußballmannschaften aus; der Priester John Smyth und der Weltliche John Patonson standen dem Team von Robert Richards gegenüber. Richards führte den Ball geschickt am Fuß, aber als die beiden Johns von zwei Seiten auf ihn zustürmten, gab er seinen Vorteil verloren und riss aus. Smyth und Patonson konnten nicht mehr stoppen und stießen über dem Ball so heftig zusammen, dass Patonson starb.

Im Kloster Alcobaça bei Lissabon versammelten sich zur selben Zeit drei Zisterzienser um ihren sterbenden Bruder, den die Pest dahinraffte und der seine furchtbaren Schmerzen mit Worten nicht mehr ausdrücken konnte. Einer der Dabeistehenden, der mit ihm befreundet war, sprach: "Wenn du mein leiblicher Bruder wärst, wie du mein geistlicher Bruder bist, und wir wären beide in einem Haus, wo man mich nicht sähe, würde ich meine Hand auf deinen Mund drücken und deine schlimmen Schmerzen abkürzen."

Das frevelhafte Wort fand unerwartete Resonanz, denn ein anderer Mönch, ausgerechnet der Krankenpfleger des Klosters, gab zur Antwort: "Wenn Ihr wollt, dass er schnell stirbt, dann ziehen wir ihm doch das Kopfkissen weg und legen seinen Kopf auf den Boden." So geschah es, und der Kranke starb sofort. - Die Mutter eines spanischen Priesters, Diözese Oviedo, hatte hingegen ihrem Leid selbst ein Ende gemacht. Nach dem Hinscheiden ihres Mannes war sie verzweifelt und verwirrt aus dem Haus gerannt und ruhelos durch Berg und Feld gezogen. In kurzen Phasen der Erholung hatte sie bei Verstand zwar ihre Schuld gebeichtet und am Gottesdienst teilgenommen, aber dann ihren Kummer nicht mehr ertragen und den Strick genommen. Wie sollte ihr Sohn, der Priester Marcus Alfonsi, ihr jetzt ein kirchliches Begräbnis verschaffen?

Ein merkwürdiges Schicksal hatte in Italien Anthonius Stephani gemeistert, als er sich mit Catherina Luchina aus Chivasso in der Diözese Ivrea vermählte. Als Siebzehnjähriger war er von seinem Vater zu einem Adligen geschickt worden, der ihm eine Lehre im Kaufmannsgeschäft verschaffen sollte. Diese Vermittlung war schon ungewöhnlich, weil ja Adlige das Schwert führen und Herrschaft ausüben sollten, aber "bürgerliche" Handels- und Geldgeschäfte eigentlich nicht standesgemäß waren.

Der Adlige leitete aber den jungen Anthonius keineswegs im Fechten und auch nicht zur Buchführung an, sondern wollte ihn mehr als zwei Jahre lang vom Lebensziel der Keuschheit überzeugen; alles Widerstreben nutzte nichts, zumal sich der junge Mann am Ende ausgerechnet an Geistliche und andere fromme Männer um Hilfe gewandt hatte. Dem vereinten Druck nachgebend, gelobte er schließlich mehrfach, niemals im Leben eine Frau zu nehmen, ohne sich allerdings einem bestimmten Mönchsorden zu verpflichten.

Rettung kam, als der Vater starb und seine jüngeren Brüder und die Mutter ihn zurückriefen, damit er als neues Familienoberhaupt die Geschäfte übernimmt. Das musste nun auch ohne Ausbildung gehen, aber wichtiger als Rechnen und Schreiben war eine Frau, die der häuslichen Ökonomie vorstand. Gegen die Abgabe von einem Prozent seiner Güter lösten ihn die Brüder des Johanniterordens von seinem Gelübde, so dass er Catherina heiraten konnte.

Alle diese Episoden markieren ungewöhnliche Abweichungen vom überlieferten Mittelalterbild. Zwar ist der Fußball ("pila pedalis") schon einhundert Jahre zuvor belegt, aber in Glasgow wird zum ersten Mal eine Spielszene beschrieben; die monastische Sterbehilfe passt überhaupt nicht zur christlichen Lebensbejahung, und wenn auch die ebenso normwidrigen Fälle von Selbstmord so häufig waren, dass man sie längst gesammelt hat, so deutet die spanische Begebenheit doch die Vorgeschichte von Demenz und Depression ungewöhnlich präzise an; wie soll man schließlich an dem Geschick des Paveser Kaufmannssohns die Lenkung Gottes ablesen und stattdessen an seinem Beispiel nicht eher das Rad erkennen, auf das Fortuna die Menschen zurrt, um sie herumzuwirbeln, wo sie möchte?

Wir verdanken die Zeugnisse einer einzigartigen Überlieferung, die die ganze westliche Christenheit erfasst: den Akten der päpstlichen Bußbehörde, bei der die Schuldbeladenen Befreiung vom Ausschluss aus der Kirche oder von bestimmten Verhaltensnormen erwirken konnten. In den vorgeführten Beispielen wollten also die Antragsteller trotz der unbeabsichtigten oder willkürlichen Tötungen das geistliche Amt ausüben oder in geweihter Erde bestattet werden und so fort. Die sogenannten Pönitentiar-Register sind erst seit 1983 der Forschung zugänglich, nachdem sie jahrhundertelang, was nachvollziehbar ist, zur Wahrung des Beichtgeheimnisses unter Verschluss gehalten wurden.

Arnold Esch, der damalige Direktor am Deutschen Historischen Institut in Rom, hat sich das große Verdienst erworben, sogleich die Edition der Deutsche betreffenden Gesuche und Bewilligungen angeregt zu haben; bis heute liegen schon acht Bände für die Zeit von 1431 bis 1503 im Druck vor. Mit diesem Tempo konnten andere Wissenschaftsnationen nicht Schritt halten, so dass nur die Norweger und Schweden "ihre" Überlieferung (von bescheidenem Umfang) vollständig publiziert haben. Nachdem Esch vor wenigen Jahren die Geschichten deutscher Antragsteller in Rom nacherzählt hat, wertet er nun die Überlieferung für die anderen europäischen Christenheiten aus.

Im Unterschied zu seinem Buch von 2010 liegt dem neuen Werk also keine Ausgabe der lateinischen Quellen zugrunde, der Autor musste weitgehend auf die ungedruckten Originale zurückgreifen. Aus einem Material von sage und schreibe 97 000 Bittschriften hat er 2400 aus der Zeit von 1439 bis 1484 für seine Darstellung verwertet. Die Einblicke ins Leben gewöhnlicher Christen des 15. Jahrhunderts, die Eschs Buch erlaubt, sind, man kann es nicht anders sagen, sensationell. Besonders wertvoll sind die regionalen Unterscheidungen, die das Material zulässt. So treten als römische Bittsteller eher Kaufleute und Viehbesitzer von Aufsteigerfamilien neben Immigranten und Pilgern in Erscheinung, während sich aus Florenz Bankiers und Mäzene meldeten und venezianisches Standesbewusstsein auch von vornehmen Damen demonstrierte wurde, die für ihren Kleiderluxus - höhere Absätze und reicheren Kopfschmuck zur Förderung der Heiratschancen - in Rom Dispens erwirkten.

Am wertvollsten sind die neuen Einsichten zur Auseinandersetzung mit den Muslimen: Im westlichen Mittelmeer ging es darum, die päpstliche Embargopolitik zu unterlaufen, im östlichen den Gefahren der Versklavung durch die vordringenden Osmanen zu entgehen.

Bei aller Freude am prallen Leben, zu dem die römischen Quellen den Zugang bahnen, darf man allerdings nicht vergessen, dass es der Respekt vor Autoritäten, die Angst vor - ewiger - Strafe und die bloße Gewissensnot waren, die die Hunderttausende von Bittschriften bei der Kurie veranlasst hatten. Den Gläubigen hatte die Kirche seit Jahrhunderten eingeschärft, dass "gute Gesinnung auch dort Schuld vermutet, wo gar keine Schuld" vorliege.

Nicht ohne Beklemmung liest man denn auch die Supplik eines kleinen Ortes bei Spoleto, dessen Äcker und Weinberge seit Jahren durch Unwetter verwüstet worden waren. Bei sich selbst konnten die Bewohner zwar keine Schuld als Ursache für ihr Unglück erkennen, aber es kam das Gerücht auf, vor dreihundert Jahren hätten die Ahnen ein Augustinerkloster geplündert und seien deshalb auch ohne ausdrückliches kirchliches Urteil exkommuniziert worden. Darum bitten sie Seine Heiligkeit, "jeden von ihnen von der Exkommunikation (falls sie wegen dieser Untat und des Unrechts ihrer Vorfahren für betroffen gehalten würden) sicherheitshalber zu absolvieren". Dem Gesuch wurde stattgegeben - und hoffentlich zeigte sich auch die Natur den Bedrängten wieder gnädig.

MICHAEL BORGOLTE

Arnold Esch: "Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters". Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst.

Verlag C. H. Beck, München 2014. 540 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2014

Ärger im Mittelalter
Arnold Esch erzählt von kleinen Leuten
„Als einst in den Königreichen Kastilien und León Krieg war zwischen dem erlauchten Fürsten und König Heinrich, der damals mit seinem Hof in der Stadt Toro bei Zamora residierte, und einigen Vasallen andererseits – da wurde mir mein Maultier gestohlen.“ Selten hat man eine so majestätische Welt und ein so klägliches Missgeschick in einem Moment gesehen. Der Vorgang ist festgehalten 1470 in den Akten der päpstlichen Pönitentiarie; dieser Notiz und tausenden ähnlicher Art verdanken wir einen Eindruck, wie einfache Leute die große Geschichte erleben. Im Zweifelsfall ist das gestohlene Maultier wichtiger als der Krieg eines erlauchten Fürsten und Königs.
  Vor vier Jahren hat der Historiker Arnold Esch Begebenheiten dieser Art aus dem Archiv der Pönitentiarie herausgesucht und nacherzählt: „Wahre Geschichten aus dem Mittelalter“. Es waren Fälle aus dem Gebiet des römisch-deutschen Reiches, nun hat er einen zweiten Band folgen lassen, wieder mit Fällen aus dem 15. Jahrhundert, diesmal aber aus den anderen europäischen Ländern: „Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters“. Es sind kleine Schicksale, wie Esch schreibt, aber mehr noch sind es Schicksale kleiner Leute.
  Wie kam es dazu, dass sie aufgeschrieben wurden und es bis in unsere Zeit gebracht haben? Kirchliche Archive bieten die besten Überlieferungschancen. Die katholische Kirche versteht sich historisch, sie bewahrt ihr Schriftgut mit Sorgfalt und so auch das der päpstlichen Buß- und Gnadenbehörde, der Pönitentiarie. An sie wendete sich, wer schuldig wurde oder glaubt, schuldig geworden zu sein. Schuld „ist eine große Überlieferungschance. Für viele gewöhnliche Menschen ist sie sogar die einzige. Nun erst wird nach ihnen gefragt, müssen sie reden, dürfen sie reden.“ Wer keinen Ärger hat und keinen Ärger macht, der wird es nicht in die Archive bringen.
  Ganz gewöhnliche Menschen und Fälle sind es allerdings nicht immer. Denn die Fälle gehen erst nach Rom, wenn sie die Zuständigkeit des Ortsbischofs übersteigen. Und doch steckt etwas Egalitäres in der Praxis der Pönitentiarie: Diese soll sich nicht für die politische oder historische Geltung der Antragsteller interessieren. Sie hat auf deren Seelen und ihre Gefährdung zu sehen, hier achtet sie die Menschen gleich. Ein Stand allerdings meldet sich besonders oft, der geistliche. Ein häufiges Problem: Kleriker durften nichts mit der Verstümmelung und dem Tod eines Menschen zu tun haben, nicht mit Folter oder Todesurteil in einem ordentlichen Verfahren, auch nicht vor Empfang der Weihen. In der gewaltgeneigten Welt des Mittelalters ist solche Friedfertigkeit nicht leicht zu wahren.
  In erstaunlicher Häufigkeit wechseln Mönche in den Kriegsdienst und wieder zurück. Regelmäßig behaupten sie in ihren Suppliken (Bittschriften), niemanden getötet oder schwer verletzt zu haben, nicht einmal bei der blutigen Eroberung Roms 1527, dem Sacco di Roma. Doch ist die Pönitentiarie nicht weltfremd, der Bearbeiter schreibt knapp „Absolution von Mord“. Die vermeintlich feste Aufteilung der mittelalterlichen Gesellschaft in Stände zeigt sich hier in neuem Licht – auch wenn man bedenken muss, dass die Mönche, die pflichtgemäß in ihrem Kloster verharren, damit auch nicht in die Archive vorrücken.
  Aber natürlich gibt es auch ganz andere Situationen. Ein Kleriker spielt mit seiner kleinen Nichte und zeigt ihr eine Haselmaus. „Aber da geriet sie ganz durcheinander. Sie wollte weglaufen und stürzte in ein Gefäß mit heißem Wasser.“ In Lemberg kommen Kinder zur Karnevalszeit in den Dominikaner-Konvent. Die Mönche bauen eine Schaukel für die kleinen Gäste, und dann fällt ein Kind herunter und ist tot. Beide Male bitten die Kleriker in Rom um Absolution. Spricht aus solchen Bitten ein besonders feines moralisches Empfinden? Oder eher umgekehrt ein einfaches Erfolgsprinzip bei der Bewertung des Geschehens – ohne innere Sachverhalte wie Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu bedenken?
  Ein Priester rettet in Bologna seinen Onkel vor der Hinrichtung, zu der ihn die Inquisition verurteilt hatte. Aber einer der Fluchthelfer wird erwischt und gehängt. Letzteres ist für die Pönitentiarie das Problem. Die Fluchthilfe ist gleich beiseitegeschoben, aber der Schuldanteil am Tod des Mitverschworenen muss noch mal untersucht werden.
  Alle Fälle, von denen wir wissen, sind positiv beschieden worden. Bittschriften, die abgelehnt wurden, gelangten nicht ins Repertorium. Warum, das ist unklar. Für Esch ist das auch nicht entscheidend. Ihn beschäftigen die Verwicklungen, wie die Gläubigen sie in ihren Suppliken schildern, weniger deren Auflösung nach Kirchenrecht; er will den Bittstellern in ihren Nöten nicht gleich kanonistisch ins Wort fallen. Das ist gelegentlich auch schade. Ein Priester hat einem Amtsbruder Gift in Hostie und Messwein gemischt und dazu vorgetragen, er habe aus Naivität und Rechtsunkenntnis so gehandelt. Auch er zieht wohl den Kopf aus der Schlinge – aber mit welchen Argumenten mag das die Pönitentiarie begründet haben? Historisch interessant, weil in der Zeit so beweglich, ist doch gerade das Urteil über abweichendes Verhalten.
  Esch aber hat sich anders entschieden, und auf seinem Weg hat er allerdings viel zu bieten. Wir erfahren von großen Dingen wie der Piraterie und den Schwierigkeiten im Umgang mit Muslimen. Und von kleinen: Der Erzbischof von Venedig hat Vorschriften gegen den Kleiderluxus erlassen, nun bitten vornehme Venezianerinnen um eine Ausnahmegenehmigung für Schuhe mit hohen Absätzen, denn sie seien im Heiratsalter und kleinwüchsig. Immer wieder geht es um Ehegelöbnisse. Ein Mann hat einer Prostituierten die Ehe versprochen, die Pönitentiarie löst sein Gelübde, aber sie nimmt es doch ernst, auch gegenüber einer Prostituierten – hier wird der Rechtsstandpunkt kurz referiert, und wie interessant ist das! Auch das Geschäftsleben wird Thema. Zahlungsgelübde sollen gelöst werden, dass der Preis kein gerechter sei, scheint ein zureichender Grund. Und dann die Exkommunikationen. Bankiers, die der Kurie nahestehen, erwirken schnell Exkommunikationen gegen säumige Zahler. Man sieht die Probleme, die sich die Kirche am Vorabend der Reformation aufhalste.
  Zum Vergnügen an der Geschichte gehört die Farbigkeit der Bilder. Historisch ist, was anders ist als wir. Dafür hat Esch Auge und Sprache. Er schreibt lebhaft und gelöst, im Gesprächston, doch ohne Kumpelei mit Sache oder Publikum, frei, aber fein, ohne Ironie, die gegenüber der Vergangenheit etwas Billiges hat; der überlegene Standpunkt ist ja schon durch den Ort in der Zeit gewährleistet. Und Esch will die Ereignisse eben nicht von oben betrachten. Er hat sich für die Akten der Pönitentiarie entzündet, weil sie einen Blick von unten ermöglichen. Und „unten“ meint nicht so sehr die soziale Position im Gegensatz zur Obrigkeit. Unten ist die Sicht derer, die in ihrer Zeit sich zurechtfinden müssen, im „gelebten Menschenalter“ gegenüber dem „gedachten Zeitalter“, wie der Historiker es sich zurechtgeforscht hat. Die Menschen, die Esch noch einmal zu Wort kommen lässt, tasten sich durch ihre Zeit, wie wir durch unsere.
STEPHAN SPEICHER
Unten heißt die Sicht derer,
die in ihrer Zeit sich
zurechtfinden müssen
  
  
Arnold Esch:
Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst. Verlag C.H. Beck,
München 2014. 544 Seiten,
29,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Borgolte ist dem Herausgeber Arnold Esch für eine Sensation dankbar. Was der ehemalige Direktor am Deutschen Historischen Institut in Rom geleistet hat, indem er aus 97.000 Bittschriften von um die christlichen Weihen fürchtenden Büßern 2400 aus den Jahren 1439-1484 auswählte, vermag Borgolte kaum zu ermessen. Das aus den ungedruckten Originalen aus der päpstlichen Bußbehörde Destillierte begeistert den Rezensenten vor allem durch die dem Leser offenbarten regionalen Unterschiede. Was Kaufleute aus Rom, Bankiers aus Florenz oder Damen aus Venedig von Rom erbaten, liest Borgolte hier. Und die Auseinandersetzung mit den Muslimen im Mittelmeer, wie sie sich in den Bittschriften niederschlägt, findet er höchst lesenswert. Beklemmung verursacht die Lektüre dem Rezensenten allerdings auch, schließlich, so Borgolte, ging es bei all dem um die Angst vor ewiger Strafe und Gewissensnot.

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